BGH 14. Juli 2020
II ZR 255/18
AktG § 122 Abs. 3 S. 1

Bekanntmachung der Gegenstände der Tagesordnung nach Ergänzungsverlangen der Minderheitsaktionäre

letzte Aktualisierung: 11.2.2021
BGH, Urt. v. 14.7.2020 – II ZR 255/18

AktG § 122 Abs. 3 S. 1
Bekanntmachung der Gegenstände der Tagesordnung nach Ergänzungsverlangen der
Minderheitsaktionäre

Die aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung der Minderheitsaktionäre auf die Tagesordnung zu
setzenden Gegenstände müssen bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft so rechtzeitig
bekanntgemacht werden, dass die Aktionäre ausreichend Zeit haben, sich mit der ergänzten Tagesordnung zu
befassen, darüber zu befinden, ob sie an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, und die
Teilnahmevoraussetzungen zu erfüllen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Die von der Hauptversammlung der Beklagten
am 29. Juli 2016 zu Tagesordnungspunkt 2 (Sonderprüfung betreffs Vorgänge
in der Geschäftsführung) und zu Tagesordnungspunkt 3 (Sonderprüfung betreffs
Verflechtung von K. AG und . AG) gefassten Beschlüsse
sind gesetzwidrig zustande gekommen und daher für nichtig zu erklären
(§ 243 Abs. 1 AktG).

I. Das Berufungsgericht (OLG München, AG 2018, 761) hat seine Entscheidung,
soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen
wie folgt begründet:

Zu Recht habe das Landgericht einen Verstoß gegen die Einberufungsvorschriften
der § 124 Abs. 1 Satz 1, § 123 Abs. 4 AktG verneint, da es davon
ausgegangen sei, dass die Bekanntmachung der aufgrund Ermächtigungsbeschluss
ergänzten Tagesordnungspunkte im Bundesanzeiger rechtzeitig, nämlich
am letzten möglichen Tag vor dem Ablauf der Frist zur Anmeldung erfolgt
sei. Einem Aktionär sei zuzumuten, dass er die Veröffentlichungen im Bundesanzeiger
zeitnah verfolge.

Wie das Erstgericht zutreffend festgestellt habe, seien nach § 124 Abs. 1
Satz 1 AktG Gegenstände, die auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen,
unverzüglich nach Zugang des Verlangens durch den Vorstand bekannt zu
machen. Wie im Falle der Ermächtigung zur Bekanntmachung von Beschlussgegenständen
der Tagesordnung durch das Gericht zu verfahren sei, sei nicht
geregelt. Bei börsennotierten Gesellschaften werde aufgrund einer richtlinienkonformen
Auslegung der Aktionärsrechterichtlinie davon auszugehen sein,
dass die Bekanntmachung zeitlich vor dem Nachweisstichtag des § 123 Abs. 4
AktG erfolgen müsse. Die allein börsennotierte Unternehmen betreffende Bewertung
könne nicht auf andere Gesellschaften übertragen werden. Das habe
für den vorliegenden Fall zur Folge, dass die Veröffentlichung der Ergänzung
der Tagesordnung, die auf einem Ermächtigungsbeschluss gründe, keine zeitliche
Grenze in dem Zeitpunkt des Nachweisstichtags finde.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die
von der Hauptversammlung der Beklagten am 29. Juli 2016 zu Tagesordnungspunkt
2 (Sonderprüfung betreffs Vorgänge in der Geschäftsführung) und
zu Tagesordnungspunkt 3 (Sonderprüfung betreffs Verflechtung von K.
AG und Ka. AG) gefassten Beschlüsse beruhen auf einer verspäteten
und damit nicht ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung,
weshalb sie für nichtig zu erklären sind.

