Zu den Anforderungen an die Testierfähigkeit
letzte Aktualisierung: 18.06.2020
OLG Hamm, Beschl. v. 5.2.2020 – 15 W 453/17
BGB §§ 2094 Abs. 1, 2232, 2229 Abs. 4, 2253, 2258 Abs. 1
Zu den Anforderungen an die Testierfähigkeit
Testierfähigkeit setzt voraus, dass der Erblasser sich über die Tragweite seiner Anordnungen und
ihre Folgen für die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen ein klares Urteil bilden und
frei von Einflüssen Dritter handeln kann. (Leitzsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe:
I.
Die Erblasserin war verwitwet und ohne Abkömmlinge. Eigene leibliche Verwandte der
Erblasserin sind nicht bekannt.
Die Erblasserin hatte mit ihrem bereits am 0. Februar 1990 vorverstorbenen Ehemann I X
am 24. Januar 1961 und am 22. Juni 1982 zur notariellen Niederschrift gemeinschaftliche
Ehegattentestamente errichtet. Im gemeinschaftlichen Testament vom 22. Juni 1982 (URNR.
335/1982 des Notars M in F) hoben die Ehegatten das frühere Testament auf, setzten
sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmten vier Nichten bzw. Neffen des
Ehemannes zu Schlusserben. Die Ehegatten bestimmten in dem Testament vom 22. Juni
1982 ausdrücklich, dass nur die wechselseitige Alleinerbeneinsetzung wechselbezüglich
sein sollte und dass der längerlebende Ehegatte frei abweichend letztwillig verfügen
könne.
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind zwei der im Testament vom 22. Juni 1982 vorgesehenen
Schlusserben. Der ebenfalls zum Schlusserben eingesetzte Neffe Y X des Ehemannes ist
bereits am 0. Mai 2005 vorverstorben. Der dritte genannte Neffe K X hat sich am
vorliegenden Verfahren nicht beteiligt.
Für die Erblasserin war seit April 1998 eine zunächst vorläufige Betreuung für die
Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten und psychiatrische Gesundheitsfürsorge
einschließlich Klinikunterbringung, ab September 1998 auch für
Wohnungsangelegenheiten angeordnet. Es wurde eine Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis diagnostiziert. Zum Betreuer wurde zunächst der angeheiratete Neffe Y X
bestimmt. Seit Januar 1999 bestand ein Einwilligungsvorbehalt für Vermögens- und
Wohnungsangelegenheiten. Seit der Entlassung von Y X im September 1999 war der
Beteiligte zu 3) Betreuer der Erblasserin. Auf seinen Antrag beschloss das Amtsgericht im
März 2000 die vorläufige Genehmigung zur geschlossenen Unterbringung der Erblasserin,
die wenige Tage später wieder aufgehoben wurde. Seit März 2000 lebte die Erblasserin in
einem Seniorenheim in F. Seit April 2000 umfasste die Betreuung die Aufgabenkreise
Vermögensangelegenheiten, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge und
Aufenthaltsbestimmung.
Bei der Verlängerung der Betreuung im Juni 2004 wurde der Einwilligungsvorbehalt nicht
verlängert; der Aufgabenkreis des Betreuers blieb unverändert.
Die Erblasserin errichtete am 7. September 2004 zur notariellen Niederschrift ein
Einzeltestament (UR Nr. 233/2004 des Notars G in F). In diesem hob sie unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf die Abänderungsbefugnis die Schlusserbeneinsetzung
aus dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 22. Juni 1982 auf und bestimmte
die Beteiligte zu 3) zur Vorerbin und deren leibliche Abkömmlinge, ersatzweise deren
gesetzliche Erben, zu Ersatzerben und Nacherben. Die Erblasserin ordnete
Dauertestamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu 3) zum
Testamentsvollstrecker. Die drei Neffen ihres vorverstorbenen Ehemannes sollten nur
noch ein Vermächtnis in Höhe von jeweils 20.000,- € erhalten.
