Berufliches Fehlverhalten eines Rechtsanwalts: Nichteignung für das Amt des Notars
letzte Aktualisierung: 5.5.2023
BGH, Beschl. v. 6.3.2023 – NotZ(Brfg) 6/22
BRAO §§ 43, 45; BNotO § 5 Abs. 1
Berufliches Fehlverhalten eines Rechtsanwalts: Nichteignung für das Amt des Notars
Verstößt ein Rechtsanwalt gegen das Mitwirkungsverbot gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 BRAO a. F.
und das Verbot widerstreitender Interessen gem. § 43 Abs. 4 BRAO, so kann dessen Eignung für
das Amt des Notars i. S. d. § 5 Abs. 1 BNotO zu verneinen sein.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe:
I.
Der im Jahr 1973 geborene Kläger ist seit April 1999 als Rechtsanwalt
zugelassen und wurde seit Juli 2000 fortlaufend zum Notarvertreter bestellt.
Am 19. April und am 23. Mai 2007 erteilte die zuständige Rechtsanwaltskammer
dem Kläger jeweils eine Rüge wegen des Vorwurfs, er habe in den Jahren
2003 bis 2006 beziehungsweise im November 2006 einen Urkundsbeteiligten
anwaltlich vertreten, nachdem sein Sozius in derselben Angelegenheit als Notar
tätig gewesen sei. Eine weitere Rüge sprach die Rechtsanwaltskammer gegen
den Kläger am 29. September 2010 wegen des Vorwurfs der Vertretung widerstreitender
Interessen aus. Ein wegen dieses Vorwurfs eingeleitetes strafrechtliches
Ermittlungsverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von 5.000 im
Jahr 2012 gemäß
Im Mai 2015 bewarb sich der Kläger auf eine von zwei am 15. Mai 2015
für den Bezirk des Amtsgerichts H. ausgeschriebenen Notarstellen.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 teilte die beklagte Präsidentin des
Oberlandesgerichts dem Kläger mit, dass er wegen Bedenken an seiner Fähigkeit
zur Wahrung der Neutralität und hierdurch begründeter Zweifel an seiner
persönlichen Eignung bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt werden
könne. Von den beiden ausgeschriebenen Notarstellen wurde bislang nur eine
besetzt.
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Oberlandesgericht die Beklagte
mit Urteil vom 22. Juni 2016 unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Dezember
2015 verpflichtet, die Bewerbung des Klägers unter Berücksichtigung
seiner Rechtsauffassung erneut zu bescheiden. Die Beklagte habe zwar das zurückliegende
berufsrechtswidrige Verhalten des Klägers bei ihrer Auswahlentscheidung
zutreffend berücksichtigt, es sei aber nicht erkennbar, dass auch die
vom Kläger beanstandungsfrei wahrgenommenen Notarvertretungen in der gebotenen
Weise in die Eignungsprognose eingestellt worden seien.
In der Folge holte die Beklagte weitere Erkundigungen zu dem gegen
den Kläger geführten berufsrechtlichen Ermittlungsverfahren und zu dessen bisheriger
Notarvertretertätigkeit ein und forderte eine aktualisierte Bewerbung des
Klägers an. Der Kläger kam dem mit Schreiben vom 6. August 2016 nach und
wies dabei auch darauf hin, dass gegen ihn erneut ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren
eingeleitet worden sei. Das Verfahren betrifft den Vorwurf, der
Kläger sei im Zeitraum 2015/2016 für eine Partei eines von ihm als Notarvertreter
beurkundeten Kaufvertrags in einem nachfolgenden Rechtsstreit zwischen den
Kaufvertragsparteien, in dem es auch um Honoraransprüche seiner Sozietät als
Schadensposition gegangen sei, tätig geworden. Die Beklagte teilte dem Kläger
hierauf mit, dass vor einer Entscheidung über seine Bewerbung zunächst der
Ausgang des aufsichtsrechtlichen Verfahrens der Rechtsanwaltskammer abzuwarten
sei. Im weiteren Verlauf leitete die zuständige Staatsanwaltschaft wegen
des Vorgangs ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Parteiverrats
ein, das im Jahr 2019 in der Erhebung einer Anklage und einem bislang nicht
abgeschlossenen Strafverfahren mündete. Das berufsrechtliche Ermittlungsverfahren
wurde mit Blick auf das Strafverfahren vorläufig eingestellt.
