BGH 28. April 2022
V ZB 12/20
ZPO §§ 724, 726; BGB §§ 134, 307 ff., 1193 Abs. 1 S. 1

Prüfpflicht des Vollstreckungsgerichts

letzte Aktualisierung: 17.11.2022
BGH, Beschl. v. 28.4.2022 – V ZB 12/20

ZPO §§ 724, 726; BGB §§ 134, 307 ff., 1193 Abs. 1 S. 1
Prüfpflicht des Vollstreckungsgerichts

1. Der Nachprüfung durch das Vollstreckungsgericht unterliegt es vor Anordnung der
Zwangsvollstreckung lediglich, ob eine Klausel vorhanden ist und ob sie ordnungsgemäß erteilt
wurde, nicht hingegen, ob sie erteilt werden durfte.
2. Erklärt der Schuldner, dass der Notar einem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung der
Urkunde ohne Nachweis der das Bestehen und die Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung
begründenden Tatsachen erteilen darf, so bleibt die materielle Bedingung durch einen solchen Verzicht
unberührt, verliert aber ihren Charakter als Vollstreckungsbedingung. Somit lässt sich allein aus dem
Umstand, dass die Vollstreckungsklausel unmittelbar nach der Beurkundung der
Grundschuldbestellung erteilt wurde, noch nicht darauf schließen, dass die Erteilung der Klausel an
einem grundlegenden, schwerwiegenden Mangel leidet.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Die Schuldnerin ist Eigentümerin der im Eingang dieses Beschlusses
bezeichneten Grundstücke. Aufgrund der von der Schuldnerin am 15. Juni 2015
notariell beurkundeten Bewilligung ist für die Gläubigerin im Grundbuch eine
Notar erteilte der Gläubigerin am 16. Juni 2015 eine vollstreckbare Ausfertigung
der Bestellungsurkunde, die der Schuldnerin am 17. Juni 2015 zugestellt wurde.
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung
der Grundstücke der Schuldnerin wegen des dinglichen Anspruchs aus der
Grundschuld angeordnet. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde
der Schuldnerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde,
deren Zurückweisung die Gläubigerin beantragt hat, hat die Schuldnerin
zunächst die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens erreichen
wollen. Nachdem die Gläubigerin den Versteigerungsantrag zurückgenommen
und das Amtsgericht das Zwangsversteigerungsverfahren aufgehoben hat, haben
Schuldnerin und Gläubigerin das Rechtsbeschwerdeverfahren übereinstimmend
für erledigt erklärt.

II.
Das Landgericht meint, die Zwangsversteigerung sei zu Recht angeordnet
worden. Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung lägen vor, da der Antrag
auf einen der Schuldnerin zugestellten Titel mit Vollstreckungsklausel gestützt
sei. Dass die vollstreckbare Ausfertigung der Bestellungsurkunde der Gläubigerin
sofort, mithin ohne Nachweis der Kündigung und ohne Einhaltung der
sechsmonatigen Frist des § 1193 Abs. 1 BGB erteilt worden sei, führe nicht zu
einer von dem Vollstreckungsgericht zu berücksichtigenden Unwirksamkeit der
Klausel. Auf die Frage, ob die Vollstreckungsklausel materiell zu Recht erteilt
worden sei, namentlich ob der Verzicht auf den Nachweis des Entstehens und
der Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung zulässig sei, komme es nicht an. Das
Vollstreckungsgericht habe nur zu prüfen, ob die Klausel vorhanden und ob sie
ordnungsgemäß erteilt worden sei, nicht hingegen, ob sie materiell habe erteilt
werden dürfen. Die Entscheidung des Notars, ob die Klausel in einfacher oder
qualifizierter Form zu erteilen sei, unterliege nicht der Nachprüfung durch das
Vollstreckungsgericht.