Der beurkundende Notar G nahm zu Beginn der Testamentsurkunde folgenden Text auf:
„Die Testierfähigkeit der Erschienenen stand für den Notar aufgrund des mit ihr geführten
Gespräches außer Zweifel. Dem Notar wurde bekannt gegeben, dass die Erschienene
unter Betreuung steht. (…) Mit dem Betreuer führte der Notar ebenfalls ein Vorgespräch.
Der Betreuer erklärte dem Notar, dass die Erschienene auch mit ihm den Inhalt des
nachfolgend zu beurkundenden Testamentes besprochen habe. Auch der Betreuer ist von
der Testierfähigkeit der Erblasserin überzeugt.
Die Erschienene war in der Lage, die Bedeutung der von ihr abzugebenden
Willenserklärung einzusehen und danach zu handeln. Insbesondere war die Erschienene
sich über die Tragweite ihrer Anordnung und deren Auswirkungen auf die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen klar. Die Erschienene erklärte dem Notar,
dass sie die nachfolgend zu beurkundende Entscheidung reiflich überlegt habe und
sowohl mit ihrem Betreuer als auch mit einem Richter des Betreuungsgerichts besprochen
habe. Der Erschienenen war bewusst, dass die in dem notariellen Testament vom
22.06.1982 eingesetzten Erben Y X, H C und K X gemäss dem nachfolgend errichteten
Testament nicht mehr Erben sind, vielmehr nur noch Frau B C. Die Erschienene hatte sich
ausdrücklich entschieden, für die ehemaligen Erben Y X, H C und K X nur noch das
nachfolgend erklärte Vermächtnis auszusetzen. Der Erschienenen war klar, dass im
übrigen Frau B C nun ihre Alleinerbin wird.
Die Erschienene erklärte dem Notar auch, dass sie diese Entscheidung frei von Einflüssen
etwaiger interessierter Dritter getroffen hat und diese Entscheidung ausschließlich ihrem
eigenen Willen entspricht.“
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Erblasserin bei Errichtung des Testaments vom 7.
September 2004 testierfähig war. Während die Beteiligten zu 2) und 3) dies bejahen, geht
der Beteiligte zu 1) davon aus, dass die Erblasserin nicht mehr testierfähig war. Der
Beteiligte zu 1) ist deswegen der Auffassung, dass das Testament vom 7. September 2004
unwirksam sei und dass die Schlusserbeneinsetzung aus dem Testament vom 22. Juni
1982 maßgeblich sei. Er hat am 24. August 2016 einen gemeinschaftlichen Erbschein
beantragt, wonach er selbst, die Beteiligte zu 3) und Herr K X die Erblasserin zu je 1/3-
Anteil beerbt hätten. Er ist dabei davon ausgegangen, dass nach dem Vorversterben des
Y X Anwachsung gem. § 2094 Abs.1 BGB zugunsten der drei weiteren Schlusserben
eingetreten sei.
Die Beteiligte zu 2) hat der Erteilung des vom Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins
widersprochen. Sie ist der Auffassung, das Testament vom 7. September 2004 sei
wirksam errichtet worden.
Das Amtsgericht hat den Beteiligten zu 3) persönlich angehört. Es hat Beweis erhoben
durch Vernehmung des Notars G, des ehemaligen Betreuungsrichters Richter am
Amtsgericht a.D. Z sowie der Rechtspflegerin Justizoberamtsrätin a.D. W. Es hat sodann
die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Frage der
Testierunfähigkeit der Erblasserin am 7. September 2004 beschlossen und Prof. Dr. T zum
Sachverständigen bestellt. Dieser hat sein schriftliches Gutachten vom 24. April 2017 auf
der Basis der Aktenlage einschließlich der die Erblasserin betreffenden Betreuungsakte
erstattet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Testierfähigkeit der Erblasserin
am 7. September 2004 anzunehmen sei. Der Beteiligte zu 1) hat insbesondere eine
unzureichende Grundlage für die Gutachtenerstellung bemängelt. Der Sachverständige
Prof. Dr. T hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Juli 2017 sein Gutachten vom
24. April 2017 verteidigt.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag des
Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es
sei nach der Beweisaufnahme von der Testierfähigkeit der Erblasserin am 7. September
2004 überzeugt. Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde greift der Beteiligte zu 1)
die Art und Weise der Beweiserhebung durch das Amtsgericht an. Er bemängelt eine
unzureichende Aufklärung des Sachverhalts, weil die Zeugen nicht in Anwesenheit des
Sachverständigen gehört worden seien und weil die Erblasserin betreffenden ärztlichen
Behandlungsunterlagen nicht angefordert und ausgewertet worden seien.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem
Oberlandesgericht vorgelegt.