Am 18. Februar 2020 hat der Kläger gegen die Beklagte Untätigkeitsklage
erhoben. Mit Blick auf das gegen den Kläger laufende Strafverfahren hat der Notarsenat
des Oberlandesgerichts das Verfahren ausgesetzt. Nachdem das Amtsgericht
den Kläger in der Folge aus Rechtsgründen freigesprochen und die
Staatsanwaltschaft hiergegen Berufung eingelegt hatte, teilte die Beklagte dem
Kläger mit Bescheid vom 14. März 2022 mit, dass ihm keine der ausgeschriebenen
Notarstellen übertragen werde, weil er mit seinem anwaltlichen Tätigwerden
im Zivilrechtsstreit seiner früheren Urkundsbeteiligten jedenfalls den Tatbestand
des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO a.F. (jetzt § 45 Abs. 1 Nr. 1 c) BRAO) erfüllt und
somit auch ungeachtet des weiterhin laufenden Strafverfahrens zum maßgeblichen
Zeitpunkt der seinerzeitigen Entscheidung über die Bewerbung nicht über
die notwendige persönliche Eignung für die Übertragung eines Notaramtes verfügt
habe.
Die vom Kläger hierauf in eine Anfechtungs- und Leistungsklage geänderte
Klage, mit der er das Ziel verfolgt, den Bescheid vom 14. März 2022 aufheben
und die Beklagte zur Neubescheidung seiner Bewerbung verpflichten zu lassen,
hat keinen Erfolg gehabt. Die Berufung hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung
der Berufung. Er möchte sein Begehren, die Notarstelle übertragen zu bekommen,
nach Zulassung der Berufung weiterverfolgen.
Das Landgericht Bielefeld hat das den Angeklagten freisprechende Urteil
des Amtsgerichts zwischenzeitlich bestätigt; über die hiergegen von der Staatsanwaltschaft
eingelegte Revision hat das Oberlandesgericht - soweit ersichtlich -
bislang noch nicht entschieden.
II.
Der zulässige Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist nicht
begründet.
Ein Zulassungsgrund gemäß
Satz 2 BNotO liegt nicht vor. Insbesondere bestehen weder ernstliche Zweifel an
der Richtigkeit des Urteils (
noch weist die Sache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf
(§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO). Schließlich kommt der Sache
auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von
i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO zu.
1. Die Zulassung der Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der
Richtigkeit des Urteils geboten.
a) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils (
gegeben, wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden
Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit
schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat und sich dies auf die Richtigkeit
des Ergebnisses auswirken kann (st. Rspr. zB Senat, Beschluss vom
11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 7/21, NJOZ 2022, 1179 Rn. 8 mwN).
b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Oberlandesgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Die dagegen vom Kläger vorgebrachten Einwände
greifen nicht durch.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute Bescheidung seiner Bewerbung
(§ 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), weil der ablehnende
Bescheid vom 14. März 2022 rechtmäßig ist. Ihm kann die ausgeschriebene
Notarstelle mangels persönlicher Eignung nicht übertragen werden.
aa) Gemäß § 5 Abs. 1 BNotO (zuvor
zum Notar nur bestellt werden, wer persönlich und fachlich für das Amt geeignet
ist. Auch bei begründeten Zweifeln an der persönlichen Eignung darf ein Bewerber
nicht oder noch nicht zum Notar bestellt werden (Senat, Beschlüsse vom
22. März 2010 - NotZ 21/09,
1999 - NotZ 33/98,
Das Kriterium der persönlichen Eignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff,
dessen Verneinung durch die Justizverwaltung nach § 111b Abs. 1 Satz 1
BNotO, § 114 VwGO nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt (Senat,
Beschlüsse vom 23. Juli 2018 - NotZ(Brfg) 2/18,
14. März 2005 - NotZ 30/04,
- NotZ 33/98,
von einem zutreffenden Verständnis der gesetzlichen Auswahlmaßstäbe
ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe beachtet, sachwidrige Erwägungen
ausgeschlossen und den zu beurteilenden Tatbestand verfahrensfehlerfrei
festgestellt hat (Senat aaO).
bb) Hieran gemessen ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
Insbesondere hat der Notarsenat des Oberlandesgerichts das berufliche Fehlverhalten
des Klägers in Form von Verstößen gegen das Mitwirkungsverbot gemäß
das Verbot widerstreitender Interessen (§ 43 Abs. 4 BRAO), das Gegenstand der
dem Kläger in den Jahren 2007 und 2010 erteilten Rügen war, und das dem noch
laufenden Strafverfahren zugrunde liegende - jedenfalls berufsrechtswidrige -
Verhalten des Klägers zu Recht bei seiner Eignungsprognose berücksichtigt und
auf dieser Grundlage dessen Eignung für das Amt des Notars rechtsfehlerfrei
verneint.
