Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments bei Tod des Nacherben
letzte Aktualisierung: 14.12.2023
OLG Brandenburg, Urt. v. 15.8.2023 – 3 U 204/22
BGB §§ 2069, 2087, 2108
Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments bei Tod des Nacherben
Falls ein in einem gemeinschaftlichen Testament als Nacherbe bestimmter Abkömmling vor Eintritt
des Nacherbfalls verstirbt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob nach dem Willen des
Erblassers der Nachlass in der Familie bleiben soll und deshalb die Abkömmlinge des Nacherben an
dessen Stelle treten sollen oder ob der Vorerbe insoweit frei über das Erbe verfügen kann.
(Leitsatz der DNotI-Redaktion)
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie zu 1/6 Nacherbin nach ihrem Großvater geworden ist.
Die Großeltern der Klägerin – O. H. (Erblasser) und R. H. - errichteten am 25.05.1974 handschriftlich folgendes gemeinschaftliches Testament (Anlage K 1, Bl. 12):
„Unser gemeinsamer letzter Wille
Wir setzen uns gegenseitig zu Erben in der Weise ein, daß der Überlebende von uns hinsichtlich des Nachlasses des Erstversterbenden Vorerbe wird. Nacherben sind jeweils unsere gemeinsamen Kinder:
1. D. H. geb. am …
2. M. H., geb. am …
3. T. H., geb. am …
Der Nacherbfall soll jeweils eintreten dann, wenn der Überlebende von uns verstirbt oder sich wieder verheiratet.
F., 25. Mai.1974
O. H.
R. H. geb. B.".
Der Erblasser verstarb am 06.04.2011, sein Sohn D. H. am 13.07.2011. Die Klägerin und ihre Schwester sind die einzigen Abkömmlinge des D. H.. Dieser errichtete am 06.09.1996 ein handschriftliches Testament, mit dem er verfügte, dass „im Falle meines Ablebens der mir gehörende Anteil von 50% an dem Reihenhaus Bl.-weg 19, … Ce. in das Eigentum meiner Lebensgefährtin C. N. [...] übergeht und sie somit alleinige Eigentümerin dieses Wohnhauses wird.“ (Anlage K 3, Bl. 4). Am 13.01.2012 erließ das Amtsgericht Ce. einen Erbschein, der die Beklagte als Alleinerbin des D. H. ausweist (Anlage K 4, Bl. 22).
Der Erblasser hinterließ mehrere Grundstücke, die in seinem Alleineigentum gestanden hatten. Das Amtsgericht L. erteilte seiner Ehefrau R. H. am 07.06.2013 einen Erbschein, der sie als alleinige Vorerbin des Erblassers ausweist. In der Folge wurde sie mit Vorerbenvermerk als Alleineigentümerin in das Grundbuch von F. eingetragen (Anlage K 2, Bl. 9 f). Das Grundbuch enthält außerdem einen Nacherbenvermerk unter namentlicher Nennung der drei Abkömmlinge des Erblassers (Anlage K 2, Bl. 13).
R. H. verkaufte mit notariellem Vertrag vom 13.10.2021 (Anlage K 5, Bl. 17 f.) die vorgenannten Grundstücke an ihre Enkelin Th. H. und deren Ehemann. Die an dem Vertragsschluss beteiligten Nacherben M. und T. H. und die Beklagte stimmten der Veräußerung zu und bewilligten die Löschung des Nacherbenvermerks. Während T. H. im Gegenzug ein lebenslanges Wohnungsrecht eingeräumt wurde, erhielten M. H. und die Beklagte jeweils eine Ausgleichszahlung von 100.000 € (wegen der weiteren Einzelheiten siehe Anlage K 5, Bl. 17 f.).
