OLG Frankfurt a. Main 03. Juli 2012
21 W 22/12
BGB § 1944

Beginn der Ausschlagungsfrist bei minderjährigem Erben

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 21w22_12
letzte Aktualisierung: 10.09.2012
OLG Frankfurt am Main , 28.3.2012 - 21 W 22/12
BGB § 1944
Beginn der Ausschlagungsfrist bei minderjährigem Erben
Die in § 1944 BGB vorgesehene Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt für den
minderjährigen Erben erst mit dem Zeitpunkt, zu dem der letzte von den gemeinsam
Erziehungsberechtigten erstmals Kenntnis von dem Anfall und dem Grunde der Berufung erlangt
hat.


I.
Die am … 2007 in ... verstorbene Erblasserin war zunächst in erster Ehe verheiratet mit dem
zuvor verstorbenen Ehemann1. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, nämlich der am …
1981 kinderlos verstorbene A, der am … 1961 geborene, während des Beschwerdeverfahrens
ebenfalls verstorbene B, der am … 1963 geborene C sowie der am … 1966 geborene D.
Letzterer ist mit Frau E verheiratet. Er hat deren voreheliches Kind, den am … 2002
geborenen Beteiligten zu 2), adoptiert. Ferner ist er Vater von F, die am … 1988 geboren
worden ist. Zum Zeitpunkt ihres Todes war die Erblasserin mit dem Beteiligten zu 1) im
Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Aus der Ehe ging ein Sohn, nämlich der
am … 1973 geborene G, hervor. Dieser ist Vater eines am … 2009 geborenen Kindes. Mit am
9. Oktober 2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erklärten die Herren G, D sowie C die
Erbausschlagung (vgl. Bl. 29 ff. d. A.). Daraufhin erließ das Amtsgericht antragsgemäß einen
Erbschein, wonach der Beteiligte zu 1) und B jeweils zur Hälfte Erben der Erblasserin seien
(vgl. Bl. 62 d. A.). Später erfuhr das Amtsgericht von den Nachkommen der die Erbschaft
ausschlagenden Herren G und D. Daraufhin zog das Gericht den erteilten Erbschein mit
Beschluss vom 26. November 2009 ein (Bl. 111 d. A.). Zugleich informierte es mit
Verfügung vom 26. November 2009 Frau F und Herrn D, letzteren als den Vater des
Beteiligten zu 2), dass wegen der Ausschlagung des Herrn D die Erbschaft bei ihnen
angefallen sein dürfte (vgl. Bl. 113 f. d. A.). Frau F erklärte daraufhin ihrerseits die
Ausschlagung der Erbschaft mit am 9. Dezember 2009 bei Gericht eingegangenem
Schriftsatz. Eine Ausschlagung für den Beteiligten zu 2), die seitens dessen Eltern am 1. März
2010 vor dem Notar N1 aus Limburg erklärt worden war, ging am 3. März 2010 bei Gericht
ein. Am 27. Juli 2011 hat der Beteiligte zu 1) einen Erbschein beantragt, wonach er zur Hälfte
sowie der Beteiligte zu 2) und B jeweils zu einem Viertel Erben der Erblasserin seien. Im
Rahmen seiner Anhörung hat der Beteiligte zu 2), vertreten durch seine beiden Eltern E und
D, diese vertreten durch den Notar N1, mit am 3. August 2011 bei Gericht eingegangenem
Schriftsatz die Anfechtung der verspäteten Ausschlagung wegen Überschuldung des
Nachlasses erklärt (Bl. 186 d. A.).
Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss entschieden, dass es die für den Erlass
des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachte. Zugleich hat es
die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft der Entscheidung zurückgestellt (Bl. 199 f. d.
A.). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Ausschlagung des Beteiligten zu
2) sei verspätet eingegangen und damit unwirksam.
Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 22. November 2011 zugestellten
Beschluss hat der Beteiligte zu 2) am 12. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt (Bl. 210 d.