(1) Einer Berücksichtigung des früheren Fehlverhaltens des Klägers, das
Gegenstand der Rügen in den Jahren 2007 und 2010 war, steht nicht etwa die
Bindungswirkung des Urteils des Oberlandesgerichts vom 22. Juni 2016 entgegen.
Aus der genannten Entscheidung ergibt sich schon nicht, dass die berufsrechtlichen
Verfehlungen des Klägers keinen Eingang in die Eignungsbeurteilung
hätten finden dürfen. Ebenso wenig trifft die Entscheidung eine - bindende - Aussage
darüber, dass dem bisherigen beruflichen Fehlverhalten des Klägers gegenüber
den von ihm beanstandungsfrei wahrgenommenen Notarvertretungen
nur ein solch geringes Gewicht beizumessen wäre, dass die Eignungsprognose
positiv ausfallen müsste. Schließlich entfaltet das Urteil des Oberlandesgerichts
vom 22. Juni 2016 auch keine Bindungswirkung dergestalt, dass für die erneute
Bescheidung der Bewerbung des Klägers eine Berücksichtigung neu gewonnener
Erkenntnisse ausschiede. Vielmehr gilt auch für die erneute Entscheidung
über eine Bewerbung nach einem vom Bewerber erstrittenen Bescheidungsurteil
der Grundsatz, dass für die Beurteilung der Eignung auf den Zeitpunkt des Ablaufs
der Bewerbungsfrist abzustellen ist (vgl. hierzu Senat, Beschlüsse vom
11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 7/21, NJOZ 2022, 1179 Rn. 13; vom 14. März 2005
- NotZ 30/04,
die Eignung des Bewerbers im Sinne des § 5 Abs. 1 BNotO (zuvor § 6 Abs. 1
Satz 1 BNotO a.F.) aber auch zur Zeit der Besetzungsentscheidung nicht fehlen
darf (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. März 1999 - NotZ 33/98,
147 und vom 25. November 1996 - NotZ 48/95,
ist aufgrund einer Gesamtschau zu treffen, in die alle Erkenntnisse mit
Aussagekraft für die Eignungsbeurteilung einzustellen sind (siehe Senat, Beschluss
vom 13. Dezember 1993 - NotZ 33/92,
(2) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht
deshalb, weil das Oberlandesgericht die berufsrechtlichen Verfehlungen des Klägers
im Zusammenhang mit dem im Zeitraum 2015/2016 geführten Zivilrechtsstreit
über den von ihm beurkundeten Kaufvertrag seiner Auswahlentscheidung
nicht hätte zugrunde legen dürfen.
(a) Das berufsrechtswidrige Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit
dem Rechtsstreit der Beteiligten seines Beurkundungsgeschäfts ist rechtsfehlerfrei
festgestellt. Das Oberlandesgericht hat insoweit nicht nur auf die Feststellungen
des freisprechenden Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 3. Dezember
2020 Bezug genommen, sondern - dies ist nicht zu beanstanden - insbesondere
auch darauf abgestellt, dass der Kläger das ihm zur Last gelegte Verhalten - die
Wahrnehmung der Interessen eines der Urkundsbeteiligten im nachfolgenden Zivilrechtsstreit
- nicht bestritten, sondern er lediglich die mögliche Tätereigenschaft
des beurkundenden Notars beziehungsweise Notarvertreters in Abrede
gestellt hat. Ungeachtet dessen reicht es, um die persönliche Eignung eines Bewerbers
als Notar zu verneinen, aus, dass der begründete Verdacht eines gewichtigen
berufsrechtlichen Fehlverhaltens besteht (Senat, Beschluss vom
31. Juli 2000 - NotZ 5/00,
(b) Auch der Einwand des Klägers, die Beklagte hätte die Erkenntnisse
aus dem Ermittlungs- und Strafverfahren wegen eines Beweisverwertungsverbotes
ihrer Entscheidung nicht zugrunde legen dürfen, geht fehl.
