OLG Naumburg 08. August 2024
2 Wx 55/22
BGB §§ 1960, 1961

Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft; erneute Anordnung einer Nachlasspflegschaft

letzte Aktualisierung: 16.12.2024
OLG Naumburg, Beschl. v. 8.8.2024 – 2 Wx 55/22

BGB §§ 1960, 1961
Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft; erneute Anordnung einer Nachlasspflegschaft

1. Die Ungewissheit, ob sämtliche in Betracht kommende gesetzliche Erben der 2. Erbordnung die
Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben und ob für diesen Fall gesetzliche Erben der 3. Erbordnung
ausfindig gemacht werden können, rechtfertigt die (erneute) Anordnung einer Nachlasspflegschaft.
2. Ein im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer übergeordneten Erbengemeinschaft,
d.h. einer Erbengemeinschaft, an welcher der Erblasser als Miterbe beteiligt war, stehender
Anspruch auf Mitwirkung an einer Teilungsversteigerung ist ein gegen den Nachlass gerichteter
Anspruch i. S. v. § 1961 BGB.

Gründe

A.
Der Erblasser war geschieden und hinterließ keine letztwillige Verfügung. Seine beiden Töchter,
Melanie W. und Juliane W., haben nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft seit dem
28.05.2014 diese zur Niederschrift des Nachlassgerichts am 24.06.2014 ausgeschlagen, Melanie
W. zugleich und jeweils gemeinsam mit dem jeweiligen Kindsvater für ihre beiden
minderjährigen Kinder Maria Medea W. und Elisabeth Pandora R. .

Die Eltern des Erblassers sind vorverstorben. Der Erblasser hatte acht Geschwister. Seine
Schwester Edith Petra A. geb. W. sowie deren Kinder und Kindeskinder haben die Erbschaft
jeweils wirksam ausgeschlagen, deren Sohn Dirk A. hat im Rahmen seiner notariellen
Ausschlagungserklärung nicht ausdrücklich angegeben, dass er selbst keine Nachkommen hat.
Der Bruder des Erblassers Ralf-Peter Siegfried W. hat die Erbschaft wirksam ausgeschlagen.
Der weitere Bruder Stefan W. sowie deren Tochter Maria haben die Erbschaft wirksam
ausgeschlagen. Die weitere Schwester Karin M. geb. W. sowie deren Tochter Steffi M. und
deren Sohn Paul M. haben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen; Steffi M. auch für das
damals erwartete Kind, jedoch ohne Angaben zum Kindsvater. Die weitere Schwester Kornelia
N. geb. W. hat die Erbschaft ausgeschlagen; ihr Sohn ist vorverstorben. Die Schwester des
Erblassers Kerstin W., deren Töchter Jule und Anne W. – diese auch jeweils für ihre
Nachkommen und gemeinsam mit den jeweiligen Kindsvätern – haben die Erbschaft
ausgeschlagen. Die weitere Tochter der Kerstin W., Kaja W., wurde mit Schreiben des
Nachlassgerichts vom 22.07.2014 über den Anfall der Erbschaft informiert; dieses Schreiben
wurde an die zu dieser Zeit gültige Meldeadresse (T. Weg 5 in G. ) übersandt, Kaja
W. bestreitet jedoch den Zugang. Sie hat mit notariell beurkundeter Erklärung vom 08.02.2021
erklärt, dass sie erst „im Januar 2021“ von ihrer Mutter Kerstin W. vom Tode des Erblassers
erfahren habe, und hat die Erbschaft ausgeschlagen. Hilfsweise hat sie die Anfechtung etwaig
versäumter Ausschlagungsfristen erklärt. Die weitere Schwester des Erblassers Ines E. geb.
W. sowie deren Kinder Katja und Robert E., letzterer mit gemeinsam mit seiner Ehefrau auch
für seinen Sohn Ben Etienne E., haben jeweils die Ausschlagung der Erbschaft erklärt. Der
weitere Bruder des Erblassers Mario W. hat – notariell beurkundet – die Erbausschlagung
erklärt, ohne ausdrücklich anzugeben, dass er keine eigenen Nachkommen hat.
Mit Beschluss vom 24.06.2014 ordnete das Nachlassgericht für die damals unbekannten Erben
des Erblassers eine Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB an und bestellte einen
Nachlasspfleger mit dem Wirkungskreis Verwaltung und Abwicklung des Mietverhältnisses
sowie Sicherung, Verwaltung und Abwicklung der Geschäftsverbindungen des Erblassers mit
dem kontoführenden Kreditinstitut. Die Nachlasspflegschaft wurde mit Beschluss vom
18.11.2014 aufgehoben, nachdem die laufenden Nachlassverbindlichkeiten beglichen und das
Restvermögen hinterlegt worden war.

