BGH 12. Februar 2025
XII ZB 128/24
ErwSÜ Art. 5; EGBGB Art. 24; BGB § 1814; FamFG § 104

Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eines Betreuten; internationale Zuständigkeit; Anwendbarkeit der lex fori auf Anordnung der Betreuung

letzte Aktualisierung: 8.5.2025
BGH, Beschl. v. 12.2.2025 – XII ZB 128/24

ErwSÜ Art. 5; EGBGB Art. 24; BGB § 1814; FamFG § 104
Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts eines Betreuten; internationale Zuständigkeit;
Anwendbarkeit der lex fori auf Anordnung der Betreuung

a) Wechselt der gewöhnliche Aufenthalt des die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Betroffenen
während des Betreuungsverfahrens von Deutschland in einen Nichtvertragsstaat des
Haager Erwachsenenschutzübereinkommens, ergibt sich die internationale Zuständigkeit der
deutschen Gerichte jedenfalls aus § 104 FamFG.
b) Auch nach dem Aufenthaltswechsel findet in diesem Fall auf die Anordnung der Betreuung
deutsches Recht als lex fori Anwendung.
c) Das Betreuungsgericht darf das Verfahren nicht allein deswegen einstellen, weil der Betroffene
eine Anhörung im Wege der Rechtshilfe verweigert und im Ausland keine Möglichkeit von dessen
notfalls zwangsweiser Vorführung besteht. Vielmehr hat es zur Wahrung eines effektiven
Erwachsenenschutzes auf Grundlage der im Übrigen umfassenden Aufklärung zu entscheiden, ob
und ggf. in welchem Umfang es einer rechtlichen Betreuung für den Betroffenen bedarf.

Gründe:

I.
Der 1956 geborene Betroffene leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen
Formenkreis. Er erteilte mehrere Vollmachten, unter anderem am
2. September 2004 eine Generalvollmacht zugunsten seiner Ehefrau (Beteiligte
zu 4). Weitere Vorsorgevollmachten erteilte er in den Jahren 2018 und 2019, u.a.
dem Beteiligten zu 8 und wiederum seiner Ehefrau. Der Betroffene verfügt nach
den Feststellungen der Vorinstanzen über ein Vermögen von geschätzt
2.600.000 .

Mit Beschluss vom 22. Juni 2021 hat das Amtsgericht Fulda nach Einholung
eines Sachverständigengutachtens, Bestellung eines Verfahrenspflegers
(Beteiligter zu 7) und Anhörung des Betroffenen eine Betreuung mit umfassendem
Aufgabenkreis sowie einen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge
angeordnet und Rechtsanwältin M. (Beteiligte zu 6) zur Berufsbetreuerin
bestellt. Die Vollmacht vom 2. September 2004 hat es wegen seinerzeitiger
Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen als unwirksam angesehen. Die weiteren
Vollmachten stünden der Erforderlichkeit der Betreuung wegen fehlender Eignung
der Bevollmächtigten nicht entgegen.

Gegen diesen Beschluss haben der durch einen Verfahrensbevollmächtigten
vertretene Betroffene und seine Ehefrau Beschwerden eingelegt. Im November
2022 zog der Betroffene nach Dresden. Mit Beschluss vom 25. November
2022 hat das Amtsgericht Fulda im Wege der einstweiligen Anordnung die
entlassen und Herrn T. zum vorläufigen Betreuer
bestellt. Das Amtsgericht Dresden ist vom Oberlandesgericht Frankfurt zum für
das Betreuungsverfahren zuständigen Gericht bestimmt worden.
Mit Schreiben vom 21. März 2023 teilte der Betreuer den Umzug des Betroffenen
in eine Seniorenpension in L./Tschechien mit. Nachdem der Betroffene
seinen Aufenthalt in diesem Seniorenheim nach weniger als drei Wochen beenden
musste, wechselte er Ende März/Anfang April 2023 in ein Heim in
S. W./Polen.

