OLG Köln 16. September 2022
2 Wx 171/22
BGB §§ 181, 1353, 1628, 1629 Abs. 2, 1643 Abs. 1, 1671, 1795, 1796, 1822 Nr. 10; GBO §§ 71, 78

Erforderlichkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers bei gemeinsamem Sorgerecht

letzte Aktualisierung: 30.11.2022
OLG Köln, Beschl. v. 16.9.2022 – 2 Wx 171/22

BGB §§ 181, 1353, 1628, 1629 Abs. 2, 1643 Abs. 1, 1671, 1795, 1796, 1822 Nr. 10; GBO §§ 71, 78
Erforderlichkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers bei gemeinsamem Sorgerecht

Im Anschluss an den Beschluss des BGH v. 24.3.2021 – XII ZB 364/19 – ist bei nicht verheirateten
Eltern für einen Vertragsschluss zwischen dem einen und dem anderen Elternteil als Vertreter
des gemeinsamen minderjährigen Kindes die Bestellung eines Ergänzungspflegers auch bei der
Übertragung vermieteten Grundbesitzes nicht erforderlich.

Gründe:

I.
Der Beteiligte zu 1) ist der Vater der minderjährigen Beteiligten zu 2) und 3). Er ist mit der
Mutter der Beteiligten zu 2) und 3), Frau A, nicht verheiratet. Sie haben das gemeinsame
Sorgerecht für die Beteiligten zu 2) und 3).

Mit notariellem Vertrag vom 22.02.2022 hat der Beteiligte zu 1) seinen
½-Miteigentumsanteil an dem im Rubrum aufgeführten Grundbesitz zu jeweils ¼-Anteil
unentgeltlich an die Beteiligten zu 2) und 3), beide vertreten durch Frau A, übertragen,
wobei u. a. auch die Übernahme der an dem Objekt bestehenden Miet- und
Pachtverhältnisse durch die Erwerber vereinbart worden ist. Wegen der Einzelheiten des
Vertrages wird auf die notarielle Urkunde vom 22.02.2022 verwiesen. Mit Schriftsatz vom
23.02.2022 haben die Beteiligten beantragt, den Eigentumswechsel sowie die
Rückauflassungsvormerkung im Grundbuch einzutragen.

Mit Zwischenverfügung vom 27.05.2022 hat die Rechtspflegerin des Grundbuchamtes die
Beteiligten darauf hingewiesen, dass es für die Übertragung der Bestellung eines
Ergänzungspflegers, alternativ der Vorlage eines Negativattestes seitens des
Familiengerichtes bedürfe. Zugleich wurde zur Behebung der Eintragungshindernisse eine
Frist bis zum 01.07.2022 gesetzt.

Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer mit Schriftsatz vom 27.06.2022 erhobenen
Beschwerde. Sie vertreten die Rechtsauffassung, mit der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 24.03.2021, XII ZB 364/19, sei klargestellt worden, dass ein
Vertretungsausschluss gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 BGB bei gemeinsamer Sorge
nur bei dem Elternteil eintrete, in dessen Person die Voraussetzungen des § 1795 BGB
unmittelbar vorliegen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird
auf den Schriftsatz vom 27.06.2022 verwiesen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 11.08.2022 nicht abgeholfen und
die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.
Die gemäß § 71 GBO statthafte und auch im Übrigen in zulässiger Weise eingelegte
Beschwerde der Beteiligten hat auch in der Sache selbst Erfolg.

Die Zwischenverfügung ist in der Sache nicht gerechtfertigt. Die Eintragung des
Eigentumswechsels und der Rückauflassungsvormerkung an dem im Rubrum
aufgeführten Grundbesitz hängt nicht von der Zustimmung eines Ergänzungspflegers oder
von der Vorlage eines Negativattestes seitens des Familiengerichtes ab. Zwar ist der
Beteiligte zu 1) gemäß § 1629 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB von der
gesetzlichen Vertretung der Beteiligten zu 2) und 3) hinsichtlich des streitgegenständlichen
Geschäfts sowie des grundbuchrechtlichen Verfahrens ausgeschlossen. Das gilt allerdings
für die gemeinsam mit dem Beteiligten zu 1) hinsichtlich der Beteiligten zu 2) und 3)
sorgeberechtigte Mutter der Beteiligten zu 2) und 3), die nicht mit dem Beteiligten zu 1)
verheiratet ist, nicht. Ein entsprechender Ausschluss ergibt sich insbesondere nicht aus §§
1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 2, 181 BGB.