Am 05.05.2020 hat die Beteiligte die (erneute) Einrichtung einer Nachlasspflegschaft beantragt,
weil der Erblasser zugleich Mitglied einer ungeteilten Erbengemeinschaft nach Siegfried W.,
seinem Vater, mit einem Erbanteil zu 1/18 und diese Erbengemeinschaft Miteigentümerin eines
zu veräußernden Grundstücks sei.

Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 18.08.2022 die Anordnung einer
Nachlasspflegschaft abgelehnt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass derzeit davon
auszugehen sei, dass die Nichte des Erblassers Kaja W. Erbin geworden sei, weil sie die
Erbschaft nicht rechtzeitig ausgeschlagen habe. Im Übrigen sei noch aufzuklären, ob Dirk
A. und Mario W. jeweils kinderlos seien. Dies führe jedoch nicht dazu, dass die Erben
unbekannt seien.

Gegen diese, ihr am 04.10.2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beteiligte mit ihrer am
06.10.2022 beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde. Der Antrag sei zu dem Zwecke
der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche auf Auseinandersetzung der
Erbengemeinschaft in einem Teilungsversteigerungsverfahren gestellt worden. Es sei ungewiss,
ob Kaja W. Erbin geworden sei, weil unsicher sei, ob sie die gerichtliche Mitteilung über den
Anfall des Erbfalls erhalten habe.

Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 13.10.2022 dem Rechtsmittel nicht
abgeholfen, weil aus seiner Sicht die Erben nicht unbekannt seien, und die Sache dem
Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.

B.
I. Die Beschwerde der Beteiligten ist nach § 58 Abs. 1 FamFG zulässig, insbesondere ist die
nach § 61 Abs. 1 FamFG notwendige Mindestbeschwer überschritten. Die Beschwerdefrist des
§ 63 Abs. 1 FamFG ist gewahrt worden.

II. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Nach § 1961 BGB hat das Nachlassgericht in den Fällen des § 1960 Abs. 1 BGB einen
Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Bestellung zum Zwecke der gerichtlichen
Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet, von dem Berechtigten
beantragt wird. Die Voraussetzungen für die Anordnung bestehen einerseits darin, dass der bzw.
die Erben unbekannt sind oder ungewiss ist, ob der bzw. die in Betracht kommenden Erben die
Erbschaft angenommen haben, andererseits darin, dass statt eines – nach § 1960 Abs. 1 BGB
notwendigen Sicherungsinteresses ein Rechtsschutzinteresse eines Nachlassgläubigers besteht,
wobei die schlüssige Darlegung eines Anspruchs gegen den Nachlass genügt (vgl. nur Weidlich
in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 1961 Rn. 2 m.w.N.).

2. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts ist im vorliegenden Falle ungewiss, ob
potentielle Erben des Erblassers die Erbschaft angenommen haben.

a) Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das Nachlassgericht – und im Beschwerdeverfahren an
dessen Stelle das Beschwerdegericht – nach seinem eigenen Kenntnisstand im Zeitpunkt der
Entscheidung von seinem Standpunkt aus selbständig und nach pflichtgemäßem Ermessen zu
beurteilen (vgl. Weidlich, a.a.O., § 1960 Rn. 4). Eine Ungewissheit der Annahme besteht u.a. bei
Zweifeln an der Wahrung der Ausschlagungsfrist oder der Wirksamkeit der Anfechtung der
Versäumung der Ausschlagungsfrist (ebenda, Rn. 7).

