letzte Aktualisierung: 19.10.2023
BFH, Urt. v. 21.6.2023 – II R 2/21
GrEStG §§ 16 Abs. 2 u. 5, 18, 19
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs; notarielle Anzeigepflichten; Fristversäumung
seitens des Notars; Anzeigepflicht des Steuerschuldners
§ 16 Abs. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) steht einer Aufhebung der Grunderwerbsteuer
nach § 16 Abs. 2 GrEStG nicht entgegen, wenn der Notar den Erwerbsvorgang zwar nicht
innerhalb der für ihn geltenden Frist des § 18 GrEStG anzeigt, seine Anzeige bei dem zuständigen
Finanzamt aber noch innerhalb der für den Steuerschuldner geltenden Frist des § 19 GrEStG
eingeht.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag der Klägerin ist dahingehend zu verstehen, dass sie im Wege der Verpflichtungsklage begehrt, das FA zur Aufhebung der Grunderwerbsteuerbescheide vom 02.05.2018 und 07.07.2020 zu verpflichten.
Die Klage der Klägerin ist darauf gerichtet, dass die Festsetzung der Grunderwerbsteuer in den Bescheiden vom 02.05.2018 und 07.07.2020 aufgrund des Rückerwerbs der GmbH-Anteile nach § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG aufgehoben wird. Dieses Begehren ist als Verpflichtungsklage in Gestalt der Vornahmeklage zu verfolgen (s. z.B. BFH-Urteil vom 05.06.1991 - II R 83/88, BFH/NV 1992, 267). Der erkennende Senat deutet den Klageantrag der Klägerin dementsprechend in eine Verpflichtungsklage um. Die Umdeutung ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich (vgl. BFH-Urteil vom 27.01.2011 - III R 65/09).
III.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verpflichtung des FA, die streitigen Grunderwerbsteuerbescheide aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG sind erfüllt. § 16 Abs. 5 GrEStG steht der Aufhebung der Steuerfestsetzung nicht entgegen.
1. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer unter anderem ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (heute 90 %) der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.
2. Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder eine bereits erfolgte Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG betrifft über seinen Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG. Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt, wenn einer der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt war. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Anwendbarkeit der Begünstigungsvorschrift des § 16 GrEStG auch auf die Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG voraus (vgl. BFH-Urteil vom 22.05.2019 - II R 24/16, BFHE 265, 454, BStBl II 2020, 157, Rz 15, m.w.N.).
3. § 16 Abs. 5 GrEStG schließt den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung aus, wenn ein Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 3 GrEStG zwar innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht, aber nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18, 19 GrEStG) wurde. Die Vorschrift dient einerseits der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und soll andererseits dem Anreiz entgegen wirken, durch Nichtanzeige einer Besteuerung den in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgängen zu entgehen (vgl. BFH-Urteile vom 17.05.2017 - II R 35/15, BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966, Rz 42 und vom 22.05.2019 - II R 24/16, BFHE 265, 454, BStBl II 2020, 157, Rz 18). Den Beteiligten soll die Möglichkeit genommen werden, die dort benannten Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (vgl. BFH-Urteil vom 17.05.2017 - II R 35/15, BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966, Rz 42).
4. Die Anzeigepflichten für den Notar nach § 18 GrEStG und für den Steuerschuldner nach § 19 GrEStG bestehen grundsätzlich selbständig nebeneinander. Die Wirkungen der Anzeigen können jedoch bei der Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG unter bestimmten Voraussetzungen dem anderen Anzeigepflichtigen zugerechnet werden.
a) Die Anzeigepflichten gemäß §§ 18, 19 GrEStG sind innerhalb von zwei Wochen zu erfüllen, knüpfen jedoch für die verschiedenen Anzeigepflichtigen an verschiedene Ereignisse an und können deshalb zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen.
aa) Ein Notar hat über einen Rechtsvorgang, den er beurkundet hat, nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung Anzeige zu erstatten, auch wenn die Wirksamkeit des Rechtsvorgangs von einer Genehmigung abhängig ist.
bb) Ein Gesellschafter hat ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 13 Nr. 5 GrEStG innerhalb von zwei Wochen, nachdem er von dem anzeigepflichtigen Vorgang Kenntnis erhalten hat, anzuzeigen. Voraussetzung dafür ist, dass das Rechtsgeschäft wirksam ist. Anderenfalls ist der Erwerbsvorgang noch nicht verwirklicht. Hängt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung ab, ist der Erwerbsvorgang erst im Zeitpunkt des Eintritts der Genehmigung erfüllt (§ 14 Nr. 2 GrEStG). In diesem Fall beginnt die Frist für die Anzeige nach § 19 Abs. 3 GrEStG erst mit Kenntnis von dem Vorliegen der Genehmigung (Wachter in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 19 Rz 219; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 19 Rz 23; kritisch zum Auseinanderfallen des Fristbeginns Wachter in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 18 Rz 210, § 19 Rz 221).
b) Der BFH hat bereits entschieden, dass es für § 16 Abs. 5 GrEStG ausreicht, wenn einer von mehreren Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß und fristgerecht nachkommt (vgl. BFH-Urteile vom 18.04.2012 - II R 51/11, BFHE 236, 569, BStBl II 2013, 830, Rz 24; vom 03.03.2015 - II R 30/13, BFHE 249, 212, BStBl II 2015, 777, Rz 23 und vom 22.05.2019 - II R 24/16, BFHE 265, 454, BStBl II 2020, 157, Rz 19). Danach wirkt die Anzeige des Notars für Zwecke des § 16 Abs. 5 GrEStG auch für den Steuerschuldner.
