„Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ i. S. v. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
letzte Aktualisierung: 25.10.2019
BFH, Urt. v. 21.5.2019 – IX R 6/18
EStG §§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u.S. 3, 22 Nr. 2
„Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ i. S. v.
1. Eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ i.S. des
nicht vor, wenn der Steuerpflichtige die einem Angehörigen unentgeltlich überlassene Wohnung
zeitweilig für wenige Nächte im Jahr als Zufluchtsmöglichkeit (mit-)nutzt, um einer wegen der
Alkoholerkrankung des Ehepartners in der gemeinsamen Ehewohnung unerträglich gewordenen
Situation zu entfliehen.
2. Eine unter Zwang zustande gekommene Vermögensmehrung liegt nicht vor, wenn im
Zeitpunkt der Veräußerung (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) die zuständige Behörde zwar
beabsichtigte, dem betroffenen Steuerpflichtigen ein Rückbaugebot aufzuerlegen, eine dahingehende
Anordnung jedoch noch nicht unmittelbar bevorstand.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG ist zu
Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Streitjahr den Tatbestand eines steuerpflichtigen privaten
Veräußerungsgeschäfts verwirklicht hat.
1. Nach
Veräußerungsgeschäften i.S. des
Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht
mehr als zehn Jahre beträgt.
a) Ausgenommen von der Besteuerung sind nach
Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken
(1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken
(2. Alternative) genutzt wurden. Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" setzt in beiden Alternativen voraus, dass
eine Immobilie zum Bewohnen geeignet ist und vom Steuerpflichtigen bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das
Gebäude zumindest "auch" selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen
oder einem Dritten bewohnt. Eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" liegt hingegen nicht vor, wenn der
Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu
bewohnen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Juni 2017 - IX R 37/16,
mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
b) Eine Wohnung wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn sie der Steuerpflichtige nur zeitweilig
bewohnt, sofern sie ihm in der übrigen Zeit zur Verfügung steht. Denn eine Nutzung zu "eigenen Wohnzwecken" setzt
weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch muss sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären
Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen
Wohnzwecken nutzen. Erfasst sind daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen
und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden. Ist deren Nutzung auf Dauer
angelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und
wie oft er sich darin aufhält (BFH-Urteil in
c) Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" ist im Rahmen des
wie in
2006, 936). Danach liegt eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken auch vor, wenn der Steuerpflichtige Teile einer zu
eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung oder die Wohnung insgesamt einem einkommensteuerlich zu
berücksichtigenden Kind (
Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner
unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (BFH-Urteil vom 18. Januar
2011 - X R 13/10, BFH/NV 2011, 974, m.w.N.).
d) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 1. Alternative EStG setzt voraus, dass die Wohnung im Zeitraum zwischen
Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden ist. § 23
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG verlangt demgegenüber eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im
Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren. Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor
der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen
haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei
Kalenderjahre erstreckt, ohne sie --mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs-- voll auszufüllen (vgl. BFH-Urteil in
2. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 EStG vor, kommt es nach dem Gesetzeswortlaut auf den Grund des Tätigwerdens des Steuerpflichtigen
grundsätzlich nicht an (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 1969 - 2 BvL 20/65,
BStBl II 1970, 156; BFH-Urteil vom 8. April 2003 - IX R 1/01, BFH/NV 2003, 1171, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund
wird die dem privaten Veräußerungsgeschäft zugrunde liegende Veräußerungsmotivation erst dann relevant, wenn die
Veräußerung und die Anlage des Veräußerungserlöses in einem Ersatzgut, das wirtschaftlich dieselbe oder eine
entsprechende Aufgabe erfüllt wie der ausgeschiedene Gegenstand, in sachlichem Zusammenhang bewirkt werden
(s. etwa BFH-Urteile vom 29. Juni 1962 - VI 82/61 U,
VIII R 96/70,
mithin, wenn Veräußerung und Wiederanlage des Erlöses der freien Entschließung des Steuerpflichtigen entzogen
sind und sich als Auswechslung von Wirtschaftsgütern --ohne wesentliche Besser- oder Schlechterstellung des
Steuerpflichtigen-- darstellen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Veräußerung eines Immobilienobjekts dem
Steuerpflichtigen durch Hoheitsakt aufgezwungen wird, insbesondere durch den Zwang bevorstehender Enteignung,
und der Steuerpflichtige in sachlichem Zusammenhang hiermit ein Ersatzobjekt anschafft. Für die Annahme eines
solchen Zwangs hat die Rechtsprechung stets einen strengen Beurteilungsmaßstab angesetzt (BFH-Urteil in BFHE
108, 502, BStBl II 1973, 445, m.w.N.).