A.), der das Amtsgericht hingegen nicht abgeholfen hat (Bl. 213 d. A.). Zur Begründung hat
der Beteiligte zu 2) angeführt, er halte seine Ausschlagung des Erbes für wirksam.
auf die daraufhin erfolgte schriftliche Stellungnahme auf Bl. 222 f. d. A. verwiesen wird.
Sodann hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung beider Erziehungsberechtigten des
Beteiligten zu 2). Ferner hat er den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2)
informatorisch angehört.
Hinsichtlich der Angaben der gehörten Personen wird auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 25. Juni 2012 Bezug genommen (Bl 242 ff. d. A.). Ergänzend wird auf die
im Beschwerdeverfahren von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die ihnen
beigefügten Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Zurückweisung des Antrags des
Beteiligten zu 1), ihm einen Erbschein zu erteilen, wonach er neben seinem Sohn B und dem
Beteiligten zu 2) Erbe der Erblasserin geworden ist.
1. Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 2) ist zulässig. Es ist gemäß § 58 FamFG als befristete
Beschwerde statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Der Beteiligte zu 2) ist zudem
beschwerdeberechtigt. Denn berechtigt im Sinne von § 59 FamFG ist unter anderem, wer wie der Beteiligte zu 2) - behauptet, er sei in dem von einem anderen Beteiligten begehrten
und in der angegriffenen Entscheidung angekündigten Erbschein zu Unrecht als Erbe
ausgewiesen (vgl. BayObLG, FamRZ 2003, 777 zur alten Rechtslage sowie
Keidel/Zimmermann, FamFG, 17. Aufl., § 352 Rdn. 150 zum aktuellen Recht). Der
Beschwerdewert von 600 ist erreicht. Das Interesse des Beteiligten zu 2), nicht in dem
angekündigten Erbschein als Erbe des mit etwa 120.000 verschuldeten Nachlasses
ausgewiesen zu werden, übersteigt den Mindestbeschwerdewert. 2. Die Beschwerde ist zudem
begründet und führt zur Zurückweisung des Erbscheinantrags des Beteiligten zu 1) vom 27.
Juli 2011. Denn der Beteiligte zu 2) ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht
gesetzlicher Erbe der Erblasserin geworden. Er hat die Erbschaft rechtzeitig ausgeschlagen.
Entsprechend ist im Erbschein - anders als beantragt - neben dem Beteiligten zu 1) nur der im
Februar 2012 nachverstorbene B aufzuführen.
a) Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass mangels letztwilliger Verfügung
gesetzliche Erbfolge eingetreten ist. Ebenso ist dem Amtsgericht darin zu folgen, dass neben
dem Beteiligten zu 1) nur noch der mittlerweile ebenfalls verstorbene Sohn der Erblasserin
aus erster Ehe, Herr B, sowie der Beteiligte zu 2) als weitere Erben in Betracht kommen.
bereits gezeugte Abkömmlinge haben die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Die neben Herrn
B weiteren Kinder der Erblasserin, die Herren G, D sowie C haben jeweils am 8. Oktober
2010 in notariell beglaubigter Form erklärt, dass sie die Erbschaft ausschlagen wollten, weil
ihnen bekannt geworden sei, dass der Nachlass überschuldet sei (Bl. 30 ff. d. A.). Diese
Erklärung ist, da sie - wie die Vernehmung des D ergeben hat - erst nach dem Ablauf der
Ausschlagungsfrist erfolgte, als Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist
auszulegen. Denn die Erklärenden haben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie
wegen der ihnen nachträglich bekannt gewordenen Überschuldung nicht Erbe sein wollten.
Dieses Ziel erreichen sie durch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist.
