Gleichstellung von Präsenz- und virtuellen Mitgliederversammlung
letzte Aktualisierung: 29.7.2022
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.1.2022 – 19 W 20/21 (Wx)
MaßnG-GesR § 5 Abs. 2 Nr. 1; UmwG §§ 2 Nr. 1, 13 Abs. 1 S. 2
Gleichstellung von Präsenz- und virtuellen Mitgliederversammlung
Durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und
Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom
27.03.2020 (GesRuaCOVBekG/COVMG) sind virtuelle Mitgliederversammlungen von Vereinen
der Präsenzversammlung gleichgestellt. Auch umwandlungsrechtliche Beschlüsse können in einer
virtuellen Mitgliederversammlung gefasst werden (im Anschluss an BGH, Beschluss vom
05.10.2021 – II ZB 7/21).
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein eingetragener Verein, hat am 30.12.2020 seine Verschmelzung auf einen weiteren Verein
(
Protokoll einer als Videokonferenz abgehaltenen Mitgliederversammlung des Antragstellers vom selben Tag
vorgelegt, in welchem die Zustimmung zu dem Verschmelzungsvertrag beschlossen wurde. Das Amtsgericht -
Registergericht - hat die Anmeldung zurückgewiesen, weil die Mitgliederversammlung virtuell abgehalten wurde.
Ein in einer solchen Versammlung gefasster Verschmelzungsbeschluss sei unwirksam. Dagegen richtet sich die
Beschwerde des Antragstellers.
II.
Das Rechtsmittel des Antragstellers ist zulässig. Es hat auch in der Sache Erfolg. Der Wirksamkeit des
Verschmelzungsbeschlusses steht nicht entgegen, dass die Mitgliederversammlung, in der er gefasst wurde, als
Videokonferenz abgehalten wurde (ebenso bereits die Senatsbeschlüsse vom 13.12.2021 - 19 W 29/21 und 19
W 30/21).
1. Der Verschmelzungsbeschluss kann nur in einer Mitgliederversammlung gefasst werden (§ 13 Abs. 1 Satz 2
UmwG) und bedarf der notariellen Beurkundung (
Pandemie war in Rechtsprechung und Literatur - jedenfalls im Grundsatz - anerkannt, dass die Satzung eines
Vereins es ermöglichen kann, Mitgliederversammlungen per Telekommunikation (virtuell) abzuhalten (OLG
Hamm
Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschaft-, Vereins-, Stiftungs- und
Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie vom 27.03.2020
(COVMG) kann der Vorstand abweichend von
ermöglichen, Mitgliederrechte im Wege elektronischer Kommunikation auszuüben. Hierdurch soll der Verein in
die Lage versetzt werden, auch ohne Ermächtigung in der Satzung „virtuelle“ Mitgliederversammlungen
durchzuführen (Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 19/18110, S. 30). Eine virtuelle Versammlung ist somit
der Präsenzversammlung gleichgestellt; in ihr können wirksame Beschlüsse gefasst werden (MüKo-Leuschner,
BGB, 8. Aufl., § 32 Rn. 22d, § 5 COVMG Rn. 6).
2. Dabei enthält das Gesetz keine Einschränkung bezüglich des Inhalts der in einer solchen
Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse. Insbesondere kann aus § 4 des Gesetzes, der abweichend von §
17 Abs. 2 S. 4 UmwG Erleichterungen für die Bilanz des übertragenden Rechtsträgers vorsieht, nicht
geschlossen werden, dass die übrigen Erleichterungen des Gesetzes nicht für Umwandlungsbeschlüsse gelten
sollen. Zweck des Gesetzes ist es, Unternehmen und Vereine trotz der pandemiebedingten Beschränkungen
der Versammlungsfähigkeit in die Lage zu versetzen, erforderliche Beschlüsse zu fassen und handlungsfähig zu
bleiben (Entwurfsbegründung, BT-Drs. 19/18110, S. 5). Durch § 4 sollen die gesetzlichen Erleichterungen für die
Durchführung virtueller Versammlungen lediglich ergänzt werden (Entwurfsbegründung, a.a.O., S. 29). Für das
Genossenschaftsrecht hat der Gesetzgeber dies nochmals ausdrücklich klargestellt (Beschlussempfehlung und
Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 19/30516, S. 72 f.). Somit können auch umwandlungsrechtliche
Beschlüsse in einer virtuellen Mitgliederversammlung gefasst werden (vgl. BGH, Beschluss vom 05.10.2021 - II
ZB 7/21 -
Abmilderungsgesetze, § 4 COVMG Rn. 276).
Dass § 5 des Gesetzes in der Entwurfsbegründung von § 4 - anders als die Erleichterungen der §§ 1 und 3 -
nicht ausdrücklich erwähnt wird, ändert daran nichts. Umstrukturierungen von Vereinen haben weniger
praktische Relevanz als diejenigen der dort angesprochenen Unternehmensformen. Es besteht kein
Anhaltspunkt für die Annahme, dass bei Vereinen die Fassung von Verschmelzungsbeschlüssen in einer
virtuellen Mitgliederversammlung nicht ermöglicht werden soll (vgl. auch Katschinski in: Semler/Stengel
/Leonard, UmwG, 5. Aufl. 2021, § 103 Rn. 3c).
3. Schließlich steht auch
virtuellen Mitgliederversammlung nicht entgegen. Diese Norm, die für alle verschmelzungsfähigen Rechtsträger
und damit auch für Vereine gilt, verlangt nicht, dass die Anteilsinhaber den Verschmelzungsbeschluss in einer
Versammlung mit physischer Anwesenheit fassen. Die Beschlussfassung ist auch in virtueller Versammlung -
etwa im Wege der Videokonferenz - möglich, wenn die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation eine
vergleichbare Teilnahme der Anteilsinhaber und Durchführung der Versammlung wie bei einer physischen
Präsenzveranstaltung ermöglicht (grundlegend BGH, Beschluss vom 05.10.2021 - II ZB 7/21 -
juris Rn. 16 ff. m.w.N.).
Auch das Erfordernis der notariellen Beurkundung (
physischer Anwesenheit in einer Präsenzversammlung nicht. Ihm wird dadurch entsprochen, dass der Notar am
Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen ist, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des
Beschlussverfahrens überzeugt und anschließend die Feststellung des Beschlussergebnisses durch das
zuständige Vereinsorgan beurkundet (BGH a.a.O., juris Rn. 20). Die von dem Antragsteller vorgelegte notarielle
Versammlungsniederschrift vom 30.12.2020 wird diesen Anforderungen gerecht.
4. Das Verfahren wird entsprechend
abschließenden Prüfung und Entscheidung über die Anmeldung zurückverwiesen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Karlsruhe
Erscheinungsdatum:11.01.2022
Aktenzeichen:19 W 20/21 (Wx)
Rechtsgebiete:
Verein
Umwandlungsrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
MaßnG-GesR § 5 Abs. 2 Nr. 1; UmwG §§ 2 Nr. 1, 13 Abs. 1 S. 2