III.
1. Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Schuldnerin
und der Gläubigerin ist über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
gemäß § 91a ZPO zu entscheiden, da sich die Beteiligten über die Fortsetzung
des Zwangsversteigerungsverfahrens gestritten haben, mithin in einem kontradiktorischen
Verhältnis zueinander stehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar
2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 8). Die vorausgegangene Rücknahme
des Zwangsversteigerungsantrags durch die Gläubigerin steht der Entscheidung
nach § 91a ZPO nicht entgegen, denn sie führt nicht dazu, dass der
Gläubigerin entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO alle Kosten des Verfahrens
aufzuerlegen wären (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05,
aaO Rn. 5).

2. Die nach § 91a ZPO zutreffende Entscheidung führt zur Auferlegung
der Kosten auf die Schuldnerin, da ihre Rechtsbeschwerde keinen Erfolg gehabt
hätte und es damit bei der Zurückweisung ihrer sofortigen Beschwerde durch das
Beschwerdegericht geblieben wäre. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung
der Zwangsversteigerung durch das Amtsgericht zu Recht nicht beanstandet.
Entgegen der Auffassung der Schuldnerin hat das Vollstreckungsgericht bei der
Anordnung der Zwangsversteigerung nicht zu prüfen, ob der Gläubigerin eine
einfache Vollstreckungsklausel nicht hätte erteilt werden dürfen, weil zum Zeitpunkt
der Erteilung die Kündigungsfrist nach § 1193 Abs. 1 BGB offensichtlich
nicht eingehalten war.

a) Die Frage, ob der Notar der Gläubigerin unmittelbar nach der Beurkundung
der Grundschuldbestellung eine einfache Vollstreckungsklausel gemäß
§ 724 ZPO erteilen durfte, oder ob es der Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel,
etwa gemäß § 726 ZPO, bedurft hätte, betrifft die materielle Richtigkeit
der erteilten Vollstreckungsklausel, die grundsätzlich nicht zur Überprüfung
des Vollstreckungsorgans gestellt ist. Seiner Nachprüfung unterliegt es, ob
eine Klausel vorhanden ist und ob sie ordnungsgemäß erteilt wurde, nicht hingegen,
ob sie erteilt werden durfte (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012
- VII ZB 71/09, MDR 2012, 367 Rn. 15; Beschluss vom 25. Oktober 2012
- VII ZB 57/11, JR 2013, 223 Rn. 9; Beschluss vom 1. Februar 2017
- VII ZB 22/16, WM 2017, 590 Leitsatz). Deshalb ist es insbesondere nicht Sache
des mit der Vollstreckung des Titels befassten Vollstreckungsorgans, die Wirksamkeit
der Klausel am Inhalt des Titels zu messen und die erforderliche Abgrenzung
zwischen unbedingt und bedingt vollstreckbaren Titeln vorzunehmen (BGH,
Beschluss vom 12. Januar 2012 - VII ZB 71/09, aaO; Beschluss vom 25. Oktober
2012 - VII ZB 57/11, aaO). Nur ausnahmsweise, nämlich bei grundlegenden,
schweren Mängeln, kann die Erteilung der Vollstreckungsklausel nichtig und deshalb
von vorneherein unwirksam sein (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012
- VII ZB 71/09, aaO Rn. 16).

b) Das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht hatte daher vorliegend lediglich
zu prüfen, ob die von der Gläubigerin eingereichte Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde
eine ordnungsgemäß erteilte Vollstreckungsklausel
enthielt. Da dies der Fall war, hatte es die Zwangsversteigerung auf den Antrag
der Gläubigerin anzuordnen. Es war nicht verpflichtet zu prüfen, ob der Notar die
auf dem Titel angebrachte (einfache) Vollstreckungsklausel materiell erteilen
durfte, namentlich ob die Kündigungsfrist des § 1193 Abs. 1 BGB eingehalten
und dies dem Notar hinreichend nachgewiesen war. Dass die Kündigungsfrist
zum Zeitpunkt der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung am Folgetag der
Beurkundung denklogisch noch nicht abgelaufen sein konnte, ändert an dieser
rechtlichen Beurteilung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts.
Dieser Umstand führt insbesondere nicht dazu, dass von einem grundlegenden,
schweren Mangel der Erteilung der Vollstreckungsklausel auszugehen wäre, der
ausnahmsweise zu ihrer Nichtigkeit führte.

