Grunderwerbsteuerbefreiung im Konzern bei Umstrukturierung
letzte Aktualisierung: 30.04.2020
BFH, Urt. v. 21.8.2019 – II R 15/19
GrEStG §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 6a; UmwG §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 Abs. 2 Nr. 2; AEUV Art. 107
Abs. 1
Grunderwerbsteuerbefreiung im Konzern bei Umstrukturierung
1. § 6a GrEStG gilt für alle Rechtsträger i. S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind. Unerheblich
ist, ob die Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft im Privat- oder im Betriebsvermögen gehalten
wird.
2. Die Vorschrift erfasst auch den Fall, dass eine abhängige Gesellschaft auf eine natürliche Person
als herrschendes Unternehmen verschmolzen wird.
3. Die in § 6a Satz 4 GrEStG genannten Fristen müssen nur insoweit eingehalten werden, als sie
aufgrund eines begünstigten Umwandlungsvorgangs auch eingehalten werden können.
4. Bei der Verschmelzung einer abhängigen Gesellschaft auf ein herrschendes Unternehmen muss
das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor der Verschmelzung zu mindestens
95 % an der verschmolzenen abhängigen Gesellschaft ununterbrochen beteiligt gewesen sein
(Vorbehaltensfrist). Die Frist von fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (Nachbehaltensfrist)
muss in Bezug auf die verschmolzene abhängige Gesellschaft nicht eingehalten werden, weil sie
aufgrund der Verschmelzung nicht eingehalten werden kann.
Entscheidungsgründe
II.
10 Das FG-Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Während des Revisionsverfahrens hat sich der
Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert (
Stelle des Grunderwerbsteuerbescheids vom 19.07.2012, über den das FG entschieden hat, ist während des
Revisionsverfahrens der Änderungsbescheid vom 27.11.2014 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO
Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.06.2019 - II R 58/15, BFH/NV 2019, 1222, Rz 10).
Einer Zurückverweisung der Sache an das FG nach
Änderungsbescheids an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat (BFH-Urteil in BFH/NV
2019, 1222, Rz 11). Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die
Entscheidung des BFH; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das
finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1222, Rz 11, m.w.N.).
III.
Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist begründet. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 27.11.2014 und die
vorhergehenden Bescheide vom 01.03.2011 sowie vom 19.07.2012 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in
ihren Rechten. § 6a GrEStG erfasst auch den kraft Verschmelzung bewirkten Rechtsübergang der Grundstücke der
GmbH auf die Klägerin.
1. Der durch die Verschmelzung bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH auf die Klägerin
unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelte sich um gesetzliche
Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen
war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
2. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG sind erfüllt.
a) Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a oder 3 GrEStG steuerbaren
Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Umwandlungsgesetzes (UmwG) die
Steuer nicht erhoben.
Abspaltung und Ausgliederung und § 1 Abs. 1 Nr. 3 UmwG die Vermögensübertragung. Die Nichterhebung der Steuer
setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder
mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden
Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (§ 6a Satz 3 GrEStG). Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine
Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren
vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar,
teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6a Satz 4 GrEStG).
b) § 6a GrEStG verstößt nicht gegen Unionsrecht. Die Regelung stellt keine Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dar (vgl. EuGH-Urteil A-Brauerei, EU:C:2018:1024).
Die Vorschrift wirkt zwar selektiv, weil sie bestimmte Gesellschaften im Hinblick auf die bei einem Rechtsträgerwechsel
anfallende Grunderwerbsteuer begünstigt; dies ist jedoch durch die Natur und den Aufbau des Systems der
Grunderwerbsteuer gerechtfertigt (vgl. EuGH-Urteil A-Brauerei, EU:C:2018:1024, Rz 44 ff.). Dies gilt unabhängig
davon, ob durch die Anwendung des § 6a GrEStG im Einzelfall eine doppelte Besteuerung innerhalb des Konzerns
vermieden wird. Ausreichend ist vielmehr, dass die Vorschrift generell einer im System angelegten, möglichen
übermäßigen Besteuerung bei Umwandlungsvorgängen innerhalb eines Konzerns entgegenwirkt.
