Zum Verhältnis von baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum und dem Anspruch auf Herstellung eines ordnungsgemäßen Erstzustandes
DNotI Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 21.9.2018
BGH, Urt. v. 20.7.2018 – V ZR 56/17
WEG §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 2;
Zum Verhältnis von baulichen Veränderungen am Gemeinschaftseigentum und dem
Anspruch auf Herstellung eines ordnungsgemäßen Erstzustandes
Zur nachträglichen Anbringung von Verschattungsanlagen durch Wohnungseigentümer.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts haben die Kläger gegen die Beklagten
keinen Anspruch auf Beseitigung der Verschattungsanlage gemäß § 1004
BGB i.V.m. § 22 Abs. 1 WEG. Zwar seien sie als Wohnungseigentümer für den
geltend gemachten Beseitigungsanspruch aktivlegitimiert und die Beklagten als
Handlungsstörer passivlegitimiert. Die Anbringung einer Verschattungsanlage
stelle dem Grunde nach auch eine auf Dauer angelegte, gegenständliche Veränderung
des Gemeinschaftseigentums und deshalb eine bauliche Veränderung
dar. Ein wirksamer Beschluss der Eigentümergemeinschaft, der diese
Veränderung gestatte, liege nicht vor. Der Beschluss vom 1. Juni 2012 habe
nur eine Vorbereitungsmaßnahme zum Gegenstand.
Ein Beseitigungsanspruch der Kläger scheide jedoch deshalb aus, weil
die Verschattungsanlage zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Erstzustandes
erforderlich gewesen sei. Dies ergebe sich aus der Allgemeinen Baubeschreibung
als Bestandteil der Baugenehmigung. Dem stehe nicht entgegen,
dass Teilungserklärung und Aufteilungsplan zu der Verschattungsanlage
schwiegen; daraus ergebe sich noch nicht, dass eine nachträgliche Ausstattung
des gemeinschaftlichen Eigentums als bauliche Veränderung i.S.d. § 22 Abs. 1
WEG anzusehen sei. Die bauliche Ausstattung von Gebäude und Grundstück
lasse sich nämlich regelmäßig nicht abschließend der Teilungserklärung und
dem Aufteilungsplan entnehmen. Deshalb müsse ein Wohnungseigentümer
auch Ausstattungsmerkmale, die in einer Baubeschreibung dargestellt seien,
als ordnungsgemäßen Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums hinnehmen,
jedenfalls dann, wenn sie nicht in Widerspruch zur Teilungserklärung stünden.
So verhalte es sich hier. Die in der Teilungserklärung in Bezug genommene
Baubeschreibung vom 19. Mai 2003 enthalte zwar einige Angaben zur baulichen
Ausstattung des Gebäudes, jedoch keine zu einer Verschattungsanlage.
Angesichts der großen Glasfenster habe aus Sicht eines objektiven Betrachters
daher nicht von einem abschließenden Inhalt ausgegangen werden können. Auf
die Baugenehmigung vom 16. Dezember 2003 seien die Kläger überdies in ihrem
Bauträgervertrag hingewiesen worden.
II.
Diese Beurteilung hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein An-
spruch der Kläger auf Beseitigung der Jalousien gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB i.V.m. § 22 Abs. 1 WEG nicht verneint werden.
1. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass bei
einem Verstoß gegen die in § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG geregelten
Pflichten ein nachteilig betroffener Wohnungseigentümer nach § 1004 Abs. 1
BGB - ebenso wie nach § 15 Abs. 3 WEG - die Unterlassung oder Beseitigung
der Beeinträchtigung verlangen kann (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2018
- V ZR 276/16,
- V ZR 25/13,
- V ZR 265/10,
Anbringung der Außenjalousien um eine bauliche Maßnahme handelt, die das
gemeinschaftliche Eigentum betrifft. Dies folgt jedenfalls aus der hiermit verbundenen
Veränderung der äußeren Gestaltung des Gebäudes (vgl. § 5 Abs. 1
a.E. WEG; siehe auch KG,
13. Aufl., § 5 Rn. 55). Als Wohnungseigentümer sind die Kläger für den geltend
gemachten Beseitigungsanspruch aktivlegitimiert und mangels entgegenstehenden
Beschlusses der Eigentümergemeinschaft auch prozessführungsbefugt
(vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2014 - V ZR 118/13,
Rn. 7 mwN). Die Beklagten haben die Jalousien anbringen lassen und sind
deshalb als Handlungsstörer passivlegitimiert (vgl. allgemein zur Störereigenschaft
Senat, Urteil vom 14. November 2014 - V ZR 118/13,
Rn. 12 ff.). Da das Berufungsgericht zu dem Vorliegen eines Nachteils i.S.d.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG keine Feststellungen getroffen hat, ist
zu Gunsten der Kläger revisionsrechtlich davon auszugehen, dass die von
ihnen angeführten Auswirkungen (Verschattung ihrer Wohnung und Beeinträchtigung
der freien Sicht in den Himmel) einen solchen Nachteil darstellen.
2. Als rechtsfehlerhaft erweist sich dagegen die Annahme des Berufungsgerichts,
die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 WEG lägen deshalb nicht
vor, weil die Anbringung der Verschattungsanlage eine Maßnahme darstelle,
die zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Erstzustandes erforderlich gewesen
sei. Die bislang getroffenen Feststellungen tragen diese Annahme nicht.
a) Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG können bauliche Veränderungen und
Aufwendungen, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung
des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, beschlossen oder verlangt
werden, wenn jeder Wohnungseigentümer zustimmt, dessen Rechte
durch die Maßnahmen über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt
werden. Eine solche bauliche Veränderung liegt nach der ständigen
Rechtsprechung des Senats, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, nicht
vor, wenn die Maßnahme der erstmaligen plangerechten Herrichtung des Gemeinschaftseigentums
dient. Unter Instandsetzung ist nämlich auch die erstmalige
Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu verstehen, so dass jeder
Wohnungseigentümer nach § 21 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 Nr. 2 WEG von den übrigen
Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft verlangen kann, dass
das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird (vgl. Senat, Urteil vom
14. November 2014 - V ZR 118/13,
20. November 2015 - V ZR 284/14,
Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB aus.
b) Für die Bestimmung des ordnungsmäßigen Anfangszustands des
Gemeinschaftseigentums im Sinne dieser Rechtsprechung ist in erster Linie der
Teilungsvertrag (§ 3 WEG) bzw. die Teilungserklärung (
mit dem gemäß § 7 Abs. 4 Nr. 1 WEG in Bezug genommenen Aufteilungsplan
maßgebend (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2016 - V ZR 250/14,
des Sachen- und Grundbuchrechts Rechnung getragen
wird, indem er die Aufteilung des Gebäudes sowie die Lage und Größe des
Sondereigentums und der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteile
ersichtlich macht. Insoweit hat der Aufteilungsplan dieselbe sachenrechtliche
Abgrenzungsfunktion wie das Liegenschaftskataster bei Grundstücken
(vgl. Senat, Urteil vom 20. November 2015 - V ZR 284/14,
Rn. 10). Wenn die tatsächliche Bauausführung von dem Aufteilungsplan abweicht,
muss die eindeutige sachenrechtliche Abgrenzung des Sondereigentums
hergestellt werden. Dies geschieht, indem - vorrangig - die Bauausführung
an den Aufteilungsplan angeglichen wird oder - soweit dies nicht zumutbar
ist - indem der Aufteilungsplan geändert wird. Auf die eine oder auf die andere
Weise können und müssen Bauausführung und Aufteilungsplan zur Übereinstimmung
gebracht werden (vgl. Senat, Urteil vom 4. Mai 2018 - V ZR 203/17,
juris Rn. 19; Urteil vom 20. November 2015 - V ZR 284/14,
Rn. 10; Urteil vom 14. November 2014 - V ZR 118/13,
Um die sachenrechtliche Abgrenzung des Sondereigentums von dem Gemeinschaftseigentum,
für die die oben genannte Rechtsprechung entwickelt worden
ist (vgl. auch Senat, Urteil vom 4. Mai 2018 - V ZR 203/17, juris Rn. 20 f. zu der
gesonderten Beurteilung von gravierenden Baumängeln im Bereich des Gemeinschaftseigentums),
geht es hier aber nicht.
