Unzumutbare Blendwirkung durch Dachziegel
letzte Aktualisierung: 7.1.2021
OLG Hamm, Urt. v. 25.5.2020 – 5 U 113/17
BGB §§ 1004, 906
Unzumutbare Blendwirkung durch Dachziegel
Von glasierten Dachziegeln kann eine für den Nachbarn unzumutbare Blendwirkung und damit eine
Beeinträchtigung i. S. v.
Gründe
A.
Die Kläger nehmen die Beklagten auf Beseitigung der Blendwirkung in Anspruch, die nach
ihrer Darstellung von auf dem Dach des Hauses der Beklagten aufgebrachten glasierten
Dachziegeln ausgeht.
Die Parteien sind Nachbarn. Die Kläger sind Miteigentümer eines auf dem Grundstück G1
(Nweg xx) befindlichen Hauses.
Die Beklagten sind Miteigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks G2
(Cgasse xx, M).
Das Wohnzimmer der Kläger, die davor gelegene Terrasse, das Schlafzimmer im
Obergeschoss nebst vorgelagertem Balkon und das im Dachgeschoss eingerichtete
Büro / Fernsehzimmer sind nach Süden zum Grundstück der Beklagten hin ausgerichtet. Das
Wohnhaus der Beklagten liegt etwa 18 Meter von der Terrasse der Kläger entfernt, die
nördliche Dachfläche des Hauses ist der Terrasse der Kläger zugewandt.
Im August / September 2016 ließen die Beklagten ihr Dach mit Dachpfannen der Firma D AG
(Modell Futura, Oberfläche Finesse schwarz glasiert) neu eindecken. Die Kläger wiesen die
Beklagten bereits während der Dacheindeckungsarbeiten auf eine aus ihrer Sicht bestehende
erhebliche Blendwirkung durch die neuen Dachpfannen hin.
Dass bei Sonneneinstrahlung eine Blendwirkung von den Ziegeln ausgeht, ist im
Berufungsrechtszug unstreitig geworden. Streitig ist lediglich das Ausmaß der Blendwirkung.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.09.2016 forderten die Kläger die Beklagten vergeblich
auf, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der aus ihrer Sicht unzumutbaren Blendwirkung
zu ergreifen. Ein im Anschluss durchgeführtes Schlichtungsverfahren blieb erfolglos.
Mit ihrer Klage vom 12.04.2017 haben die Kläger behauptet, die auf dem Dach der Beklagten
verwendeten Dachpfannen seien hochglanz-glasiert. Bei Sonneneinstrahlung werde das
Sonnenlicht von den Pfannen derart reflektiert, dass es in den Monaten April bis Oktober
zwischen 10.00 und 16.00 Uhr auf ihrem Grundstück zu einer unzumutbaren Blendwirkung
komme. Die Blendwirkung mache zu den genannten Zeiten die Nutzung der Terrasse, des
Gartens und der zum Haus der Beklagten hin ausgerichteten Räume nahezu unmöglich.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Blendwirkung, die von den hochglanzglasierten
Dachziegeln ausgeht, die auf der Nordseite der dem Grundstück der Kläger
zugewandten Seite des Daches des im Eigentum der Beklagten stehenden Hauses auf dem
Grundstück G2 (Anschrift Cgasse xx, M) verlegt sind, durch geeignete Maßnahmen zu
beseitigen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, es handele sich bei den neuen Dachpfannen um handelsübliche
glasierte Ziegel von geringem Glanzgrad. Eine Blendwirkung trete auf der Terrasse des
klägerischen Hauses und in den Räumen der Kläger in allenfalls unerheblichem Umfang auf
und müsse klägerseits geduldet werden. Die Verwendung der Pfannen sei als ortsübliche
Nutzung anzusehen. In Neubaugebieten seien glasierte Ziegel heute die Regel, so auch in
den nahe gelegenen Neubaugebieten Lweg und Hweg.