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, dass sie Nacherbin zu 1/6 nach dem am 06.04.2011 verstorbenen O. H. ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 18.10.2022 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, in Abweichung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH,
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Klagestattgabe. Sie meint, die Klägerin habe kein Feststellungsinteresse, weil die Ehefrau des Erblassers noch lebe. Auf Feststellung des Erbrechts nach noch lebenden Personen könne nicht geklagt werden, weil die bloße Möglichkeit, Erbe zu werden, kein Rechtsverhältnis im Sinne des
Im Übrigen sei die Klägerin auch nicht Nacherbin des Erblassers geworden. Dem Wortlaut des Testaments vom 25.05.1974 lasse sich keine Regelung für den Fall des Vorversterbens eines Nacherben entnehmen. Das Testament sei daher ergänzend auszulegen, indem der hypothetische Wille der Testierenden im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ermittelt werde. Dieser könne entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht allein aus dem seinerzeitigen Alter der Eheleute und ihrer Abkömmlinge abgeleitet werden. Es sei aus damaliger Sicht nicht zwingend gewesen, dass die Söhne vor Eintritt des Erbfalls Abkömmlinge haben würden. Auch lasse diese bloße Möglichkeit keinen Rückschluss darauf zu, wie die Eheleute testiert hätten, wenn sie das Vorversterben eines ihrer Abkömmlinge bedacht hätten. Weitere Umstände, die dafür sprächen, dass die testierenden Ehegatten ihre (potentiellen) Enkel als Ersatznacherben eingesetzt hätten, seien nicht ersichtlich.
Es sei auf die gesetzlichen Auslegungs- und Vermutungsregeln zurückzugreifen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei § 2069 BGB auf den vorliegenden Fall allerdings nicht entsprechend anwendbar. Diese Frage sei zwar streitig. Der BGH habe aber zutreffend festgestellt, dass die Lebenserfahrung und die typische Interessenlage nicht ausreichend seien, um stets die vorhandene Regelungslücke dahingehend zu schließen, der Erblasser habe den Ersatznacherben den Vorzug geben wollen (BGH,
Wenn - wie hier - kein entgegenstehender Wille des Erblassers feststellbar sei, gelte
Sie - die Beklagte - sei als Alleinerbin des vorverstorbenen Nacherben in dessen Rechtsposition eingerückt. Sie sei über zwanzig Jahre lang dessen Lebensgefährtin gewesen und habe zur Familie gehört. Dass der Erblasser unter diesen Umständen gewollt hätte, dass sie in die Nacherbenstellung des vorverstorbenen Sohnes einrücke, liege nicht fern.
Im Übrigen habe die Klägerin gemeinsam mit ihrer Schwester im Rahmen des Erbscheinsverfahrens am 07.11.2011 erklärt, sie akzeptiere endgültig und verbindlich, dass die Beklagte den Nacherben D. H. beerbt habe. Dazu setze sie sich mit ihrem Vortrag in Widerspruch.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 18.10.2022 - 3 O 357/21 - aufzuheben (gemeint ist abzuändern) und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Feststellungsinteresse beziehe sich auf die Nacherbenstellung und nicht auf das Vermögen der noch lebenden Ehefrau des Erblassers. Wäre die Möglichkeit, Nacherbe zu werden, kein Rechtsverhältnis im Sinne des
Hätten die testierenden Eheleute die tatsächliche Entwicklung voraussehen können, hätten sie ausdrücklich die etwaigen Abkömmlinge ihrer Söhne als Ersatznacherben eingesetzt. Schon die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft spreche dafür, dass die testierenden Ehegatten das Immobilienvermögen im Besitz der Familie hätten halten wollen. Denn die Vor- und Nacherbfolge sei der sicherste Weg, den Übergang von Vermögen in die nächste Generation zu gewährleisten. Die ausdrückliche Anordnung des Nacherbfalls auch für den Fall einer Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten unterstreiche dieses Ansinnen.