Mit Beschluss vom 24. Mai 2023 hat das Amtsgericht Dresden im Wege
der einstweiligen Anordnung die Entlassung des vorläufigen Betreuers ausgesprochen,
die vorläufige Entlassung der ehemaligen Betreuerin M. bis zum
24. November 2023 verlängert und zur vorläufigen Betreuerin die zuständige
Betreuungsbehörde bestellt. Die Ehefrau ist zur vorläufigen Betreuerin - im Wesentlichen
für Fragen der Gesundheitssorge und des Heimaufenthalts in Polen -
bestellt worden. Die einstweilige Anordnung ist bis zum 24. November 2023 befristet
worden.

Auf ein Rechtshilfeersuchen des Beschwerdegerichts hat sich das Ministerium
der Justiz der Republik Polen mit Schreiben vom 22. November 2023 mit
der Anhörung durch den Einzelrichter für den Fall einverstanden erklärt, dass der
Betroffene auf freiwilliger Basis einer Anhörung zustimme. Von Seiten des Betroffenen
und seines Verfahrensbevollmächtigten ist eine Einwilligung in die Anhörung
verweigert worden.

Mit Beschluss vom 1. März 2024 hat das Landgericht den Beschluss des
Amtsgerichts Fulda vom 22. Juni 2021 aufgehoben und das Betreuungsverfahren
eingestellt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Verfahrenspflegers.

II.
Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG kraft Gesetzes statthafte
Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
soweit mit dieser der Beschluss des Amtsgerichts Fulda vom 22. Juni
2021 aufgehoben und das Betreuungsverfahren eingestellt worden ist, und insoweit
zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung in
BtPrax 2024, 187 veröffentlicht ist, ist das
für ein Beschwerdeverfahren nicht mehr festgestellt werweil
der Betroffene sich im Ausland aufhalte und den Kontakt zu
deutschen Gerichten ablehne.

Zwar stehe fest, dass die Voraussetzungen von § 1814 Abs. 1 BGB vorlägen
und der Betroffene nicht über einen freien Willen im Sinne des § 1814 Abs. 2
BGB verfüge. Ungeachtet der Frage, ob der Betroffene bei der Errichtung der
Vorsorgevollmachten überhaupt geschäftsfähig war, was durch die überzeugenden
Gutachten des Sachverständigen K. verneint worden sei, bestünden entsprechend
den überzeugenden Ausführungen im amtsgerichtlichen Beschluss
auch erhebliche Bedenken, ob die Bevollmächtigten geeignet seien, die Angelegenheiten
des Betroffenen nach § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB gleichermaßen
zu besorgen.

Indes sei die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Beschwerden
und damit auch die Fortführung des Betreuungsverfahrens nicht möglich.

Da sich der Sachverhalt
durch die Umzüge von Dresden nach Tschechien und dann nach Polen erheblich
geändert habe, könne nicht mehr auf den Eindruck der Anhörung durch das
Amtsgericht Dresden von Anfang 2023 Bezug genommen werden, vielmehr habe
der Betroffene durch das Beschwerdegericht erneut angehört werden müssen.
Die - vom Beschwerdegericht versuchte - Beweisaufnahme in Polen sei mangels
freiwilliger Mitwirkung des Betroffenen nicht möglich.

Eine Anhörung im Wege der Rechtshilfe könne nur dann erfolgen, wenn
eine Entscheidung ohne eigenen Eindruck vom Betroffenen getroffen werden
könne. Hier gehe es aber vor allem um den persönlichen Eindruck und das persönliche
Gespräch, da die Frage des freien Willens überprüft werden müsse. Insbesondere
solle ein Gespräch auch dem Ziel dienen, die Unabhängigkeit des
Betroffenen von persönlichen Einflüssen herauszuarbeiten. Die rechtliche Unausführbarkeit
der Anhörung könne nicht zum Verzicht auf die persönliche Anhörung
führen. Denn der Betroffene habe sich, sei es auch aufgrund äußerer Einflüsse,
dem Kontakt mit den vom Gericht bestellten Betreuern verweigert, sodass
eine Kontaktaufnahme nicht möglich sei.