Eine etwaige Blendwirkung sei nur durch eine Neueindeckung ihres Dachs zu beseitigen, was
ihnen angesichts der erheblichen Kosten nicht zumutbar sei. Die Neueindeckung mit matten
Ziegeln werde die Lage für die Kläger auch nicht verbessern, da auch von matten Ziegeln
eine vergleichbare Blendwirkung ausgehe.
Das Landgericht hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch
Augenscheinseinnahme der örtlichen Gegebenheiten. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Ortstermins vom 14.08.2017 (BI. 48 d. A.) Bezug
genommen.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner
verurteilt, die von den glasierten Dachziegeln ausgehende unzumutbare Sonnenblendwirkung
durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen, soweit das Haus der Kläger betroffen ist. Den
Klägern stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf Beseitigung der unzumutbaren
Blendwirkung aus
Eigentums der Kläger im Sinne des
dass das Sonnenlicht bei Sonneneinstrahlung in der Mittagszeit von den glasierten Ziegeln
reflektiert und aufgrund der Gebäudelage in Richtung des Hauses, der Terrasse und der
Fenster der Kläger gelenkt werde. Insoweit liege eine wesentliche Beeinträchtigung des
klägerischen Eigentums vor, die nicht auf einer ortsüblichen Benutzung des Grundstücks der
Beklagten beruhe.
Gegen die Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer fristgerecht eingelegten und
begründeten Berufung. Sie rügen, dass das Landgericht ihren Vortrag und ihre
Beweisangebote auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen habe. Das
Landgericht hätte über ihre Behauptung, dass allenfalls eine unerhebliche Beeinträchtigung
vorliege, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erheben müssen.
Zudem hätte das Landgericht der Behauptung nachgehen müssen, dass die im Ortstermin
festgestellte Blendwirkung gleichermaßen bei Verwendung handelsüblicher matter
Dachziegel auftreten würde. Auch habe das Landgericht verkannt, dass die Verwendung
glasierter Dachziegel inzwischen ortsüblich sei. Eine Beseitigung sei zudem mit erheblichem
Aufwand verbunden, nämlich mit einer neuen Eindeckung des Dachs. Dies sei in Anbetracht
der in Rede stehenden Beeinträchtigung unverhältnismäßig und ihnen deswegen nicht
zumutbar. Im Übrigen stünden den Kläger zumutbare Maßnahmen des Selbstschutzes zur
Verfügung: Im Wohnzimmer könnten Jalousien angebracht werden. In der Mittagshitze müsse
und solle man sich nicht draußen aufhalten. In dem Schlafzimmer halte man sich gerade
mittags für gewöhnlich auch nicht auf. Im Übrigen gebe es Gardinen, die zugezogen werden
könnten. Das im Dachgeschoss eingerichtete Büro / Fernsehzimmer verfüge lediglich über
ein Dachfenster, an das man während der Blendzeiten nicht herantreten und hinausschauen
müsse. Im Übrigen gebe es in der streitgegenständlichen Region zu wenig Sonnentage, als
dass Blendungen erheblich sein könnten. Die zeitlichen Grenzen, die in dem auf
Photovoltaikanlagen zugeschnittenen Anhang 2 zu den Hinweisen der Bund/Länder-
Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) zur Messung, Beurteilung und Minderung
von Lichtimmissionen vom 12./13.09.2012 (nachfolgend: „Lichtrichtlinie“) angegeben seien,
wonach die Blendwirkung mindestens 30 Minuten am Tag oder 30 Stunden im Jahr andauern
müsse, sei hier nicht überschritten.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des am 18.09.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Detmold die
Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Bzgl.
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen Dr.-Ing. L vom 02.07.2019 und den Inhalt des Berichterstattervermerks
über die mündliche Anhörung des Sachverständigen in der Verhandlung vom 04.05.2020 (Bl.
176 ff. d. A.) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im
Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt Bezug
genommen.
B.
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig und
begründet.
1.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt(§ 253 Abs. 2
Nr. 2 ZPO).