Die Entscheidung des BGH (
Da die Beklagte nicht zur Familie gehöre und im Testament des D. H. auch nicht als dessen Alleinerbin eingesetzt, sondern nur mit einem Vermächtnis bedacht sei, trage sie die Beweislast dafür, dass die testierenden Ehegatten bei Kenntnis des späteren Verlaufs nicht ihre Enkel, sondern sie als familienfremde Person zur Ersatznacherbin bestimmt hätten. Das anzunehmen sei allerdings lebensfremd.
Zu berücksichtigen sei auch, dass sie - die Klägerin - und ihre Schwester nach dem Tod des Vaters und Großvaters im Jahr 2011 nach diesem wegen Verjährung keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend machen könnten. Nach dem Tod der Großmutter seien werthaltige Pflichtteilsansprüche wegen der Übertragung der Immobilie unrealistisch.
Anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall liege hier auch eine Äußerung der testierenden Ehefrau zum Willen der Ehegatten vor. Dass die Großmutter ihre Erklärung vom 15.05.2021 erst nachträglich verfasst habe, mache diese nicht wertlos. Vielmehr sei die Regelungslücke im Testament erst anlässlich der Immobilienübertragung zu Tage getreten. Es gebe keinen Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der schriftlichen Erklärung bezüglich der Motivlage beider testierender Ehegatten zu zweifeln.
Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass sich ohne die letztwillige Verfügung des D. H. das Problem nicht gestellt hätte, sondern gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Das unterscheide den vorliegenden von dem Fall, der Gegenstand der BGH-Entscheidung gewesen sei, weil dort die Ehefrau selbst über den Nachlass verfügt habe.
Mit ihrer Erklärung vom 07.11.2021 hätten sie und ihre Schwester nicht auf den Familiennachlass verzichten wollen, sondern nur im Zuge des Erbscheinsverfahrens Streit vermeiden wollen. Bei Abgabe der Erklärung hätten sie auch keine Kenntnis von dem Familiennachlass gehabt. Sollte es wider Erwarten darauf ankommen, werde seitens der Klägerin die Anfechtung ihrer Erklärung vom 07.11.2021 wegen Irrtums erklärt.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht der zulässigen Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben.
1.
Die Feststellungsklage ist entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig.
Nach
a)
Ein Rechtsverhältnis besteht hier zwischen den Parteien als jeweilige Nacherbprätendenten auch vor Eintritt des Nacherbfalls. Der Einwand der Beklagten, dass nicht schon zu Lebzeiten des Erblassers erbrechtliche Fragen durch Feststellungsklage geklärt werden könnten, weil der Erblasser ein berechtigtes Interesse habe, nicht schon zu Lebzeiten in Rechtsstreitigkeiten über das Schicksal seines Vermögens nach seinem Tode verwickelt zu werden, verfängt hier nicht. Da der künftige Erbe zu Lebzeiten des Erblassers nur eine tatsächliche Aussicht auf den Erwerb der Erbschaft besitzt, ist ein bestehendes Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Erblasser zwar grundsätzlich zu verneinen. Daher sind Klagen auf Feststellung des künftigen Eintritts oder Nichteintritts eines gesetzlichen oder gewillkürten Erbrechts oder auf Feststellung des Entstehens bzw. Nichtentstehens eines Vermächtnisses unzulässig (MüKo/Leipold, BGB, 9. Aufl., § 1922 Rn. 217). Es ist aber anerkannt, dass ab Eintritt des (ersten) Erbfalls zwischen dem Vor- und Nacherben ein gesetzliches Schuldverhältnis und damit ein Rechtsverhältnis i. S. d.
Das streitige Rechtsverhältnis muss zwar grundsätzlich zwischen den Parteien bestehen. Nach feststehender Rechtsprechung des BGH kann Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß
Die Voraussetzungen sind hier erfüllt. Beide Parteien beanspruchen für sich, jeweils Nach(ersatz)erbinnen zu sein.
b)
Die Klägerin hat auch ein rechtliches Interesse daran, dass das Bestehen dieses Rechtsverhältnisses alsbald durch richterliche Entscheidung festgestellt wird. Ein solches Interesse besteht, wenn der Rechtslage der Klägerin eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht, die durch die ideelle Rechtskraftwirkung eines Feststellungsurteils beseitigt werden kann.
