Anfechtung der Ausschlagung einer Erbschaft wegen Zusammensetzung des Nachlasses
letzte Aktualisierung: 8.8.2025
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.7.2025 – 3 W 63/25
BGB §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 2
Anfechtung der Ausschlagung einer Erbschaft wegen Zusammensetzung des Nachlasses
1. Nicht die Überschuldung als solche ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses,
sondern nur dessen Zusammensetzung, namentlich der Bestand an Aktiva oder Passiva.
2. Die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung ist erst im Rahmen der Kausalitätsprüfung
zu berücksichtigen.
3. Erklärt der Erbe die Erbausschlagung auf einer rein spekulativen und bewusst ungesicherten
Grundlage und lässt er sich bei seiner Entscheidung von bloßen Vermutungen und Befürchtungen
leiten, beruht seine Ausschlagungserklärung nicht auf einem faktenbasierten Irrtum über die Zusammensetzung
des Nachlasses, sondern auf einem rechtlich unbeachtlichen Motivirrtum.
Gründe
I.
1. Der am …2012 verstorbene Erblasser, der keine letztwillige Verfügung hinterlassen hat, war
geschieden und hatte keine Abkömmlinge. Seine Eltern sind vorverstorben. Der Erblasser hatte
eine Schwester, M. … P…, die einen Abkömmling, den Beteiligten zu 2., hat, der wiederum drei
Abkömmlinge hat. Die Schwester des Erblassers, der Beteiligte zu 2. sowie die Abkömmlinge
des Beteiligten zu 2. schlugen die Erbschaft jeweils mit notariell beglaubigter Erklärung aus,
wobei der Beteiligte zu 2. und dessen Ehefrau die Ausschlagung für ihre drei damals
minderjährigen Kinder erklärten. Die Ausschlagungserklärung der Schwester des Erblassers
datiert auf den 24.09.2012, die Ausschlagungserklärungen des Beteiligten zu 2. und seiner
Abkömmlinge datieren auf den 22.10.2012 (UR. Nr. 272/12 des Notars …, Bl. 5 der Akte 6 VI
857/12 des AG Oberhausen). Sie sind am 26.09.2012 bzw. am 26.10.2012 bei dem Amtsgericht
Oberhausen eingegangen. Da damals weitere Erben nicht ermittelt werden konnten, wurde am
30.11.2012 dem Fiskus ein Erbschein erteilt.
2. Durch die Erben-Ermittlung … KG wurden in der Folge weitere mögliche Erben ermittelt.
Die Ermittlungen ergaben Folgendes:
3. Die Mutter des Erblassers hatte eine vorverstorbene Schwester, die einen Abkömmling, F.
…L…, hat. Der Vater des Erblassers hatte sechs vorverstorbene Geschwister. Vier der
Geschwister – darunter E. H…, der zwei vorverstorbene Abkömmlinge hatte – hatten
Abkömmlinge, die ebenfalls zum Teil vorverstorben waren und zum Teil Abkömmlinge hatten.
Der Beteiligte zu 1. ist der Sohn von M. H…, einem vorverstorbenen Abkömmling des
vorverstorbenen E. H…, der seinerseits ein Onkel des Erblassers war.
4. Mit notariell beglaubigtem Antrag vom 21.05.2024 hat der Beteiligte zu 1. Einen Erbschein
beantragt, der ihn und weitere näher benannte Erben der 3. Ordnung zu jeweils näher
bezeichneten Anteilen als Erben des Erblassers ausweist. In dem Erbscheinsantrag wurde der
Nachlasswert mit ca. 51.000,00 EUR angegeben. Nach Einreichung des Erbscheinsantrags vom
21.05.2024 wurden weitere Erben der 3. Ordnung (…) ermittelt. Zudem ist bekannt geworden,
dass zwei im Antrag als Erben benannte Personen (…) nachverstorben waren.