1. Die aufgrund einer gerichtlichen Ermächtigung der Minderheitsaktionäre
gemäß § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG auf die Tagesordnung zu setzenden Gegenstände
müssen bei einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft so rechtzeitig
bekannt gemacht werden, dass die Aktionäre ausreichend Zeit haben,
sich mit der ergänzten Tagesordnung zu befassen, darüber zu befinden, ob sie
an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, und die Teilnahmevoraussetzungen
zu erfüllen.

a) Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 AktG ist die Hauptversammlung mindestens
dreißig Tage vor dem Tage der Versammlung einzuberufen, wobei der Tag der
Einberufung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht mitzurechnen ist. In der Einberufung
ist nach § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG die Tagesordnung anzugeben. Sinn
der Bekanntmachung der Tagesordnungspunkte einschließlich der Beschlussvorschläge
mit der Einberufung ist eine sachgemäße Information der Aktionäre,
aufgrund der sie nicht nur in die Lage versetzt werden sollen, sich mit den ein-
zelnen Gegenständen der Tagesordnung zu befassen und aufgrund dieser
Vorbereitung ihr Rede-, Frage- und Stimmrecht sinnvoll auszuüben, sondern
auch, darüber zu befinden, ob sie überhaupt an der Hauptversammlung - selbst
oder vertreten durch Dritte - teilnehmen wollen (BGH, Urteil vom 25. November
2002 - II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36).

b) Das Recht der Aktionäre auf sachgerechte Information muss genauso
gewahrt werden, wenn die Gegenstände der Tagesordnung nicht in der Einberufung,
sondern später nach einem Ergänzungsverlangen einer Minderheit bekanntgemacht
werden.

Ist das Verlangen nach § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG, Gegenstände auf die
Tagesordnung zu setzen und bekanntzumachen, der Gesellschaft, wie im vorliegenden
Fall der Beklagten, erst nach der Einberufung der Hauptversammlung
zugegangen, sind die von dem Ergänzungsverlangen erfassten Gegenstände
nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AktG unverzüglich nach Zugang des Verlangens bekannt
zu machen. Das gilt auch dann, wenn die Tagesordnung einer Hauptversammlung,
die auf ein Minderheitsverlangen hin einberufen wurde, ergänzt
werden soll (Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 35;
KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 122 Rn. 58).

Das Erfordernis einer unverzüglichen Bekanntmachung ist nicht nur als
Handlungsanweisung an den Vorstand zu verstehen, für eine schnelle
Bekanntmachung der Gegenstände zu sorgen, damit das Anliegen der Minderheit
noch auf einer anstehenden Hauptversammlung behandelt werden kann.
Der Vorstand trägt damit auch den berechtigten Informationsinteressen der anderen
Aktionäre Rechnung. Denn der der Verpflichtung zur Bekanntmachung
der Tagesordnungspunkte mit der Einberufung innewohnende Zweck einer
sachgemäßen Information der Aktionäre (BGH, Urteil vom 25. November 2002
- II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36) kommt auch dem in § 124 Abs. 1 Satz 1 AktG
geregelten Erfordernis der unverzüglichen Bekanntmachung die Tagesordnung
ergänzender Gegenstände zusammen mit dem in § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG
angeordneten Mindestabstand des Ergänzungsverlangens zur Hauptversammlung
von 24 Tagen zu. Damit sachgerecht über ergänzte Gegenstände beraten
und gegebenenfalls abgestimmt werden kann, müssen die Aktionäre vor der
Hauptversammlung ausreichend Zeit zur Vorbereitung haben. Gegebenenfalls
wird zudem die Entscheidung zur Teilnahme an der Hauptversammlung durch
die ergänzten Tagesordnungspunkte beeinflusst. Daher muss, wenn ergänzte
Gegenstände zur Tagesordnung erst nach der Einberufung bekannt gemacht
werden, vor der Hauptversammlung oder vor dem letzten Anmelde- und/oder
Nachweistag ein angemessener Prüfungszeitraum für die Aktionäre verbleiben
(vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie
[ARUG], BT-Drucks. 16/11642, S. 30; Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl., § 124
Rn. 1; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 124 Rn. 1; Heidel/Müller, AktG, 5. Aufl.,
§ 124 Rn. 2, 5; Hölters/Drinhausen, AktG, 3. Aufl., § 124 Rn. 2, 4; Rieckers in
Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 124 Rn. 1, 4; MünchKommAktG/Kubis, 4. Aufl.,
§ 124 Rn. 1; Butzke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 124 Rn. 12). Auch die dem
Vorstand zuzubilligende Frist zur rechtlichen Überprüfung des Ergänzungsverlangens
darf nicht dazu führen, dass die Ergänzung der Tagesordnung nicht
mehr rechtzeitig bekannt gemacht werden kann (vgl. Grigoleit/Herrler, AktG,
2. Aufl., § 124 Rn. 2; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 124 Rn. 2; Hölters/
Drinhausen, AktG, 3. Aufl., § 124 Rn. 2, 4; Ziemons in K. Schmidt/Lutter,
4. Aufl., § 122 Rn. 50; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 46,
§ 124 Rn. 4; MünchKommAktG/Kubis, 4. Aufl., § 122 Rn. 38, § 124 Rn. 4;
KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 122 Rn. 75, § 124 Rn. 22; Butzke in
Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 122 Rn. 66).