Dabei kann die Versäumung der Ausschlagungsfrist aus denselben Gründen und insbesondere
wegen eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB wie die ausdrücklich erklärte
Annahme der Erbschaft angefochten werden. Denn § 1956 BGB stellt die Anfechtbarkeit der
fingierten Annahmeerklärung nach § 1943 2. Halbsatz BGB der Anfechtbarkeit der
ausdrücklichen Erklärung gleich (vgl. MünchKommBGB/Leipoldt, 5. Aufl., § 1956 Rdn. 6;
Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1956 Rdn. 1). Ihrer notariell beurkundeten Erklärung
zufolge haben sich alle drei ausschlagenden Kinder der Erblasserin über die Überschuldung
und damit eine Eigenschaft des Nachlasses im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB geirrt. Denn
entgegen der ursprünglichen Vorstellung ist den korrigierten Angaben des Beteiligten zu 1)
zufolge der Nachlass tatsächlich mit 125.000 (Bl. 82 d. A.) überschuldet. Die Anfechtung
erfolgte fristgerecht. Der Vater des Beteiligten zu 2) erklärte während seiner Vernehmung
durch den Senat glaubhaft, er und seine Brüder hätten erst wenige Tage, höchstens aber ein
pa. A.r Wochen vor dem Termin am 8. Oktober 2010 von der sich abzeichnenden
Überschuldung des Nachlasses Kenntnis erlangt. Mangels entgegen stehender Anhaltspunkte
ist daher davon auszugehen, dass die gemäß § 1955 BGB i. V. m. § 1945 Abs. 1 BGB
formgerecht erklärte Anfechtung rechtzeitig innerhalb der Anfechtungsfrist von 6 Wochen
erfolgt ist, § 1955 i. V. m. § 1954 Abs. 1 BGB. Damit verbleibt als denkbarer gesetzlicher
Erbe neben dem Beteiligten zu 1) und Herrn B nur der Beteiligte zu 2) als Kind des D (vgl. §
1953 Abs. 2 i. V. m. § 1924 Abs. 3 BGB). Das einzige Kind des Herrn G kommt als
gesetzlicher Erbe nicht in Betracht, weil das Kind zum Zeitpunkt des Todes noch nicht
gezeugt worden war (vgl. § 1923 Abs. 1 BGB), und das weitere Kind des D, Frau F, hat
seinerseits die Erbschaft form- und fristgerecht ausgeschlagen.
b) Nicht gefolgt werden kann allerdings dem Amtsgericht darin, der Beteiligte zu 2) sei Erbe
der Erblasserin geworden. Vielmehr hat der Beteiligte zu 2) die Erbschaft mit einem am 3.
März 2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz ausgeschlagen. Dass die
Ausschlagungserklärung nicht fristgerecht erfolgt ist, konnte der Senat auch nach
Durchführung der hierfür in Betracht kommenden Ermittlungen und Erhebungen der
entsprechenden Beweise nicht feststellen.
a. A.) Die am 1. März 2010 erklärte Ausschlagung entspricht dem gesetzlichen
Formerfordernis des § 1945 Abs. 1 BGB. Sie ist von den beiden Erziehungsberechtigten des
Genehmigung der Ausschlagung durch das Familiengericht war nicht erforderlich, weil der
Beteiligte zu 2) seine Erbschaft erst infolge der Ausschlagung des vertretungsberechtigten
Vaters, Herrn D, erlangt hat (vgl. § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie OLG Hamm, NJW 1959,
2215; Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Aufl., § 1643 Rdn. 2).
bb) Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Ausschlagung entgegen der Auffassung
des Amtsgerichts fristgerecht erfolgt ist.
a. A.a) Gemäß § 1944 BGB kann die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen, wobei
die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der
Berufung Kenntnis erlangt. Bei einem Minderjährigen ist dabei nach zutreffender ganz
herrschender Meinung nicht auf die eigene Kenntnis, sondern auf die Kenntnis des
Vertretungsberechtigten abzustellen (vgl. BayObLG, RPfleger 1984, 403; OLG Hamm, MDR
1984, 54; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6 m. w. Nachw.).