5. Durch die auf den 07.06.2024 datierende Anhörung zu dem Erbscheinsantrag erfuhr der
Beteilige zu 2. davon, dass der Nachlasswert dort mit ca. 51.000,00 EUR angegeben wurde.
Daraufhin erklärte er am 04.07.2024 zur Niederschrift des Amtsgerichts Duisburg-Hamborn die
Anfechtung der Ausschlagung der Erbschaft wegen Irrtums. Die Niederschrift ging noch am
04.07.2024 bei dem Amtsgericht Oberhausen ein. Zur Begründung der Anfechtung hat er
ausgeführt, er habe erst durch die Anhörung zum Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1.
erfahren, dass der Nachlass nicht überschuldet sei. Bei Ausschlagung der Erbschaft sei er sicher
von der Überschuldung des Nachlasses ausgegangen. Da er einen erheblichen finanziellen
Schaden für sich und seine Familie habe befürchten müssen, habe er die Erbschaft
ausgeschlagen. Bei Abgabe der Ausschlagungserklärung sei er davon ausgegangen, dass einziger
verwertbarer Nachlassgegenstand die Immobilie des Erblassers gewesen sei, wobei er damals
davon habe ausgehen müssen, dass ein Verkaufserlös aus der unter anderem durch ein
lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht erheblich wertgeminderten Immobilie die von ihm mit
großer Wahrscheinlichkeit angenommenen weiteren Verbindlichkeiten nicht decken würde. Da
der Nachlasswert im Erbscheinsantrag vom 21.05.2024 mit ca. 50.000,00 EUR angegeben sei,
gehe er davon aus, dass er sich zur Zeit der Ausschlagung über die Zusammensetzung des
Nachlasses geirrt habe.
6. Mit Beschluss vom 06.01.2025, der der Verfahrensbevollmächtigen des Beteiligten zu 1. am
08.01.2025 zugestellt wurde, hat das Amtsgericht Oberhausen – Rechtspflegerin – den
Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der
Beteiligte zu 2. habe seine Ausschlagungserklärung vom 22.10.2012 wirksam angefochten. Der
Beteiligte zu 2. sei damals einem Inhaltsirrtum unterlegen. Er habe sich insoweit geirrt, als er
davon ausgegangen sei, dass der Bestand der Passiva den Bestand der Aktive übersteige. Sein
Irrtum über das Nichtvorhandensein von Verbindlichkeiten und damit sein Irrtum über die
Zusammensetzung des Nachlasses sei ein beachtlicher Inhaltsirrtum; möglicherweise habe er
sich zusätzlich auch über den Bestand der zum Nachlass gehörenden Aktiva geirrt, so dass
möglicherweise erst nachträglich bekannt gewordene Nachlassaktivwerte letztendlich zu dem in
dem Erbscheinsantrag angeführten Nachlasswert von 50.000,00 EUR geführt hätten.
7. Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 1. mit seiner Beschwerde vom 07.02.2025, die am
gleichen Tag bei dem Amtsgericht Oberhausen eingegangen ist. Zur Begründung führt er aus,
die von dem Beteiligten zu 2. Angeführten Ausschlagungsgründe beruhten auf spekulativer
Grundlage; zudem sei der Inhalt der Anfechtungserklärung zu den Gründen, die ihn zur
Ausschlagung veranlasst hätten, bestritten worden. Schon nach dem Wortlaut der
Anfechtungserklärung habe der Beteiligte zu 2. ohne Kenntnis der Zusammensetzung des
Nachlasses und ohne Bewertung ihm etwa bekannter oder zugänglicher Fakten gehandelt,
sondern auf spekulativer, bewusst ungesicherter Grundlage.
8. Mit Beschluss vom 24.03.2025 hat das Amtsgericht Oberhausen – Rechtspflegerin – der
Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung
vorgelegt.
9. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten
der ersten und zweiten Instanz sowie auf die Akten des Amtsgerichts Oberhausen 6 VI 587/12,
6 VI 1030/12 und 6 VI 1029/12 ergänzend Bezug genommen.
II.