Der EuGH hat die Nichteinstufung des § 6a GrEStG als Beihilfe vor allem damit begründet, dass die Vermeidung einer
Doppelbesteuerung und damit einer übermäßigen Besteuerung es rechtfertigen kann, dass die Steuerbefreiung auf
Umwandlungsvorgänge zwischen Gesellschaften beschränkt wird, die während eines ununterbrochenen
Mindestzeitraums von fünf Jahren vor und fünf Jahren nach diesem Vorgang durch eine Beteiligung von mindestens
95 % miteinander verbunden sind (EuGH-Urteil A-Brauerei, EU:C:2018:1024, Rz 50; vgl. hierzu Schmid,
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2019, 75). Aus dieser Begründung ist jedoch nicht zu folgern, dass § 6a
GrEStG nur im Falle einer Doppelbesteuerung keine verbotene Beihilfe, also unionsrechtskonform ist und im Falle
einer fehlenden Doppelbesteuerung dem Unionsrecht widerspricht. Eine solche Differenzierung ist in der Vorschrift
nicht angelegt. Deshalb ist nach der Entscheidung des EuGH die Steuerbefreiung zu gewähren, wenn die
Voraussetzungen des § 6a GrEStG erfüllt sind; insoweit bedarf es keiner Feststellung einer Doppelbesteuerung im
konkreten Einzelfall.
c) Der Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ist nicht auf Unternehmen i.S. des Umsatzsteuergesetzes beschränkt
(BFH-Beschluss vom 25.11.2015 - II R 63/14,
Vorschrift mangels näherer gesetzlicher Eingrenzung für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind
(vgl. BFH-Beschluss vom 30.05.2017 - II R 62/14,
aa) Der weite Anwendungsbereich betrifft auch die Rechtsform des Unternehmens. Zwar spricht der Wortlaut der
Vorschrift von einem herrschenden "Unternehmen" und von diesem abhängigen "Gesellschaften". Daraus lässt sich
aber z.B. nicht der Schluss ziehen, dass das herrschende Unternehmen in einer bestimmten Rechtsform organisiert
sein muss. Herrschendes Unternehmen können folglich auch Einzelunternehmen, Personen- und
Kapitalgesellschaften sowie natürliche und juristische Personen sein, die wirtschaftlich tätig sind (BFH-Beschluss in
bb) Aus dem Begriff "Unternehmen" lässt sich nicht herleiten, dass für die Anwendung des § 6a GrEStG die
Beteiligung an den abhängigen Gesellschaften im Betriebsvermögen gehalten werden müsste. Eine solche
Anknüpfung an bilanzielle oder ertragsteuerrechtliche Begriffe ist der Grunderwerbsteuer als Verkehrsteuer fremd. So
entsteht die Grunderwerbsteuer aufgrund der in § 6a Satz 1 GrEStG geregelten Erwerbstatbestände unabhängig
davon, ob die jeweilige Beteiligung im Betriebs- oder Privatvermögen gehalten wird. Die Steuerbefreiung nach § 6a
GrEStG von der Vermögenszugehörigkeit abhängig zu machen, findet im Gesetz keinen Anhaltspunkt. § 6a GrEStG
ist folglich auch anwendbar, wenn die Beteiligung im Privatvermögen einer natürlichen Person gehalten wird (Viskorf in
Boruttau, a.a.O., § 6a Rz 85; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 6a Rz 44; a.A. gleich lautende
Erlasse in BStBl I 2012, 662, Tz. 2.2).
cc) Dies gilt selbst dann, wenn --wie
ihren Alleingesellschafter verschmolzen wird und dieser das Vermögen der Gesellschaft als Gesamtrechtsnachfolger
übernimmt. Der Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft kann herrschendes Unternehmen i.S. des § 6a GrEStG
sein. Er ist über seine Beteiligung an der Gesellschaft wirtschaftlich tätig. Eine Einschränkung des Tatbestands
dahingehend, dass nur bestimmte Verschmelzungsvorgänge von § 6a GrEStG erfasst sein sollen, ist der Vorschrift
nicht zu entnehmen. § 6a Satz 1 GrEStG erfasst alle Umwandlungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG, folglich
auch Verschmelzungen (
Natürliche Personen können nur als Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft deren Vermögen übernehmen. Eine
Verschmelzung von einer natürlichen Person auf einen anderen Rechtsträger sieht § 3 UmwG nicht vor. Hätte der
Gesetzgeber bestimmte, nach dem UmwG zulässige Verschmelzungen vom Anwendungsbereich des § 6a GrEStG
ausnehmen wollen, hätte dies im Wortlaut des § 6a GrEStG einen Anklang finden müssen.
