OLG Celle 02. Dezember 2024
6 W 142/24
BGB §§ 1821, 1943, 1944 Abs. 2 S. 1

Ausschlagungsfrist; Erbausschlagung eines unter Betreuung stehenden Erben; Kenntnis der Erben; keine Vermittlung der Kenntnis durch das Nachlassgericht erforderlich; Kenntniser- langung bei gesetzlicher Vertretung des Erben

letzte Aktualisierung: 24.3.2025
OLG Celle, Beschl. v. 2.12.2024 – 6 W 142/24

BGB §§ 1821, 1943, 1944 Abs. 2 S. 1
Ausschlagungsfrist; Erbausschlagung eines unter Betreuung stehenden Erben; Kenntnis
der Erben; keine Vermittlung der Kenntnis durch das Nachlassgericht erforderlich; Kenntniser-
langung bei gesetzlicher Vertretung des Erben

1. Die Kenntnis des Erben iSv. § 1944 Abs. 2 BGB muss nicht durch das Nachlassgericht vermittelt
werden (hier: Schreiben eines Miterben an den Betreuer).
2. Ist der Erbe gesetzlich vertreten, ist bei der Kenntniserlangung zu unterscheiden: Im Falle seiner
Geschäftsunfähigkeit kommt es allein auf die Kenntnis des Vertreters an. Ist (wie hier) der Erbe
geschäftsfähig, steht er aber unter rechtlicher Betreuung, ist zu berücksichtigen, dass er neben dem
Betreuer steht und in der Lage ist, seine Angelegenheiten auch ohne diesen selbst zu regeln. Nach
der überwiegend und auch hier vertretenen Auffassung kommt es in einem solchen Fall auf den
früheren Zeitpunkt an, also darauf, ob der Betreute oder wie hier der Betreuer zuerst Kenntnis
erlangt hat.

Gründe

I.
Im Januar 2024 verstarb die verwitwete und kinderlose Erblasserin. Der Beteiligte zu 1 ist der
Bruder, der Beteiligte zu 2 der einzige Sohn der vorverstorbenen Schwester der Erblasserin.
Eine letztwillige Verfügung hatte sie nicht getroffen.

Am 29. Februar 2024 verfasste der Beteiligte zu 1 ein Schreiben an den Betreuer des Beteiligten
zu 2, seines Neffen (Bl. 9). Darin wies er unter anderem darauf hin, dass seine Schwester
verstorben sei, ein Testament oder Vollmachten nicht aufzufinden gewesen seien und er einen
Erbschein dringend benötige, sodass er eine Mitteilung zu Annahme oder Ausschlagung der
Erbschaft erbete. Als Anlage überreichte er eine Sterbeurkunde und eine "Nachlass-
Vermögensübersicht". Das Schreiben wurde dem Betreuer am 1. März 2024 persönlich
übergeben.

Unter dem 26. April 2024 stellte der Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht Uelzen einen Antrag auf
Erteilung eines Erbscheins, der ihn und seinen Neffen zu gleichen Teilen als Erben ausweise
(Bl. 13).

Der Beteiligte zu 2 und sein Betreuer wurden schriftlich zu dem Antrag angehört (Bl. 14).
Am 6. Mai 2024 erschienen der Beteiligte zu 2 und sein Betreuer beim Amtsgericht Uelzen. Der
Beteiligte zu 2 erklärte, die Erbschaft auszuschlagen und vorsorglich die erfolgte Annahme der
Erbschaft durch Versäumung der Ausschlagungsfrist anzufechten (Bl. 15). Erst durch das
Schreiben des Gerichts habe er Kenntnis vom Anfall der Erbschaft erlangt. Er habe zuvor keine
Kenntnis davon gehabt, dass die Erbschaft durch das bisherige Verhalten als angenommen
gelte. Insbesondere sei ihm nicht bekannt gewesen, dass die Ausschlagung der Erbschaft
innerhalb einer Frist gegenüber dem Nachlassgericht zu dessen Niederschrift oder in öffentlich
beglaubigter Form zu erklären sei. Sein Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und
Einwilligungsvorbehalt stimmte der Erklärung zu und beantragte die betreuungsgerichtliche
Genehmigung, die mit Beschluss des Amtsgerichts Uelzen vom 7. August 2024 erteilt wurde
(Bl. 40).

