OLG Hamm 26. April 2019
7 UF 181/18
EGBGB Art. 17 Abs. 4 S. 1

Kein Versorgungsausgleich nach libanesischem Recht

letzte Aktualisierung: 13.12.2019
OLG Hamm, Beschl. v. 26.4.2019 – 7 UF 181/18

EGBGB Art. 17 Abs. 4 S. 1
Kein Versorgungsausgleich nach libanesischem Recht

1. Die Kollisionsnormen der Rom III-VO gelten für die Mitgliedsstaaten der Verordnung auch im
Verhältnis zu Drittstaaten außerhalb der EU. Sie finden demnach auch dann Anwendung, wenn die
betroffenen Eheleute (hier: Libanesen) Angehörige eines Drittstaates sind.

2. Das libanesische Recht kennt kein dem deutschen Versorgungsausgleich vergleichbares
Rechtsinstitut im Sinne des Art. 17 Abs. 4 S. 1 EGBGB.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt die Scheidung der Ehe der Beteiligten.

Die Beteiligten sind beide libanesische Staatsangehörige. Sie schlossen am #.12.2012 in
Tripoli die Ehe, aus der zwei Söhne (2 und 3 Jahre) hervorgegangen sind. Im Herbst 2015
reisten die Beteiligten mit ihren Kindern in die Bundesrepublik ein und stellten im
September 2016 Asylanträge, die inzwischen rechtskräftig abgelehnt sind. Die
Antragstellerin hat zwischenzeitlich einen neuen Asylantrag gestellt.

Im Juni 2017 trennte sich die Antragstellerin vom Antragsgegner und zog mit den Kindern
zunächst in ein Frauenhaus und später nach N. Die Antragstellerin erstattete gegen den
Antragsgegner Strafanzeige wegen Vergewaltigung und Missbrauch von
Schutzbefohlenen. Die Ermittlungen wurden seitens der Staatsanwaltschaft Münster
zunächst im Herbst 2017 eingestellt, Ende September 2018 erneut aufgenommen und mit
Bescheid vom 11.10.2018 erneut aufgrund mangelnden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2
StPO eingestellt.

Die Antragstellerin trägt vor: Die Ehe sei gescheitert. Der Antragsgegner habe sie bereits
im Libanon, aber auch in Deutschland, mehrfach zum Geschlechtsverkehr gezwungen und
sie auch körperlich misshandelt. Dies sei der Grund für die Trennung gewesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die am #.12.2012 in Tripoli, Libanesische Republik, geschlossene Ehe (Registrierung:
##.07.2013, Nummer. ####) der Beteiligten zu scheiden.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Scheidungsantrag zurückzuweisen.

Er hat die seitens der Antragstellerin erhobenen Vorwürfe bestritten und vorgetragen: Die
Ehe sei aus seiner Sicht nicht gescheitert. Nach seiner Auffassung habe sich die
Antragstellerin nur deswegen von ihm getrennt und den Scheidungsantrag gestellt, um
ihre Möglichkeiten zum Verbleib in Deutschland zu verbessen.

Das Amtsgericht hat die Beteiligten am 9.10.2018 persönlich angehört und mit dem am
12.10.2018 erlassenen Beschluss den Scheidungsantrag zurückgewiesen. Hierzu hat es
ausgeführt: Vorliegend finde libanesisches Recht Anwendung. Dessen Voraussetzungen
für eine Scheidung könnten nicht festgestellt werden, da die von der Antragstellerin
behaupteten Verfehlungen des Antragsgegners nicht sicher festgestellt werden könnten.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, dass
das Amtsgericht zu Unrecht von der Anwendbarkeit libanesischen Rechts ausgegangen
sei. Tatsächlich finde nach Art. 8 der Rom III-VO deutsches Recht Anwendung.

Die Antragstellerin beantragt,
abändernd die Ehe der Beteiligten zu scheiden.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Senat hat die beteiligten Ehegatten am 25.1.2019 persönlich angehört. Wegen des
Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom 28.1.2019 Bezug
genommen. Der Senat hat weiter Beweis erhoben über die Frage, ob das libanesische
Recht ein dem deutschen Versorgungsausgleich vergleichbares Rechtsinstitut kennt,
durch Einholung einer Auskunft der Botschaft des Libanon in der Bundesrepublik
Deutschland. Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf das Schreiben des
Botschafters Dr. B vom 19.3.2019 (Blatt 324 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist in der Sache begründet.