10. Die gemäß § 58 FamFG statthafte und auch im Übrigen nach §§ 59 ff. FamFG zulässige
Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Anweisung an das Amtsgericht, den Erbscheinsantrag unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Mit der gegebenen Begründung durfte das
Nachlassgericht den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. nicht zurückweisen.
11. Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht zu erteilen,
§ 2353 BGB. Der Erbschein bezeugt demnach das Erbrecht zur Zeit des Erbfalles
(Grüneberg/Weidlich, BGB, 84. Auflage 2025, § 2353 Rn. 3). Der Erbschein ist nur zu erteilen,
wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für
festgestellt erachtet, § 352e Abs. 1 Satz 1 FamFG.
12. Die Erbenstellung des Beteiligten zu 1. setzt zunächst voraus, dass er als Erbe dritter
Ordnung gesetzlicher (Mit-)Erbe des Erblassers ist (
wenn kein Erbe einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist. Denn ein Verwandter ist nicht
zur Erbfolge berufen, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist,
§ 1930 BGB.
13. 1. Da Erben erster Ordnung (§ 1924 BGB) nicht vorhanden sind, bedeutet dies, dass der
Beteiligte zu 1. Miterbe geworden ist, wenn die Erben zweiter Ordnung (§ 1925 BGB) die
Erbschaft wirksam ausgeschlagen haben. Weil gemäß
(erbender) Abkömmling die durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge von der
Erbschaft ausschließt, ist zunächst entscheidend, ob die Schwester des Erblassers die Erbschaft
wirksam ausgeschlagen hat. Erst danach kommt es darauf an, ob ihr Abkömmling, der Beteiligte
zu 2., und gegebenenfalls dessen Abkömmlinge wirksam die Ausschlagung der Erbschaft erklärt
haben.
14. 1.1. Die Schwester des Erblassers, M. … P…, geborene H…, hat die Ausschlagung der
Erbschaft wirksam, insbesondere form- und fristgerecht, erklärt. Die Erklärung erfolgte gemäß
Ausschlagungserklärung vom 24.09.2012 trägt, wie in
notariell beglaubigte Unterschrift der Erklärenden. Die Erklärung ist auch, wie von § 1944 Abs.
1, 2 Satz 1 BGB gefordert, binnen sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe vom
Anfall und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt hat, erfolgt. Denn sie ist am 26.09.2012
und damit weniger als sechs Wochen nach dem Tod des Erblassers bei dem Nachlassgericht
eingegangen.
15. 1.2. Durch die wirksame Ausschlagung der Schwester des Erblassers ist die Erbschaft deren
Sohn, dem Beteiligten zu 2., angefallen. Dieser hat wiederum formund fristgerecht die
Ausschlagung erklärt. Denn er hat mit schriftlich abgefasster Erklärung vom 22.10.2012, die
seine notariell beglaubigte Unterschrift trägt, die Erbschaft zunächst für sich selbst
ausgeschlagen. Die Erklärung ist am 26.10.2012, mithin weniger als sechs Wochen nach der
Ausschlagungserklärung von M. … P…, durch die die Erbschaft dem Beteiligten zu 2.
angefallen ist, bei dem Nachlassgericht eingegangen.
16. 1.3. Durch die Ausschlagung des Beteiligten zu 2. ist die Erbschaft seinen drei damals
minderjährigen Kindern angefallen. Für diese haben der Beteiligte zu 2. Und seine Ehefrau als
Eltern und gesetzliche Vertreter ihrer Abkömmlinge die Erbschaft mit ebenfalls öffentlich
beglaubigter Erklärung vom 22.10.2012, eingegangen beim Nachlassgericht am 26.10.2012,
form- und fristgerecht ausgeschlagen.
17. 1.4. Da weitere mögliche Erben zweiter Ordnung nicht vorhanden sind, ist die Erbschaft
damit, falls keine der vorgenannten Ausschlagungserklärungen wirksam angefochten ist, den –
zum damaligen Zeitpunkt unbekannten – Erben dritter Ordnung angefallen.