Auch die Einrichtung einer Kontrollbetreuung sei - ungeachtet der Frage,
dass die Ungeeignetheit der Bevollmächtigten hier bereits feststünde - allein
schon deshalb nicht möglich, weil diese nur unter den (allgemeinen) Voraussetzungen
für die Anordnung einer Betreuung angeordnet werden könne. Zudem
könnte ein Kontrollbetreuer ohne Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen ebenfalls
nicht wirksam agieren.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend von der internationalen Zuständigkeit
der deutschen Gerichte ausgegangen. Dass der Betroffene sich nicht
mehr in Deutschland aufhält, hat nicht zum Wegfall der internationalen Zuständigkeit
geführt.

aa) Die internationale Zuständigkeit richtet sich vorrangig nach Art. 5
Abs. 1 des Haager Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen
Schutz von Erwachsenen (Erwachsenenschutzübereinkommen - ErwSÜ;
BGBl. 2007 II S. 323). Danach sind die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des
Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig,
Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwach-
senen zu treffen. Nach Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen
Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat die Behörden
des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig. Das gilt indessen
nicht, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Erwachsenen in einen Nichtvertragsstaat
wechselt. In diesem Fall entfällt mangels gewöhnlichen Aufenthalts in
einem Vertragsstaat die Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ. Einen Fortbestand
der einmal eröffneten internationalen Zuständigkeit bei Wegfall ihrer
Voraussetzungen nach Anhängigkeit (perpetuatio fori) sieht das Erwachsenenschutzübereinkommen
nicht vor (vgl. Staudinger/von Hein BGB [2022] Art. 5
ErwSÜ Rn. 8).

Die Frage, ob bei nicht bestehender Zuständigkeit nach Art. 5 ErwSÜ die
Regelung des Art. 7 ErwSÜ Anwendung findet, der die Zuständigkeit der Gerichte
des Heimatstaates eröffnet, ist umstritten. Sie wird von der im Schrifttum wohl
überwiegenden Ansicht verneint (von Hein BtPrax 2024, 193; NK-BGB/Benicke
4. Aufl. Art. 5 ESÜ Rn. 7, 14; Helms FamRZ 2008, 1995, 1998; aA Münch-
KommBGB/Lipp 9. Aufl. Vor Art. 5 ErwSÜ Rn. 9 ff. mwN; Hausmann Internationales
und Europäisches Familienrecht 3. Aufl. J. Betreuungssachen Rn. 71).

Dies kann indessen offenbleiben, wenn das ersatzweise anwendbare nationale
Verfahrensrecht eine entsprechende Zuständigkeit vorsieht, wie es in der vorliegenden
Fallkonstellation mit § 104 FamFG gegeben ist. Dann ersetzt der nach
nationalem Verfahrensrecht gegebene Zuständigkeitsgrund der Staatsangehörigkeit
die weggefallene Aufenthaltszuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ (vgl.
Lipp in Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens Vorsorge
und Verantwortung im Internationalen Familienrecht [2023] S. 103, 111 f.).

bb) Nach diesen Grundsätzen sind die deutschen Gerichte im vorliegenden
Fall weiterhin international zuständig.

Der zunächst erfolgte Wechsel des Betroffenen nach Tschechien hat nicht
zu einer Änderung der internationalen Zuständigkeit geführt. Zwar ist die Tschechische
Republik Vertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens.
Weil der Betroffene sich in dem Heim in Tschechien aber nur wenige Wochen
aufhielt und sein Aufenthalt alsdann nach Polen wechselte, war jedenfalls
unter den Umständen des vorliegenden Falles kein (zwischenzeitlicher) gewöhnlicher
Aufenthalt in Tschechien begründet worden.