c) Das Recht der Aktionäre auf sachgerechte Information muss auch
dann im Spannungsverhältnis mit dem Recht der Minderheit, die Möglichkeit zu
erhalten, den Willen anderer Aktionäre in einer Hauptversammlung zu beeinflussen,
gewahrt werden, wenn nicht der Vorstand, sondern die Minderheitsaktionäre
die ergänzte Tagesordnung nach einer gerichtlichen Ermächtigung bekanntmachen.
aa) Wird dem Verlangen nach § 122 Abs. 2 AktG, dass Gegenstände auf
die Tagesordnung gesetzt und bekanntgemacht werden, nicht entsprochen,
kann das Gericht die Aktionäre, die das Verlangen gestellt haben, auf Antrag
ermächtigen, den Gegenstand bekanntzumachen (§ 122 Abs. 3 Satz 1 AktG).
Der Vorstand entspricht dem Ergänzungsverlangen nicht, wenn er es ausdrücklich
zurückweist, oder - wie vorliegend - über eine ihm zuzubilligende Prüfungsfrist
hinaus untätig bleibt (vgl. Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl., § 122 Rn. 15;
Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 51;
MünchKommAktG/Kubis, 4. Aufl., § 122 Rn. 46; KK-AktG/Noack/Zetzsche,
3. Aufl., § 122 Rn. 85; Butzke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 122 Rn. 78 ff.).

bb) Der Normzweck des § 122 AktG, einer Minderheit von Aktionären die
Möglichkeit der Willensbeeinflussung der anderen Aktionäre in einer Hauptversammlung
zu gewähren, steht im Spannungsverhältnis zu deren berechtigtem
Interesse an einer sachgerechten Information. Die den Minderheitsaktionären
eingeräumte Möglichkeit, bei Ablehnung oder bei Nichtbeachtung eines Ergänzungsverlangens
durch den Vorstand das Gericht um die Ermächtigung zur Bekanntmachung
nachzusuchen, darf nicht einseitig zu Lasten des berechtigten
Informationsinteresses der anderen Aktionäre gehen. Die Beachtung des
Rechts der Aktionäre auf sachgemäße Information macht es erforderlich, dass
die auf die Tagesordnung zu setzenden Gegenstände bei einer gerichtlichen
Ermächtigung zur Bekanntmachung nach § 122 Abs. 3 AktG so rechtzeitig be-
kannt gemacht werden, dass die sachgerechte Information der Aktionäre
sichergestellt ist (Butzke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 122 Rn. 101).

Denn während die Rechte der anderen Aktionäre gravierend, nur durch
erneute Beschlussfassung heilbar, verletzt wären, wenn über einen, ihr Informationsinteresse
missachtend verspätet bekanntgemachten Tagesordnungspunkt
abgestimmt werden dürfte, können die Minderheitsaktionäre ihr Interesse weiter
durchsetzen, müssen also in der Regel lediglich eine Verzögerung hinnehmen.
Die Minderheitsaktionäre können ihr Anliegen entweder bei der nächsten anstehenden
oder bei einer von ihnen mit Hilfe des Gerichts durchgesetzten
Hauptversammlung zum Gegenstand der Tagesordnung machen.