1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte leitet sich vorliegend aus Art. 3
Abs. 1 Buchst. a), 1. Spiegelstrich EuEheVO (VO (EG) Nr. 2201/2003)) her. Danach sind
für Entscheidungen über die Ehescheidung die Gerichte des EU-Mitgliedsstaates
zuständig, in dessen Hoheitsgebiet beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Die EuEheVO ist auch dann anwendbar, wenn die beteiligten Ehegatten Drittstaater oder
Staatenlose sind (Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl., Anh II A, Art. 1 EuEheVO Rn. 14). Da die
Beteiligten seit Herbst 2015 in Deutschland leben und auch seitens des Antragsgegners
bisher keine konkreten Ausreiseabsichten dargelegt sind, kann nicht zweifelhaft sein, dass
beide Beteiligte derzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. dazu Keidel/Engelhardt,
FamFG, 19. Aufl., § 98 Rn. 10) in Deutschland haben.

2. Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung greift vorliegend Art. 8 der Rom
III-VO (VO (EU) Nr. 1259/2010), so dass sich die Voraussetzungen der Ehescheidung
nach deutschem und nicht nach libanesischem Recht richten.
Artikel 8 Rom III-VO lautet:

Mangels einer Rechtswahl gemäß Artikel 5 unterliegen die Ehescheidung und die
Trennung ohne Auflösung des Ehebandes:

a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts
ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder anderenfalls
b) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt
hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor Anrufung des Gerichts endete und
einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder anderenfalls
c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt
der Anrufung des Gerichts besitzen, oder anderenfalls
d) dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts.

Der Anwendungsbereich der Rom III-VO ist in zeitlicher Hinsicht eröffnet, da der
Scheidungsantrag nach dem 21.6.2012 (Art. 18 Rom III-VO) gestellt worden ist. Die Rom
III-VO findet auch dann Anwendung, wenn die betroffenen Ehegatten – wie vorliegend –
Angehörige eines Drittstaates sind. Die Kollisionsnormen der Verordnung gelten für die
Mitgliedsstaaten der Verordnung auch im Verhältnis zu Drittstaaten außerhalb der EU
(OLG Hamm, FamRZ 2013, 217, zitiert nach juris; Erman/Hohloch, BGB, 15. Aufl.,
Vorbem. vor Art 1 Rom III-VO, Rn 2; Dimmler/Bißmaier, FamRBint 2012, 66/68; Finger,
FamRBint 2013, 63; in der Sache ebenso OLG München, Beschl. v. 20.12.2013 – 12 UF
1717/13, zitiert nach juris).

Für eine Rechtswahl der Beteiligten ist vorliegend nichts ersichtlich, so dass nach Art. 8
Buchst. a Rom III-VO vorrangig auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der
Beteiligten abzustellen ist. Dieser befindet sich, wie oben bereits ausgeführt, seit Herbst
2015 in Deutschland.

3. Die mithin dem deutschen materiellen Recht zu entnehmenden Voraussetzungen für die
Scheidung der Ehe liegen vor:

a) Die wirksame Eheschließung hat die Antragstellerin durch Vorlage des Originals der
Heiratsurkunde nachgewiesen. Sie ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

b) Die Beteiligten leben seit Juni 2017 getrennt, also seit mehr als einem Jahr. Nach dem
Ergebnis der persönlichen Anhörung ist davon auszugehen, dass die Ehe der Beteiligten
gescheitert ist (§ 1565 Abs. 1 BGB). Wie sich im Senatstermin erneut bestätigt hat, ist die
Antragstellerin nicht bereit, die eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Antragsgegner
wiederherzustellen. Sie hat eindeutig bekundet, dass sie unter keinen Umständen bereit
ist, die Ehe fortzusetzen. Hiergegen sprechen auch die erheblichen Vorwürfe, welche die
Antragstellerin gegen den Antragsgegner nach der Trennung erhoben hat. Dass es nach
der Trennung Versöhnungsversuche gegeben hätte, wird auch vom Antragsgegner nicht
behauptet.

Für die Scheidung der Ehe genügt die einseitige Zerrüttung auf Seiten eines Ehegatten
(Palandt/Brudermüller, BGB, 77. Aufl., § 1565 Rn. 3), so dass es unerheblich ist, dass der
Antragsgegner an der Ehe festhalten will.

III.

Ein Versorgungsausgleich ist nicht durchzuführen.

1. Nach Art. 17 Abs. 4 S. 1 EGBGB unterliegt der Versorgungsausgleich dem nach der
Rom III-VO auf die Scheidung anzuwendenden Recht. Er ist nur durchzuführen, wenn
danach deutsches Recht anzuwenden ist und
ihn das Recht eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des
Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags angehören.