Vertretungsberechtigt für den Beteiligten zu 2) sind dessen Eltern D und E. Aufgrund des an
D gerichteten Schreibens des Amtsgerichts vom 26. November 2009 (Bl. 114 d. A.) ergibt
sich bereits aus der Aktenlage, dass dieser spätestens im Dezember 2009 hinreichend sichere
Kenntnis von der Berufung seines Sohnes zum Erben nach der Erblasserin hatte. Stellte man
allein auf seine Kenntnis ab, wäre die erst Anfang März 2010 erfolgte Ausschlagung nach
Ablauf der Ausschlagungsfrist und damit verspätet erfolgt. Der Zeitpunkt der Kenntnis der
weiteren Vertretungsberechtigten des Beteiligten zu 2), Frau E, lässt sich hingegen nicht
anhand der Aktenlage feststellen, da das damalige Schreiben des Amtsgerichts allein an D
gerichtet war und zudem auch der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2) diesen erst
später im Laufe des Beschwerdeverfahrens vertreten hat.
bbb) Damit kommt es auf die rechtliche Frage an, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist
auf die Kenntnis beider Vertretungsberechtigten abzustellen ist, und gegebenenfalls ferner auf
die tatsächliche Frage, wann E ausreichende Kenntnis von dem Erbfall und dem
Berufungsgrund erlangt hat. Mit Blick auf die rechtliche Fragestellung folgt der Senat der
Auffassung, wonach für den Fristbeginn auf die Kenntnis beider Erziehungsberechtigten
abzustellen ist. Da sich ferner in tatsächlicher Hinsicht der Zeitpunkt der Kenntnis von E nicht
hinreichend sicher feststellen lässt, ist von der Wahrung der Ausschlagungsfrist auszugehen
und diese mithin wirksam.
(1) Die Frage, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist die Kenntnis beider Eltern oder nur
eines Elternteils erforderlich ist, ist umstritten. Die herrschende Auffassung hält die Kenntnis
beider Eltern für erforderlich (vgl. LG Freiburg, BWNotZ 1993, 44; Palandt/Weidlich, BGB,
71. Aufl., § 1944 Rdn. 6; Weidmann, in: JurisPK-BGB, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 9; Ivo, in:
AnwK-BGB, § 1944 Rdn. 11; Siegmann/Höger, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 1944
Praxiskommentar Erbrecht, § 1944 Rdn. 2; Lange, Erbrecht, § 38 Rdn. 27). Demgegenüber
vertritt ein Teil der Literatur die Ansicht, es genüge für den Beginn der Frist die Kenntnis
eines Elternteils (vgl. Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl., § 1944 Rdn. 12;
MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 14; Muscheler, Erbrecht, Bd. II, Rdn. 2965;
ausdrücklich offen gelassen in: BayObLG, ZEV 2002, 283, 285). Der Senat schließt sich der
herrschenden Meinung an. Für die Frage, auf wessen Kenntnis im Rahmen von § 1944 Abs. 2
Satz 1 BGB abzustellen ist, kommt es - entgegen einer in der Literatur geäußerten Ansicht
(vgl. Muscheler, Erbrecht, Bd. II, Rdn. 2965) - nicht auf die Reichweite von § 1629 Abs. 1
Satz 2 BGB an, da dort nur die gegenüber dem Kind abzugebenden Willenserklärungen
behandelt sind, bei der Ausschlagung der Erbschaft aber keine Willenserklärung gegenüber
dem Minderjährigen in Rede steht, sondern die Kenntnis von Tatsachen, die die Grundlage für
die Entscheidung bilden, ob die Erbschaft ausgeschlagen werden soll oder nicht (vgl. LG
Freiburg, BWNotZ 1993, 44). Entsprechend ist bei der hier maßgeblichen Kenntnis von
Tatsachen auf den Rechtsgedanken von § 166 BGB zurückzugreifen (so auch OLG Celle,
FamRZ 2010, 836; a. A. Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1944 Rdn. 6; Erman, BGB, 13.
Aufl., § 1944 Rdn. 6). Hiernach ist nicht auf die Person des Vertretenen, sondern auf die des
Vertreters abzustellen. Doch der Rückgriff auf § 166 BGB schafft ebenfalls keine Klarheit
hinsichtlich der hier maßgeblichen Frage, ob die Kenntnis beider Vertretungsberechtigten
erforderlich ist. Denn der Wortlaut von § 166 BGB gibt insoweit keine eindeutige Auskunft.
Entsprechend sind verschiedene Ansichten für den Beginn der Ausschlagungsfrist im Sinne
von § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB möglich. In Betracht kommt ein Fristbeginn mit der Kenntnis
des ersten Ehegatten (so etwa für die Verjährung OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 181).