Der Senat hat den Beteiligten zu 3) aufgefordert mitzuteilen, bei welchen Ärzten die
Erblasserin in Behandlung gewesen ist und welche stationären Krankenhausaufenthalte
es gegeben hat. Bei den daraufhin mitgeteilten Ärzten und Krankenhäusern hat der Senat
die Behandlungsunterlagen angefordert und die Ärzte schriftlich befragt. Die
Pflegedokumentation des Heimes ist beigezogen worden.
Der Senat hat gemäß Beschluss vom 16. Mai 2019 (Bl. 381 f GA) Beweis erhoben zu der
Frage, ob die Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 7. September
2004 aufgrund einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit testierunfähig war. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das am 11. Juni 2019 bei Gericht
eingegangene Schreiben des Zeugen Dr.med. Q, auf die Berichterstattervermerke zu den
Senatsterminen vom 25. Juli und 12. September 2019 sowie auf das schriftliche Gutachten
des Sachverständigen Dr.med. U vom 15. November 2019 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) bleibt ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat
mit dem angegriffenen Beschluss im Ergebnis zu Recht den Erbscheinsantrag des
Beteiligten zu 1) vom 24. August 2016 zurückgewiesen.
Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich nicht nach der Schlusserbeneinsetzung aus
dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 22. Juni 1982, sondern nach ihrem
Einzeltestament vom 7. September 2004.
In diesem gemäß
ausdrücklich die Schlusserbeneinsetzung aus dem gemeinschaftlichen
Ehegattentestament widerrufen,
testiert. Zu der abweichenden Erbeinsetzung war die Erblasserin befugt. Der
überlebenden Ehegatte war nach den Bestimmungen des gemeinschaftlichen
Ehegattentestaments vom 22. Juni 1982 ohne jede Einschränkung berechtigt, nach dem
Tod des Erstverstobenen in beliebiger Weise abweichend von der Schlusserbeneinsetzung
letztwillig zu verfügen. Die Schlusserbeneinsetzung aus dem gemeinschaftlichen
Ehegattentestament war ausdrücklich nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs.1
BGB.
Es kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass das
Testament vom 7. September 2004 gemäß § 2229 Abs.4 BGB wegen fehlender
Testierfähigkeit der Erblasserin unwirksam war.
Nach § 2229 Abs.4 BGB kann ein Testament wegen Testierunfähigkeit nicht errichten, wer
wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen
Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen
Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Testierunfähigkeit liegt
also vor, wenn einem Erblasser aufgrund solcher krankhaften Erscheinungen die
Einsichts- und Handlungsfähigkeit verloren gegangen sind, er mithin nicht mehr in der
Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und
danach zu handeln. Dabei genügt es zur Bejahung der Testierfähigkeit nicht, dass der
Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments
und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnung hatte; er muss vielmehr auch in der
Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen und ihre Auswirkungen auf die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die
für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen, ein klares Urteil zu bilden und nach
diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (vgl. BGH
Der vom Senat bestellte Sachverständige Dr. med. U ist in seinem schriftlichen Gutachten
vom 15. November 2019 zu dem Ergebnis gekommen, dass es aus nervenärztlicher Sicht
nicht genügend Hinweise gibt, um eine Testierunfähigkeit der Erblasserin am 7. September
2004 annehmen zu können. Der Senat schließt sich diesem Ergebnis nach eigener
wertender Betrachtung an.