Die abstrakt-generelle Ausgestaltung des § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB führte zwar bisher
dazu, dass die Vertretung beider Eltern nach herrschender Auffassung stets auch
dann ausgeschlossen wurde, wenn die Voraussetzungen der Ausschlusstatbestände
von §§ 1795 Abs. 1, 181 BGB nur in der Person eines Elternteils vorlagen und zwar auch
dann, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht (mehr) verheiratet waren (vgl.
BGH, Urteil vom 14.06.1972, IV ZR 53/71, NJW 1072, 1708; Amend-Traut in Beck-Online,
Großkommentar, BGB, Stand: 01.05.2022, § 1629 Rn. 47 m.w.N). Dies wurde aus § 1629
Abs Abs. 2 Satz 1 HS 1 BGB a. F. (heute § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB) und der dieser Norm
zugrunde liegenden Erwägung, dass es nicht im Interesse des Kindes liege, dass der nicht
ausgeschlossene Elternteil die Vertretung des ausgeschlossenen übernehme, da in diesen
Fällen häufig eine Befangenheit beider Elternteile vorliege (vgl. BGH, Urteil vom
14.06.1972, IV ZR 53/71 a.a.O.).

Der Bundesgerichtshof hat sich nun mit dem Beschluss vom 24.03.2021, XII ZB 364/19,
NZFam 2021, 547 ff., zu einer Neuausrichtung seiner bisherigen, der herrschenden
Meinung entsprechenden, Rechtsprechung entschieden. Hiernach soll jedenfalls im
Vaterschaftsanfechtungsverfahren bei nicht (mehr) verheirateten Eltern nur derjenige
Elternteil von der Vertretung ausgeschlossen sein, in dessen Person die Voraussetzungen
von §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 BGB vorliegen. Der andere Elternteil bliebe demnach zur
Vertretung des Kindes befugt und die Bestellung eines Ergänzungspflegers sei folglich
nicht mehr erforderlich.