Umgekehrt ist es ebenfalls denkbar, für beide Erziehungsberechtigten gemeinsam auf die
Kenntnis des letzten Vertretungsberechtigten abzustellen (vgl. Ouart, in: Deutscher
Erbrechtskommentar, § 1944 Rdn. 4). Da der Wortlaut von § 1944 BGB ebenso wie derjenige
von § 166 BGB beide Ansichten zulässt, ist entscheidend auf den Normzweck von § 1944
BGB abzustellen. Dem Normzweck von § 1944 BGB zufolge soll die Ausschlagung dem
Erben Gelegenheit geben, sich über den Bestand des Nachlasses zu unterrichten und sich über
die Annahme oder Ausschlagung schlüssig zu werden. Dem steht das Interesse der übrigen
Nachlassbeteiligten gegenüber, baldige Klarheit über die Erbenstellung zu erhalten (vgl.
MünchKommBGB/Leipold, 5. Aufl., § 1944 Rdn. 1). Entsprechend ist bei der zu klärenden
Frage im Kern abzuwägen zwischen einer angemessenen Überlegungsfrist der
Vertretungsberechtigten und dem Interesse des Rechtsverkehrs an einer schnellen Klärung der
Rechtslage. Nach Auffassung des Senats ist der Ansicht zu folgen, die dem Interesse des
minderjährigen Erben den Vorzug gibt und auf die spätere Kenntnis des zweiten
Erziehungsberechtigten für den Beginn der Ausschlagungsfrist abstellt. Hierfür spricht
bereits, dass de lege ferenda die Frist von sechs Wochen allgemein als recht knapp bemessen
angesehen wird (vgl. etwa Lange, Erbrecht, § 38 Rdn. 21) und ein Beginn mit der Kenntnis
des ersten Erziehungsberechtigten die Überlegungsfrist jedenfalls für den anderen Elternteil
weiter verkürzen würde. Entscheidend für die Abwägung ist jedoch, dass für die
Ausschlagung eine Erklärung durch beide Eltern gemeinsam erforderlich ist (vgl. BayObLGZ
1977, 163; Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 1945 Rdn. 5; Siegmann/Höger, in:
Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 1944 Rdn. 12). Daher können die Erziehungsberechtigten
erst dann in die Überlegungsphase eintreten, wenn beide von ihnen Kenntnis von Erbfall und
Erziehungsberechtigten abgestellt werden, damit dem schutzbedürftigen Minderjährigen bzw.
dessen Vertretungsberechtigten faktisch die gleiche, knapp bemessene Frist wie einem
Volljährigen zukommt. Diese Überlegungsfrist, innerhalb derer bei gemeinsam
Sorgeberechtigten zur Entscheidung jedes Einzelnen zusätzlich ein Konsens zwischen den
Eltern gefunden werden muss, ist dabei aufgrund einer häufig emotional behafteten
Ausschlagungsentscheidung, bei der beide Elternteile zudem aufgrund unterschiedlicher
Beziehungen zum Erblasser differierende Ansichten haben mögen, für eine im Sinne des
Minderjährigen zu treffende, möglichst interessengerechte Entscheidung besonders wichtig.
Dass hierdurch etwaige, im Einzelfall vermeidbare Kommunikationsprobleme zwischen den
Erziehungsberechtigten zulasten des Rechtsverkehrs gehen, ist hinzunehmen. Denn
andernfalls gingen Kommunikationsschwierigkeiten, selbst wenn sie nicht auf ein
Verschulden der Erziehungsberechtigten zurückzuführen sind, sondern der besonderen
Situation der Eltern des Erben geschuldet sind, zulasten des schutzwürdigen Minderjährigen.