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin im Streitfall den
Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht hat.
a) Die Klägerin hat das unter dem 26. Oktober 2006 angeschaffte Immobilienobjekt X-Straße mit notariell
beurkundetem Kaufvertrag vom 12. Dezember 2014 und mithin innerhalb der maßgeblichen Frist des § 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 EStG veräußert. Die Tatbestandsvoraussetzungen eines privaten Veräußerungsgeschäfts sind dadurch
erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.
b) Die Klägerin hat die Wohnung X-Straße nicht deshalb "zu eigenen Wohnzwecken" genutzt, weil sie das Objekt ihrer
Tochter A unentgeltlich zur Nutzung überließ. Denn die Tochter A war im Streitjahr nicht mehr gemäß
einkommensteuerrechtlich bei der Klägerin zu berücksichtigen. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
c) Eine "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" lag im Streitfall nach zutreffender Auffassung des FG auch nicht deshalb
vor, weil die Klägerin die Wohnung X-Straße gelegentlich als Zufluchtsmöglichkeit genutzt hat, wenn die Situation mit
ihrem alkoholkranken Ehemann in der gemeinsamen Wohnung Y-Straße "eskalierte". Das FG hat die von der Klägerin
und von der Zeugin A bekundeten Sachverhaltsumstände, welche zu den gelegentlichen Übernachtungen der
Klägerin in der ihr gehörenden, ihrer Tochter A zur Nutzung überlassenen Wohnung X-Straße führten, eingehend
ermittelt und in nachvollziehbarer und ausführlich begründeter Weise in seine Gesamtwürdigung einbezogen. Dabei
hat das FG nicht nur die von der Klägerin und der Zeugin A bekundeten Tatsachen, sondern auch das
Aussageverhalten einer eingehenden Würdigung unterzogen. Soweit das FG danach zu dem Schluss gekommen ist,
dass die Klägerin diese Wohnung nicht "zu eigenen Wohnzwecken" genutzt hat, ist dies revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Der Senat ist mithin an die Gesamtwürdigung seitens des FG nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
d) Zutreffend hat das FG auch die rechtliche Bedeutung einer Zwangslage bei der Veräußerung von Grundstücken
erkannt und ist im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine unter Zwang
zustande gekommene Vermögensmehrung zwar bei einer Enteignung oder einem Verkauf zur Abwendung einer
unmittelbar bevorstehenden, nicht aber bei einer lediglich "künftig drohenden" Enteignung zu bejahen ist. Die Frage,
ob ein vom Steuerpflichtigen tatbestandlich verwirklichtes privates Veräußerungsgeschäft in diesem Sinne unter
Zwang abgeschlossen wurde, ist im Wesentlichen Tatfrage. Die tatsächlichen Feststellungen des FG sind vom
Revisionsgericht nur daraufhin zu prüfen, ob das FG im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien
ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen
Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat.
Im Streitfall ist das FG im Rahmen seiner Gesamtwürdigung davon ausgegangen, dass sich die Klägerin schon bei
der Veräußerung des Objekts X-Straße nicht in einer die Annahme eines privaten Veräußerungsgeschäfts
ausschließenden Zwangslage befunden hatte. Dabei hat es berücksichtigt, dass die Klägerin während der
langwierigen Verkaufsverhandlungen mit der Stadt Z frühzeitig hatte erkennen lassen, dass sie zu einer Veräußerung
der Wohnung bereit sei, sofern man ihre Kaufpreisvorstellung erfüllte. Im weiteren Zuge der Verhandlungen hat die
Klägerin auch in der Tat die Stadt Z zu einer wiederholten Nachbesserung des Kaufangebots veranlasst. Überdies hat
das FG berücksichtigt, dass die Stadt Z im Zeitpunkt der Veräußerung der Wohnung X-Straße durch die Klägerin zwar
beabsichtigt habe, den betroffenen Wohnungseigentümern ein Rückbaugebot aufzuerlegen, eine dahingehende
Anordnung jedoch noch nicht unmittelbar bevorstand. Diese Gesamtwürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung
stand.
e) Nicht zu beanstanden ist ferner, wenn das FG im Rahmen seiner Würdigung davon ausgeht, dass auch die
Anschaffung der Wohnung P-Straße nicht auf einer unmittelbaren Zwangslage beruht habe, da der Klägerin zum
Zeitpunkt der Anschaffung dieser ("Ersatz"-)Wohnung weiterhin die Wohnung in der Y-Straße zur Verfügung
gestanden habe, in der sie überdies mit Hauptwohnsitz gemeldet war.
f) Nach alledem konnte das FG die Frage, ob die Anschaffung der Wohnung P-Straße in zeitlichem und sachlichem
Zusammenhang mit der Veräußerung der Wohnung X-Straße erfolgte, offenlassen. Da das FG zutreffend bereits eine
Nutzung zu eigenen Wohnzwecken verneint hat, brauchte es überdies nicht zu den nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Satz 3 1. und 2. Alternative EStG erforderlichen Selbstnutzungszeiten Stellung nehmen.
4. Die Sache ist spruchreif. Über die Höhe des von der Klägerin aus der Veräußerung der Wohnung X-Straße erzielten
Veräußerungsgewinns nach
5. Die Kostenentscheidung beruht auf
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:21.05.2019
Aktenzeichen:IX R 6/18
Rechtsgebiete:Einkommens- und Körperschaftssteuer
Normen in Titel:EStG §§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 u.S. 3, 22 Nr. 2