18. 2. Der Beteiligte zu 2. hat als einziger Erbe der zweiten Ordnung die
Ausschlagungserklärung angefochten, nämlich mit seiner am 04.07.2024 bei dem Amtsgericht
Oberhausen eingegangenen Anfechtungserklärung. Die Anfechtung greift jedoch nicht durch,
so dass die Wirksamkeit der Ausschlagung des Beteiligten zu 2. nicht beseitigt wurde.
19. Zu Unrecht hat das Amtsgericht angenommen, dass dem Beteiligten zu 2. ein
Anfechtungsgrund im Sinne der
20. 2.1. Soweit das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausführt, der Beteiligte zu 2. sei
einem „Inhaltsirrtum“ unterlegen, ist damit offensichtlich ein Irrtum über verkehrswesentliche
Eigenschaften gemeint, der gemäß § 119 Abs. 2 BGB als Irrtum über den Inhalt der Erklärung
gilt. Denn ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung im Sinne von § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB, der
dann gegeben ist, wenn der Erklärende einer Fehlvorstellung über den objektiven, rechtlich
wirksamen Inhalt seiner Erklärung unterliegt (MüKo BGB Armbrüster, 10. Auflage 2025, § 119
Rn. 60), liegt offensichtlich nicht vor, und wird auch vom Amtsgericht nicht thematisiert. Der
Beteiligte zu 2. befand sich über den Inhalt seiner Erklärung nicht im Irrtum. Er wollte die
Erbschaft ausschlagen und hat genau das auch erklärt.
21. 2.2. Aber auch, dass der Beteiligte zu 2. sich bei Erklärung der Ausschlagung in einem Irrtum
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Sache befunden hat, ist nicht feststellbar.
22. 2.2.1. Als „Sache“ im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB ist vorliegend der Nachlass anzusehen.
Soweit der Senat bislang in Übereinstimmung mit weiteren Obergerichten (z.B. BayObLG,
Beschluss vom 23.07.2019, 3 W 55/19,
vom 23.07.2019, 3 W 55/19,
Auffassung vertreten hat, dass die Überschuldung eine verkehrswesentliche Eigenschaft des
Nachlasses darstellt, die zur Anfechtung berechtigen kann, sofern der Irrtum über die
Überschuldung auf falschen Vorstellungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses,
also bezüglich des Bestandes an Aktiva oder Passiva, beruht (z.B. Senat, Beschluss vom
09.12.2020, I-3 Wx 13/20 Rn. 41, juris), präzisiert der Senat seine Rechtsprechung – der
Auffassung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 24.07.2024, 21 W 146/23 Rn. 17, juris) folgend
– nunmehr dahin, dass nicht die Überschuldung als solche eine verkehrswesentliche Eigenschaft
des Nachlasses darstellt, sondern dessen Zusammensetzung, namentlich der Bestand an Aktiva
oder Passiva. Denn der Wert selbst ist – anders als die wertbildenden Faktoren – keine
verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache (MüKoBGB/Armbrüster, 10. Auflage 2025, § 119
Rn. 143; BeckOK BGB/Wendtland, 74. Edition, Stand: 01.05.2025, § 119 Rn. 44, 44.1).
Während die Zugehörigkeit von Aktiva oder Passiva zum Nachlass einen wertbildenden Faktor
darstellt, ergibt sich eine Überschuldung erst aus der Bewertung der einzelnen – als zum
Nachlass gehörig angenommenen – Aktiva und Passiva; sie trifft damit selbst eine Aussage über
den Wert. Die irrtümliche Vorstellung über eine Überschuldung ist deshalb richtigerweise erst
im Rahmen der Kausalitätsprüfung zu berücksichtigen (zu Allem: OLG Frankfurt, Beschluss
vom 24.07.2024, 21 W 146/23 Rn. 17, juris).
