Privates Veräußerungsgeschäft; trennungsbedingter Auszug eines Ehepartners
letzte Aktualisierung: 15.5.2023
BFH, Urt. v. 14.2.2023 – IX R 11/21
Privates Veräußerungsgeschäft; trennungsbedingter Auszug eines Ehepartners
1. Eine (willentliche) Veräußerung i. S. des
wenn der Ehegatte seinen Miteigentumsanteil an dem im Miteigentum beider Ehepartner stehenden
Einfamilienhaus vor dem Hintergrund der drohenden Zwangsvollstreckung im Rahmen einer
Scheidungsfolgenvereinbarung (entgeltlich) auf seinen geschiedenen Ehepartner innerhalb der
Haltefrist überträgt.
2. Der Ehegatte nutzt seinen Miteigentumsanteil nach dem Auszug aus dem Familienheim nicht
mehr zu eigenen Wohnzwecken i. S. des
geschiedene Ehepartner und das gemeinsame minderjährige Kind weiterhin dort wohnen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht erkannt, dass der Kläger im Streitjahr ein privates Veräußerungsgeschäft nach
1. Der Kläger hat im Streitjahr den Tatbestand der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.
a) Nach
aa) Die in § 23 EStG verwendeten Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" erschließen sich aus den Bestimmungen des § 6 EStG, des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs und der §§ 135, 136 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i.S. des § 23 EStG ist danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf eine andere Person zu verstehen (ständige Rechtsprechung, s. etwa BFH-Urteile vom 08.11.2017 - IX R 25/15,
Nach dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 23 EStG sollen innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Wertänderungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen werden, soweit sie auf der entgeltlichen "Anschaffung" und der entgeltlichen "Veräußerung" des nämlichen Wirtschaftsguts innerhalb der maßgeblichen Haltefrist beruhen (s. BFH-Urteile vom 12.06.2013 - IX R 31/12,
bb) Der entgeltliche Erwerb ‑‑die Anschaffung‑‑ und die entgeltliche Übertragung des nämlichen Wirtschaftsguts auf eine andere Person ‑‑die Veräußerung‑‑ müssen wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen (BFH-Urteile vom 13.04.2010 - IX R 36/09,
cc) Die Frage, ob ein vom Steuerpflichtigen tatbestandlich verwirklichtes privates Veräußerungsgeschäft in diesem Sinne unter Zwang abgeschlossen wurde, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die tatsächlichen Feststellungen des FG sind vom Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 25).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht, indem er seinen im Jahr 2008 erworbenen Miteigentumsanteil mit Scheidungsfolgenvereinbarung und Veräußerungsvertrag vom xx.xx.2017 an seine geschiedene Ehefrau veräußert hat.
aa) Dass die Veräußerung des im Jahr 2008 erworbenen Miteigentumsanteils durch die Scheidungsfolgenvereinbarung bzw. den Veräußerungsvertrag vom xx.xx.2017 innerhalb der zehnjährigen Haltefrist stattgefunden hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und bedarf daher keiner weitergehenden Erörterung.
bb) Zu Recht hat das FG in der Übertragung eine Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG gesehen. Entgegen der Ansicht der Revision ist eine solche nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger ohne Übertragungswillen gehandelt und sich nicht wirtschaftlich betätigt habe.
aaa) Das FG hat im Streitfall eine ‑‑den Veräußerungstatbestand ausschließende‑‑ Zwangslage mit der Erwägung abgelehnt, der Kläger habe die Scheidungsfolgenvereinbarung nach Einholung steuerlicher Beratung selbst abgeschlossen. Da er durch die Veräußerung einen angemessenen Preis habe erzielen und einen mit der Zwangsversteigerung einhergehenden wirtschaftlichen Schaden habe abwenden wollen, liege darin eine wirtschaftliche Betätigung.
bbb) Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die Vorinstanz ist von zutreffenden Kriterien ausgegangen, hat alle maßgeblichen Beweisanzeichen in die Gesamtwürdigung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen. Der Kläger veräußerte seinen Miteigentumsanteil im Rahmen der mit seiner geschiedenen Ehefrau abgeschlossenen Scheidungsfolgenvereinbarung willentlich. Ob er sich dabei in einer wirtschaftlichen oder emotionalen Zwangssituation befand, ist grundsätzlich ohne Bedeutung. Der Motivlage kommt ‑‑abgesehen von den Fällen, in denen der Verlust des Eigentums (aufgrund eines Hoheitsakts) der freien Willensentschließung des Steuerpflichtigen entzogen ist‑‑ regelmäßig keine Relevanz zu (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 20).