c) Dies schließt allerdings einen Anspruch der Beklagten gegen die Kläger
auf Duldung der Anbringung der Jalousien nicht aus. Nach der Rechtsprechung
des Senats gehört zur erstmaligen Herstellung des Gemeinschaftseigentums
auch die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen an das gemeinschaftliche
Eigentum. So setzt der plangerechte Zustand einer Teileigentumseinheit
voraus, dass die öffentlich-rechtlichen Anforderungen an einen Aufent-
haltsraum erfüllt sind; dafür erforderliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen
Eigentum wie die bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Herstellung eines
zweiten Rettungswegs entsprechen regelmäßig ordnungsmäßiger Verwaltung
und können von einzelnen Wohnungseigentümern gemäß § 21 Abs. 4 WEG
beansprucht werden (vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2017 - V ZR 102/16, NJWRR
2017, 1047 Rn. 8). Ebenso ist die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen
an den Stellplatznachweis Aufgabe aller Wohnungseigentümer und
wird von dem Anspruch auf erstmalige ordnungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums
erfasst, wenn der Bauträger bei der Errichtung der
Wohnanlage und der Teilung nach
Plänen abgewichen ist und dadurch die öffentlich-rechtliche
Verpflichtung besteht, weitere Stellplätze zu schaffen (Senat, Urteil vom
26. Februar 2016 - V ZR 250/14,
der Jalousien hier öffentlich-rechtlich vorgeschrieben ist, lässt sich auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend
beurteilen.
aa) Hierfür genügt es nicht, dass Bestandteil der Baugenehmigung vom
16. Dezember 2003 eine „Allgemeine Baubeschreibung“ ist, wonach es „im vorgelagerten
Stahlrahmen noch Jalousien zur Verschattung gibt“. Wird ein in dem
Bauantrag nebst Anlagen näher beschriebenes Bauvorhaben genehmigt, ist ein
auf dieser Grundlage errichteter Bau erlaubt. Solange die Baugenehmigung
besteht, haben die Bauordnungsbehörden deshalb grundsätzlich keine Möglichkeit
mehr, gegen die Baumaßnahme vorzugehen, auch wenn die Genehmigung
möglicherweise unter Missachtung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erteilt
worden ist (vgl. zur Wirkung der Baugenehmigung allgemein Stüer, Bau- und
Fachplanungsrecht, 5. Aufl., Rn. 2625 ff.; BeckOK BauordnungsR BW/Gassner,
Stand: 15.11.2016, § 58 Rn. 17 ff.). Umgekehrt widerspricht aber ein Bauvorha-
ben nicht bereits deshalb dem (materiellen) öffentlichen Baurecht, weil ein in
den Anlagen zu dem Bauantrag aufgeführtes Ausstattungsmerkmal nicht ausgeführt
worden ist. Entscheidend ist insoweit, ob das Ausstattungsmerkmal
nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderlich ist (vgl. § 64 Nr. 1 bis 3,
§ 72 Abs. 1 Satz 1 Brandenburgische Bauordnung). Dem steht es gleich, wenn
bezogen auf ein bestimmtes Ausstattungsmerkmal in der Baugenehmigung eine
entsprechende Auflage enthalten ist.
bb) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die
Anbringung der Jalousien nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften bzw. nach der
Baugenehmigung erforderlich war. Da die - für das Vorliegen der Voraussetzungen
des Erstherstellungsanspruchs darlegungs- und beweispflichtigen - Beklagten
nur die der Baugenehmigung zugrundeliegende „Allgemeine Baubeschreibung“,
nicht jedoch die Baugenehmigung selbst nebst allen relevanten
weiteren Anlagen vorgelegt haben, lässt sich deren Inhalt nicht eindeutig bestimmen.