(1) Die gerichtliche Ermächtigung zur Bekanntmachung ergänzender
Tagesordnungspunkte gilt für die folgende Hauptversammlung, wenn von ihr für
die anstehende Hauptversammlung im Hinblick auf die Bekanntmachungsfrist
kein Gebrauch mehr gemacht werden kann. Die Stellung eines erneuten Ergänzungsverlangens,
das je nach Reaktion des Vorstands erneut gerichtlich
durchgesetzt werden müsste, ist der Minderheit nicht zuzumuten (zutreffend
KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 122 Rn. 113; zweifelnd Butzke in
Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 122 Rn. 101; aA Mertens, AG 1997, 481, 490).
Insoweit gilt nichts anderes als bei der gerichtlichen Ermächtigung zur Einberufung
einer Hauptversammlung. Die gerichtliche Ermächtigung ist grundsätzlich
erst erschöpft, wenn die Hauptverhandlung gesetzes- und satzungsgemäß einberufen
und durchgeführt worden ist. Das folgt aus dem Zweck der Ermächtigung.
§ 122 Abs. 1 bis 3 AktG gewährleistet Minderheitsaktionären, dass die
Hauptversammlung zusammentritt und sich mit Angelegenheiten befasst, deren
Behandlung diese Aktionäre wünschen. Das Verlangen ist erst erfüllt, wenn die
Hauptversammlung sich mit den der beantragten Ermächtigung zugrundeliegenden
Gegenständen befasst hat (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012
- II ZB 17/11, ZIP 2012, 1313 Rn. 8; Urteil vom 30. Juni 2015 - II ZR 142/14,
BGHZ 206, 143 Rn. 27; Urteil vom 10. Oktober 2017 - II ZR 375/15, BGHZ 216,
110 Rn. 68).

(2) Unabhängig davon könnten die Minderheitsaktionäre ihr Verlangen,
dass Gegenstände auf die Tagesordnung gesetzt und bekanntgemacht werden,
weit im Vorfeld der nächsten erreichbaren Hauptversammlung vor deren Einberufung
erneut stellen (Butzke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 122 Rn. 57;
KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 122 Rn. 64 mwN). Der Vorstand muss
nach erneutem Ergänzungsverlangen vor der Einberufung die Gegenstände mit
der Einberufung bekanntmachen (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AktG). Unterlässt der
Vorstand das, kommt das einer Ablehnung gleich und die Minderheitsaktionäre
können unmittelbar nach der Einberufung bei Gericht um die Ermächtigung zur
Bekanntmachung nachsuchen. In diesem Fall können die Minderheitsaktionäre
die Gegenstände nach der gerichtlichen Ermächtigung so rechtzeitig bekanntmachen,
dass das Informationsinteresse der anderen Aktionäre gewahrt wird.