(aa) Zu Recht ist das Oberlandesgericht zunächst davon ausgegangen,
dass § 64a Abs. 2 BNotO a.F. (jetzt § 64d BNotO) staatliche Stellen zur Übermittlung
von persönlichen Daten betreffend den Bewerber auf eine Notarstelle
ermächtigt, der hiermit verbundene Eingriff in das Recht des Bewerbers auf informationelle
Selbstbestimmung von der Ermächtigungsnorm gedeckt und im
Fall überwiegender öffentlicher Belange (vgl. hierzu
373) auch gerechtfertigt ist, es insbesondere auf eine Einwilligung des betroffenen
Bewerbers insoweit nicht ankommt (vgl. auch Herrmann in Schippel/Bracker,
BNotO, 10. Aufl., § 64a Rn. 10; Herrmann in BeckOKBNotO, Eschwey, 6. Ed.
Stand 1. August 2022, § 64d Rn. 1). Das Oberlandesgericht hat insbesondere
richtig ausgeführt, dass das Interesse des Bewerbers an der Geheimhaltung ihn
betreffender persönlicher Daten in der Abwägung hinter dem Interesse der Allgemeinheit,
nur geeignete Bewerber mit dem Notaramt zu betrauen, zurückstehen
muss, weil dem Amt des Notars für eine funktionierende vorsorgende Rechtspflege
als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut eine hohe Bedeutung zukommt
(zur Bedeutung der vorsorgenden Rechtspflege vgl. Senat, zB Urteil vom
27. Mai 2019 NotZ(Brfg) 7/18 -
(bb) Der Verwertung der Erkenntnisse aus dem Ermittlungs- und Strafverfahren
steht auch ein Verwertungsverbot wegen Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör oder wegen Verletzung sonstiger rechtsstaatlicher Grundsätze
nicht entgegen. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob aus der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG,
mwN), wonach vor Gewährung von Akteneinsicht an einen von einer Straftat Ver-
letzten der Beschuldigte anzuhören ist, folgt, dass auch die Übermittlung von personenbezogenen
Daten in einem Bewerbungs- und Stellenbesetzungsverfahren
im notariellen Bereich eine vorherige Anhörung des betroffenen Bewerbers
voraussetzt. Selbst wenn nämlich die der Beklagten von den Ermittlungsbehörden
und Strafgerichten gewährte Akteneinsicht und die von ihnen erteilten Auskünfte
mangels vorheriger Anhörung des Klägers rechtswidrig gewesen wären,
würde dies - so das Oberlandesgericht zutreffend - kein Beweisverwertungsverbot
nach sich ziehen.
Gemäß § 64a BNotO gelten für das behördliche Verfahren die Regelungen
der Verwaltungsverfahrensgesetze. Im Verwaltungsverfahren besteht indes
wie auch im Strafverfahren kein ausnahmsloses Verwertungsverbot für rechtsfehlerhaft
gewonnene Beweise; vielmehr ist im Einzelfall abzuwägen, ob unter
Berücksichtigung eines rechtswidrig erlangten Beweises das öffentliche Interesse
an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung in der Abwägung überwiegt
oder der Schutzzweck der Norm, die bei der Beweiserhebung verletzt wurde, ein
Verwertungsverbot fordert. Bei schwerwiegenden beziehungsweise willkürlichen
Verstößen, die Verfahrensvorgaben planmäßig oder systematisch außer Acht
lassen, oder besonders geschützten Geheimhaltungsinteressen Betroffener
kann ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse
vom 30. Juni 2005 - 2 BvR 1502/04,
- 2 BvR 75/94,
2020 - OVG 1 A 3.13, juris Rn. 43; OVG Saarland, Beschluss vom 4. Dezember
2018 - 1 D 317/18, juris Rn. 9; Ritter in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3,
2. Aufl. Stand: 15. Dezember 2022 § 26 VwVfG Rn. 16; Schneider in Schoch/
Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022 § 24 Rn. 94 ff., insbesondere
Rn. 96).