Die Klägerin kann zwar - wenn sie die wahre Nacherbin ist - nach
Wegen
2.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin ist Nacherbin zu 1/6 geworden, da sie im Testament der Eheleute H. vom 25.05.1974 als Ersatznacherbin eingesetzt ist.
a)
Die testierenden Ehegatten haben mit dem Testament vom 25.05.1974 eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet. Hierfür spricht bereits der Wortlaut.
Aber auch wenn der Erblasser die Begriffe Vorerbe und Nacherbe verwendet, ist der wahre Erblasserwille zu ermitteln. Maßgebend ist der in der letztwilligen Verfügung zutage getretene Wille, die Erbschaft zunächst dem Erst- und anschließend dem Zweitberufenen zuwenden zu wollen. Bei Eheleuten kann eine Nacherbschaft nur gewollt sein, wenn nach ihrer Vorstellung das Gesamtvermögen in der Weise beim Tod des überlebenden Ehegatten getrennt sein soll, dass das Vermögen des Vorverstorbenen und das Eigenvermögen des Überlebenden als getrennte Vermögensmassen auf die (Nach-)Erben übergehen sollen (OLG Schleswig, Beschluss vom 06.06.2016 – 3 Wx 1/16,
2.
Die Klägerin ist zur Ersatznacherbin bestimmt.
Stirbt der eingesetzte Nacherbe vor dem Eintritt des Falles der Nacherbfolge, aber nach dem Eintritt des Erbfalls, so geht sein Recht auf seine Erben über, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist,
Hier ist aber ein auf den Ausschluss der Vererblichkeit gerichteter Wille der testierenden Ehegatten anzunehmen. Ob ein solcher Wille vorliegt, ist vorrangig durch unmittelbare, hilfsweise ergänzende Testamentsauslegung zu klären (BGH,
Das Testament vom 25.05.1974 enthält keine ausdrückliche Ersatznacherbeneinsetzung. Die Auslegung des Testaments ergibt hier aber, dass die Abkömmlinge der Nacherben von den Testierenden konkludent als Ersatznacherben berufen wurden.
a)
Eine konkludente Berufung der Klägerin zur Ersatznacherbin ergibt sich hier allerdings nicht bereits in Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach beim Wegfall eines bedachten Erblasserabkömmlings im Zweifel anzunehmen ist, dass dessen Abkömmlinge entsprechend der gesetzlichen Erbfolge bedacht sind (was auch für die Einsetzung als Nacherbe gilt). Denn § 2069 BGB geht dem
b)
Aber auch wenn § 2069 BGB hier keine Anwendung findet, so ist doch der dieser Vorschrift zugrunde liegende Gedanke bei der Auslegung verstärkt zu berücksichtigen (MüKo/Leipold, a. a. O., § 2069 Rn. 33; BeckOGK/Gomille, a. a. O., § 2069 Rn. 46; BeckOK /Litzenburger, a. a. O., § 2069 Rn. 11; Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2069 Rn. 6).