(3) Letztlich müssen die Minderheitsaktionäre nicht bis zur nächsten,
vom Vorstand aus eigenem Antrieb einberufenen Hauptversammlung zuwarten.
Sie können selbst aktiv werden und nach § 122 Abs. 1 AktG verlangen, dass
der Vorstand eine Hauptversammlung einberuft, damit diese sich mit den der
beantragten Ermächtigung zugrundeliegenden Gegenständen befasst. Hierbei
ist zwar zu beachten, dass das Einberufungsverlangen an dem vorgeschriebenen
Quorum scheitert, wenn die Anteile der Minderheit zusammen den anteiligen
Betrag von 500.000
Grundkapitals. Diese Einschränkung betrifft indes größere Gesellschaften und
daher in der Regel nicht die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen,
nicht börsennotierten Aktiengesellschaften. Auch bei der Beklagten liegt die
Schwelle von 5 % des Grundkapitals unterhalb der Betragsschwelle von
500.000 zung der Tagesordnung verlangen
kann, in der Lage ist, die Einberufung einer Hauptversammlung durchzusetzen.
Kommt der Vorstand dem Verlangen nicht nach, kann sich die Minderheit
nach § 122 Abs. 3 AktG zur Einberufung einer Hauptversammlung und
der Bekanntmachung von Tagesordnungspunkten ermächtigen lassen. Die von
den Minderheitsaktionären nach gerichtlicher Ermächtigung gemäß § 122
Abs. 3 AktG einberufene Hauptversammlung kann der Vorstand dann nicht
mehr absagen, weshalb die Minderheitsaktionäre auch gegen einen obstruierenden
Vorstand durchsetzen können, dass sich die Hauptversammlung mit
Angelegenheiten befasst, deren Behandlung sie wünschen. Die mit der Verweisung
der Aktionäre auf das Verfahren der gerichtlichen Ermächtigung nach
§ 122 Abs. 3 AktG gegebenenfalls verbundene Verzögerung ist nach der Wertung
des Gesetzgebers grundsätzlich hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom
30. Juni 2015 - II ZR 142/14, BGHZ 206, 143 Rn. 27).

(4) Soweit sich das Anliegen der Minderheit auf Gegenstände der
Tagesordnung der aktuellen Hauptversammlung bezieht, bedürfen Anträge
hierzu nach § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG ohnehin keiner Bekanntmachung.

d) Die Bekanntmachung durch den Nebenintervenienten zu 2 am letzten
Tag, an dem eine Anmeldung zur Hauptversammlung der Beklagten möglich
war, war verspätet und verletzte daher das Recht der Aktionäre auf sachgerechte
Information. Die Tagesordnung ergänzende Gegenstände sind durch
hierzu gerichtlich ermächtigte Minderheitsaktionäre in angemessener Frist vor
der Hauptversammlung oder, sofern die Satzung eine Anmelde- und/oder
Nachweisfrist bestimmt, vor dem letzten Anmelde- und/oder Nachweistag bekanntzumachen.

aa) Nach § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG kann die Satzung die Teilnahme an
der Hauptversammlung oder die Ausübung des Stimmrechts davon abhängig
machen, dass die Aktionäre sich vor der Versammlung anmelden. Die Beklagte
hat von den in § 123 Abs. 2 und 3 AktG eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch
gemacht und in § 15 ihrer Satzung geregelt, dass diejenigen Aktionäre zur Teilnahme
an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts in der
Hauptversammlung berechtigt sind, die spätestens am vierten Werktag vor dem
Versammlungstag die Ausstellung einer Stimmkarte beantragt haben. Weiter
bestimmt § 15 der Satzung der Beklagten, dass die Aktionäre sich spätestens
an demselben Tag unter anderem durch Hinterlegung bei der Gesellschaft oder
durch Vorlage einer Hinterlegungsbescheinigung einen Tag danach, legitimieren
müssen.

bb) Die Bekanntmachung der Tagesordnungspunkte 2 und 3 am 25. Juli
2016, dem letzten Tag, an dem eine Anmeldung und Legitimation für die
Hauptversammlung der Beklagten vom 29. Juli 2016 möglich war, verletzte das
Recht der Aktionäre auf sachgerechte Information.