23. Darin liegt keine Abweichung zu der im Zusammenhang mit der Einordnung der
Überschuldung als verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses angeführten
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. In dem Urteil vom 21.02.1952, IV ZR 103/51 (etwa
verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses darstellt. Der Bundesgerichtshof führt dort
(unter Ziffer II.4.) lediglich aus, dass der Umfang des Nachlasses als einer Sachgesamtheit eine
Eigenschaft des Nachlasses sei, weil durch ihn dessen Wert mitbestimmt werde. In der Folge
stellt er klar, dass für im dort zur Entscheidung stehenden Fall maßgeblich sei, ob ein Irrtum
über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Vermächtnisforderung (nicht des Nachlasses)
gegeben sei, da die dortige Vermächtnisforderung, die mittelbar durch den Wert des Nachlasses
bestimmt werde, Gegenstand eines zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs sei. Weiter
führt der Bundesgerichtshof aus, dass die Höhe einer Geldforderung lediglich die zahlenmäßige
Bezeichnung ihres Inhalts sei und daher begrifflich nicht als eine Eigenschaft der Forderung
angesehen werden könne. Desgleichen sei der Wert eines Gegenstandes nach feststehender
Rechtsprechung nicht als eine Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB anzusehen. Auch in
dem Urteil vom 08.02.1989, IVa ZR 98/87, erklärt der Bundesgerichtshof lediglich allgemein,
dass eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses „weithin bejaht“ werde, wenn es sich
um die Überschuldung des Nachlasses handele (BGH
Bezüglich des Aspektes, ob die Überschuldung selbst die Eigenschaft des Nachlasses darstellt
oder sich (als Wert) erst aus dem Bestand von Aktiva und Passiva ergibt, erfolgt hingegen keine
Festlegung. Allerdings führt der Bundesgerichtshof unmittelbar vor der o.g. Aussage zur
Überschuldung aus, dass der Umstand, dass der dortige Kläger sich darauf verlassen habe, dass
ein bestimmtes Vermächtnis keinen Bestand habe, einen Eigenschaftsirrtum begründe; die
unmittelbar darauffolgende Aussage zur Überschuldung mag vor diesem Hintergrund durchaus
im Hinblick auf den Aspekt der Verkehrswesentlichkeit oder der Kausalität getroffen worden
sein. Denn der Irrtum bezog sich in dem dort zur Entscheidung stehenden Fall offenbar auf den
Bestand einer Vermächtnisforderung, mithin auf den Bestand von Aktiva und Passiva, nicht auf
die sich daraus ergebende Einschätzung zur Frage der Überschuldung.
24. 2.2.2. In Anwendung dieser Maßstäbe ist vorliegend schon kein Irrtum über eine
verkehrswesentliche Eigenschaft feststellbar. Denn der Beteiligte zu 2. hat nicht anzugeben
vermocht, dass er sich bei Erklärung der Ausschlagung über den Bestand von Aktiva oder
Passiva geirrt hat. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats, bezüglich welcher wertbildenden
Faktoren (also welcher konkreten Vermögensgegenstände oder Forderungen) er bei Abgabe der
Ausschlagungserklärung einer Fehlvorstellung unterlegen sei, hat der Beteiligte zu 2. keine
solche Fehlvorstellung darzulegen vermocht. Er hat weder erklärt, dass er konkrete, tatsächlich
zum Nachlass gehörende Aktiva bei Erklärung der Ausschlagung nicht kannte, noch, dass er bei
Erklärung der Ausschlagung davon ausgegangen sei, dass konkrete Passiva, die tatsächlich nicht
in den Nachlass fielen, zum Nachlass gehörten. Vielmehr hat er ausgeführt, dass ihm damals wie
heute als Vermögensgegenstand der Erbmasse des Erblassers lediglich die Immobilie bekannt
gewesen sei. Bei Ermittlung des Wertes der Immobilie und der bestehenden Forderungen habe
er sich professionelle Hilfe geholt und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Passiva die
Aktiva des Nachlasses übersteigen, weshalb er die Ausschlagung erklärt habe. Erst durch die
Anhörung zu dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. sei er darauf aufmerksam geworden,
dass der Nachlasswert mit etwa 50.000,00 EUR beziffert worden sei. Woher diese Bezifferung
komme, könne er sich nicht erklären. Es entziehe sich seiner Kenntnis, ob es sich um die
Fehleinschätzung der Aktiva oder der Passiva oder beider Seiten handele. Darin liegt jedoch kein
Irrtum über die wertbildenden Faktoren des Nachlasses, sondern allenfalls über den Wert selbst.