Mit Beschluss vom 11. September 2024 (Bl. 46) hat das Amtsgericht die aufgrund des Antrags
vom 26. April 2024 zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt
erachtet. Die Ausschlagung des Betreuten bzw. Anfechtung der Annahme seien nicht wirksam;
die Ausschlagungsfrist sei zum Zeitpunkt der Erklärung bereits abgelaufen gewesen. Für die
Kenntnis komme es darauf an, wer von beiden, Betreuer oder Betreuter, zuerst Kenntnis
erhalten hätten. Dies sei vorliegend der Betreuer gewesen, der spätestens mit dem von ihm am
1. März 2024 quittierten Empfang des Schreibens vom 29. Februar 2024 Kenntnis erlangt habe,
dass sein Betreuter als Neffe der Erblasserin Miterbe geworden sei und dass der Nachlass
überschuldet sei.

Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Betreuers vom 10. Oktober 2024 (Bl. 53).
Der angefochtene Beschluss leide an einer grundsätzlichen Verkennung der Funktion der
rechtlichen Betreuung und der weiterhin bestehenden Eigenständigkeit des Betroffenen. Es
komme allein darauf an, ob und wann der Betroffene Kenntnis erlangt habe. Für die
Zurechnung einer etwaigen früheren Kenntnis des Betreuers durch das Quittieren des Erhalts
des Schreibens des Beteiligten zu 1 vom 29. Februar 2024 sei kein Raum, wobei zweifelhaft sei,
ob mit diesem Schreiben überhaupt positive Kenntnis habe eintreten können.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 4. November 2024 (Bl. 57) der Beschwerde nicht
abgeholfen.

II.
Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Erblasserin ist in Ermangelung einer letztwilligen Verfügung im Wege gesetzlicher
Erbfolge durch die Beteiligten zu 1 und 2 zu gleichen Teilen beerbt worden (§ 1925 Abs. 1,
§ 1924 Abs. 3 BGB).

2. Der Beteiligte zu 2 hat entgegen seiner Annahme die Erbschaft nicht wirksam ausgeschlagen,
weil am 6. Mai 2024 die für die Ausschlagung vorgeschriebene Frist bereits verstrichen war,
§ 1943 BGB.

Die Ausschlagung kann nur binnen 6 Wochen erfolgen, § 1944 Abs. 1 BGB. Die Frist beginnt
mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grunde der Berufung
Kenntnis erlangt, § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Kenntnis setzt dabei ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen
Umstände voraus, aufgrund dessen vom Erben erwartet werden kann, dass er vernünftigerweise
in die Überlegungen über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft eintritt. Er muss also
wissen, dass der Erblasser gestorben und er selbst Erbe geworden ist. Kennenmüssen und grob
fahrlässige Unkenntnis stehen dabei anerkanntermaßen der Kenntnis nicht gleich.
Die Kenntnis muss nicht durch das Nachlassgericht vermittelt werden. Grundsätzlich kommt
jede Informationsquelle in Betracht. Ausreichend für die Kenntnisverschaffung ist vorliegend
das Schreiben des Beteiligten zu 1 vom 29. Februar 2024 an den Betreuer des Beteiligten zu 2
gewesen. In dem Schreiben, dessen Zugang am 1. März 2024 nicht in Abrede genommen
worden ist, finden sich Angaben zum Tod der Erblasserin und (in Ermangelung des Auffindens
eines Testaments) zum Eintritt der gesetzlichen Erbfolge sowie dazu, dass der Beteiligte zu 2
Miterbe geworden sein dürfte; es wird in dem Schreiben nämlich auch um die Klärung der Frage
einer Ausschlagung der Erbschaft durch den Beteiligten zu 2 gebeten.

Aus § 1944 Abs. 2 Satz 3, § 210 BGB ergibt sich für den Beteiligten zu 2 schon deswegen nichts,
weil er nicht in diesem Sinne ohne gesetzlichen Vertreter war. Das gilt auch für § 1944 Abs. 2
Satz 3, § 206 BGB (iVm. § 1858 Abs. 3 BGB), weil die Genehmigung der Ausschlagung nicht
rechtzeitig beantragt worden ist.