Nichts anderes gilt im Ergebnis für das gerichtliche Verfahren. Auch nach
dem insoweit geltenden Beweisrecht, das sich gemäß § 111b Abs. 1 Satz 1
BNotO nach dem Verwaltungsprozessrecht beziehungsweise gemäß § 173
Satz 1 VwGO nach den Beweisregeln der Zivilprozessordnung richtet (OVG
Berlin, Urteil vom 23. September 2003 - 3 B 12.96 - juris Rn. 361 mwN), hängt
die Konsequenz einer Verletzung von Beweiserhebungsregelungen für das weitere
Verfahren von einer Abwägung ab (vgl. zB VGH Mannheim, Urteil vom
29. Juli 2008 - 10 S 2327/07, juris Rn. 34 mwN; OVG Berlin aaO mwN; Kopp/
Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 98 Rn. 4; H. Müller in Ory/Weth, jurisPK-ERV
Band 3, 2. Aufl. Stand 19. Dezember 2022 § 98 VwGO Rn. 43 f. mwN).
Die danach gebotene Abwägung führt aus den vom Oberlandesgericht genannten,
zutreffenden Gründen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Das
Interesse der Allgemeinheit an der Verwertung der Erkenntnisse aus der Einsicht
in die Ermittlungs- und Strafverfahrensakten sowie der Sachstandsmitteilungen
der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte dient der Auswahl geeigneter
Bewerber für das Amt des Notars und damit einer funktionierenden vorsorgenden
Rechtspflege; es hat ein deutlich höheres Gewicht als das Interesse des Klägers,
vor der Akteneinsicht über deren - von ihm ohnedies nicht zu verhindernde - Gewährung
angehört zu werden.
(cc) Ein Verwertungsverbot folgt auch nicht daraus, dass - wie der Kläger
meint - ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Parteiverrats schon
nicht gegen ihn hätte eingeleitet werden dürfen. Warum ein die Einleitung eines
Ermittlungs- und Strafverfahrens rechtfertigender Anfangsverdacht nicht vorgelegen
haben sollte, legt der Kläger schon nicht nachvollziehbar dar. Er verkennt
überdies, dass es gerade Sinn und Zweck eines Ermittlungs- und Strafverfahrens
ist, aufzuklären und zu entscheiden, ob sich eine Person strafbar gemacht hat.
(dd) Ungeachtet dessen ist die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens
nicht wesentlich für die selbständig zu prüfende Frage, ob aus dem zugrundeliegenden
Verhalten negative Folgerungen im Hinblick auf die wegen des öffentlichen
Amts erhöhten persönlichen Anforderungen an einen Notar zu ziehen sind
(Senat, Beschluss vom 25. November 2013 - NotZ(Brfg) 10/13,
Rn. 15 mwN).
(3) Die Berücksichtigung des beruflichen Fehlverhaltens des Klägers erweist
sich auch nicht deshalb als rechtsfehlerhaft, weil dieses wegen der seit den
Verstößen vergangenen Zeit und zwischenzeitlichen Wohlverhaltens des Klägers
nicht mit dem ihm beigemessenen Gewicht in die Eignungsprognose hätte einfließen
dürfen.
(a) Ob und gegebenenfalls mit welchem Gewicht ein früheres berufliches
Fehlverhalten des Bewerbers in die Eignungsprognose einzustellen ist, ist keiner
schematischen Beurteilung zugänglich, sondern hängt von verschiedenen Faktoren
ab. Insbesondere spielt für die Berücksichtigungsfähigkeit früheren berufsrechtlich
relevanten Fehlverhaltens eines Bewerbers nicht nur der Zeitablauf seit
dem Verstoß gegen Berufsrecht eine Rolle, sondern auch Art und Gewicht des
Verstoßes, eine etwaige Wiederholung berufsrechtlich relevanten Fehlverhaltens
und das sonstige Verhalten des Bewerbers, das gegebenenfalls Rückschlüsse
auf eine Einsicht oder auch auf eine grundsätzliche Fehleinstellung des Bewerbers
zulässt (st. Rspr.; vgl. hierzu zB Senat, Beschluss vom 14. März 2005
- NotZ 30/04,
von berufsrechtlichen Verfehlungen folgt insoweit nur aus den
gesetzlichen Tilgungsfristen (
Abs. 1 Nr. 1 b), Abs. 3 und 4 BRAO n.F.; § 110a BNotO).
(b) An diesen Maßgaben gemessen begegnet die angefochtene Entscheidung
keinen Bedenken. Das Oberlandesgericht hat die Verstöße des Klägers
gegen das Tätigkeitsverbot nach
Abs. 1 Nr. 1 c) BRAO) und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen
(§ 43 Abs. 4 BRAO) sowie die in seinem Verhalten im Zusammenhang mit dem
Zivilrechtsstreit seiner vorherigen Urkundsbeteiligten zusätzlich liegende Verletzung
nachwirkender Pflichten aus der Notariatsvertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 3 Satz 2, § 28 BNotO) auch mit Blick auf die zeitlichen Abläufe zu Recht bei
seiner Eignungsprognose berücksichtigt und diesen in der gebotenen Gesamtbetrachtung
auch nicht zu großes Gewicht beigemessen.