(1) Zutreffend hat es das Berufungsgericht allerdings abgelehnt, den in
§ 123 Abs. 4 Satz 2 AktG geregelten Nachweisstichtag bei einer nicht börsennotierten
Aktiengesellschaft als Grenze für die Bekanntmachung nach gerichtlicher
Ermächtigung festzulegen. Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2007/36/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung
bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften
(Abl. L 184 S. 17; im Folgenden: Aktionärsrechterichtlinie) bestimmt, dass die
Bekanntmachung "vor dem geltenden Nachweisstichtag im Sinne des Artikels 7
Absatz 2 erfolgt". Um dieser Vorgabe der Aktionärsrechterichtlinie zu genügen,
muss bei börsennotierten Inhaberaktien, für die § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG den
Nachweisstichtag auf den Beginn des 21. Tages vor der Hauptversammlung
legt, die geänderte Tagesordnung spätestens am 22. Tag vor der Hauptversammlung
bekannt gemacht werden. Das deutsche Recht trägt dem durch
§ 122 Abs. 2 Satz 3 AktG Rechnung, wonach Anträge auf Ergänzung der
Tagesordnung bei börsennotierten Gesellschaften mindestens 30 Tage vor der
Hauptversammlung zugehen müssen. So bleibt auch bei Inhaberaktien ein Zeitrahmen,
der die Einhaltung der Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie erlaubt
(Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl., § 124 Rn. 2; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl.,
§ 124 Rn. 2; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 44, § 124
Rn. 4; KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 124 Rn. 23; Butzke in Großkomm.
AktG, 5. Aufl., § 124 Rn. 12 f.). Bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften
taugt der Nachweisstichtag als zeitliche Grenze der Bekanntmachung durch
den Vorstand nach einem Minderheitenverlangen nicht, da das Ergänzungsverlangen
nach § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG erst 24 Tage vor der Hauptversammlung
eingehen muss und eine Veröffentlichung der ergänzten Tagesordnung nach
sachgerechter Prüfung durch den Vorstand vor dem Nachweisstichtag nicht
möglich ist (OLG Frankfurt, ZIP 2017, 1714, 1715; von der Linden, EWiR 2017,
653 f.; Rieckers, DB 2017, 2786, 2791; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 123
Rn. 2; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl., § 122 Rn. 44, § 124 Rn. 4). Diese
Erwägung gilt erst recht für die Bekanntmachung aufgrund einer gerichtlichen
Ermächtigung, die zeitlich später erteilt wird.

(2) Ergänzende Gegenstände zur Tagesordnung sind durch hierzu gerichtlich
ermächtigte Minderheitsaktionäre bei einer nicht börsennotierten Gesellschaft
so zeitig vor der Hauptversammlung oder, sofern die Satzung eine
Anmelde- und/oder Nachweisfrist bestimmt, vor dem letzten Anmelde- und/oder
Nachweistag bekanntzumachen, dass die Aktionäre ausreichend Zeit haben,
sich mit der ergänzten Tagesordnung zu befassen, darüber zu befinden, ob sie
an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, und die Teilnahmevoraussetzungen
zu erfüllen.

Zur Bestimmung eines das Recht der Aktionäre auf sachgerechte Information
wahrenden Zeitraums für die Bekanntmachung von Gegenständen nach
einer gerichtlichen Ermächtigung im Sinne des § 122 Abs. 3 AktG wird als Ausgangspunkt
die in der Fristenregelung für das Ergänzungsverlangen zum Ausdruck
kommende Wertung des Gesetzgebers für die Bekanntmachung durch
den Vorstand bei börsennotierten Aktiengesellschaften herangezogen. Da das
Verlangen 30 Tage vor der Versammlung zu stellen ist (§ 122 Abs. 2 Satz 3
AktG) stehen bei Beachtung des Nachweisstichtags in § 123 Abs. 4 Satz 2
AktG neun Tage für die nachträgliche Bekanntmachung zur Verfügung (vgl.
KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 124 Rn. 23). Aus dem Umstand, dass
neun Tage für Prüfung und Bekanntmachung in jedem Fall genügen müssen,
wird gefolgert, dass die Ergänzung der Tagesordnung durch den Vorstand bei
nicht börsennotierten Aktiengesellschaften spätestens fünfzehn Tage vor der
Hauptversammlung bekannt gemacht werden muss (Butzke in Großkomm.
AktG, 5. Aufl., § 124 Rn. 13, 14).