Der Sachverständige Dr. U ist als Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Geriatrie ein
ausgewiesener Fachmann in speziell den medizinischen Gebieten, die von besonderer
Bedeutung für die Beurteilung der Testierunfähigkeit gemäß § 2229 Abs.4 BGB sind. Er ist
dem Senat seit Jahren als sehr genau und sorgfältig arbeitender Sachverständiger
bekannt. An seiner Sach- und Fachkunde bestehen keinerlei Zweifel.
Das schriftliche Gutachten vom 15. November 2019 ist in seiner Darstellungsweise und
Methodik nachvollziehbar. Es gelangt überzeugend zu dem Gesamtergebnis, dass bei der
Erblasserin im Jahr 2004 eine „organisch affektive (manische) Störung“ nebst „leichter
kognitiver Störung“ bestand. Der Sachverständige Dr. U hat vorliegend sein Gutachten auf
der Basis einer umfassenden Auswertung der Akten und insbesondere aller verfügbaren
ärztlichen und pflegerischen Unterlagen und in Ansehung der Aussagen der in seiner
Anwesenheit gehörten Beteiligten und Zeugen erstellt. Er hat die sich aus diesem sehr
umfangreichen Material ergebenden Gesichtspunkte zunächst thematisch und
chronologisch geordnet. Hierauf aufbauend hat er in nachvollziehbarer und verständlicher
Weise seine fachmedizinischen Bewertungen und Beurteilungen erarbeitet und dargestellt.
Das so strukturierte, umfassende Gutachten ist eine in sich geschlossene und
widerspruchsfreie Darstellung, die ein in sich stimmiges und in hohem Grade plausibles
Gesamtbild ergibt. Die einzelnen Abschnitte bauen logisch aufeinander auf und lassen
keines der zahlreichen Elemente der breiten Tatsachengrundlage außer Acht. Der
Sachverständige hat sich mit den aktenkundigen Einschätzungen, Diagnosen und
Behandlungsmethoden der jeweils behandelnden Ärzte retrospektiv-kritisch in Ansehung
der Angaben der Beteiligten und Zeugen sowie der aus den Unterlagen ersichtlichen
Symptome, Verhaltensweisen und aufgetretenen Auffälligkeiten der Erblasserin seit 1998
auseinandergesetzt. Das von ihm gewonnene Gesamtbild vermag nach der eingehenden
Darstellung insbesondere die aus den Angaben des Beteiligten zu 3), den
Zeugenaussagen und Unterlagen ersichtliche überaus signifikante Besserung des
Gesundheits- und Bewusstseinszustandes der Erblasserin ab dem Frühjahr 2000 und den
gesamten weiteren Verlauf überzeugend mit der erfolgten Medikation zu erklären. Mit den
Ausführungen des Sachverständigen lassen sich zudem zunächst scheinbar
widersprüchlich erscheinende Darstellungen des Zustandes der Erblasserin mit den
verschiedenen Facetten des Gesamtkrankheitsbildes und den Auswirkungen – inklusive
unerwünschten Wirkungen – der verordneten Medikamente erklären und vereinbaren.
Der Sachverständige hat in wertender Gesamtschau der so von ihm herausgearbeiteten
Erkenntnisse ausgeführt, dass das im Jahr 2004 bei der Erblasserin bestehende
Krankheitsbild zu einer allenfalls leichten Hemmung und Verlangsamung des formalen
Denkens sowie einer allenfalls leichten, nicht dauerhaften Minderung von Konzentration,
Auffassungs- und Orientierungsvermögen sowie Merkfähigkeit und Gedächtnis geführt hat.
Die in den Jahren 1999 und 2000 ausgeprägte Wahnsympomatik war im Jahr 2004 in
einem Ausmaß zurückgetreten, dass Wahnvorstellungen in keiner Weise
handlungsbestimmend waren. Die somit im Jahr 2004 und etliche Jahre danach nur leicht
ausgeprägten psychischen Veränderungen bei der Erblasserin haben nach den
Ausführungen des Sachverständigen weder die freie Willensbildung der Erblasserin noch
ihre Fähigkeit eingeschränkt, die Bedeutung und Auswirkungen ihrer am 7. September
2004 getroffenen letztwilligen Verfügung zu erkennen und einzuschätzen. Damit ist das
Vorliegen der oben dargestellten Voraussetzungen des § 2229 Abs.4 BGB nicht
feststellbar.