Weiterer Vortrag der Beklagten war auch nicht wegen des ergänzenden
Verweises des Berufungsgerichts auf die Gründe des Urteils des Amtsgerichts
entbehrlich. Das Amtsgericht hat zwar in diesem Zusammenhang ausgeführt,
es ergebe sich aus der zum Zeitpunkt der Baugenehmigung gültigen Vorschrift
des § 3 Abs. 4 Energieeinsparverordnung (EnEV) 2001, dass große
Glasfronten an Fassaden eine irgendwie geartete Möglichkeit zur Verschattung
bieten müssten; die Anbringung einer Verschattung erweise sich deshalb nicht
bloß als rein praktische und vernünftige Maßnahme, sondern auch als bauordnungsrechtliche
Notwendigkeit. Nach der zitierten Vorschrift sind - um einen
energiesparenden sommerlichen Wärmeschutz sicherzustellen - bei Gebäuden,
deren Fensterflächen 30 von Hundert überschreiten, die Anforderungen an die
Sonneneintragskennwerte oder die Kühlleistung nach Anhang 1 Nr. 2.9 einzu-
halten. Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, haben aber weder das Amtsgericht
noch das Berufungsgericht festgestellt.
d) Der hier zu entscheidende Sachverhalt gibt keine Veranlassung, zu
der höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage Stellung zu nehmen, ob und
unter welchen - auch zeitlichen - Voraussetzungen die Wohnungseigentümer
untereinander über die der in der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan
vorgesehenen Abgrenzung des Gemeinschaftseigentums von dem Sondereigentum
und der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen an das gemeinschaftliche
Eigentum hinausgehend die Herstellung bestimmter Ausstattungsmerkmale
des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen können.
aa) In Rechtsprechung und Literatur wird insoweit teilweise die Auffassung
vertreten, dass zu dem Bereich der erstmaligen Herstellung eines ordnungsgemäßen
Zustands des Gemeinschaftseigentums auch diejenigen Ausstattungsmerkmale
gehören, die in den Baubeschreibungen der schuldrechtlichen
Erwerbsverträge zwischen den Wohnungseigentumserwerbern und dem
teilenden Eigentümer enthalten sind (vgl. OLG Hamm,
BGB/Engelhardt, 7. Aufl., WEG § 21 Rn. 32; BeckOGK/Karkmann, Stand:
1.11.2017, WEG § 21 Rn. 72; Heinemann in Jennißen, WEG, 5. Aufl., § 21
Rn. 67; ähnlich auch BeckOKWEG/Elzer, Stand: 1. Januar 2018, WEG § 22
Rn. 33; a.A. Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2018], § 21 Rn. 161; siehe
zum Meinungsstand auch Schmidt,
bb) Diese Frage ist hier nicht entscheidungserheblich. Nach den von
dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann nicht davon ausgegangen
werden, dass der Bauträger unabhängig von öffentlich-rechtlichen Vorschriften
zu der Anbringung von Außenjalousien verpflichtet war. In dem von
den Klägern geschlossenen Bauträgervertrag - dass die mit den Beklagten geschlossenen
Verträge einen anderen Inhalt haben, hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt und wird von den Beklagten auch nicht geltend gemacht wird -
wird hinsichtlich des Bausolls nur auf die der Teilungserklärung beigefügte
Baubeschreibung vom 16. Mai 2003 Bezug genommen, in der die Anbringung
von Außenjalousien nicht vorgesehen ist. Der zusätzliche Hinweis darauf, die
Baugenehmigung sei erteilt und es werde auf Anforderung eine Kopie zur Verfügung
gestellt, hat nicht zur Folge, dass nunmehr sämtliche Ausstattungsmerkmale,
die in der der Baugenehmigung zugrunde liegenden „Allgemeinen
Baubeschreibung“ erwähnt werden, von dem Bauträger über das konkret vereinbarte
Bausoll hinaus ausgeführt werden müssen. Anders ist es allerdings,
wenn diese Merkmale baurechtlich vorgeschrieben sind, weil es zum Pflichtenprogramm
des Werkunternehmers gehört, die einschlägigen öffentlichrechtlichen
Vorschriften einzuhalten (vgl. OLG Düsseldorf,
MüKoBGB/Busche, 7. Aufl., § 633 Rn. 19). Ob der Bauträger zu der Anbringung
der Außenjalousien aufgrund des Bauträgervertrags verpflichtet war, hängt
deshalb davon ab, ob dies nach den Vorschriften der Energieeinsparverordnung
bzw. aufgrund einer Auflage in der Baugenehmigung vorgeschrieben war.