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, aufgrund drohender häuslicher Gewalt ihm und seinem Sohn gegenüber sei ein Verbleib im Einfamilienhaus weder möglich noch zumutbar gewesen, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen. Dieses kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Der Befreiungstatbestand des
a)
aa) Die Senatsrechtsprechung hat den Ausdruck "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in der dem Dualismus der Einkunftsarten wieder Geltung verschaffenden Ausnahmeregelung des
Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht (vgl. BFH-Urteile vom 31.05.1995 - X R 140/93,
bb) Keine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen (BFH-Urteile in
cc) Überlässt der Steuerpflichtige die Wohnung nicht ausschließlich einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind (oder mehreren einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern) unentgeltlich zur Nutzung, sondern zugleich einem Dritten (z.B. der Kindesmutter bzw. dem Kindesvater), liegt keine begünstigte Nutzung des Steuerpflichtigen zu eigenen Wohnzwecken vor (BFH-Urteil in BFH/NV 2023, 20, Rz 18; BeckOK EStG/Trossen, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 23 Rz 184, zur Nutzung durch getrennt lebende Ehepartner oder Eltern; Kube in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 23 Rz 6; Obermeier, Neue Wirtschafts-Briefe 2001, 567, 584, zur Nutzung durch andere, auch unterhaltsberechtigte Angehörige; Urteil des Hessisches FG in
aaa) Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu
Zwar ist das Merkmal "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in
bbb) Unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ‑‑in Fortsetzung ihrer Rechtsprechung zu
dd) Wird der Miteigentumsanteil an einem bebauten Grundstück veräußert, ist für Zwecke der Befreiungsregelung des
b) Nach diesen Maßstäben nutzte der Kläger das Einfamilienhaus nicht im Zeitraum zwischen Anschaffung (2008) und Veräußerung (2017) ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung (2017) und in den beiden vorangegangenen Jahren (2015 und 2016) zu eigenen Wohnzwecken. Dies ist ‑‑soweit es um die Nutzung des Einfamilienhauses durch den Kläger in eigener Person geht‑‑ zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach seinem Auszug im Jahr 2015 bewohnte der Kläger das ehemalige Familienheim nicht mehr selbst. Entgegen der Revision kann dem Kläger aber auch die Nutzung des Einfamilienhauses durch seinen Sohn (und seine geschiedene Ehefrau) nicht als Nutzung zu eigenen Wohnzwecken zugerechnet werden. Dies hat das FG zu Recht erkannt.
aa) Die Vorentscheidung hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, eine alleinige Wohnnutzung des hälftigen Miteigentumsanteils des Klägers durch dessen im Zeitpunkt des Auszugs neunjährigen Sohn sei nicht vorstellbar; ein Kind in diesem Alter könne nicht eigenständig einen Haushalt führen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass das Kind nach dem Auszug des Klägers im Haushalt von dessen geschiedener Ehefrau gelebt und der Kläger seinen hälftigen Miteigentumsanteil beiden überlassen habe.
bb) Dies hält rechtlicher Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
aaa) Soweit der Kläger das in seinem Miteigentum stehende Einfamilienhaus seinem Sohn als einkommensteuerlich zu berücksichtigendem Kind unentgeltlich zur Nutzung überlassen haben will, könnte darin ‑‑jedenfalls bei isolierter Betrachtung‑‑ eine "mittelbare" Nutzung zu eigenen Wohnzwecken zu sehen sein. Dies kann der Senat jedoch offenlassen.