Bei der Abwehr von Immissionen reicht es aus, wenn der Klageantrag – wie hier – die zu
beseitigende oder zu unterlassende Störung bezeichnet. Aus der Natur des Anspruchs aus
Störung beseitigen will. Ein Anspruch auf die Vornahme einer bestimmten Maßnahme steht
dem Anspruchsteller idR nicht zu. Daher erfordert
Bezeichnung der Beeinträchtigung (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.2004 – V ZR 83/04, juris Rn. 14).
Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Konkretisierung des Antrags darauf,
dass die „unzumutbare“ Sonnenblendwirkung zu beseitigen ist, bestehen nicht. Sie entspricht
der Regelung des
21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 12; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013 – 9 U 184/11,
juris Rn. 14). Dass lediglich die nicht zumutbare Beeinträchtigung beseitigt werden soll, ergibt
sich im Ausgangspunkt auch aus dem klägerseitigen Vortrag.
2.
Die Klage ist auch begründet.
Die Kläger haben gemäß
Anspruch auf Beseitigung der von den Dachziegeln ausgehenden Blendwirkung auf ihr
Grundstück.
a)
Die vom Dach der Beklagten ausgehende Blendwirkung stellt eine durch sie als Störer
verursachte Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des
Dachziegel führen dem Grundstück der Kläger unwägbare Stoffe im Sinne des § 906 Abs. 1
BGB in Gestalt von Reflexionen des Sonnenlichts zu.
Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Natureinwirkung.
Zwar ist das Sonnenlicht für die Blendwirkung durch Lichtreflexion (mit-)ursächlich. Ohne die
auf dem Dach der Beklagten neu installierten Dachziegel würde das Sonnenlicht aber nicht
zum Grundstück der Kläger umgelenkt; die von den Klägern beanstandete Beeinträchtigung
gäbe es dann in der monierten Form nicht (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2019 – 24
U 27/18,
juris Rn. 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 15; OLG
Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013 – 9 U 184/11, juris Rn. 19; OLG Stuttgart, Urteil vom
09.02.2009 – 10 U 146/08, juris Rn. 28).
b)
Eine Duldungspflicht der Kläger gem.
Gem.
die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.
Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats
aber fest, dass die vom Dach der Beklagten ausgehenden Lichtreflexionen wesentliche
Beeinträchtigungen darstellen.
aa)
Maßgeblich für die Bewertung, ob eine Beeinträchtigung als wesentlich anzusehen ist, ist das
Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen bezogen auf die konkreten Umstände
des Einzelfalles - hier: die Dauer der Blendwirkung, die Intensität der Lichtreflexionen und die
daraus resultierenden Auswirkungen auf die Nutzung des betroffenen Grundstücks (OLG
Hamm, Urteil vom 09.07.2019 – 24 U 27/18,
Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 17).
bb)
Die vorgenannten Anknüpfungstatsachen sind auf Veranlassung des Senats im Rahmen
einer ergänzenden Beweisaufnahme durch den Sachverständigen Dr. Ing. L überprüft
worden. Wie der Sachverständige mit überzeugender Begründung ausgeführt hat, haben
seine Prüfungen zum Ergebnis, dass aus der maßgeblichen Sicht des verständigen
Durchschnittsmenschen eine erhebliche Blendwirkung von den Dachpfannen auf dem Haus
der Beklagten ausgeht.
(1)
Der Sachverständige Dr. Ing. L hat im Ausgangspunkt erläutert, dass für die Blendwirkung,
die durch eine Lichtquelle hervorgerufen wird, deren Helligkeit entscheidend ist. Diese werde
- so der Sachverständige - durch die physikalische Größe der Leuchtdichte dargestellt, die in
Candela pro Quadratmeter (cd/m²) gemessen werde. Überschreite die Leuchtdichte einen
bestimmten Bereich (ca. 10.000 bis 160.000 cd/m²), könne beim Betrachter eine sog.
„Absolutblendung“ auftreten: Das Sehvermögen sei nicht mehr vorhanden und das Auge
reagiere mit Abwehrmaßnahmen wie Tränenfluss oder Blinzeln. Bei längerer Betrachtung
könnten Schäden an der Netzhaut und am Glaskörper des Auges auftreten.