Ist wie vorliegend der Erbe gesetzlich vertreten, ist zu unterscheiden: Im Falle seiner
Geschäftsunfähigkeit kommt es allein auf die Kenntnis des Vertreters an (vgl. BGH, IV ZB
20/18, NJW 2019, 1071). Ist wie vorliegend der Erbe geschäftsfähig, steht er aber unter
rechtlicher Betreuung, ist zu berücksichtigen, dass er neben dem Betreuer steht und in der Lage
ist, seine Angelegenheiten auch ohne diesen selbst zu regeln. Nach der überwiegend und auch
hier vertretenen Auffassung kommt es in einem solchen Fall auf den früheren Zeitpunkt an, also
darauf, ob der Betreute oder wie hier der Betreuer zuerst Kenntnis erlangt hat (vgl.
MüKoLeipold, BGB, 9. Aufl., § 1944 Rn. 16; NK-BGB/Ivo, 5. Aufl., § 1944, Rn. 12;
Grüneberg-Weidlich, BGB, 83. Aufl., § 1944 Rn. 6; OLG Rostock, 3 W 53/08, FamRZ 2010,
1597, für den Fall der rechtsgeschäftlichen Vertretung). Es gilt auch insoweit das
Prioritätsprinzip (vgl. dazu nur Bieg, in: JurisPK-BGB, § 1823, Rn. 9 m. w. N.).

Diese Zurechnung rechtfertigt sich daraus, dass es bei der rechtlichen Betreuung gerade um
Rechtsfürsorge geht. Vorliegend hatte der Betreuer „alle Tätigkeiten vor(zunehmen), die
erforderlich sind, um die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen“ (§ 1821 Abs. 1
Satz 1 BGB). Er hatte den Beteiligten zu 2 dabei zu unterstützen, seine Angelegenheiten
rechtlich selbst zu besorgen, seine Wünsche festzustellen und ihn bei deren Umsetzung rechtlich
zu unterstützen (§ 1821 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB). Dazu hatte er den erforderlichen Kontakt
mit dem Betreuten zu halten und dessen Angelegenheiten mit ihm zu besprechen (§ 1821 Abs. 5
BGB).

Vor diesem normativen Hintergrund besteht keine Notwendigkeit, auf diese Zurechnung zu
verzichten, zumal der Betreute durch die Verantwortlichkeit des Betreuers (§ 1826 BGB)
geschützt wird.

3. Der Beteiligte zu 2 kann die infolge der versäumten Ausschlagungsfrist erfolgte Annahme
nicht wegen Irrtums nach § 1956 BGB anfechten. Er ist durch einen Volljuristen als rechtlichen
Betreuer gesetzlich vertreten (s. a. BGH, XII ZR 13/01, NJW 2004, 220). Dessen Kenntnisse
muss er sich ebenso zurechnen lassen wie mögliche Versäumnisse seines Betreuers (s. a. KG,6
W 92/15, ErbR 2016, 210).

4. Die Ausführungen der Beschwerde zum Charakter der rechtlichen Betreuung sowie zur
Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Betreuten sollen nicht in Zweifel gezogen werden.
Sie sind aber ganz allgemeiner Art und ändern nichts an der hier entscheidenden Frage, ob die
Kenntnis seines rechtlichen Betreuers dem Betreuten zuzurechnen ist.

III.
Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht. Die Pflicht, die Gerichtsgebühren des
erfolglosen Beschwerdeverfahrens zu tragen, folgt aus dem Gesetz (§ 25 Abs. 1, § 22 Abs. 1
GNotKG).

Die Erstattung notwendiger Aufwendungen kommt nicht in Betracht, weil sich niemand in
einem der Beschwerde entgegengesetzten Sinn am Beschwerdeverfahren beteiligt hat.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG. Maßgeblich ist
das wirtschaftliche (Abänderungs-)Interesse des Beteiligten zu 2 als Beschwerdeführer (vgl.
BGH, IV ZB 13/22, FamRZ 2023, 791 m. w. N.), entgegen der angefochtenen Entscheidung
nicht aufgrund gesetzlicher Erbfolge Erbe zu einem 1/2 Anteil geworden zu sein und somit für
die Nachlassverbindlichkeiten zu haften, § 1967 BGB. Nach Angaben des Beteiligten zu 1 liegt
eine Überschuldung des Nachlasses in Höhe von ca. 6.700 € vor. Im Innenverhältnis der
Beteiligten als Gesamtschuldner (§ 2058, §§ 421, 426 BGB) trägt davon der Beteiligte zu 2 die
Hälfte.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Celle

Erscheinungsdatum:

02.12.2024

Aktenzeichen:

6 W 142/24

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Erbenhaftung
Allgemeines Schuldrecht
Gesetzliche Erbfolge
Kostenrecht

Normen in Titel:

BGB §§ 1821, 1943, 1944 Abs. 2 S. 1