Ob dieser Ansicht auch für die Bekanntmachung durch die Minderheit zu
folgen ist bedarf hier keiner Entscheidung. Die nach der Bekanntmachung der
ergänzten Tagesordnung der Hauptversammlung der Beklagten verbleibende
Zeitspanne war jedenfalls nicht mehr angemessen. Die Tagesordnung der
Hauptversammlung der Beklagten war um zwei Tagesordnungspunkte ergänzt
worden. Beide betrafen die Veranlassung von Sonderprüfungen. Sie waren
einmal in verschiedene Vorwürfe gegen die Geschäftsführung des Vorstands
der Beklagten und zum anderen in die Überprüfung der Rechts- und Geschäftsbeziehungen
der Beklagten mit der Klägerin zu 2 und dieser nahestehender
im einzelnen bezeichneter Personen und Unternehmen gegliedert. Die
nach der Bekanntmachung im Verlauf des letzten Tages, an dem eine Anmeldung
möglich war, verbleibende Zeitspanne war zu kurz, um den Aktionären die
Befassung mit der ergänzten Tagesordnung und die Entscheidung über eine
Teilnahme zu ermöglichen, noch eine Stimmkarte zu beantragen sowie den
Hinterlegungsanforderungen nachzukommen.

2. Die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 29. Juli
2016 zu den Tagesordnungspunkten 2 und 3 sind wegen der verspäteten Bekanntmachung
für nichtig zu erklären.

a) Die nicht ordnungsgemäße Bekanntmachung der Tagesordnung führt
als Gesetzesverstoß regelmäßig auf eine Anfechtungsklage hin zur Nichtigerklärung
der die entsprechenden Tagesordnungspunkte betreffenden Beschlüsse.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist für die Nichtigerklärung bei einem
Gesetzes- oder Satzungsverstoß nach § 243 Abs. 1 AktG die Relevanz des
Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht eines objektiv
urteilenden Aktionärs maßgebend, im Sinne eines dem Beschluss anhaftenden
Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten
Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gemäß
§ 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt (BGH, Urteil vom 12. November 2001
- II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f.; Urteil vom 25. November 2002
- II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36 f.; Urteil vom 20. September 2004
- II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 255 f.; Urteil vom 18. Oktober 2004
- II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 391 f.; Urteil vom 10. Oktober 2017
- II ZR 375/15, BGHZ 216, 110 Rn. 74). Die Anfechtbarkeit ist danach nur dann
ausgeschlossen, wenn dem Verfahrensverstoß die für eine sachgerechte
Meinungsbildung eines objektiv urteilenden Aktionärs erforderliche Relevanz
fehlt.

b) Die Relevanz ist bei Bekanntmachungsmängeln i.S.v. § 124 Abs. 4
Satz 1 AktG regelmäßig zu bejahen. Nach dieser Vorschrift dürfen über Gegenstände
der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden
sind, keine Beschlüsse gefasst werden. Der Regelung liegt die gesetzliche Wertung
zugrunde, dass Bekanntmachungsmängel für das Teilhaberecht des Aktionärs
grundsätzlich von Bedeutung sind (BGH, Urteil vom 12. November 2001
- II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f.; Urteil vom 20. September 2004
- II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 255 f.; Urteil vom 10. Oktober 2017
- II ZR 375/15, BGHZ 216, 110 Rn. 75). Das gilt insbesondere für die rechtzeitige
Bekanntmachung ergänzender Tagesordnungspunkte, durch die den Aktionären
ausreichend Zeit eingeräumt werden soll, sich mit der ergänzten Tagesordnung
zu befassen und aufgrund dieser Vorbereitung ihr Rede-, Frage- und
Stimmrecht sinnvoll auszuüben, und insbesondere darüber zu befinden, ob sie
an der Hauptversammlung teilnehmen wollen. Gerade die Entscheidung über
die Teilnahme kann durch die Fehlerhaftigkeit der Bekanntmachung insbesondere
im Hinblick auf das in § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG ausgesprochene gesetzliche
Verbot, über fehlerhaft bekannt gemachte Gegenstände der Tagesordnung
Beschluss zu fassen, beeinflusst werden. Das Verbot des § 124 Abs. 4 Satz 1
AktG bezweckt gerade auch den Schutz der nicht in der Hauptversammlung
erschienenen Aktionäre (BGH, Urteil vom 25. November 2002 - II ZR 49/01,
BGHZ 153, 32, 36 f.).