In der Regel – so der Sachverständige – trete ab einer Leuchtdichte von 100.000 cd/m² eine
Absolutblendung auf. Zu diesem Schluss gelangt der Sachverständige unter Bezugnahme auf
den vom 13.11.2015 stammenden, Empfehlungen zur Ermittlung, Beurteilung und Minderung
der Blendwirkung von großflächigen Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Rahmen von
Baugenehmigungsverfahren zum Inhalt habenden Anhang 2 zu der LAI – Lichtrichtlinie (dort:
Ziffer 4). Auf diese Empfehlungen könne nach Darstellung des Sachverständigen in Bezug
auf die von glasierten Dachziegeln ausgehende Blendwirkung zurückgegriffen werden, weil
bei den Dachziegeln ebenso wie bei den Photovoltaikanlagen eine glasierte Oberfläche
verwendet werde, die das Sonnenlicht gerichtet reflektiert.
(2)
Nach den Ermittlungen des Sachverständigen wird der vorstehend genannte Grenzwert auf
dem Grundstück der Kläger bei Sonneneinstrahlung im Frühling, Hochsommer und
Spätsommer deutlich überschritten.
Bei von dem Sachverständigen vorgenommenen Messungen auf dem Grundstück der Kläger
konnten am 18.09.2018 in der Zeit von 11:30 Uhr bis 15:00 Uhr im Erdgeschoss (Garten,
Terrasse, Wohnzimmer) Messwerte zwischen 280.000 cd /m² und 2.229.000 cd/m² sowie am
17.06.2019 in der Zeit zwischen 12:00 Uhr und 14:45 Uhr im Obergeschoss und im
Dachgeschoss zwischen 168.000 cd/m² und 797.000 cd/m² ermittelt werden.
Diese den Grenzwert von 100.000 cd/m² sämtlich übersteigenden Messergebnisse sind – so
der Sachverständige im Senatstermin vom 04.05.2020 – Stellvertreterwerte. Die Ergebnisse
vom 18.09.2018 stehen danach für den Spätsommer und den Frühling; das Ergebnis vom
17.06.2019 für den Hochsommer. Das hat der Sachverständige schlüssig damit begründet,
dass sich die Sonnenstände aus dem Frühjahr, die vor der Sommersonnenwende liegen,
nach der Sommersonnenwende wiederholen (Seite 6 des Gutachtens).
Das klägerische Grundstück ist damit jedenfalls in sechs Monaten des Jahres bei
Sonnenschein vom Dach der Beklagten ausgehenden Reflexionen ausgesetzt, die zu einer
Absolutblendung führen. Dass dabei die dem Anhang 2 der Lichtrichtlinie zu entnehmenden
zeitlichen Orientierungswerte, bei denen von einer erheblichen Beeinträchtigung
ausgegangen werden kann (30 Minuten täglich oder 30 Stunden kalenderjährlich) auf dem
klägerischen Grundstück ohne weiteres erreicht werden, ergibt sich im Hinblick auf die
tägliche Belastung schon aus dem schriftlichen Gutachten und ist von dem Sachverständigen
auch im Übrigen im Senatstermin bekräftigt worden.
(3)
Die Reflexionen schränken die Nutzbarkeit des klägerischen Grundstücks massiv ein, ohne
dass das durch zumutbare Selbstschutzmaßnahmen von den Klägern verhindert werden
könnte.
(a)
Unter Berücksichtigung der Messergebnisse sind im Spätsommer und Frühling bei
Sonnenschein in der Zeit von 11:30 Uhr bis 15:00 Uhr Leuchtdichten von bis zu 2.229.000
cd/m² zu erwarten. Bei diesen Werten können beim Betrachter ohne weiteres
Gesundheitsschäden eintreten (Seite 8 des Gutachtens). Das müssen die Kläger nicht
hinnehmen. Dass sie der Gesundheitsgefährdung auch nicht vorbeugen müssen, indem sie
den gartenseitigen Außenbereich ihres Hauses im Frühling und Spätsommer in der Zeit
zwischen 11.30 – 15.00 Uhr meiden, liegt auf der Hand. Eine Markise haben die Kläger zum
Schutz vor der Sonneneinstrahlung bereits angebracht; auch diese verhindert aber die
schädliche Blendwirkung – wie das Foto 1 auf Seite 9 des schriftlichen
Sachverständigengutachtens anschaulich zeigt – nicht. Wie der Sachverständige ausgeführt
hat, versagen Schutzmechanismen wie Sonnenschirm oder Markise vor Ort, weil die
Blendungen von dem Dach der Beklagten „aus sehr niedrigen Winkeln kommen“ (Seite 13
des Gutachtens).