Zu einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts kann daher nur der Umzug
nach Polen geführt haben, wo der Betroffene sich seit Ende März/Anfang
April 2023 befindet. Da die Republik Polen indes nicht Vertragsstaat des Haager
Erwachsenenschutzübereinkommens ist, kann ein - hier unterstellter - Wechsel
des gewöhnlichen Aufenthalts die internationale Zuständigkeit der polnischen
Gerichte nach Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ nicht begründet haben. Weil das Erwachsenenschutzübereinkommen
insoweit keine nach § 97 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorrangige
Regelung getroffen hat, ist das deutsche Verfahrensrecht anzuwenden.
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist hier nach § 104
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FamFG bereits aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit
des Betroffenen gegeben (vgl. von Hein BtPrax 2024, 193).

b) Die angefochtene Entscheidung hat keinen Bestand.

aa) Auf den vorliegenden Fall ist in der Sache deutsches Recht anwendbar.
Dies gilt wiederum unabhängig von der Frage, ob sich die internationale Zuständigkeit
aus Art. 7 ErwSÜ oder aus § 104 FamFG ergibt. Denn im ersten Fall
haben die zuständigen Behörden nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ ihr eigenes Recht
(lex fori) anzuwenden. Auch im zweiten Fall ist deutsches Recht anzuwenden.
Nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 EGBGB in der seit 1. Januar 2023 geltenden Fassung
unterliegen Maßnahmen, die im Inland in Bezug auf ein Fürsorgeverhältnis angeordnet
werden, deutschem Recht.

Da sich der Betroffene erst seit Ende März/Anfang April 2023 in
S. W./Polen aufhält und ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nach Polen
also frühestens im Jahr 2023 stattgefunden haben kann, ist mithin in jedem Fall
deutsches Recht anwendbar (vgl. von Hein BtPrax 2024, 193, 194 auch zum auf
die Vorsorgevollmacht anwendbaren Recht).

bb) Nach § 1814 Abs. 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht für einen Volljährigen
einen rechtlichen Betreuer, wenn er seine Angelegenheiten ganz oder
teilweise rechtlich nicht besorgen kann und dies auf einer Krankheit oder Behinderung
beruht. Gemäß § 1814 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer nicht gegen den
freien Willen des Volljährigen bestellt werden. Nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB
darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. Die Bestellung
eines Betreuers ist nach § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB insbesondere nicht erforderlich,
soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten
gleichermaßen besorgt werden können. Gemäß § 1825 Abs. 1 Satz 1 BGB
ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung,
die einen Aufgabenbereich des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf
(Einwilligungsvorbehalt), soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr
für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist.

cc) Entsprechend dem mit der rechtlichen Betreuung gewährleisteten Erwachsenenschutz
hat das Betreuungsgericht eine Betreuung bei Vorliegen der
Voraussetzungen von Amts wegen anzuordnen, und zwar auch gegen den Willen
des Betroffenen, wenn dieser - etwa krankheitsbedingt - nicht zur freien Willensbildung
in der Lage ist. Das setzt nach § 26 FamFG eine von Amts wegen durch-
zuführende Aufklärung des erheblichen Sachverhalts voraus, zu der insbesondere
die gemäß § 278 FamFG vorgeschriebene persönliche Anhörung des Betroffenen
erforderlich ist. Wird die Einrichtung einer Betreuung ohne die erforderlichen
Ermittlungen abgelehnt, so wird dem Betroffenen der ihm durch das Betreuungsrecht
gewährleistete Erwachsenenschutz ohne ausreichende Grundlage
vorenthalten (vgl. Senatsbeschluss vom 2. August 2023 - XII ZB 303/22 -
FamRZ 2023, 1748 Rn. 13 mwN).