Ist dies aber zu bejahen, haben die Beklagten bereits aus den oben unter
Rn. 13 bis 15 dargelegten Gründen einen entsprechenden Anspruch auf Einhaltung
dieser Vorschriften.
3. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig
dar (§ 561 ZPO).
a) Allerdings wäre die Klage unbegründet, wenn die Kläger aufgrund eines
wirksamen Beschlusses der Wohnungseigentümer zu einer Duldung der
Anbringung der Jalousien verpflichtet wären (
hier deshalb in Betracht, weil der Beschluss der Wohnungseigentümer vom 1.
Juni 2012 entgegen der Auslegung des Berufungsgerichts, die von dem Senat
in vollem Umfang überprüfbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom 10. September
1998 - V ZB 11/98,
- V ZR 104/15,
ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut ist den Eigentümern gestattet worden,
an ihren Türen und Fenstern hofseitig fach- und sachgerechte Jalousien,
Lamellen und feste Verschattungen zu installieren. Lediglich über die konkrete
Ausführung und Realisierung sollte nach Angebotsvorlage durch den Verwalter
durch gesonderten Beschluss entschieden werden. Damit sollte aber hinsichtlich
des „Ob“ des Anbringens einer Verschattungsanlage durch die Wohnungseigentümer
eine verbindliche Regelung getroffen werden. Dass es an einem
Ausführungsbeschluss zu dem „Wie“ fehlt, wirkt sich nicht zugunsten der Kläger
aus, weil sie sich auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts
ausschließlich gegen die Maßnahme als solche wenden, ohne die konkrete
Ausführung zu beanstanden. Sie haben insoweit auch keine Hilfsanträge gestellt,
sondern sich auf den Antrag auf Beseitigung der Jalousien beschränkt.
b) Der Umstand, dass diesem Beschluss möglicherweise nicht alle Wohnungseigentümer
zugestimmt haben, die von der Maßnahme nachteilig betroffen
sind i.S.d. § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG, stünde einer Duldungspflicht
der Kläger nicht entgegen. Die fehlende Zustimmung eines Wohnungseigentümers
würde nämlich nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit
des Beschlusses führen (vgl. Senat, Urteil vom 28. Oktober 2016 - V ZR 91/16,
c) Diese Überlegungen rechtfertigen jedoch die Zurückweisung der Revision
der Kläger nicht. Dazu, ob der Beschluss wirksam zustande gekommen
und unanfechtbar geworden ist, hat das Berufungsgericht - von seinem Ausgangspunkt
folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Auch das Amtsgericht,
auf dessen Urteil das Berufungsgericht ergänzend Bezug genommen hat, hat
die Frage, ob ein wirksamer Beschluss gemäß § 22 Abs. 1 WEG vorliegt, ausdrücklich
offen gelassen. Zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) muss den Parteien deshalb Gelegenheit gegeben werden,
hierzu Stellung zu nehmen.
III.
Das Berufungsurteil kann hiernach keinen Bestand haben und ist gemäß
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da der Senat in der
Sache nicht selbst entscheiden kann; vielmehr bedarf es weiterer Feststellungen
durch das Berufungsgericht (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO). Für das weitere
Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Zunächst ist zu klären, ob die Kläger aufgrund des Beschlusses vom
1. Juli 2012 verpflichtet sind, den Einbau der Jalousien durch die Beklagten zu
dulden.
2. Wird dies verneint, ist den Beklagten Gelegenheit zu geben, zu der öffentlich-
rechtlichen Erforderlichkeit der Anbringung der Jalousien ergänzend
vorzutragen. Bejaht das Berufungsgericht die - von ihm in eigener Verantwortung
zu prüfende (vgl. Senat, Urteil vom 12. April 2013 - V ZR 266/11,
Recht erfolgt.