Begründet wird dies damit, dass sich bereits aus dem Wortlaut des § 1629 Abs. 2 S.
1 BGB keine eindeutige Festlegung des Gesetzgebers ergebe. Vielmehr könne § 1629
Abs. 2 Satz 1 BGB - insbesondere unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte –
neben dem Verweis auf die Ausschlussgründe nach § 1795 BGB nicht die
gesetzgeberische Entscheidung entnommen werden, dass ein in der Person eines
Elternteils verwirklichter Ausschlussgrund zugleich auch den anderen, nicht davon
betroffenen Elternteil erfasse. Ein Ausschluss der Mutter von der gesetzlichen Vertretung
im Fall der Gesamtvertretung sei auch nicht aus Sachgründen geboten. Dass ein mit dem
Vertretungsausschluss verbundener Eingriff in das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2
GG insoweit vielmehr allein auf der vom Gesetz in §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796
BGB eröffneten Eingriffsgrundlage erfolgen könne, ergebe sich aus verfassungsrechtlichen
Erwägungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs
handelt es sich beim gesetzlichen Ausschluss wie der gerichtlichen Entziehung der
Vertretungsbefugnis um Eingriffe in das Elternrecht, die einer gesetzlichen
Eingriffsgrundlage bedürfen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen
müssen (vgl. BGH Beschluss vom 24.03.2021, XII ZB 364/19, NZFam 2021, 547 ff.
m.w.N.). § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebe damit für sich genommen bereits keine
taugliche Eingriffsnorm für einen Ausschluss der elterlichen Vertretungsbefugnis der
Mutter. Eine allenfalls mögliche entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften
scheitere in der vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fallkonstellation schon an der
mangelnden Vergleichbarkeit zwischen der Ehe von Vater und Mutter und der lediglich
bestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge. Während die Ehe nach § 1353 BGB unter
anderem die gegenseitige Rücksichtnahme gebiete, sei das gemeinsame Sorgerecht
damit schon deswegen nicht vergleichbar, weil der Vater im Hinblick auf die gesetzliche
Vertretung von der elterlichen Sorge gerade ausgeschlossen sei, die Mutter für das Kind
also in eigener Verantwortung handeln könne und müsse. Die Stellung der Mutter
entspreche damit insoweit vielmehr dem Fall, dass sie - aufgrund Übertragung
nach § 1628 BGB oder § 1671 BGB - allein sorgeberechtigt ist. Für diesen Fall sei aber ein
gesetzlicher Ausschluss von der Vertretung – zumindest - im
Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach zutreffender, nahezu einhelliger Meinung nicht
gegeben (vgl. auch § 173 FamFG). Es kommt dann allenfalls eine gerichtliche Entziehung
der Vertretungsbefugnis im Einzelfall aufgrund §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB in
Betracht (vgl. BGH a.a.O. m.w.N.). Insofern stehe auch der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit einem generellen Ausschluss der Mutter von der gesetzlichen
Vertretung entgegen, weil insoweit das auf den Einzelfall bezogene Verfahren
gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB jedenfalls als milderes Mittel anzusehen sei (vgl.
BGH a.a.O.). Auf die Frage, ob eine Entziehung der Vertretungsbefugnis nach §§ 1629
Abs. 2 S. 3, 1796 BGB wegen eines Interessengegensatzes zwischen der Mutter und den
Kindern geboten gewesen wäre, kommt es nicht an, weil die Vertretungsbefugnis erst mit
der Entziehung und nicht bereits mit dem Auftreten des Interessengegensatzes entfallen
würde und die Entziehung im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist. Soweit das
Bundesverfassungsgericht für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde bereits aus der
Möglichkeit eines Interessenkonflikts einen Wegfall der Vertretungsbefugnis der Eltern kraft
Gesetzes herleitet ( (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2020, 1 BvR 528/19) bezieht sich
diese Rechtsprechung ausschließlich auf das Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. BGH
a.a.O.).

An einer klaren gesetzlichen Eingriffsgrundlage fehlt es aus der Sicht des Senats jedoch
auch für die Übertragung des Grundbesitzes. Denn das vorliegende Rechtsgeschäft betrifft
nach §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB ausdrücklich nur den Beteiligten zu 1), nicht aber die mit
dem Beteiligten zu 1) nicht verheiratete Mutter der Beteiligten zu 2) und 3). Die oben
wiedergegebenen Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Rahmen des
Vaterschaftsanfechtungsverfahrens gelten gleichermaßen für die hier vorliegende
Fallkonstellation (vgl. auch Prinz, FamRZ 2021, 554; BeckOK/Veit, BGH, zu § 1629 Rn.
37; Amend-Traut in BeckOK, BGB, zu § 1629 Rn. 47). Bei der danach gebotenen
konsequenten Anwendung der durch den Bundesgerichtshof herangezogenen Grundsätze
bleibt die Vertretungsbefugnis der Mutter der Beteiligten zu 2) und 3) daher bestehen.
Denn die Entziehung der Vertretungsbefugnis würde anderenfalls mangels klarer
gesetzlichen Eingriffsgrundlage einen unzulässigen Eingriff in das Elternrecht
aus Art. 6 Abs. 2 GG bedeuten.

3.
Für das weitere Verfahren weist der Senat das Grundbuchamt darauf hin, dass auch zu
prüfen sein wird, ob die Mutter der minderjährigen Kinder nicht der familiengerichtlichen
Genehmigung gem. §§ 1643 Abs. 1, 1822 Nr. 10 BGB bedarf (vgl. Grüneberg/Götz, BGB,
81. Aufl. 2022, § 1822 Rn. 21).

4.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 78 GBO) besteht nicht.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Köln

Erscheinungsdatum:

16.09.2022

Aktenzeichen:

2 Wx 171/22

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Grundbuchrecht
In-sich-Geschäft
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 181, 1353, 1628, 1629 Abs. 2, 1643 Abs. 1, 1671, 1795, 1796, 1822 Nr. 10; GBO §§ 71, 78