Dieses Ergebnis der Beweisaufnahme geht zu Lasten des Beteiligten zu 1).
Da die Testierfähigkeit einer volljährigen – auch einer unter Betreuung stehenden - Person
der Regelfall ist, während eine Testierunfähigkeit im Sinne des § 2229 Abs.4 BGB den
Ausnahmefall darstellt, trägt grundsätzlich im Erbscheinserteilungsverfahren diejenige
Person die Feststellungslast, die aus einer Testierunfähigkeit für sich Vorteile herleiten
will., Der Beteiligte zu 1) kann aufgrund der Schlusserbeneinsetzung im
gemeinschaftlichen Ehegattentestament nur dann Miterbe nach der Erblasserin geworden
sein, wenn das Testament vom 7. September 2004 unwirksam war. Die Voraussetzungen
des § 2229 Abs.4 BGB sind – wie ausgeführt – jedoch nicht feststellbar.
Es besteht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch unter keinem Gesichtspunkt
eine Veranlassung, die Feststellungslast für die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit
am 7. September 2004 zu modifizieren. Insbesondere folgt dies nicht aus dem Zustand der
Erblasserin im Jahr 2000. Der Sachverständige Dr. U hat in seinem Gutachten eingehend
das psychiatrische Krankheitsbild der Erblasserin erarbeitet und mit seinen Ausführungen
zur Medikation und deren Auswirkungen nachvollziehbar die grundlegende Besserung des
Zustandes und dessen Stabilität über Jahre hinweg erläutert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs.1 S.1 FamFG.
Auch im Falle einer erfolglosen Beschwerde muss nicht zwangsläufig der
Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen.
dies lediglich als Regelfall, ohne indes das Beschwerdegericht von einer Prüfung im
Hinblick auf § 81 Abs.1 FamFG zu befreien, welche Kostenfolge den Grundsätzen billigen
Ermessens am besten entspricht (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Auflage, § 84 Rn.
13). Im vorliegenden Fall ist es trotz der letztlich erfolglosen Beschwerde gerechtfertigt, die
gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte zwischen den Beteiligten zu 1)
und 2) zu teilen. Die vom Senat durchgeführte umfangreiche Beweisaufnahme war wegen
der vom Beteiligten zu 1) insoweit zutreffend gerügten Unzulänglichkeiten der
erstinstanzlich erfolgten Beweisaufnahme – insbesondere der unterbliebenen
Heranziehung und Auswertung der Behandlungsunterlagen - zwingend durchzuführen.
Nach Aktenlage war vor der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme das Rechtsmittel
des Beteiligten zu 1) nicht ohne Aussichten auf Erfolg. Von dem Ergebnis der
Beweisaufnahme wird die Beteiligte zu 2) ihrerseits profitieren können. Zur Erlangung
eines Erbscheines zugunsten der Beteiligten zu 2) wird nunmehr eine Beweisaufnahme
zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin am 7. September 2004 entbehrlich sein.
Hätte nicht zunächst der Beteiligte zu 1) einen Erbscheinsantrag gestellt, sondern die
Beteiligte zu 2) oder der Beteiligte zu 3) als Testamentsvollstrecker, wäre die jetzt vom
Senat durchgeführte Beweisaufnahme in gleicher Weise erforderlich gewesen, um die
Wirksamkeit des Testaments vom 7. September 2004 feststellen zu können. Dies
rechtfertigt es, auch die Beteiligte zu 2) an den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens
in gleicher Weise zu beteiligen wie den Beteiligten zu 1).
Die entsprechenden Erwägungen führen dazu, dass für das Beschwerdeverfahren jeder
Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat.
Die Voraussetzungen des § 70 Abs.2 S.1 FamFG für die Zulassung der
Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:05.02.2020
Aktenzeichen:15 W 453/17
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Testierfähigkeit
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
BWNotZ 2020, 256-260
Normen in Titel:BGB §§ 2094 Abs. 1, 2232, 2229 Abs. 4, 2253, 2258 Abs. 1