3. Fehlt es an der bauordnungsrechtlichen Erforderlichkeit, hat dies noch
nicht den Erfolg der Berufung zur Folge. Die Kläger können nicht schon deswegen
gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Beseitigung der Jalousien verlangen,
weil es sich bei deren Anbringung um eine bauliche Veränderung gemäß § 22
Abs. 1 WEG handelt und diese von den Beklagten - was revisionsrechtlich zu
unterstellen ist - ohne vorhergehende Beschlussfassung der Wohnungseigentümer
vorgenommen wurde.
a) Hierfür kommt es auf die umstrittene Frage, ob formelle Voraussetzung
für die Zulässigkeit einer Maßnahme nach § 22 Abs. 1 WEG ein entsprechender
Wohnungseigentümerbeschluss ist oder eine formlose Zustimmung
derjenigen Wohnungseigentümer ausreicht, deren Zustimmung gemäß § 22
Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG erforderlich ist, nicht an (vgl. zum Streitstand Senat,
Urteil vom 7. Februar 2014 - V ZR 25/13,
wenn ein förmlicher Beschluss erforderlich wäre, wäre ein Beseitigungsverlangen
rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), wenn es auf eine Leistung zielt, die alsbald
zurückzugewähren wäre, weil der Wohnungseigentümer Anspruch auf einen
Gestattungsbeschluss nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG zur Vornahme der
Maßnahme hat. Ein solcher Anspruch besteht, wenn die von der Maßnahme
nachteilig betroffenen Eigentümer zugestimmt haben oder es an einer Beeinträchtigung,
die über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinausgeht, fehlt
(vgl. Senat, Urteil vom 21. Oktober 2011 - V ZR 265/10,
Rn. 6; Urteil vom 7. Februar 2014 - V ZR 25/13,
b) Feststellungen dazu, ob den Klägern durch die Jalousien über das bei
einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil im
Sinne von § 14 Nr. 1 WEG erwächst, hat das Berufungsgericht - von seinem
Ausgangspunkt folgerichtig - nicht getroffen. Dies wird ggfls. nachzuholen sein.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nachteilig im Grundsatz jede nicht ganz
unerhebliche Beeinträchtigung ist. Diese muss zwar konkret und objektiv sein.
Eine erhebliche Beeinträchtigung ist aber nicht erforderlich; nur ganz geringfügige
Beeinträchtigungen bleiben außer Betracht. Entscheidend ist, ob sich nach
der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage
verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil
vom 13. Januar 2017 - V ZR 96/16,
auch zu beachten, dass der entstehende Nachteil über das bei einem geordneten
Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehen muss; bei dieser Beurteilung
können im Einzelfall auch bauliche Besonderheiten der Wohnanlage zu
berücksichtigen sein. Insoweit ist hier in die Würdigung einzubeziehen, dass die
Beklagten - auch unabhängig von öffentlich-rechtlichen Vorgaben - angesichts
der großen, nach Südosten ausgerichteten Fenster ein besonderes Interesse
an einem Wärmeschutz haben können.
4. Ist die Anbringung der Jalousien als Modernisierung im Sinne des § 22
Abs. 2 WEG zu qualifizieren und gelingt es den Beklagten, bis zum Schluss der
neuen mündlichen Verhandlung eine Genehmigung der Wohnungseigentümer
durch einen Beschluss mit der für eine Modernisierung erforderlichen Mehrheit
herbeizuführen (vgl. Senat, Urteil vom 18. November 2016 - V ZR 49/16, NJW
2017, 2184 Rn. 26), stünde dies einem Erfolg der Klage nicht entgegen, wenn
die Kläger durch die Maßnahme i.S.d.
würden. Hierbei ist zu beachten, dass unbillig nur solche Nachteile sein können,
die über einen Nachteil i.S.d. § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG hinausgehen
und bei wertender Betrachtung und in Abwägung mit den mit der Modernisierung
verfolgten Vorteilen einem verständigen Wohnungseigentümer zumutbarer
Weise nicht abverlangt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 18. Februar 2011
- V ZR 82/10,
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:20.07.2018
Aktenzeichen:V ZR 56/17
Rechtsgebiete:
Sachenrecht allgemein
WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
RNotZ 2018, 608-613
ZNotP 2018, 363-367
DNotZ 2018, 831-835
NJW-RR 2018, 1165-1168
ZWE 2018, 411
WEG §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BGB § 1004 Abs. 1