Aus demselben Grund berechtigt auch eine etwaige Fehlvorstellung über den erzielbaren
Veräußerungserlös der Immobilie bei bestehendem lebenslangem Wohnrecht nicht zur
Anfechtung der Ausschlagungserklärung.
25. 2.2.3. Da nicht feststellbar ist, dass der Beteiligte zu 2. einer Fehlvorstellung über die
wertbildenden Faktoren bezüglich der Immobilie unterlag, kommt es insoweit nicht darauf an,
ob er die Entscheidung über die Ausschlagung auf rein spekulativer – bewusst ungesicherter –
Grundlage getroffen hat, was nach der Rechtsprechung des Senats einen nicht zur Anfechtung
berechtigenden, bloßen Motivirrtum darstellt (Senat, Beschluss vom 09.12.2020, I-3 Wx 13/20,
Rn. 41 f., juris; im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.07.2024, 21 W 146/23
Rn. 18, juris).
26. Auch das weitere Vorbringen des Beteiligten zu 2., „Es gab u.a. eine Rechnung oder eine
Mahnung eines Pay-TV-Anbieters, die rückständige Gebühren und die Rückgabe von
Leihgeräten, die nicht mehr in der Wohnung meines Onkels auffindbar waren, forderte. Die
Geräte hätten ersetzt werden müssen. Das Girokonto meines Onkels war überzogen. Woher
mein Onkel seinen Lebensunterhalt und die laufenden Kosten für seine Immobilie bestritten
hat, konnte nicht nachvollzogen werden, da er über die geringen Mieteinnahmen hinaus über
keinerlei Einkommen verfügte. Ein weiteres Darlehen wurde meinem Onkel wegen fehlender
Sicherheiten von seiner Bank verwehrt. Für die Bank stellte die Immobilie also kein
verwertbares Wirtschaftsgut dar. Vor einer hohen privaten Verschuldung wurde meine Mutter
gewarnt (auf die Ausführungen in meinen vorherigen Schreiben verweise ich). Insgesamt konnte
davon ausgegangen werden, dass mit rechtlich relevanten Forderungen in großer finanzieller
Höhe an mich herangetreten werden würde, sollte ich mich dazu entschließen das Erbe
anzunehmen. Nach Prüfung der Gesamtsituation sah ich es als erwiesen an, dass die Passiva die
Aktiva des Nachlasses übersteigen und erklärte die Ausschlagung des Erbes.“rechtfertigt nicht
die Anfechtung der Ausschlagungserklärung. Eine Fehlvorstellung über tatsächlich nicht
bestehende, aber im Zeitpunkt der Erbausschlagung von ihm konkret angenommene
Erlasserschulden trägt der Beteiligte zu 2. nicht vor. Auch nach dem Hinweis des Senats lässt
der Sachvortrag des Beteiligten zu 2. Nicht erkennen, in Bezug auf welchen tatsächlich
vorhandenen Nachlassgegenstand (Aktiva oder Passiva) er sich bei Abgabe der
Ausschlagungserklärung im Irrtum befunden haben will. Er macht lediglich geltend, aufgrund
aufgefundener Rechnungen und Mahnungen sowie der weiteren in seiner
Ausschlagungserklärung vom 4. Juli 2024 aufgeführten Umstände und Verbindlichkeiten mit
„rechtlich relevanten Forderungen in großer finanzieller Höhe“ gerechnet und aus diesem
Grund die Erbschaft ausgeschlagen zu haben. Insoweit hat der Beteiligte zu 2. seine
Entscheidung über die Erbausschlagung indes auf einer rein spekulativen – bewusst
ungesicherten – Grundlage getroffen und sich von bloßen Vermutungen und Befürchtungen
leiten lassen. Rechtlich beruht seine Ausschlagungserklärung damit nicht auf einem
faktenbasierten Irrtum über die Zusammensetzung des Nachlasses, sondern auf einem rechtlich
unbeachtlichen Motivirrtum.