Zugleich zeigt sich an der verlängerten Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 3 BGB, dass der
Rechtsverkehr auf die persönlichen Belange des ausschlagenden Erben Rücksicht zu nehmen
hat. Durch die auf sechs Monate verlängerte Ausschlagungsfrist im Fall eines
Auslandsaufenthaltes hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass besonderen
Schwierigkeiten bei der Klärung der Frage, ob die Erbschaft angenommen werden soll,
Rechnung zu tragen ist. Eine solche Schwierigkeit besteht auch dann, wenn die Abstimmung
zwischen mehreren Erziehungsberechtigten erforderlich ist, um zu einer gemeinsamen
Ausschlagungserklärung zu gelangen. Dies führt zwar nicht zu einer längeren Frist, aber
konsequenterweise zu einem mit Blick auf die Situation eines Volljährigen späteren
Fristbeginn. Die hier vertretene Ansicht steht zugleich nicht in Widerspruch zu der
Auffassung, wonach etwa bei der Verjährungsfrist auf die Kenntnis nur eines Elternteils
abzustellen ist (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1992, 181). Denn die Verjährung kann faktisch
regelmäßig bereits durch die Handlung nur eines Erziehungsberechtigten, etwa durch die
Aufnahme von Verhandlungen mit dem Schuldner gehemmt werden, § 1629 Abs. 1 Satz 4
BGB. Dies ist bei der von der Interessenlage des Minderjährigen her häufig ambivalenten
Ausschlagung der Erbschaft anders. Zudem ist die Verjährungsfrist von drei Jahren deutlich
länger bemessen als die Ausschlagungsfrist von sechs Wochen, so dass aus etwaigen
Kommunikationsproblemen zwischen den Erziehungsberechtigten dem Minderjährigen bei
der Verjährung regelmäßig kein Nachteil entsteht.
(2) In tatsächlicher Hinsicht hat der Senat sich nicht davon überzeugen können, dass die
Mutter E bereits mehr als sechs Wochen vor dem 3. März 2010 zuverlässige Kenntnis von
dem Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung erlangt hat. Dies geht zulasten des
Beteiligten zu 1). Denn dieser trägt für den Umstand, dass die Frist abgelaufen ist und damit
das Ausschlagungsrecht des Beteiligten zu 2) weggefallen ist, die Feststellungslast (vgl. BGH,
NJW-RR 2000, 1530; zit. nach Juris Rdn. 11 m. w. Nachw.). Die Mutter E hat in ihrer
Vernehmung angegeben, sie habe erst ca. eine Woche vor dem Notartermin am 1. März 2010
Kenntnis davon erhalten, dass ihr Sohn nunmehr seinerseits Erbe geworden und gehalten sei,
die Erbschaft auszuschlagen. Diese Angabe ist zwar gemessen an den äußeren Umständen
2009 vom Amtsgericht schriftlich informiert worden. Es ist nicht fernliegend, dass der
Ehemann seine Frau, die zugleich die leibliche Mutter des Beteiligten zu 2) ist und mit dem
Zeugen D zusammenlebt, von diesem Schreiben in Kenntnis gesetzt hat. Hierfür mag
ebenfalls sprechen, dass die Mutter im Rahmen ihrer schriftlichen Anhörung trotz
ausdrücklicher Nachfrage des Senats (Bl. 219 d. A.) sich nicht zu einer klaren Aussage
veranlasst sah (Bl. 222 f. d. A.) Umgekehrt ist die Aussage der Mutter aber auch nicht völlig
von der Hand zu weisen. So ist es etwa ebenfalls denkbar, dass der Vater D zunächst allein
den Termin beim Notar veranlasst hat und seine Frau - sei es aus Versehen, sei es aus anderen
Gründen - erst kurz vor der gemeinsamen Erklärung von dem Termin und seinen näheren
Umständen in Kenntnis gesetzt hat. Zugleich lässt sich der wahre Sachverhalt auch unter
Berücksichtigung weiterer Ermittlungsmöglichkeiten nicht mehr verlässlich aufklären. D
konnte sich weder daran erinnern, wann er die Nachricht vom Amtsgericht erhalten hatte,
noch daran, wann er E über das Schreiben und den von ihm veranlassten Notartermin
informiert hat. Auch der beglaubigende Notar N bekundete auf eine entsprechende Nachfrage
des Vorsitzenden, er könne sich nicht mehr erinnern, wer den Termin bei der Ausschlagung