b) Nach diesen Maßstäben sind Person und Wirksamkeit der Annahme bzw. Unwirksamkeit der
Ausschlagung der Erbschaft hier ungewiss. Das betrifft einerseits das im Juli 2014 noch
ungeborene Kind der Steffi M. und andererseits die Wirksamkeit der jedenfalls formgerechten
Ausschlagungserklärung der Kaja W. . Das gilt umso mehr, als der Senat dazu neigt, auf der
Grundlage der bisherigen Erkenntnisse von einer wirksamen Erbausschlagung der Kaja
W. auszugehen, weil eine sichere gerichtliche Feststellung von deren Kenntniserlangung vom
Anfall der Erbschaft vor Januar 2021 nicht möglich ist und dann die Erklärung vom 08.02.2021
– unabhängig vom genauen Datum der Kenntniserlangung im Jahr 2021 – rechtzeitig erfolgt ist.
Weitere Ermittlungen zur Geburt des Kindes der Steffi M. und ggf. zum Kindsvater sind nicht
erfolgt, so dass insoweit eine wirksame Erbausschlagung noch in Betracht kommt. Im Falle des
Fehlens von gesetzlichen Erben der ersten und der zweiten Ordnung wäre weiter zu prüfen, ob
ggf. Erben der dritten Ordnung ermittelt werden können und wie sie sich nach der Information
über den Anfall der Erbschaft hierzu erklären. Es ist jedenfalls einem Nachlassgläubiger nicht
zuzumuten, diese Ermittlungen selbst anzustellen.

c) Der von der Beteiligten verfolgte Anspruch auf Mitwirkung an der Teilungsversteigerung
richtet sich auch gegen den Nachlass.

aa) Allerdings ist anerkannt, dass die Verfolgung des Interesses der Erben, ein zum Nachlass
dieses Erblassers gehörendes Grundstück wirtschaftlich zu nutzen oder zu veräußern, kein Fall
des § 1961 BGB ist, denn der Anspruch auf Erbauseinandersetzung gemäß § 2042 BGB richtet
sich nicht gegen den Nachlass, sondern gegen die Miterben und rechtfertigt deswegen nicht die
Einrichtung einer Nachlasspflegschaft nach § 1961 BGB (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v.
27.03.2019 – I-3 Wx 51/19 – FamRZ 2019, 1741, in juris Rz. 8 und 12 m.w.N.; OLG
Düsseldorf, Beschluss v. 23.12.2019 – I-3 Wx 106/19 – FamRZ 2020, 795, in juris Rz. 16).

bb) Hier richtet sich der von der Beteiligten geltend gemachte Auseinandersetzungsanspruch
jedoch gegen den Nachlass. Denn der Erblasser war selbst Miterbe in der ungeteilten
Erbengemeinschaft nach seinem Vater (der ursprünglichen oder übergeordneten
Erbengemeinschaft) und verstarb danach. Der Anspruch der Miterben der übergeordneten
Erbengemeinschaft auf Auseinandersetzung richtet sich nicht mehr gegen den – verstorbenen –
Miterben, den Erblasser, sondern gegen seine – nach den Vorausführungen zumindest nicht mit
Gewissheit feststellbaren – Erben (vgl. dazu KG Berlin, Beschluss v. 03.10.1980 – 1 W 3322/80
OLGZ 1981, 151; OLG Braunschweig, Beschluss v. 24.10.2019 – 1 W 26/19 – FamRZ 2020,
458, in juris Rz. 16 m.w.N.). Eine Nachlasspflegschaft kommt natürlich nur bezüglich des
Nachlasses des verstorbenen Miterben, hier also des Erblassers, nicht bezüglich des
übergeordneten Nachlasses in Betracht.

C.
I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 GNotKG.

II. Die Festsetzung des Kostenwerts des Beschwerdeverfahrens ist entbehrlich

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Naumburg

Erscheinungsdatum:

08.08.2024

Aktenzeichen:

2 Wx 55/22

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 1960, 1961