27. 3. Auch wenn danach feststeht, dass die Erbschaft den Erben dritter Ordnung angefallen ist,
führt die Beschwerde lediglich zur Aufhebung des Beschlusses und zur Anweisung an das
Amtsgericht, über den – gegebenenfalls modifizierten – Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1.
neu zu entscheiden. Denn der momentan gestellte und mit dem angegriffenen Beschluss
beschiedene Antrag vom 21.05.2024 wäre – sollte er nicht modifiziert werden – zurückzuweisen,
da er die Erbfolge unzutreffend wiedergibt. In dem Antrag vom 21.05.2024 sind nicht alle
tatsächlich existierenden Erben der dritten Ordnung angegeben, da weitere Erben dritter
Ordnung erst nachfolgend ermittelt worden sind. Zudem berücksichtigt der Antrag nicht, dass
zwei der Erben dritter Ordnung nachverstorben sind. Der weitere, im Anwaltsschriftsatz der
Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1. vom 05.12.2024 enthaltene Antrag genügt
weder den Formerfordernissen noch war er Gegenstand des angefochtenen Beschlusses oder
des Beschwerdeverfahrens. Da allerdings der Beteiligte zu 1. um Hinweis gebeten hatte, falls das
Gericht eine notariell beurkundete Änderungsurkunde für erforderlich hält (Bl. 119 GA I), und
sich aus der Akte des Amtsgerichts ergibt, dass zunächst die Frage der Wirksamkeit der
Anfechtung der Ausschlagung durch den Beteiligten zu 2. geklärt werden sollte (Bl. 119 GA I
sowie handschriftliche Notiz auf Notizzettel vom 11.12.2024, der mit einer Büroklammer an
Blatt 122 der Akte des Amtsgerichts geheftet ist), ist dem Beteiligten zu 1. Gelegenheit zu geben,
die Antragsmodifikation in dem vorliegenden Verfahren zu betreiben.
III.
28. Eine Kostenentscheidung zu den Gerichtskosten ist angesichts des Erfolgs der Beschwerde
nicht veranlasst (
zu 1. im Beschwerdeverfahren waren nach billigem Ermessen dem Beteiligten zu 2. aufzuerlegen
(
29. Der Geschäftswert war auf 1/24 des Nachlasswertes von 51.000,00 EUR festzusetzen, weil
der Beteiligte zu 1. einen Erbschein beantragt, der ihn zu einem Anteil von 1/24 als Erbe
ausweist.
30. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 oder Nr. 2 FamFG nicht vorliegen. Denn die Abweichung zur bisherigen
Rechtsprechung des Senats und weiterer Obergerichte betrifft lediglich eine Frage der
systematischen Verortung bereits bislang und nach beiden Auffassungen geforderter
Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Anfechtung einer Erbausschlagung. Die
Rechtsbeschwerde ist – da die Prüfung nach beiden Auffassungen zu identischen Ergebnissen
kommt – insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 70 Abs. 2 Satz
1 Nr. 2 FamFG) erforderlich.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Düsseldorf
Erscheinungsdatum:01.07.2025
Aktenzeichen:3 W 63/25
Rechtsgebiete:
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Gesetzliche Erbfolge
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
BGB §§ 1954 Abs. 1, 119 Abs. 2