bbb) Denn nach dem Auszug des Klägers nutzte auch seine geschiedene Ehefrau das Einfamilienhaus zu (ihren) Wohnzwecken. Entgegen der Ansicht der Revision steht dem nicht entgegen, dass diese das ehemalige Familienheim (auch) aus eigenem Recht ‑‑aufgrund ihres hälftigen Miteigentumsanteils‑‑ bewohnte (ähnlich Bäumler/Schramm, Neue Juristische Wochenschrift-Spezial ‑‑NJW-Spezial‑‑ 2019, 644). Das hälftige Miteigentum rechtfertigt nicht die Annahme, der in der Wohnung lebende Miteigentümer nutze nur seinen eigenen Miteigentumsanteil ‑‑quasi die Hälfte der Wohnung‑‑ zu eigenen Wohnzwecken. Bei Bruchteilseigentum wird die Sache nicht real geteilt; geteilt wird nur die Rechtszuständigkeit am gemeinschaftlichen Gegenstand. Ein vorrangiger Verbrauch des Miteigentumsanteils im Wege der Selbstnutzung findet dementsprechend nicht statt (vgl. BFH-Urteil vom 18.05.2004 - IX R 49/02,
ccc) Die Nutzung des Einfamilienhauses durch die geschiedene Ehefrau des Klägers kann diesem nicht als Eigennutzung zugerechnet werden. Es fehlt an einer entsprechenden rechtlichen Grundlage. Die Zurechnung lässt sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die geschiedene Ehefrau des Klägers habe das minderjährige Kind betreut (so aber Tiedtke/Wälzholz, Rheinische Notar-Zeitschrift 2001, 380, 386). Nichts anderes würde gelten, wenn der Kläger seiner geschiedenen Ehefrau ‑‑was das FG nicht festgestellt hat‑‑ Unterkunft in Erfüllung einer bestehenden Unterhaltspflicht gewährt hätte. Denn eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" im Sinne des Einkommensteuerrechts liegt nur vor, wenn unterhaltsberechtigte Personen ‑‑wie Kinder‑‑ typischerweise zur Lebens- oder Wirtschaftsgemeinschaft des Steuerpflichtigen gehören. Dies ist bei dauernd getrennt lebenden Ehegatten, die nicht mehr Teil einer Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft sind, indes nicht der Fall. Der laufende Unterhalt ist vielmehr regelmäßig durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren (§ 1361 Abs. 4 BGB; BFH-Urteil vom 26.01.1994 - X R 17/91,
ddd) Damit liegt nach den eingangs dargestellten Grundsätzen eine schädliche Mitbenutzung des Einfamilienhauses durch die geschiedene Ehefrau des Klägers vor. Diese steht der Zurechnung der Nutzung durch das einkommensteuerlich zu berücksichtigende Kind entgegen.
eee) Gegenteiliges folgt nicht daraus, dass es für die Annahme einer Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ausreicht, wenn der Steuerpflichtige das Objekt "zumindest auch" selbst nutzt. Findet eine unmittelbare Eigennutzung durch den Steuerpflichtigen statt, erweist sich die Mitbenutzung durch Angehörige oder Dritte ‑‑die unentgeltliche gemeinschaftliche Nutzung (vgl. Schallmoser in Spiegelberger/Schallmoser, a.a.O., Rz 12.92)‑‑ als unschädlich. Anders ist dies jedoch, wenn Kinder die Wohnung zusammen mit dem geschiedenen Ehegatten bewohnen: Eine gemeinschaftliche Nutzung mit dem Steuerpflichtigen erfolgt dann nicht, so dass aus dessen Sicht eine (vollumfängliche) "Fremdnutzung" vorliegt; nur für den anderen Ehegatten erweist sich die Mitbenutzung durch die Kinder als unschädlich.
fff) An diesem Ergebnis ändert nichts, dass die Finanzverwaltung einen (vollständigen) Leerstand der zuvor zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie vor der Veräußerung als unschädlich ansieht, wenn der Steuerpflichtige die Veräußerungsabsicht nachweist (BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1383, Rz 25). Dieser Fallgruppe steht die "Räumung durch einen Ehegatten" nicht gleich (a.A. Hermanns,
ggg) Auch Art. 6 des Grundgesetzes vermag der Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen (vgl. aber Sagmeister,
3. Die Höhe des nach
4. Die Kostenentscheidung folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:14.02.2023
Aktenzeichen:IX R 11/21
Rechtsgebiete:
Einkommens- und Körperschaftssteuer
Erbschafts- und Schenkungsteuer
Ehegatten- und Scheidungsunterhalt
Ehevertrag und Eherecht allgemein
EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1