Das vorgenannte Foto, mit dem der Blick vom Wohnzimmer der Kläger in den Gartenbereich
eingefangen wird, verdeutlicht zudem, dass die Problematik nicht auf den Außenbereich
begrenzt ist. Vielmehr sind die Reflexionen ausweislich des Gutachtens „auch in größeren
Raumtiefen feststellbar“ (Seite 8 des Gutachtens) und betreffen folglich auch das
Wohnzimmer. Ein Herablassen von Jalousien und damit ein „Wohnen im Dunkeln“ kann von
den Klägern entgegen der Einschätzung der Beklagten wegen des damit verbundenen
Verlusts an Lebensqualität nicht erwartet werden.
(b)
Im Ober- und Dachgeschoss sind nach den Feststellungen des Sachverständigen im
Hochsommer in der Zeit von 12.00 Uhr bis 14:15 (OG) beziehungsweise 14:45 Uhr (DG)
erhebliche Überschreitungen des Grenzwertes von 100.000 cd/m² zu verzeichnen. Das
Schlafzimmer kann damit nur bei einer ausreichenden Verdunkelung gefahrlos genutzt
werden. Diese mag zwar angemessen sein, wenn tatsächlich geschlafen werden soll. Es sind
aber auch weitere Nutzungsmöglichkeiten naheliegend, die nicht mit einem Ausschluss von
Tageslicht verbunden sind, wie eine Nutzung als Lese- oder Rückzugsraum. Ein Verzicht auf
Tageslicht zu Gunsten von Kunstlicht ist auch aus finanziellen und ökologischen Gründen
nicht zumutbar. Im Übrigen sind die Reflexionen analog dem Erdgeschoss auch im
Obergeschoss in größeren Raumtiefen feststellbar (Seite 8 des Gutachtens), was das Bild 2
auf Seite 9 des Gutachtens veranschaulicht. Damit ist etwa auch der Weg vom Flur zum
Schlafzimmerfenster betroffen. Um Gefahren auszuschließen, müsste eine Verdunkelung des
Schlafzimmers letztlich vor Beginn der Absolutblendungsphase erfolgen. Dazu bedarf es
vorausschauender Planung, was einer spontanen Nutzung des Zimmers entgegensteht. Das
vorgenannte Bild 2 veranschaulicht zudem, dass der Lichteinfall auch für die Ausleuchtung
des Treppenhauses von Relevanz ist. Aufgrund der Tiefenwirkung der Blendung und den
damit verbundenen Gefahren („Orientierungslosigkeit“) sind auch hier
Nutzungseinschränkungen die Folge. Dem Schlafzimmer ist zudem ein Balkon vorgelagert,
der ebenfalls von den Reflexionen betroffen ist.
Unter Berücksichtigung dieser massiven Beeinträchtigungen im Erd- und Obergeschoss
kommt es auf die Verhältnisse im Dachgeschoss letztlich nicht mehr entscheidend an.
cc)
Entgegen der Einschätzung der Beklagten reicht das Ergebnis der bisherigen
Beweisaufnahme als Grundlage für die maßgeblichen Feststellungen aus; die Durchführung
eines (weiteren) Ortstermins ist nicht geboten.