aa) Zwar handelt es sich bei dem Kündigungserfordernis des § 1193
Abs. 1 Satz 1 BGB um eine Vollstreckungsbedingung im Sinne des § 726 Abs. 1
ZPO, wenn sich der Schuldner in der notariellen Grundschuldbestellungsurkunde
der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, so dass der Notar grundsätzlich
gehalten ist, eine qualifizierte Vollstreckungsklausel frühestens nach entsprechendem
Nachweis der Kündigung der Grundschuld zu erteilen (BGH, Beschluss
vom 7. Oktober 2020 - VII ZB 56/18, BGHZ 227, 154 Rn. 14). Der Schuldner
kann aber grundsätzlich auf den Schutz des Nachweiserfordernisses verzichten
und erklären, dass der Notar dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung
der Urkunde ohne Nachweis der das Bestehen und die Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung
begründenden Tatsachen erteilen darf; die materielle Bedingung
bleibt durch einen solchen Verzicht unberührt, verliert aber ihren Charakter als
Vollstreckungsbedingung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2020
- VII ZB 56/18, aaO Rn. 17). Das gilt auch für das Kündigungserfordernis des
§ 1193 Abs. 1 Satz 1 BGB. Somit lässt sich allein aus dem Umstand, dass die
Vollstreckungsklausel vorliegend unmittelbar nach der Beurkundung der Grundschuldbestellung
erteilt wurde, noch nicht darauf schließen, dass die Erteilung
der Klausel an einem grundlegenden, schwerwiegenden Mangel leidet.
bb) Das Vollstreckungsgericht war auch nicht verpflichtet zu prüfen, ob die
Schuldnerin in der Grundschuldbestellungsurkunde einen solchen Nachweisverzicht
erklärt hatte, denn diese Frage betrifft allein die materielle Richtigkeit der
Vollstreckungsklausel. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Senat die von der
Gläubigerin im Rechtsbeschwerdeverfahren eingereichte Kopie der Grundschuldbestellungsurkunde,
in der die Schuldnerin den Notar ausdrücklich beauf-
sichtigen kann und wie dieser Auftrag auszulegen ist. Erst recht war das Vollstreckungsgericht
nicht gehalten zu prüfen, ob ein etwaiger von der Schuldnerin erklärter
Nachweisverzicht aus materiell-rechtlichen Erwägungen, etwa gemäß
oder entsprechend § 134 oder §§ 307 ff. BGB unwirksam sein könnte, da diese
Prüfung eine umfassende materiell-rechtliche Würdigung erforderte, zu der der
Notar bei der Klauselerteilung nicht berufen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober
2020 - VII ZB 56/18, BGHZ 227, 154 Rn. 20) und erst recht nicht das Vollstreckungsgericht
bei der Anordnung der Zwangsversteigerung auf der Grundlage
der von dem Notar erteilten Klausel. Der Schuldner ist hierdurch nicht rechtlos
gestellt, ihm bleibt unbenommen, materiell-rechtliche Einwände gegen die
Klauselerteilung oder die Zwangsvollstreckung mit den hierfür zur Verfügung
stehenden Rechtsbehelfen (vgl. zu diesen BGH, Beschluss vom 7. Oktober
2020 - VII ZB 56/18, aaO Rn. 23 f.) geltend zu machen.

IV.
Einer Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren bedarf es nicht, da solche
im Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend die Anordnung der Zwangsversteigerung
nicht anfallen, wenn das Rechtsmittel übereinstimmend für erledigt erklärt
wird (vgl. KV Nr. 2242).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

28.04.2022

Aktenzeichen:

V ZB 12/20

Rechtsgebiete:

AGB, Verbraucherschutz
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundpfandrechte
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

ZPO §§ 724, 726; BGB §§ 134, 307 ff., 1193 Abs. 1 S. 1