d) § 6a GrEStG setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang eine oder mehrere von einem herrschenden
Unternehmen abhängige Gesellschaften i.S. des § 6a Satz 3 i.V.m. Satz 4 GrEStG beteiligt sind.
aa) § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG verlangen dem Wortlaut nach den Bestand des dort bestimmten
Abhängigkeitsverhältnisses innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor dem Umwandlungsvorgang
(Vorbehaltensfrist) und fünf Jahren nach dem Umwandlungsvorgang (Nachbehaltensfrist).
bb) Umwandlungsvorgänge, bei denen eine beteiligte Gesellschaft erlischt oder neu entsteht, fallen nach dem
Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG nicht in den Anwendungsbereich des § 6a GrEStG. Eine vor oder nach der
Umwandlung nicht existente Gesellschaft kann die in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten zeitlichen Voraussetzungen der
Abhängigkeit aus rechtlichen Gründen nicht erfüllen, mit der Folge, dass entgegen den Anforderungen des § 6a
Satz 3 GrEStG an dem Umwandlungsvorgang auch (mindestens) eine Gesellschaft beteiligt wäre, die mangels
Einhaltung der Nachbehaltensfrist (im Falle des Erlöschens) bzw. der Vorbehaltensfrist (im Falle der Neugründung)
nicht von dem herrschenden Unternehmen "abhängig" wäre.
Nach dem Wortlaut des § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG wären somit sämtliche Verschmelzungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff.
UmwG), die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung zur Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2,
übertragenden Rechtsträgers führt, nicht nach § 6a GrEStG begünstigt. § 6a GrEStG hätte einen sehr eng begrenzten
Anwendungsbereich. Begünstigungsfähig wären im Wesentlichen die Abspaltung und die Ausgliederung von
Vermögen zur Aufnahme durch Übertragung des abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteils oder der
abgespaltenen oder ausgegliederten Vermögensteile jeweils als Gesamtheit auf einen bestehenden oder mehrere
bestehende Rechtsträger (
cc) Die Finanzverwaltung versucht, den Widerspruch zwischen § 6a Satz 1 GrEStG einerseits und den Sätzen 3 und 4
der Vorschrift andererseits mittels eines eigenen Verbundbegriffs zu lösen. Nach Tz. 2.1 Abs. 2 der Erlasse in BStBl I
2012, 662 ist für den jeweiligen Umwandlungsvorgang ein entsprechender "Verbund" aus dem herrschenden
Unternehmen und der oder den am Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaft(en) sowie den dieses
Beteiligungsverhältnis vermittelnden abhängigen Gesellschaften zu bestimmen. Umwandlungsvorgänge, durch die ein
solcher "Verbund" begründet oder beendet wird, sind nach Tz. 2.1 Abs. 3 Satz 1 der Erlasse in BStBl I 2012, 662 nicht
nach § 6a GrEStG begünstigt.
(1) Demgemäß sind nach Tz. 2.1 Abs. 3 Sätze 2 und 3 der Erlasse in BStBl I 2012, 662 Abspaltungen oder
Ausgliederungen zur Neugründung aus einem herrschenden Unternehmen sowie die Verschmelzung der letzten am
Umwandlungsvorgang beteiligten abhängigen Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen nicht begünstigt, da
durch diese Umwandlungsvorgänge der Verbund erst begründet oder beendet wird. Die in Tz. 5 Abs. 1 der gleich
lautenden Ländererlasse vom 01.12.2010 (BStBl I 2010, 1321) noch enthaltene Regelung, wonach die Verschmelzung
auf das herrschende Unternehmen zulässig sein sollte, hat die Finanzverwaltung in den Erlassen in BStBl I 2012, 662
nicht mehr aufgenommen, ohne dass dem eine Gesetzesänderung zugrunde lag.