Das Betreuungsgericht kann in bestimmten Fallkonstellationen das Verfahren
nach § 34 Abs. 3 FamFG auch ohne persönliche Anhörung des Betroffenen
beenden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Geltung dieser Vorschrift
auch im Anwendungsbereich von § 278 FamFG nicht ausgeschlossen. Da
die Anhörung in Betreuungssachen aber nicht nur der Gewährung rechtlichen
Gehörs, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung dient, darf das Betreuungsgericht
grundsätzlich nur nach § 34 Abs. 3 FamFG verfahren, wenn und soweit die
gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen
unverhältnismäßig ist und zudem alle zwanglosen Möglichkeiten ausgeschöpft
sind, den Betroffenen anzuhören bzw. sich von ihm einen persönlichen
Eindruck zu verschaffen (Senatsbeschlüsse vom 3. November 2021 - XII ZB
215/21 - FamRZ 2022, 379 Rn. 13 und vom 24. Februar 2021 - XII ZB 503/20 -
FamRZ 2021, 795 Rn. 12 mwN).

Hat das Betreuungsgericht alle bestehenden Möglichkeiten, den Betroffenen
anzuhören bzw. sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen,
ausgeschöpft, hat es auf Basis der von ihm im Übrigen durchgeführten Sachverhaltsaufklärung
über die Anordnung der Betreuung von Amts wegen zu entscheiden.
Eine Betreuung kann in diesen Fällen angeordnet werden, wenn das Gericht
nach Ausschöpfung aller sonstigen Erkenntnismöglichkeiten (§ 26 FamFG) auch
ohne einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen vom Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen
überzeugt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014
- XII ZB 120/14 - FamRZ 2014, 1543 Rn. 17). Es hat dann unter Beachtung des
gebotenen Erwachsenenschutzes zu entscheiden, ob und ggf. für welchen Aufgabenkreis
auf Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Betreuung, ggf.
verbunden mit einem Einwilligungsvorbehalt, anzuordnen ist.

Die Tatsachenfeststellungen sind vom Rechtsbeschwerdegericht regelmäßig
nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter seiner Entscheidung unzutreffende
rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt, Verfahrensregeln verletzt, insbesondere
entscheidungserhebliche Umstände unberücksichtigt gelassen, oder gegen
Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (Senatsbeschluss vom
15. März 2023 - XII ZB 232/21 - FamRZ 2023, 1059 Rn. 27 mwN).

dd) Die angefochtene Entscheidung wird diesen Maßstäben nicht gerecht.
Nach den auf das eingeholte Sachverständigengutachten des Psychiaters
K., das mit einem zuvor erstatteten weiteren Gutachten übereinstimmt, gestützten
Feststellungen des Amtsgerichts leidet der Betroffene an einem chronischen
Residualsyndrom einer schizophrenen Psychose und ist infolgedessen nicht zu
einer freien Willensbildung in der Lage.

Das Beschwerdegericht ist dem gefolgt, indem es ausgeführt hat, nach
den vielfältigen Gutachten, insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen
K., stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Voraussetzungen von
§ 1814 Abs. 1 BGB vorlägen und der Betroffene nicht über einen freien Willen im
Sinne des § 1814 Abs. 2 BGB verfüge, sodass ein Betreuungsverfahren anzuordnen
wäre . Dass es zugleich eine Anordnung der Betreuung dennoch als
nicht möglich angesehen hat, steht dazu im Widerspruch. Die dem offenbar zugrunde
liegende Vorstellung, bei rechtlicher Undurchführbarkeit einer gebotenen
Anhörung (hier im Beschwerdeverfahren; vgl. von Hein BtPrax 2024, 193, 194 f.
zu den Möglichkeiten der Beweisaufnahme im Ausland) müsse das Betreuungsverfahren
stets eingestellt werden, verengt die Entscheidung in unzulässiger
Weise und enthält dem Betroffenen letztlich den ihm zustehenden Erwachsenenschutz
vor. Dieser gebietet nach § 34 Abs. 3 FamFG eine Entscheidung notfalls
auch ohne Anhörung, die auf der Grundlage der im Übrigen umfassenden Amtsaufklärung
nach § 26 FamFG zu treffen ist.