Da der Notar als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes auf dem
Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege (§ 1 BNotO) wichtige und schwierige Aufgaben
zu erfüllen hat, darf der anzulegende Maßstab an die zu fordernden persönlichen
Eigenschaften eines Notarbewerbers nicht zu milde sein. Wenn die
Justizverwaltung bei der pflichtgemäßen Prüfung aller Umstände begründete
Zweifel daran hat, ob der Bewerber diese Eigenschaften besitzt, darf sie ihn nicht
oder noch nicht zum Notar bestellen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschlüsse vom
18. Juli 1994 - NotZ 10/93, juris Rn. 12; vom 13. Dezember 1993 - NotZ 33/92,
Hieran gemessen hat das Oberlandesgericht dem berufsrechtswidrigen
Verhalten des Klägers mit tragfähiger Begründung ein nicht unerhebliches Gewicht
beigemessen und auf dieser Grundlage die persönliche Eignung des Klägers
für das Amt des Notars zu Recht verneint. Es hat insoweit richtig bedacht,
dass die notarielle Neutralitätspflicht (§ 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2, § 28
BNotO), die eine strikte Beachtung von Mitwirkungsverboten gebietet, wegen ihrer
zentralen Bedeutung für die Akzeptanz des Anwaltsnotariats in der Bevölke-
rung für die Auswahlentscheidung von besonderer Bedeutung ist. Nicht zu beanstanden
ist insoweit insbesondere, dass das Oberlandesgericht in seine Überlegungen
eingestellt hat, dass der Kläger wiederholt gegen anwaltsrechtliche Mitwirkungsverbote
verstoßen hat und es sich daher nicht um eine singuläre Verfehlung
handelte, dass das Fehlverhalten des Klägers im Zusammenhang mit
dem Rechtsstreit seiner früheren Urkundsbeteiligten unmittelbar Pflichten aus
seiner Tätigkeit als Notarvertreter betraf, sowie dass insoweit auch ein besonderer
zeitlicher Zusammenhang mit dem Bewerbungsverfahren bestand. Zu Recht
hat es auf dieser Grundlage angenommen, dass ein insgesamt beanstandungsfreies
Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit den von ihm wahrgenommenen
Notariatsvertretungen nicht zugrunde gelegt werden konnte. Auch die Berücksichtigung
der schon länger zurückliegenden, mit Rügen sanktionierten Verfehlungen
des Klägers - die nach
sind - ist nicht zu beanstanden, weil auch diesen in der Gesamtschau mit der
Verletzung des Mitwirkungsverbots und des Neutralitätsgebots im Zeitraum
2015/2016 (vgl. dazu auch AGH Schleswig-Holstein,
vergangenen Zeit ein nicht unerhebliches Gewicht zukommt. Die wiederholten
Verstöße des Klägers gegen elementare Berufspflichten - deren Sanktionierungen
in den Jahren 2007 und 2010, wie aus dem Verstoß 2015/2016 ersichtlich,
ohne nachhaltigen Effekt geblieben sind - sprechen für eine grundsätzliche
Fehleinstellung des Klägers und begründen damit zumindest erhebliche Zweifel
an dessen Eignung als Notar. Auf die - ohnedies schon wegen § 6 Abs. 1 Satz 2
BNotO (zuvor § 6b Abs. 4 Satz 1 BNotO a.F.) zu verneinende (vgl. Senat, Beschlüsse
vom 11. Juli 2022 - NotZ(Brfg) 7/21, NJOZ 2022, 1179, 1180 Rn. 13
und vom 7. Dezember 2006 - NotZ 24/06,
etwa beanstandungsfreies Verhalten des Klägers nach dem Ende der Bewerbungsfrist
in die Eignungsprognose eingestellt werden könnte, kommt es dabei
schon deshalb nicht an, weil dies in der Gesamtschau keine andere Beurteilung
der persönlichen Eignung des Klägers rechtfertigen könnte. Letztlich unternimmt
der Kläger lediglich den unbehelflichen Versuch, den zutreffenden Wertungen
des Oberlandesgerichts eine eigene - auf den getroffenen Feststellungen widersprechende
Behauptungen gestützte - Wertung entgegenzusetzen.