(2) Begünstigt ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf eine andere
Tochtergesellschaft (vgl. Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 und Beispiel 1 zu Tz. 5 der Erlasse in BStBl I 2012, 662). In diesen Fällen
sei nur erforderlich, dass die Vorbehaltensfrist von fünf Jahren (Tz. 4 der Erlasse in BStBl I 2012, 662) eingehalten
war, die übernehmende abhängige Gesellschaft fünf Jahre fortbesteht und an ihr die Mindestbeteiligung von 95 %
bestehen bleibt. Dass die übertragende Gesellschaft bei der Umwandlung erlischt und somit nach dem
Umwandlungsvorgang nicht mehr die Anforderungen des § 6a Satz 4 GrEStG an eine abhängige Gesellschaft erfüllt,
ist nach Tz. 5 Abs. 1 Satz 3 der Erlasse in BStBl I 2012, 662 unschädlich.
dd) Die Literatur löst den inneren Widerspruch im Wortlaut des § 6a GrEStG durch eine teleologische Reduktion des
§ 6a Satz 4 GrEStG.
So soll im Falle der Verschmelzung nur die übernehmende Gesellschaft fünf Jahre fortbestehen müssen; die
Nachbehaltensfrist müsse in Bezug auf die verschmolzene Gesellschaft nicht eingehalten werden (vgl. Viskorf in
Boruttau, a.a.O., § 6a Rz 105; Pahlke, a.a.O., § 6a Rz 70; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl.,
§ 6a Rz 16; Heine in Wilms/Jochum, Grunderwerbsteuergesetz, § 6a Rz 45; Lieber in Behrens/ Wachter,
Grunderwerbsteuergesetz, § 6a Rz 48; aus der Aufsatzliteratur vgl. z.B. Mensching/Tyarks, Betriebs-Berater --BB--
2010, 87, 91; Schaflitzl/ Stadler, Der Betrieb 2010, 185, 188; Behrens, Deutsches Steuerrecht 2012, 2149, 2015;
Teiche,
Wischott/Schönweiß/Graesser, Neue Wirtschafts-Briefe 2013, 780, 790; Gsödl/ Keller/Petersen,
Wutzke, Zeitschrift für Immobilienrecht 2016, 197, 200). Dasselbe gilt nach verbreiteter Ansicht auch für die
Vorbehaltensfrist im Falle der Abspaltung oder Ausgliederung zur Neugründung (Viskorf in Boruttau, a.a.O., § 6a
Rz 112; Pahlke, a.a.O., § 6a Rz 65; Lieber in Behrens/Wachter, a.a.O., § 6a Rz 43; Hofmann, a.a.O., § 6a Rz 16;
Jorde/Trinkaus,
ee) Nach Ansicht des Senats ist § 6a Satz 4 GrEStG dahingehend auszulegen, dass die dort genannten Fristen nur
insoweit eingehalten werden müssen, als sie aufgrund eines begünstigten Umwandlungsvorgangs auch eingehalten
werden können.
(1) Bei Umwandlungsvorgängen zwischen einer abhängigen Gesellschaft und einem herrschenden Unternehmen
muss in Fällen der Verschmelzung nur die Vorbehaltensfrist und in Fällen der Abspaltung oder Ausgliederung zur
Neugründung nur die Nachbehaltensfrist eingehalten werden. Das gilt bei der Verschmelzung sowohl für die
Verschmelzung auf die abhängige Gesellschaft als auch für die Verschmelzung auf das herrschende Unternehmen.
Die Nachbehaltensfrist muss bei der Verschmelzung und die Vorbehaltensfrist bei der Abspaltung oder Ausgliederung
zur Neugründung nicht eingehalten werden, um die Steuerbegünstigung zu erlangen.