Wenn – wie im Streitfall – erstinstanzlich ein Ortstermin abgehalten wurde, sind im
Berufungsverfahren grundsätzlich die hierbei getroffenen und im Protokoll oder im
erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Feststellungen zu Grunde zu legen. Eine Wiederholung
des Augenscheins durch das Berufungsgericht ist nur dann veranlasst, wenn die
erstinstanzlichen Feststellungen lückenhaft oder widersprüchlich sind oder wenn schlüssig –
etwa durch Vorlage von Lichtbildern – andere tatsächliche Verhältnisse dargelegt werden (vgl.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.07.2014 – 12 U 162/13,
Heßler, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020,
ersichtlich, noch von den Beklagten mit Substanz dargetan worden.
Der Hinweis auf die Entscheidung des 24. Senats des OLG Hamm (24 U 27/18, Urteil vom
09.07.2019) hilft den Beklagten in dem Zusammenhang nicht weiter. In jenem Verfahren
waren lediglich Blendwirkungen festzustellen, die unterhalb des Richtwerts von 100.000
cd/m² lagen und sich (deshalb) im Grenzbereich zwischen relativer und absoluter
Blendwirkung bewegten. Folgerichtig hat der 24. Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 08.05.1992 in NJW 1992,2019) die Notwendigkeit eines
Ortstermins bejaht.
Eine vergleichbare Konstellation ist im Streitfall nicht gegeben. Vorliegend bewegen sich die
Messwerte nicht im Grenzbereich, sondern sie liegen zu den genannten Zeiten deutlich
oberhalb des Richtwertes von 100.000 cd/m². Bei Überschreiten dieser Grenze erachtet auch
der 24. Senat eine Erheblichkeit „in der Regel“ für gegeben.
c)
Die Blendwirkung ist nicht wegen ortsüblicher Benutzung des Grundstücks der Beklagten zu
dulden (
Die Ortsüblichkeit bestimmt sich nicht nach der abstrakten Art der Nutzung des emittierenden
Grundstücks, sondern nach der konkreten Art der davon ausgehenden Beeinträchtigungen
der Nachbarschaft. Entscheidend ist, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung
mit einer nach Art und Maß etwa gleichen Wirkung benutzt wird (vgl. BGH, Urteil vom
23.03.1990 – V ZR 58/89,
glasierte Dachziegel als solche, sondern ob von diesen ausgehende vergleichbare
Blendwirkungen im betreffenden Wohngebiet ortsüblich sind (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom
21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 24).
Entsprechendes ist dem Vortrag der als Störer insoweit darlegungs- und beweisbelasteten
Beklagten nicht zu entnehmen. Es mag zwar sein, dass in angrenzenden Neubaugebieten
glasierte Dachziegel verwendet werden. Dass davon vergleichbare Blendwirkungen
ausgehen, behaupten die Beklagten indes nicht.
3.
Eine Unmöglichkeit gem.
kann, was der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, jedenfalls
durch die Verwendung von nicht glasierten Ton- oder Betonziegeln vermieden werden (Seite
13 des Gutachtens). Die Annahme der Beklagten, bei nicht glasierten Ziegeln trete eine
vergleichbare Blendwirkung auf, hat der Sachverständige als aus fachlicher Sicht
unzutreffend bewertet. Er hat in der Verhandlung vom 04.05.2020 ergänzend erläutert, dass
die von nicht glasierten Betonziegeln ausgehende Blendwirkung lediglich Leuchtdichtewerte
zwischen 2.000 und 5.000 cd/m² erreiche.
4.
Den Beklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht gem.
Sachverständige hat den finanziellen Aufwand für den Austausch der Dachziegel
nachvollziehbar mit ca. 20.000 € bis 30.000 € kalkuliert. Diese Kosten stehen nicht in einem
groben Missverhältnis zu dem klägerseitigen Leistungsinteresse. Denn das
Leistungsinteresse ist für die Kläger von überragender Bedeutung, wenn berücksichtigt wird,
dass die Kläger ihr Grundstück derzeit bei Sonnenlicht vom Früh- bis zum Spätsommer nur
eingeschränkt nutzen können und dauerhaft einer Gefährdung ihrer Gesundheit ausgesetzt
sind.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus
Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Rechtssache weder grundsätzliche
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert,
III.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 30.000,- € festgesetzt.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:25.05.2020
Aktenzeichen:5 U 113/17
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB §§ 1004, 906