Angesichts der Bedeutung, die der rechtzeitigen Information über ergänzte
Gegenstände der Tagesordnung für die Aktionäre zukommt, ist der Gesetzesverstoß,
der in der verspäteten Bekanntmachung am letzten möglichen
Tag der Anmeldung zur Hauptversammlung liegt, zudem auch nicht etwa so
marginal, dass ihm ausnahmsweise die erforderliche Relevanz für eine sachgerechte
Meinungsbildung der Aktionäre abzusprechen wäre (vgl. BGH, Urteil
vom 25. November 2002 - II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 37).

c) Die Klägerinnen sind nicht ausnahmsweise daran gehindert, den Bekanntmachungsmangel
geltend zu machen.

aa) Es handelt sich vorliegend nicht um einen atypischen Sonderfall, in
dem es den Klägerinnen verwehrt wäre, sich auf den Bekanntmachungsmangel
zu stützen. Der Senat hat dies in einem Fall angenommen, in dem der Bekanntmachungsfehler
für das Teilnahme- und Abstimmungsverhalten des klagenden
Vorstandsmitglieds keine Bedeutung hatte, weil ihm die nicht bekanntgemachte
Information ohnehin bekannt sein konnte und musste (vgl. dazu
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - II ZR 375/15, BGHZ 216, 110 Rn. 76 f.).
Das kann hier für die von dem Informationsmangel betroffenen Aktionäre nicht
angenommen werden. Diese hatten keine ausreichende Zeit, sich eine Meinung
darüber zu bilden, ob sie an der Hauptversammlung und der Beschlussfassung
über die ergänzten Tagesordnungspunkte teilnehmen wollen und einen eventuellen
Teilnahmewillen umzusetzen.

bb) Die Anfechtung der Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 2
und 3 durch die Klägerinnen ist nicht rechtsmissbräuchlich. Für die Annahme
eines zum Verlust der Anfechtungsbefugnis führenden Rechtsmissbrauchs sind
keine hinreichenden Anhaltspunkte vorgetragen.

Der Einwand eines individuellen Rechtsmissbrauchs durch Erhebung der
Anfechtungsklage ist zwar grundsätzlich möglich. Die allgemeine Kontrollfunktion
der Anfechtungsklage berührt den individuellen Charakter des Anfechtungsrechts
des Aktionärs nicht. Ihm verbleibt in jedem Stadium des Verfahrens die
Verfügungsbefugnis über sein Anfechtungsrecht. Wegen der im allgemeinen
Interesse liegenden Kontrollfunktion des Anfechtungsrechts kommen Beschränkungen
der gesetzlichen Anfechtungsbefugnis aufgrund eines individuellen
Rechtsmissbrauchs aber allenfalls ausnahmsweise bei einzelnen klar abgrenzbaren
Fallgestaltungen in Betracht (BGH, Urteil vom 30. Juni 2015
- II ZR 142/14, BGHZ 206, 143 Rn. 49).

Ob die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgestellte Behauptung,
die Nichtbekanntmachung des Ergänzungsverlangens durch den
Vorstand der Beklagten und demzufolge die verspätete Bekanntmachung aufgrund
der gerichtlichen Ermächtigung habe ihre Ursache in einem kollusiven
Zusammenwirken der Klägerinnen mit dem Vorstand der Beklagten, den
Rechtsmissbrauch der Anfechtung begründen könnte, bedarf keiner Entscheidung.
Die Rüge scheitert bereits daran, dass die Revisionserwiderungen keinen,
einen solchen Sachverhalt ausfüllenden Tatsachenvortrag aufgezeigt
haben.

III. Das Berufungsurteil ist daher im aus dem Urteilsausspruch ersichtlichen
Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache
selbst entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3
ZPO).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

14.07.2020

Aktenzeichen:

II ZR 255/18

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

AktG § 122 Abs. 3 S. 1