(2) Entsprechendes gilt, wenn mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften an dem
Umwandlungsvorgang beteiligt sind. In diesem Fall muss bei der Verschmelzung die Nachbehaltensfrist nur in Bezug
auf die aufnehmende Gesellschaft und die Vorbehaltensfrist in Bezug auf die beiden abhängigen Gesellschaften
eingehalten werden. Bei der Abspaltung oder Ausgliederung zur Neugründung muss die Vorbehaltensfrist nur in
Bezug auf die abgebende Gesellschaft und die Nachbehaltensfrist in Bezug auf beide abhängigen Gesellschaften
eingehalten werden.
(3) Eine solche (weite) Auslegung des § 6a GrEStG findet ihren Anknüpfungspunkt in der Systematik der Vorschrift.
Nach § 6a Satz 1 Halbsatz 1 GrEStG wird ausdrücklich für einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a oder 3 GrEStG
steuerbaren Rechtsvorgang aufgrund einer Umwandlung i.S. des § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Steuer nicht
erhoben. Der Verweis auf § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG schließt die Verschmelzung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG),
die Aufspaltung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 1 UmwG), die Abspaltung und die Ausgliederung von Vermögen zur
Neugründung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, § 123 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2,
(
Begünstigung ein. § 6a Satz 1 GrEStG differenziert nicht danach, in welcher Richtung, horizontal auf eine
Schwestergesellschaft oder vertikal auf die Muttergesellschaft, eine Gesellschaft verschmolzen wird, sondern
begünstigt alle dort genannten Umwandlungsvorgänge gleichermaßen, auch wenn nur ein herrschendes
Unternehmen und eine abhängige Gesellschaft an dem Umwandlungsvorgang beteiligt sind. Hätte der
Anwendungsbereich des § 6a GrEStG nur auf solche Umwandlungsvorgänge beschränkt sein sollen, bei denen
bereits ein Verbund aus mehreren Unternehmen besteht und nach dem Umwandlungsvorgang auch weiter besteht,
hätte dies in § 6a Satz 1 GrEStG seinen Niederschlag finden müssen.
(4) Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des § 6a GrEStG. Der Gesetzgeber wollte mittels der
Steuerbegünstigung nach § 6a GrEStG Umstrukturierungen innerhalb von Konzernen erleichtern, damit Unternehmen
flexibel auf Veränderungen der Marktverhältnisse reagieren können (BTDrucks 17/147, 10). Das schließt auch solche
Umwandlungsvorgänge ein, durch die ein Konzern beendet oder neu begründet wird. Es ist kein sachlicher Grund
erkennbar, nur bestimmte Umwandlungsvorgänge, z.B. Verschmelzungen auf Schwestergesellschaften, zu
begünstigen, zumal die Begünstigungswirkungen des § 6a GrEStG nach der Vorstellung des Gesetzgebers allen
Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugutekommen und die Erfassung aller Umwandlungsvorgänge
einer gleichmäßigen Wirkung der Begünstigung dienen sollten (BTDrucks 17/147, 10). Der Begünstigungszweck
würde verfehlt, schlösse man diejenigen Umwandlungsvorgänge, die in der Praxis sehr häufig vorkommen, nämlich
die vertikale Verschmelzung und die Abspaltung oder Ausgliederung zur Neugründung, von vornherein aus dem
Anwendungsbereich des § 6a GrEStG aus.
(5) Die Auslegung steht schließlich nicht im Widerspruch zu dem durch § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG verfolgten Zweck,
ungewollte Mitnahmeeffekte zu vermeiden (vgl. BTDrucks 17/147, 10). In Verschmelzungsfällen muss nach § 6a
Sätze 3 und 4 GrEStG die Vorbehaltensfrist gewahrt sein, d.h. das qualifizierte Abhängigkeitsverhältnis muss vor dem
Umwandlungsvorgang fünf Jahre Bestand gehabt haben. In den Fällen der Abspaltung oder Ausgliederung zur
Neugründung muss die Nachbehaltensfrist gewahrt bleiben, d.h. das durch den Umwandlungsvorgang begründete
Abhängigkeitsverhältnis muss nach dem Vorgang mindestens fünf Jahre bestehen. Kurzfristige Gestaltungen, wie sie
§ 6a Sätze 3 und 4 GrEStG in Anlehnung an §§ 5 und 6 GrEStG verhindern will (vgl. BTDrucks 17/147, 10), sind
folglich auch in Verschmelzungs-, Abspaltungs- oder Ausgliederungsfällen ausgeschlossen.
