BGH 20. Juli 2023
V ZB 3/23
BGB §§ 912, 1004; ZPO § 520

Klage auf Beseitigung eines Überbaus; Anforderungen an Berufungsbegründung

letzte Aktualisierung: 16.10.2023
BGH, Beschl. v. 20.7.2023 – V ZB 3/23

BGB §§ 912, 1004; ZPO § 520
Klage auf Beseitigung eines Überbaus; Anforderungen an Berufungsbegründung

Nach § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus
denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die
angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche
bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche
tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Der Kläger zu 1 hat einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück der Klägerin
zu 2 erworben, ist aber noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
Der Beklagte zu 2 ist Eigentümer des Nachbargrundstücks, das die Beklagte
zu 1 gepachtet hat. Die Beklagten ließen 2014 eine Maschinenhalle errichten,
durch die das Grundstück der Klägerin zu 2 um ca. 7 m² überbaut wurde.

Die Kläger nehmen mit ihrer Klage die Beklagten auf Beseitigung des
Überbaus und Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung
der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit
der Rechtsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des
Rechtsmittels.

II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig. Zwar erfülle
die Berufungsbegründung die Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 ZPO, soweit sich die Kläger gegen die Begründung des Landgerichts wendeten.
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit der überbauenden Beklagten könne
nicht festgestellt werden. Nicht angegriffen werde aber die selbständig tragende
Begründung des Landgerichts, dass nach dem gerichtlichen Sachverständigengutachten
die Kosten für die Beseitigung des Überbaus mindestens betrügen
und diese Kosten wegen der geringen überbauten Fläche unverhältnismäßig
seien.

III.
Das hält rechtlicher Nachprüfung im Verhältnis zu dem Kläger zu 1 stand.
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 hat hingegen Erfolg.

1. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte
Rechtsbeschwerde des Klägers zu 1 ist unzulässig. Die Voraussetzungen des
§ 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
(§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der
Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss den Kläger zu 1 nicht in
seinem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem
Rechtsstaatsprinzip). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung
des Klägers zu 1 entspreche inhaltlich nicht den Anforderungen des
§ 520 Abs. 3 ZPO, ist - allerdings nur im Ergebnis - nicht zu beanstanden.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung
die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers
die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung
ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmte
Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und
welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt.
Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige,
selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung
in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls
ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar
2022 - V ZB 90/20, juris Rn. 5 mwN; BGH, Beschluss vom 21. März 2022
- VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7 mwN; Beschluss vom 23. Juni 2022
- VII ZB 43/21, juris Rn. 6).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers zu 1
nicht gerecht. Das Berufungsgericht setzt sich - von seinem rechtlichen Standpunkt
aus folgerichtig - nicht damit auseinander, dass das Landgericht bereits die
Aktivlegitimation des Klägers zu 1 verneint hat, da er nicht als Eigentümer im
Grundbuch eingetragen ist. Gegen diese - die Klageabweisung selbständig tragende
- Erwägung des Landgerichts bringt die Berufungsbegründung des Klägers
zu 1 nichts vor.

2. a) Demgegenüber ist die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 auch im Übrigen
zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung
des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
ZPO). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Berufungsbegründung
überspannt und dadurch der Klägerin zu 2 den Zugang zu der Rechtsmittelinstanz
in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert.
Dies verletzt deren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes
(Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und eröffnet die
Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss
vom 28. Februar 2007 - V ZB 154/06, NJW 2007, 1534 Rn. 9; Beschluss vom
17. Oktober 2013 - V ZB 28/13, juris Rn. 5).

b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte
die Berufung der Klägerin zu 2 nicht unter Verweis darauf als unzulässig verwerfen
dürfen, dass die Berufungsbegründung nicht die Mindestanforderungen des
§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfülle.

aa) Das Landgericht hat angenommen, es könne nicht nachvollzogen werden,
warum es zu einem Überbau gekommen sei; Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit
ließen sich nicht feststellen. Zudem seien die Kosten der Beseitigung, welche
der Sachverständige mit 50.000
der Überbauung unverhältnismäßig.

bb) Die Berufungsbegründung wendet sich zunächst, wie das Berufungsgericht
richtig sieht, gegen die Annahme des Landgerichts, Vorsatz oder grobe
Fahrlässigkeit der Beklagten könne nicht festgestellt werden, so dass eine Pflicht
zur Duldung des Überbaus bestehe (§ 912 Abs. 1 i.V.m. § 1004 Abs. 2 BGB).
Anders als das Berufungsgericht meint, greift die Klägerin zu 2 in ihrer Berufungsbegründung
aber auch die Würdigung des Landgerichts an, die Kosten für die
Beseitigung des Überbaus von mindestens 50.000
überbauten Fläche unverhältnismäßig. In der Berufungsbegründung heißt es insoweit,
die Beseitigungskosten seien nicht unverhältnismäßig hoch und letztendlich
dem Umstand geschuldet, dass eine vorsätzliche bzw. grob fahrlässige Überbauung
im Sinne des § 912 Abs. 1 BGB vorliege. Damit wendet sich die Klägerin
zu 2 zwar nicht gegen die Höhe der sachverständig ermittelten Beseitigungskosten.
Sie bringt aber hinreichend zum Ausdruck, dass sie die Auffassung des
Landgerichts, die Beseitigungskosten von mindestens 50.000 seien unverhältnismäßig,
deshalb für unrichtig hält, weil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit
das Verschulden der Überbauenden eine Rolle spielen müsse. In der Sache
nimmt sie damit Bezug auf § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB (vgl. dazu Senat, Urteil vom
24. April 1970 - V ZR 97/67, NJW 1970, 1180, 1181; Urteil vom 30. Mai 2008
- V ZR 184/07, NJW 2008, 3122 Rn. 19; Urteil vom 18. Juli 2008 - V ZR 171/07,
NJW 2008, 3123 Rn. 23 f.). Damit ist den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 ZPO entsprochen. Ob die Ausführungen der Klägerin zu 2 schlüssig sind
und unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten Erfolg haben, ist für die Zulässigkeit
der Berufung ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September
2021 - VIII ZB 1/20, MDR 2022, 428 Rn. 18, 22; Beschluss vom 23. Juni 2022
- VII ZB 43/21, juris Rn. 6 mwN).

3. Nach alledem hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zu 1
zu Recht, die Berufung der Klägerin zu 2 hingegen zu Unrecht als unzulässig
verworfen. Hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung des Klägers zu 1 hat
der Beschluss des Berufungsgerichts Bestand; die Verwerfung einer Berufung
als unzulässig kann auf einzelne Streitgenossen begrenzt werden (vgl. BGH, Beschluss
vom 1. Juni 2017 - III ZB 77/16, NJW-RR 2017, 1341 Rn. 12). Im Übrigen
unterliegt der Beschluss der Aufhebung und ist die Sache zur erneuten Entscheidung
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

20.07.2023

Aktenzeichen:

V ZB 3/23

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 912, 1004; ZPO § 520