Insbesondere geht auch die Annahme des Klägers fehl, an die Eignungsvoraussetzungen
zu stellende Maßstäbe seien daran auszurichten, welches Gewicht
ein berufsrechtlich relevantes Fehlverhalten haben muss, um eine Enthebung
eines Anwaltsnotars aus dem Notaramt zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung,
wonach der persönlichen Eignung des Notarbewerbers insbesondere die
Tatbestände entgegenstehen, die nach § 50 BNotO zur Amtsenthebung führen
würden (Senat, Beschluss vom 18. Juli 1994 - NotZ 10/93, juris Rn. 12), ist nicht
dahin zu verstehen, dass ein Fehlverhalten eines Bewerbers dessen Berücksichtigung
nur dann hindert, wenn das Verhalten eine Amtsenthebung rechtfertigen
würde. Mit Blick auf die Bedeutung einer funktionierenden vorsorgenden Rechtspflege
als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut ist es nicht geboten, einem
Bewerber Zugang zum Amt des Notars zu verschaffen, wenn bereits im Vorhinein
aufgrund berufsrechtlicher Verfehlungen Zweifel an dessen persönlicher Eignung
bestehen, die die Schwelle der Anforderungen für eine Amtsenthebung noch
nicht erreichen (vgl. Senat, Beschluss vom 20. November 2000 - NotZ 22/00,
Zweifel rechtfertigen eine negative Eignungsprognose. Das gewichtige Interesse
der Allgemeinheit an einer funktionierenden vorsorgenden Rechtspflege, das Zugangsschranken
zur vorsorglichen Vermeidung von unterhalb der Schwelle der
Amtsenthebungsgründe liegenden Verfehlungen rechtfertigt, überwiegt in einem
solchen Fall das Interesse des Bewerbers am Zugang zum Amt des Notars
(
2. Auch der - vom Kläger weiter geltend gemachte - Zulassungsgrund gemäß
§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d S. 2 BnotO liegt nicht vor. Eine
Rechtssache weist dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten
auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität
des Verfahrens oder der ihr zugrundeliegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher
oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende
Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen Streitigkeiten
deutlich abhebt (vgl. zB Senat, Beschlüsse vom 11. Juli 2022 - NotZ(Brfg)
7/21, NJOZ 2022, 1179, 1181 Rn. 18 und vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 5/19,
NJOZ 2020, 1373 Rn. 17 mwN).
Derlei Umstände macht der Kläger bereits nicht geltend. Die bloße Bemerkung,
Sachverhalte seien als unstreitig beziehungsweise als feststehend berücksichtigt
worden, die nicht hätten verwertet werden können, lässt schon nicht erkennen,
warum sich die Sache mit Blick auf ihre Schwierigkeit von durchschnittlichen
Streitigkeiten abheben sollte.
3. Die Zulassung der Berufung ist schließlich auch nicht wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Sache (
veranlasst.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche,
klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage aufwirft, die
sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und die deswegen
das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und
Handhabung des Rechts berührt (st. Rspr. zB Senat, Beschlüsse vom 20. Juli
2020 - NotZ(Brfg) 2/19, NJOZ 2020, 1435 Rn. 5 und vom 20. Juli 2015
- NotZ(Brfg) 12/14,
b) An vorstehenden Maßstäben gemessen kommt der Sache keine grundsätzliche
Bedeutung zu. Die Frage, nach welchem Zeitablauf ein mögliches Fehlverhalten
eines Bewerbers auf eine Notarstelle noch (mit welchem Gewicht) zu
berücksichtigen ist, ist einer allgemeingültigen Beantwortung nicht zugänglich,
sondern hängt von einer Gesamtwürdigung aufgrund einer Vielzahl von Kriterien
ab und ist daher eine solche des Einzelfalls. Überdies steht ein langer Zeitablauf
seit der letzten Verfehlung vorliegend auch nicht im Raum, nachdem der Kläger
noch während des Bewerbungs- und Stellenbesetzungsverfahrens seine beruflichen
Pflichten verletzt hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m.
§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 111g Abs. 2 Satz 1
BNotO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:06.03.2023
Aktenzeichen:NotZ(Brfg) 6/22
Rechtsgebiete:Notarielles Berufsrecht
Normen in Titel:BRAO §§ 43, 45; BNotO §§ 5 Abs. 1