im März 2010 mit ihm vereinbart habe. Entsprechend hätte auch seine Vernehmung zur
Klärung der maßgeblichen Frage, wann die Mutter des Beteiligten zu 2) vom Erbfall und dem
Grund der Berufung Kenntnis erlangt hat, nichts beitragen können. Ansatzpunkte für weitere
Ermittlungen von Amts wegen sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich - den
Angaben des Notars zufolge - seinen Akten keine Notiz entnehmen, wer damals zu welchem
Zeitpunkt den Termin vereinbart hatte. Auch im Übrigen ist es in Anbetracht der mittlerweile
vergangenen Zeit von über zwei Jahren praktisch ausgeschlossen, dass einer der an dem
damaligen Vorgang Beteiligten sich hinreichend sicher an die genauen Abläufe von damals
und insbesondere die exakten Daten noch erinnern kann. Bei dieser Sachlage kann eine
Versäumung der Ausschlagungsfrist dem Beteiligten zu 2) nicht unterstellt werden. Dies führt
dazu, dass nur noch der nachverstorbene B zu einem Halb neben dem Beteiligten zu 1) Erbe
nach der Erblasserin geworden ist. Entsprechend ist der Antrag des Beteiligten zu 1), ihn
neben B und dem Beteiligten zu 2) als Erben auszuweisen, zurückzuweisen. 3. Die
Kostenentscheidungen beruhen auf § 81 FamFG, §§ 2 Nr. 1, 131 Abs. 3 KostO. Aufgrund der
Zurückweisung des Antrags des Beteiligten zu 1) hat dieser die Gerichtskosten erster Instanz
zu tragen. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren fallen wegen des Erfolgs des
Rechtsmittels nicht an, wie sich aus § 131 Abs. 3 KostO ergibt. Mit Blick auf die
außergerichtlichen Kosten erster und zweiter Instanz besteht keine Veranlassung, dem
Beteiligten zu 1) die außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 2) aufzuerlegen. Es
entspräche nicht der Billigkeit, eine Kostenerstattung anzuordnen, da die zögerlich erfolgte
Ausschlagung zu vermeidbarer Rechtsunsicherheit geführt hat. 4. Die Rechtsbeschwerde ist
gemäß § 70 Abs. 1 FamFG zuzulassen. Diese Vorschrift findet auf das vorliegende
Einziehungsverfahren Anwendung. Denn der Antrag auf Erlass des streitgegenständlichen
Erbscheins ist am 27. Juli 2011 und damit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über das
Verfahren in Familienangelegenheiten und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit am 1. September 2009 gestellt worden (vgl. OLG München, NJW-RR 2011,
157; OLG Köln, FGPrax 2009, 285). Die Frage, ob für den Beginn der Ausschlagungsfrist in
§ 1944 BGB die Kenntnis beider Eltern oder nur eines Elternteils erforderlich ist, ist bislang
unterschiedlich beantwortet und hat für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen Bedeutung.
III.
Gegen diese Entscheidung ist aufgrund ihrer Zulassung durch den Senat das Rechtsmittel der
Rechtsbeschwerde statthaft. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat
nach der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße
45a in 71633 Karlsruhe, durch Einreichung einer von einem beim Bundesgerichtshof
zugelassenen Rechtsanwalt unterschriebenen Rechtsbeschwerdeschrift einzulegen. Die
Rechtsbeschwerdeschrift muss den Rechtsmittelführer bezeichnen und die Erklärung
enthalten, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde. Die
Rechtsbeschwerdeschrift muss zudem die Rechtsbeschwerdegründe enthalten, und zwar die
bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt, sowie wenn die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird - die Erklärung, dass das Gesetz in Bezug
auf das Verfahren verletzt sei, und die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des
angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Frankfurt a. Main

Erscheinungsdatum:

03.07.2012

Aktenzeichen:

21 W 22/12

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft

Erschienen in:

MittBayNot 2013, 150-155
RNotZ 2012, 579-583
ZEV 2013, 196-199

Normen in Titel:

BGB § 1944