(6) Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung findet weder im Wortlaut oder in der Systematik des § 6a
GrEStG noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze. Die Vorstellung des "Verbundes" ist dort weder begrifflich noch
konzeptionell angelegt. Es ist kein gesetzesimmanenter sachlicher Grund dafür ersichtlich, z.B. die Verschmelzung auf
eine Schwestergesellschaft bei Erfüllen der Nachbehaltensfrist durch die aufnehmende Gesellschaft zu begünstigen,
die Abspaltung oder Ausgliederung auf eine neu gegründete Schwestergesellschaft bei Erfüllen der Vorbehaltensfrist
durch die abgebende Gesellschaft hingegen nicht. Beide Umwandlungsvorgänge sind lediglich das wirtschaftliche und
rechtliche Spiegelbild des jeweils anderen Umwandlungsvorgangs und finden innerhalb des Konzerns ohne
Beteiligung Dritter statt. Dasselbe gilt für die (vertikale) Verschmelzung einer Tochtergesellschaft auf die
Muttergesellschaft oder einer Enkelgesellschaft auf die Tochtergesellschaft und --spiegelbildlich-- die Abspaltung oder
Ausgliederung auf solche Gesellschaften. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb diese Umwandlungsvorgänge nicht
unter § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG fallen sollten, wenn man --wie die Finanzverwaltung-- einzelne
Umwandlungsvorgänge auf der horizontalen Ebene zulässt.
e) Da § 6a GrEStG nicht darauf abstellt, dass der abgebende Rechtsträger das Grundstück innerhalb von fünf Jahren
vor dem Umwandlungsvorgang erworben hat und der übernehmende Rechtsträger das Grundstück fünf Jahre nach
dem Umwandlungsvorgang behält, stehen im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Umwandlungsvorgang
verwirklichte andere Erwerbsvorgänge der Anwendung des § 6a GrEStG nicht entgegen.
f) Nach diesen Grundsätzen ist Grunderwerbsteuer im Streitfall nach § 6a GrEStG nicht zu erheben. Die
Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung sind erfüllt.
aa) Die Klägerin ist "herrschendes Unternehmen" i.S. des § 6a GrEStG, denn dieser Begriff erfasst alle Rechtsträger
i.S. des Grunderwerbsteuerrechts und gilt selbst für natürliche Personen, die die Beteiligung an der abhängigen
Gesellschaft im Privatvermögen halten und über die Beteiligung am Markt wirtschaftlich tätig sind.
bb) § 6a Satz 4 GrEStG schließt die Steuerbegünstigung im Streitfall nicht aus. An dem Umwandlungsvorgang sind
--wie § 6a Satz 3 GrEStG voraussetzt-- ausschließlich die Klägerin als herrschendes Unternehmen und die GmbH als
abhängige Gesellschaft beteiligt. Die Klägerin war vor dem Umwandlungsvorgang mehr als fünf Jahre zu 100 % an
der GmbH beteiligt. Unerheblich ist, dass die Klägerin nach dem Umwandlungsvorgang nicht an der GmbH beteiligt
blieb, weil die GmbH aufgrund der Verschmelzung erloschen ist. Die Nichteinhaltung der Nachbehaltensfrist beruht auf
umwandlungsbedingten Gründen.
cc) Ebenso unerheblich für die Anwendung des § 6a GrEStG ist der Umstand, dass durch den Umwandlungsvorgang
das Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der GmbH beendet wurde. Eine Einschränkung dahingehend,
dass solche Umwandlungsvorgänge aus dem Anwendungsbereich des § 6a GrEStG herausfallen, lässt sich --wie
ausgeführt-- weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Norm entnehmen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus
Siehe auch: Pressemitteilung Nr. 9/20 vom 13.2.2020
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:21.08.2019
Aktenzeichen:II R 15/19
Rechtsgebiete:
Grunderwerbsteuer
Umwandlungsrecht
GrEStG §§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 6a; UmwG §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 Abs. 2 Nr. 2; AEUV Art. 107 Abs. 1