c) Die Urteile sind zwar zu § 16 Abs. 5 GrEStG in der Fassung vor der Änderung durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 (BGBl I 2014, 1265) ergangen. Mit Wirkung ab dem 07.06.2013 (vgl. § 23 Abs. 12 GrEStG) wurde der Wortlaut des § 16 Abs. 5 GrEStG geändert. Während zuvor § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht galt, wenn der Erwerbsvorgang "nicht ordnungsmäßig angezeigt (§§ 18, 19) war", schließt die im Streitfall geltende Fassung die Anwendung von § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG bereits dann aus, wenn der Erwerbsvorgang "nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18 bis 20) war". Die Vorschrift verlangt jedoch auch in der neuen Fassung nicht, dass beide Anzeigeverpflichtete jeweils ihren Anzeigepflichten "fristgerecht und in allen Teilen vollständig" nachkommen. Vielmehr ist § 16 Abs. 5 GrEStG weiterhin passivisch formuliert. Es genügt, dass der Erwerbsvorgang angezeigt "war".
d) Ausgehend vom Wortlaut und Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG reicht es danach aus, dass der Erwerbsvorgang innerhalb der für den Notar nach § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG oder der für den Steuerschuldner nach § 19 Abs. 3 Satz 1 GrEStG geltenden Anzeigefrist in allen Teilen vollständig angezeigt war und zwar unabhängig davon, von wem und für wen die Anzeige erfolgt ist.
aa) Nach dem Normzweck des § 16 Abs. 5 GrEStG genügt es, wenn der Erwerbsvorgang innerhalb der in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 3 GrEStG vorgesehenen Anzeigefristen dem Finanzamt in einer Weise bekannt wird, dass es die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG prüfen kann. Daher muss die Anzeige grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden (BFH-Urteil vom 22.05.2019 - II R 24/16, BFHE 265, 454, BStBl II 2020, 157). Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, ob die Anzeige durch den Notar oder den Steuerschuldner erfolgt ist. Unerheblich ist auch, ob der Steuerschuldner Kenntnis davon hatte, ob und wenn ja zu welchem Zeitpunkt der Notar seiner Anzeigepflicht nach der für ihn ‑‑den Notar‑‑ geltenden Frist nachgekommen ist. Maßgeblich ist, dass dem zuständigen Finanzamt innerhalb einer der gesetzlichen Fristen der steuerbare Vorgang vollständig angezeigt wurde. Ist dies der Fall, ist der Normzweck des § 16 Abs. 5 GrEStG erfüllt. Die Vorschrift schließt die Anwendung des § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG dann nicht mehr aus.
bb) Nach den vorstehenden Grundsätzen reicht es im Sinne des § 16 Abs. 5 GrEStG daher aus, wenn der Notar eine Anzeige erstattet, die zwar nach der gemäß § 18 Abs. 3 GrEStG für den Notar laufenden Frist verspätet ist, die dem zuständigen Finanzamt aber innerhalb der nach § 19 Abs. 3 GrEStG für den Steuerschuldner geltenden Frist zugeht. In einem solchen Fall wird der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG gewahrt, nämlich auf Grundlage einer entsprechenden Anzeige dem Finanzamt die ordnungsgemäße Prüfung des Steuerfalls zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die Verwirklichung des Erwerbstatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG von der Genehmigung einer Vertragspartei abhängt und diese für die Berechnung der in § 19 GrEStG benannten Fristen für die Anzeigepflicht eines Beteiligten maßgebend ist. Es ginge in diesem Fall über den Normzweck des § 16 Abs. 5 GrEStG hinaus, den Verlust der Rechte aus § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG an die fehlende Erstattung einer Anzeige des Notars nach § 18 GrEStG zu einem Zeitpunkt zu knüpfen, in dem der Erwerbsvorgang des Anteilskaufs mangels der erforderlichen Genehmigung einer der Vertragsparteien noch nicht verwirklicht worden ist und deshalb die Anzeigepflicht des Steuerschuldners nach § 19 GrEStG noch nicht zu laufen begonnen hat. Eine Gefährdung des Steueranspruchs ist in diesem Fall vor Entstehung der Steuer nicht zu befürchten.
5. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Ablehnung der beantragten Aufhebung der Steuerfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der Grunderwerbsteuerbescheide aus § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12.06.2018 trat die Klägerin 9,9 % ihrer Anteile an der GmbH wieder entgeltlich an die AG zum Kaufpreis von 2.475 € ab, sodass der Rückerwerb innerhalb von zwei Jahren nach Entstehung der Steuerschuld für den vorangegangenen Erwerbsvorgang erfolgte. Diese Steuer entstand nach § 14 Nr. 2 GrEStG am 30.12.2016 mit dem Zugang der Genehmigung des Verkaufs der Anteile durch den Mitvorstand C der Verkäuferin beim Notar. § 16 Abs. 5 GrEStG steht dem nicht entgegen. Auch die zweiwöchige Frist für die Anzeige der Klägerin begann nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 4, § 14 Nr. 2 und § 13 Nr. 5 GrEStG erst mit Kenntnis von der nachträglichen Genehmigung des Mitvorstandes C der Käuferin durch den Notar am 30.12.2016. Die Anzeige des Notars nach § 18 GrEStG ging bei der Grunderwerbsteuerstelle des FA am 12.01.2017 und somit noch innerhalb der für die Klägerin laufenden zweiwöchigen Anzeigefrist ein.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO.