Abfindung bei Ausscheiden aus einer GmbH; aufschiebend bedingtes Abtretungsangebot
letzte Aktualisierung: 14.4.2025
OLG München, Endurt. v. 16.1.2025 – 23 U 5949/22
Abfindung bei Ausscheiden aus einer GmbH; aufschiebend bedingtes Abtretungsangebot
1. Eine Satzungsregelung, wonach die verbleibenden Gesellschafter einer GmbH nach Ausscheiden
eines Mitgesellschafters die Übertragung des betreffenden Geschäftsanteils an die verbleibenden
Gesellschafter oder an Dritte beschließen können, kann ein aufschiebend bedingtes Abtretungsangebot
an den von den übrigen Gesellschaftern im Beschluss benannten Vertragspartner enthalten.
2. In einem solchen Fall ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln, wer Schuldner
der Abfindung in Form des Kaufpreises sein soll.
Entscheidungsgründe
Sachverhalt:
Die beiden Klägerinnen haben gemeinschaftlich einen GmbH-Geschäftsanteil geerbt. Nach ihrem
Ausscheiden aus der GmbH aufgrund einer außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund
verlangen sie vom einzigen Mitgesellschafter den in der Satzung vorgesehenen Abfindungsbetrag. Die
Satzung sieht als mögliche Reaktion auf das Ausscheiden vor, dass die verbleibenden Gesellschafter die
Übertragung des betroffenen Geschäftsanteils an einen der Gesellschafter oder an Dritte beschließen
können. Der Beklagte traf einen Beschluss, wonach die Erbengemeinschaft ihren Geschäftsanteil an ihn
abtrete und er die Abtretung annehme. Im Anschluss wurde die Abtretung notariell beurkundet, wobei der
Fremdgeschäftsführer der GmbH „für bzw. an Stelle der Erbengemeinschaft“ handelte. Der in der Schweiz
wohnende Beklagte hat nur erstinstanzlich die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte
gerügt. Er ist der Ansicht, er sei nicht passivlegitimiert; der Abfindungsanspruch richte sich nämlich gegen die
Gesellschaft. Außerdem sei die Klage zumindest derzeit nicht begründet, weil die Klägerinnen entsprechend
den Satzungsbestimmungen ein Schiedsgutachten zur Abfindungshöhe beauftragen müssten.
I.
Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten als Mitgesellschafter einen Abfindungsbetrag nach ihrem
Ausscheiden aus einer GmbH. Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstands wird das angefochtene
Urteil des Landgerichts in Bezug genommen (
dass in dem Kündigungsschreiben der Klägerinnen vom 18.06.2018 eine außerordentliche fristlose
Kündigung aus wichtigem Grund und (nur) hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde.
Das Landgericht hat die Klage vollumfänglich abgewiesen. Es hat – soweit in der Berufungsinstanz von
Belang – zur Begründung ausgeführt, dass sich die örtliche und internationale Zuständigkeit aus
ergebe. Der Feststellungsantrag, dass der Beklagte mit der Pflicht, das Abfindungsentgelt der Klägerinnen
festzustellen im Verzug sei, sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Der Leistungsantrag auf Zahlung
einer Abfindung sei zulässig, aber unbegründet, weil der Beklagte nicht passivlegitimiert sei; der
Abfindungsanspruch richte sich nicht gegen den verbliebenen Gesellschafter, sondern die Gesellschaft.
Ergänzend hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass ein Anspruch aufgrund der
Schiedsgutachtervereinbarung nicht fällig sei.
Hiergegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer Berufung. Darin vertiefen sie den erstinstanzlichen Vortrag
und verweisen insbesondere auf den Jahresabschluss der […] GmbH zum 31.12.2017. Sie sind weiterhin
der Auffassung, dass der Beklagte passivlegitimiert sei.
Die Klägerinnen haben die Anträge (auch) in der Berufungsinstanz mehrfach geändert und zuletzt
schriftsätzlich folgende Anträge angekündigt:
Das Urteil des Landgerichts München II vom 02.09.2022 (13 O 4383/21) wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen 250.000,00 Euro zu zahlen zuzüglich 2% Zinsen über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 50.000,00 Euro seit dem 19.06.2019, seit dem
19.06.2020, seit dem 19.06.2021, seit dem 19.06.2022 und seit dem 19.06.2023.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, für die Klägerinnen 1.796,66 Euro an Herrn RA […] in […] zu zahlen,
verzinst mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2021.
Hilfsweise wird beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, den Klägerinnen 179.314,00 Euro zu zahlen zzgl. 2% Zinsen über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus jeweils 35.862,80 Euro seit dem 19.06.2019, seit dem
19.06.2020, seit dem 19.06.2021, seit dem 19.06.2022 und seit dem 19.06.2023.
Der Beklagte wird ferner verurteilt, für die Klägerinnen 1.541,05 Euro an Herrn RA […] in […] zu zahlen,
verzinst mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2021.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.12.2024 hat der Klägervertreter nur den Hilfsantrag zur
Entscheidung gestellt.
Der Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das aus seiner Sicht zutreffende landgerichtliche Urteil.
Der Senat hat am 19.12.2024 mündlich verhandelt.
Ergänzend werden sämtliche Schriftsätze der Parteien sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen
in Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zwar scheitert die Klage nicht an der
Passivlegitimation. Sie ist aber wegen der Schiedsgutachterabrede lediglich als derzeit nicht begründet
abzuweisen – mit entsprechend eingeschränkter Rechtskraft.
1. Es ist nur über die zuletzt gestellten Anträge zu entscheiden. Soweit die Klägerinnen seit dem Schriftsatz
vom 12.08.2024 (Bl. 115 d. A.) den vom Landgericht abgewiesenen Feststellungsantrag nicht weiter
verfolgen, ist von einer teilweisen Berufungsrücknahme (
changierende Anspruchstellung zur Leistungsklage ist nach
jederzeit zulässig. Eine ggf. zur zuletzt erfolgten Absenkung des Leistungsantrags erforderliche Zustimmung
gemäß
Verhandlung vollumfänglich auf die zuletzt gestellten Anträge eingelassen und kein Sachurteil hinsichtlich der
ursprünglichen als Hauptantrag angekündigten höheren Leistungsklage gefordert hat (vgl. BAG NJW 2019,
3101 Rn. 20; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 264 Rn. 4a).
2. Die auch unter der Geltung des
prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (BGH
internationale Zuständigkeit bemisst sich im Rechtsstreit nach dem Übereinkommen über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
30.10.2007 (ABl. 2009 L 147 S. 5, ber. 2009 L 147 S. 44, 2011 L 115 S. 31 und 2014 L 18 S. 70; im
Folgenden: „LugÜ 2007“), zuletzt geändert durch Änderungsübereinkommen vom 03.03.2017 (ABl. L 57 S.
63), welches gem. Art. 64 Abs. 2 Buchst. a) LugÜ 2007, Art. 73 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
(Brüssel Ia-VO) vorrangig anzuwenden ist. Vorliegend ergibt sich die Zuständigkeit bereits aus Art. 26 Abs. 1
LugÜ 2007, nachdem der Beklagte sich in der Berufungsinstanz auf das Verfahren eingelassen hat, ohne die
erstinstanzlich erhobene Rüge der internationalen Zuständigkeit weiterzuverfolgen (BGH
Rn. 16;
Schütze EurZivilVerfR/Geimer, 4. Aufl. 2020, EuGVVO Art. 26 Rn. 65).
3. Die Klägerinnen sind gem.
Erben – dieses Klageziel gewinnt der Senat durch Auslegung des Antrags – aktivlegitimiert.
4. In Abweichung zum Landgericht geht der Senat davon aus, dass der Beklagte hinsichtlich des
streitgegenständlichen in der Satzung der […] GmbH (Anlage B 1) geregelten Vergütungsanspruchs der
Klägerinnen für die erfolgte Anteilsübertragung passivlegitimiert ist.
4.1. Vorliegend erfolgte keine Einziehung der klägerischen Gesellschaftsanteile im Sinne des
Vielmehr hat der Beklagte in der Gesellschafterversammlung vom 19.12.2018 beschlossen, dass die Anteile
an ihn selbst abgetreten werden. Die Anteilsübertragung erfolgte damit gem. § 10 Abs. 5 der Satzung in
Verbindung mit der notariellen Urkunde des Notars H. vom 30.01.2019 (Anlage zum Schriftsatz vom
01.10.2024).
Die Satzung regelt ausdrücklich, dass eine Einziehung von Geschäftsanteilen zulässig ist (§ 10 Abs. 1) und
definiert in § 10 Abs. 2 die Fallgruppen, in denen eine Einziehung zulässig ist. Parallel – und mit Blick auf §
10 Abs. 2 Buchst. e) überlappend dazu – wird die Einziehung auch gem. § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 2 als
mögliche Reaktion auf die Ausübung des den Gesellschaftern eingeräumten ordentlichen Kündigungsrechts
geregelt. Jeweils finden sich Bestimmungen zu einer alternativen Reaktion der Gesellschafter bei Eintritt
einer „Einziehungslage“ (vgl. § 10 Abs. 5, § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1).
Die Klägerinnen haben unstreitig nicht eine ordentliche, sondern eine außerordentliche Kündigung
ausgesprochen, die als solche akzeptiert wurde. Die Reaktionsmöglichkeiten des Beklagten als
verbleibendem Gesellschafter ergeben sich mithin nicht aus § 11, sondern aus § 10 Abs. 2 Buchst. d) in
Verbindung mit Abs. 5 der Satzung. Darin ist ausdrücklich geregelt, dass die verbleibenden Gesellschafter u.
a. die Übertragung des betroffenen Geschäftsanteils an die verbleibenden Gesellschafter oder an Dritte
beschließen können. Bei diesem Beschluss waren die Klägerinnen als „betroffene Gesellschafter“ gem. § 10
Abs. 6 Halbsatz 1 der Satzung vom Stimmrecht ausgeschlossen. Diesen Weg hat der Beklagte erkennbar
eingeschlagen.
Die Rechtsfolgen des Beschlusses werden in der Satzung nicht mit aller Klarheit ausgesprochen. In
Abgrenzung zur Formulierung in § 11 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 (“ist der Kündigende verpflichtet, seinen
Geschäftsanteil … abzutreten“) und in Zusammenschau damit, dass „[i]m Falle der Abtretung“ der Beschluss
gem. § 10 Abs. 8 Satz 2 der Satzung „mit Zugang an den betroffenen Gesellschafter wirksam“ wird, ergibt
sich jedoch im Wege der Auslegung, dass nicht nur eine schuldrechtlich wirkende Übertragungspflicht,
sondern – soweit wie möglich – eine unmittelbar dinglich wirkende Abtretung vereinbart werden sollte.
Die rechtstechnische Umsetzung dieses Regelungszwecks ist auf mehrerlei Weise denkbar: Angedacht
werden kann insbesondere, dass die Gründungsgesellschafter im Wege dieser Satzungsbestimmung ihre
jeweiligen Mitgesellschafter vorsorglich unwiderruflich zum Abschluss des Abtretungsvertrags in ihrem
Namen unter Befreiung vom Verbot des
unwiderrufliche Ermächtigung im Sinne des
Übertragungsvertrags eingeräumt haben oder dass sie bereits bei Vereinbarung der
gesellschaftsvertraglichen Übertragungsbestimmung ein aufschiebend bedingtes Angebot zum Abschluss
des dinglichen Abtretungsvertrags mit dem von den übrigen Gesellschaftern im Beschluss vorzusehenden
Vertragspartner abgegeben haben. Dem Regelungsziel am nächsten liegt die letztgenannte Auslegung, von
der der Senat ausgeht (siehe zu einem vergleichbaren Fall BGH
Die Bindung von nachfolgenden Gesellschaftern, die nicht als Gründungsgesellschafter bei der
Satzungserrichtung zugestimmt haben, ist streitig. Unter Zugrundelegung der Auffassung des BGH (a.a.O.)
ergibt sie sich dadurch, dass es [sich] auch bei der bedingten Abtretungserklärung um eine korporative
Bestimmung handelt. Doch auch bei Einnahme der Gegenansicht (siehe zur Diskussion die Nachw. bei
BeckOGK/Tiling/Poelzig, 1.9.2024,
Bindung der Klägerinnen, weil sie als Erbinnen kraft Gesamtrechtsnachfolge umfassend in die
Rechtsposition des Gründungsgesellschafters eingerückt sind.
Anhaltspunkte dafür, dass das Wirksamwerden der Abtretung von der Zahlung des Abfindungsentgelts
abhängig sein soll, bietet die Satzung nicht. Im Gegenteil bestimmt § 10 Abs. 8 Satz 2, dass der
„Einziehungsbeschluss“ bei einer Übertragung des Geschäftsanteils an Mitgesellschafter oder Dritte mit
Zugang an den betroffenen Gesellschafter wirksam wird. Dass dies nicht unbillig ist, zeigt die
Rechtsprechung des BGH, wonach die Wirksamkeit eines Einziehungsbeschusses bzw. eines
Ausschließungsurteils nicht erst mit der Leistung der Abfindung eintritt (BGH
Einziehungsbeschluss; BGH
der BGH eine satzungsmäßige unbedingte Abtretung für zulässig: BGH
Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl. 2023, § 34 Rn. 107).
Der Zugang des Beschlusses vom 19.12.2018, der weder nichtig ist noch für nichtig erklärt wurde, bewirkte
damit kraft Bedingungseintritts das Wirksamwerden des Angebots der Klägerinnen zur Abtretung des von
ihnen ererbten Geschäftsanteils an den Beklagten. Dieses Angebot hat der Beklagte spätestens in der
notariellen Urkunde vom 30.01.2019 angenommen. Die erforderliche notarielle Form der Anteilsübertragung
ist durch die Beurkundung der Satzung bzw. die notarielle Urkunde vom 30.01.2019 gewahrt (§ 15 Abs. 3
GmbHG,
4.2. Auch wenn im Regelungszusammenhang des § 10 Abs. 5 der Satzung ein ausdrücklicher Verweis auf §
12 der Satzung fehlt, ist offenkundig, dass eine Vergütung des ausscheidenden Gesellschafters dem Grunde
nach vereinbart wurde – anderes wäre auch sittenwidrig. Der Anspruch ergibt sich jedenfalls aus § 12 Abs. 2,
der die vorliegende Fallgestaltung unschwer als einen der „übrigen Fälle des Ausscheidens eines
Gesellschafters“ umfasst.
4.3. Der Beklagte ist als Empfänger des Geschäftsanteils richtiger Adressat des Anspruchs auf Entgelt.
Zwar ist der Hinweis des Beklagten, dass primär die Gesellschaft die Abfindung des ausscheidenden
Gesellschafters nach Einziehungsbeschluss gemäß
BGH mehrfach entschieden, dass für die einem Ausschließungsbeschluss folgende Verwertung des
Geschäftsanteils im Wege der Übertragung an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten nicht die
Gesellschaft, sondern der Erwerber die Abfindung in Form des Kaufpreises schulde (BGH
[2881];
entscheidend darauf an, was die Parteien des Gesellschaftsvertrags privatautonom vereinbart haben
(Habersack/Casper/Löbbe/Ulmer/Habersack, 3. Aufl. 2020,
anerkannt, dass ohne ausdrückliche Regelung grundsätzlich der Abtretungsempfänger hafte.
Die Auslegung der Satzung ergibt, dass der Beklagte als Übertragungsempfänger eine Abfindungsvergütung
in Gemäßheit des § 12 der Satzung schuldet. Zwar beinhaltet die Satzung in den §§ 10 und 12 keine
ausdrückliche Bestimmung über den Schuldner des Entgelts bei einer Beschlussfassung nach § 10 Abs. 5
der Satzung. Jedoch geht aus dem Regelungszusammenhang zur Überzeugung des Senats hervor, dass die
Satzungsgeber eine Abfindungsleistung durch den Erwerber vorgesehen haben. Der Erwerb durch
Mitgesellschafter oder Dritte sollte gerade nicht das Kapital der Gesellschaft belasten, wie § 10 Abs. 8 Satz 1
und 2 sowie § 10 Abs. 5 Halbsatz 2 offenbaren (siehe erneut die o. g. BGH-Entscheidungen).
Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass sie schutzwürdige Interessen des ausscheidenden
Gesellschafters außer Betracht lasse. Insbesondere erfordert nicht sein Schutz vor dem Aufdrängen
möglicherweise nicht zahlungskräftiger Schuldner ein abweichendes Vertragsverständnis. Zum einen ist der
Gesellschafter (oder vorliegend sein Gesamtrechtsvorgänger) wissentlich diese Regelung eingegangen, die
der unbeeinträchtigten Fortsetzung der Gesellschaft dient und bei umgekehrter Sachlage auch zu seinen
Gunsten gewirkt hätte. Zum andern sind die Gesellschafter im Verhältnis zueinander durch die
gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebunden, die eine wissentliche Benachteiligung des ausscheidenden
Gesellschafters verbietet (vgl. den Rechtsgedanken bei BGH
22). Ohnehin verfängt der Aspekt nicht bei einem Erwerb wie vorliegend durch den alleinigen
Mitgesellschafter; diesen hat sich der betroffene Gesellschafter bzw. sein Gesamtrechtsvorgänger als
Vertragspartner ausgesucht und er haftet letztlich mit seinen Geschäftsanteilen an der GmbH.
Die Frage einer etwaigen subsidiären Haftung der Mitgesellschafter bei Verletzung ihrer Treuepflicht (so
offenbar BeckNotar-HdB/Mayer/Weiler, 8. Aufl. 2024, § 22. Rn. 140 unter Hinweis auf die vorzitierten BGHEntscheidungen)
oder zusätzlich der Gesellschaft (offen gelassen von BGH
MüKoGmbHG/Strohn Rn. 219; BeckOGK/Tiling/Poelzig, 01.09.2024,
Casper/Löbbe/Ulmer/Habersack, 3. Aufl. 2020,
nicht näher betrachtet zu werden.
Soweit der Beklagte schließlich auf das Urteil des OLG Celle v. 28.08.2002 (9 U 29/02,
hinweist, verfängt das nicht: Anders als im dort entschiedenen Fall wurde das Wahlrecht (Einziehung oder
Übertragung des Geschäftsanteils) vorliegend ausgeübt. Mit Wahl der Anteilsübertragung steht nach dem
Vorstehenden fest, dass der Beklagte die satzungsmäßige Vergütung schuldet.
5. Der Anspruch ist jedoch noch nicht fällig. Die Klage ist damit als derzeit unbegründet abzuweisen.
Eine Klage ist insgesamt als derzeit unbegründet abzuweisen, wenn der beweispflichtige Kläger eine
streitige rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung einem Schiedsgutachten übertragen ist, nicht durch
die Vorlage eines solchen Schiedsgutachtens nachweist (BGH
1405). So liegt der Fall hier.
5.1. Gem. § 12 Abs. 4 der Satzung soll der Wert des Geschäftsanteils durch einen Schiedsgutachter
festgestellt werden, wenn sich die Beteiligten nicht über den Wert einigen.
5.2. Die erforderliche Feststellung der Höhe des Abfindungsguthabens kann nicht ausnahmsweise analog
Schiedsgutachten entsprechend anwendbar, wenn es sich um ein Schiedsgutachten im engeren Sinn
handelt, der Schiedsgutachter also eine Tatsache ohne eigenen Ermessensspielraum feststellen soll (BGH
Voraussetzungen nicht vor. Die Bestimmung des Werts des Geschäftsanteils wäre einem Wirtschaftsprüfer
grundsätzlich möglich, so dass § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Fall 1 BGB nicht einschlägig ist. Es ist
überdies nicht ersichtlich, dass es keinen Wirtschaftsprüfer gäbe, der die Bestimmung – bei einem
entsprechenden Auftrag – vornehmen wollte, so dass auch § 319 Abs. 2, 2. Halbsatz Fall 2 BGB nicht greift.
5.3. Die Berufung des Beklagten auf die Schiedsgutachterabrede ist nicht rechtsmissbräuchlich.
5.3.1. Weder hat der Beklagte die Erstellung des Schiedsgutachtens treuwidrig verhindert. Es ist nämlich, wie
sich unschwer aus § 12 Abs. 4 Satz 2 der Satzung ergibt, (auch) den Klägerinnen möglich, das
satzungsmäßig vorgesehene Verfahren zur Bestellung des Schiedsgutachters durch Antrag an die IHK
anzustoßen. Dass dies den Klägerinnen vorliegend unmöglich gewesen wäre, ist nicht vorgetragen oder
sonst ersichtlich.
5.3.2. Noch liegt das Ergebnis der gutachterlich zu entscheidenden Frage von vornherein auf der Hand,
sodass die Berufung auf die Schiedsabrede sich als schikanös erweisen würde. Hierauf hat der Senat die
Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19.12.2024 in Ergänzung des vorläufigen Hinweises des
Berichterstatters in der Ladungsverfügung vom 27.09.2024 (Bl. 117/118 d. A.) hingewiesen.
Allenfalls im Anwendungsbereich des § 12 Abs. 1 der Satzung (Buchwertbestimmung) könnte man daran
denken, dass es einer schiedsgutachterlichen Feststellung an sich nicht bedarf, wenn sich der Buchwert
leicht aus den Geschäftsunterlagen ableiten lassen können sollte. Jedoch ist § 12 Abs. 1 der Satzung nicht
einschlägig. Dieser umfasst lediglich abschließend aufgezählte Fallgestaltungen, die nicht einen Anspruch
auf Ersatz des gemeinen Werts, sondern nur auf Ersatz des Buchwerts auslösen. Erfasst sind
Fallgestaltungen, in denen die Abfindung letztlich nur Dritten zugute käme (§ 10 Abs. 2 Buchst. a) und b),
das zwangsweise Ausscheiden des Gesellschafters aus wichtigem Grund gerechtfertigt ist (§ 10 Abs. 2
Buchst. c) oder der Gesellschafter aus freien Stücken ausscheidet (§ 10 Abs. 2 Buchst. e). Die – vorliegend
unstreitige – Kündigung des Gesellschafters aus wichtigem Grund gem. § 10 Abs. 2 Buchst. d) ist hiervon
aber nicht erfasst, sodass es bei der Auffangregelung des § 12 Abs. 2 für die „übrigen Fälle“ verbleibt.
Maßgeblich ist danach der „rechtskräftig festgestellte[…] vermögenssteuerliche[…] Wert […] (derzeit
gemeiner Wert), ermittelt nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren)“. Problematisch ist insoweit, dass im
Zeitpunkt der Vereinbarung der Satzung das in Bezug genommene vermögenssteuerliche
Festsetzungsverfahren bereits seit Jahren nicht mehr vollzogen wurde. Im Rahmen der gebotenen
(ergänzenden) Auslegung dieser körperschaftlichen Bestimmung anhand objektiver Umstände (BGH
Umstandes die eigenständige Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in der letzten gesetzlich geregelten
Fassung von 2003 durch den Schiedsgutachter vereinbart hätten (vgl. auch Seitz, in: Münchener Kommentar
zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274). Offensichtlich ist, dass eine am gemeinen Wert i. S. d.
orientierte Wertfestsetzung beabsichtigt wurde und dass die Ermittlung aus Praktikabilitätsgründen anhand
eines schematisierten und vereinfachten Verfahrens erfolgen sollte, das erfahrungsgemäß hinter dem
Verkehrswert zurückbleibende Abfindungswerte produziert. Auch wenn Bedenken gegen die Tauglichkeit des
Stuttgarter Verfahrens für die Bewertung von Geschäftsanteilen an Kapitalgesellschaften geltend gemacht
werden (BVerfG
einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Bestimmung womöglich nicht methodengerecht wäre, muss
davon ausgegangen werden, dass die Satzungsgeber genau dieses Verfahren zur Anwendung bringen
wollten. Bedenken gegen die rechtliche Wirksamkeit der Vereinbarung ergeben sich vor dem Maßstab des §
138 BGB nicht (vgl. Seitz, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274, 270, 272).
Freilich wird der Schiedsgutachter ggf. zu prüfen haben, ob eine Anpassung des so ermittelten Anteilswerts
wegen eines im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 19.12.2018 eingetretenen Missverhältnisses zum
Verkehrswert des Geschäftsanteils nach der Rechtsprechung des BGH zur ergänzenden Vertragsauslegung
vorzunehmen ist (H. P. Westermann/Seibt in: Scholz, GmbHG, 13. Auflage 2022/2024/2025,
Rn. 79; Seitz, in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 274). Das Ergebnis der
schiedsgutachterlichen Tätigkeit liegt mithin nicht offen zu Tage, sodass die Berufung auf die Schiedsklausel
nicht rechtsmissbräuchlich ist.
5.4. Den Klägerinnen war nicht Frist zur Beibringung des Schiedsgutachtens zu setzen.
Es liegt im Ermessen des Tatgerichts, von einer sofortigen Abweisung „als zur Zeit unbegründet“ abzusehen
und zunächst entsprechend den
1988, 1405; Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1029 Rn. 5; a. A. OLG Düsseldorf NJW-RR 1986,
1061).
Eine solche Fristsetzung wäre vorliegend nicht sachgerecht. Die Klägerinnen hätten das Schiedsgutachten
vorprozessual einholen können und müssen. Auf diese Weise hätte der Beklagte eine informierte
Entscheidung treffen können, ob er sich trotz der schiedsgutachterlichen Feststellungen noch auf einen
Prozess und die damit einhergehenden Kostenrisiken einlässt. Diese informierte Entscheidung haben die
Klägerinnen dem Beklagten vorenthalten, indem sie ohne vorherige Beauftragung eines Gutachters Klage
einreichten. Daher ist es sachgerecht, den Klägerinnen und nicht auch dem Beklagten die aus der verfrühten
Klage resultierenden Kostenrisiken aufzubürden, indem die Klage ohne weitere Fristsetzung als derzeit
unbegründet abgewiesen wird. Hinzu kommt, dass durch eine Fristsetzung in der Berufungsinstanz den
Parteien in diesem wesentlichen Prozessgegenstand eine Tatsacheninstanz abgeschnitten würde. Die
Klägerinnen werden dadurch nicht unzumutbar in ihren Rechten beeinträchtigt. Sie können das
Schiedsgutachten ungeachtet des Ausgangs dieses Verfahrens nachholen und ggf. daraufhin nochmals
Klage erheben.
6. Mangels fälligen Hauptsacheanspruchs besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten
Nebenforderungen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus
8. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus
9. Die Revision war nicht nach
Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordert die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG München
Erscheinungsdatum:16.01.2025
Aktenzeichen:23 U 5949/22
Rechtsgebiete:
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Allgemeines Schuldrecht
In-sich-Geschäft
GmbH
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
GmbHG § 34; BGB § 319