Die fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Zusammenarbeit mit dem
Betreuer lässt die Erforderlichkeit einer Betreuung nicht entfallen, wenn der Betreuer
auch ohne Kommunikation mit dem Betroffenen in dessen Interesse rechtlich
tätig werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Mai 2016 - XII ZB 363/15 -
FamRZ 2016, 1350 Rn. 19). Daran hat sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts
durch das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Gesetz zur
Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl. I
S. 882) nichts geändert. Die Erforderlichkeit einer Betreuung besteht insbesondere
für die vorliegende Fallkonstellation der Verbringung des Betroffenen in eine
im Ausland gelegene Einrichtung. Stellt sich heraus, dass dies nicht auf seinem
freien Willen beruhte und die Voraussetzungen des § 1821 Abs. 3 BGB vorliegen,
kann dem insbesondere durch die entsprechende Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
durch einen Betreuer begegnet werden.

Das Beschwerdegericht hat dazu in der angefochtenen Entscheidung im
Übrigen ausgeführt, der gesamten Akte sei nicht ansatzweise zu entnehmen,
dass es dem Wunsch oder Willen des Betroffenen entspreche, in einem Land,
dessen Sprache er nicht beherrsche, weitab von den ihm vertrauten Personen
leben zu müssen. Außerdem hat es auf eine Äußerung seines zweitinstanzlichen
Verfahrensbevollmächtigten verwiesen, der Umzug des Betroffenen nach Polen
sei auch deshalb erfolgt, um die Auswirkungen des deutschen Betreuungsrechts
und die mögliche Fürsorge der deutschen Betreuungsgerichte zu beenden.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, weil die vom Beschwerdegericht
gegebene Begründung eine Einstellung des Betreuungsverfahrens
nicht trägt. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Sie
ist nicht gemäß § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG zur Endentscheidung reif, weil weiterer
Aufklärungsbedarf besteht.

Zwar ergibt die von den Vorinstanzen erschöpfend durchgeführte Amtsaufklärung
eine Notwendigkeit der Betreuung für den Betroffenen, zumal das
Amtsgericht, abgesehen von der zweifelhaften Wirksamkeit der erteilten Vollmachten,
zutreffend jedenfalls von der mangelnden Eignung der Bevollmächtigten
ausgegangen und dies vom Beschwerdegericht nicht in Zweifel gezogen worden
ist. Auch dürfte die Betreuung mit dem vom Amtsgericht angeordneten umfassenden
Aufgabenkreis einschließlich des Einwilligungsvorbehalts erforderlich
und die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht geboten
sein. Allerdings fehlt es derzeit an der in tatrichterlicher Verantwortung liegenden
Betreuerauswahl. Die alleinige Zurückweisung der Beschwerden durch das
Rechtsbeschwerdegericht würde dazu führen, dass die vom Amtsgericht zugunsten
von Rechtsanwältin M. (Beteiligte zu 6) getroffene Betreuerauswahl Bestand
hätte. Rechtsanwältin M. ist indessen noch vom Amtsgericht Fulda
lassen und hat eine weitere Tätigkeit abgelehnt. Da eine vorläufige Entlassung
eines Betreuers vom Gesetz nicht vorgesehen ist, muss diese, wenn sie
gleichwohl ausgesprochen worden ist, schon aus Gründen der Rechtssicherheit
als endgültige Entlassung angesehen werden. Über die Auswahl des zu bestellenden
Betreuers wird demnach das Beschwerdegericht in tatrichterlicher Verantwortung
zu entscheiden haben.
-

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

12.02.2025

Aktenzeichen:

XII ZB 128/24

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

ErwSÜ Art. 5; EGBGB Art. 24; BGB § 1814; FamFG § 104