Im Übrigen ist der Versorgungsausgleich nach Art. 17 Abs. 4 S. 2 EGBGB nur auf Antrag
eines Ehegatten nach deutschem Recht durchzuführen, wenn einer der Ehegatten in der
Ehezeit ein Anrecht bei einem inländischen Versorgungsträger erworben hat, soweit die
Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere im Hinblick auf die beiderseitigen
wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit der Billigkeit nicht
widerspricht.

2. Wie bereits ausgeführt, ist vorliegend auf die Scheidung zwar deutsches Recht
anwendbar. Wie sich aus der eingeholten Auskunft der Botschaft des Libanon ergibt, kennt
das libanesische Heimatrecht der Beteiligten i.S. des Art. 17 Abs. 4 S. 1 EGBGB ein dem
Versorgungsausgleich nach deutschem Recht vergleichbares Rechtsinstitut aber nicht.

a) Von Art. 17 Abs. 4 S. 1 EGBGB werden nur Sachnormen des Heimatrechts erfasst, die
im Kern dem Systembegriff „Versorgungsausgleich“ im Sinne des deutschen Rechts
entsprechen. Der Ausgleich muss darauf abzielen, eine eigene Altersversorgung des
Ehepartners, der während der Ehe nicht oder nur in geringem Umfang eine Versorgung
begründet hat, mit Leistungen des anderen Teils zu sichern, und zwar unabhängig von
Bedürfnissen und Leistungsfähigkeit im Versorgungsfall (vgl. Hausmann, Internationales
und Europäisches Familienrecht, 2.Aufl., 1. Teil, D. Rn. 53; Andrae, Int. Familienrecht, 3.
Aufl., § 4 Rn. 94 m.w.N.). Die wesentlichen Strukturmerkmale müssen mit denen des
deutschen Rechts übereinstimmen (BGH, FamRZ 2009, 677, Rn. 15). Allgemein gilt, dass
es nur wenige Staaten gibt, die ein dem deutschen Versorgungsausgleich vergleichbares
Institut kennen (vgl. die Übersichten bei jurisPK BGB/Ludwig, Art. 17 EGBGB Rn. 81;
Staudinger/Mankowski, BGB (2010), Art. 17 EGBGB Rn. 305 ff.; Klattenhoff, FuR
2000,49/55; speziell zu muslimisch geprägten Ländern vgl. El Akrat in: Rieck,
Ausländisches Familienrecht, Stand: Sept. 2017, Ägypten Rn. 51, Marokko Rn. 20,
Tunesien Rn. 19).

b) Wie sich aus der Auskunft der Botschaft des Libanon vom 19.3.2019 ergibt, kennt auch
das libanesische Recht kein dem deutschen Versorgungsausgleich vergleichbares
Rechtsinstitut. Danach werden Rentenanwartschaften bei der Scheidung nicht aufgeteilt.
Soweit nach libanesischem Recht die Rente nach dem Tod des Mannes an die Witwe
sowie ledige, verwitwete oder geschiedene Töchter ausgezahlt wird, erfüllt dies nicht die
o.g. notwendigen Strukturmerkmale des Versorgungsausgleichs nach deutschem Recht,
da keine eigene Altersversorgung der (geschiedenen) Ehefrau begründet wird.

3. Des Weiteren bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass einer der Ehegatten in der
Ehezeit in Deutschland Versorgungsanrechte erworben hätte. Zudem hat keiner der
beiden Ehegatten einen Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs i.S. des Art.
17 Abs. 4 S. 2 EGBGB gestellt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 1 FamFG. Sowohl für die Scheidung als
auch für die Folgesache Versorgungsausgleich ist lediglich der Mindestwert anzusetzen
(§§ 43 Abs. 1 S. 2, 50 Abs. 1 S. 2 FamGKG). Beide Beteiligte erhalten lediglich Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die nach vom Senat geteilter Auffassung kein
Einkommen i.S. des § 43 Abs. 2 FamGKG darstellen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2011,
1422; OLG Hamm, Beschl. v. 10.1.2012, 5 WF 173/11, zitiert nach juris). Aber auch wenn
man die bezogenen Leistungen als Einkommen ansetzen würde, ergäbe sich kein Betrag,
der 3.000,00 € nennenswert überschreiten würde.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

26.04.2019

Aktenzeichen:

7 UF 181/18

Rechtsgebiete:

Ehevertrag und Eherecht allgemein
Ausländisches Recht (nach Ländern)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

EGBGB Art. 17 Abs. 4 S. 1