Denn der Wille des Erblassers, das Vermögen auch über die Person des unmittelbaren Nacherben hinaus im Familienbesitz zu erhalten und deshalb nach dem Tode des unmittelbaren Nacherben dessen Abkömmlinge, nicht dessen Erben zum Zug kommen zu lassen, steht bei Berufung eines Abkömmlings besonders häufig im Vordergrund. Auch kann das Anwartschaftsrecht des Nacherben vor dem Nacherbfall seinem Vollrecht nach erlebtem Nacherbfall nicht einfach parallel beurteilt und angenommen werden, die Beerbung durch die Erben des Nacherben habe der Erblasser dann, wenn der Nacherbe schon zwischen Erbfall und Nacherbfall stirbt, ebenso hinnehmen wollen wie dann, wenn der Nacherbe den Nacherbfall erlebt. Vielmehr besteht für einen Erblasser gerade in der Frage, ob sein Vermögen nach dem Tode des als Nacherben eingesetzten Abkömmlings weiter in der Familie bleiben oder von diesem nach Gutdünken (oder nach gesetzlicher Erbfolge) weitergegeben werden soll, nach der Lebenserfahrung typischerweise ein wesentlicher Unterschied, je nachdem der Nacherbe vor oder nach dem Nacherbfall stirbt. Wenn auch diese Erwägung nicht ausreicht, um die gesetzliche Regel des § 2108 Abs. 2 Satz 1 BGB für die Nacherbeneinsetzung eines Abkömmlings allgemein außer Kraft zu setzen, so fordert sie allerdings besonders sorgfältige Berücksichtigung bei der gebotenen Prüfung des Erblasserwillens im Einzelfall (zu Vorstehendem BGH,
Für den Vererblichkeitsausschluss des § 2108 Abs. 2 Satz 1 Ende BGB kommt es nicht nur auf den Willen an, den die Erblasser bei Testamentserrichtung wirklich gehabt (und erklärt) haben, sondern auch auf den hypothetischen Willen, den sie damals gehabt (und erklärt) hätten, wenn sie die von ihnen tatsächlich nicht vorausgesehene Entwicklung der Verhältnisse bedacht hätten, vorausgesetzt, dass in der Testamentsurkunde ein wenn auch noch so unvollkommener Anknüpfungspunkt dafür zu finden ist (BGH, a. a. O.).
Hier gibt es mehrere Anknüpfungspunkte, die die Annahme eines konkludenten Vererblichkeitsausschlusses stützen.
aa)
Als Anknüpfungspunkt für den Willen zum Ausschluss der Vererbung des Nacherbenrechts mindestens auf Familienfremde kommt bereits in Betracht, dass sämtliche Verfügungen des Testaments zugunsten der nächsten Familienangehörigen getroffen sind (BGH, a. a. O.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da sich die testierenden Ehegatten jeweils wechselseitig zu Vorerben und ihre gemeinsamen Söhne zu Nacherben eingesetzt haben.
bb)
Mit der Wiederverheiratungsklausel haben sie zudem dafür Sorge getragen, dass kein Familienfremder Erbrechte an dem Wohngrundstück (dem maßgeblichen Vermögenswert des Erblassers) erlangen kann.
cc)
Die schriftliche Erklärung der noch lebenden Vorerbin vom 15.05.2021 (Anlage K 8, Bl. 25), wonach der gemeinsame Wille der testierenden Ehegatten gewesen sei, dass ihr gemeinsamer Nachlass nicht in fremde Hände gehe, sondern in der direkten Familie bleibe und daher ihr Nachlass bei Eintritt des Nacherbfalls ausschließlich an die drei gemeinsamen Söhne bzw. an deren direkte Abkömmlinge gehen solle, bekräftigt dies zusätzlich. Zweifel daran, dass die Vorerbin, den tatsächlichen Willen der Testierenden im Jahr 1974 nicht richtig wiedergibt, sind nicht veranlasst. Denn der Inhalt der Erklärung deckt sich mit den vorgenannten Indizien. Im Übrigen verfolgt die Vorerbin auch keine eigenen Interessen mit der Abgabe der Erklärung. Soweit die Beklagte meint, die Vorerbin setzte sich mit ihrem tatsächlichen Verhalten - dem Abschluss des Übertragungsvertrages vom 13.10.2021 - in Widerspruch, ist zu berücksichtigen, dass der Übertragungsvertrag nach der Erklärung vom 15.05.2021 geschlossen wurde. Dass die Beklagte dabei als Nacherbin behandelt und in den Vertrag einbezogen wurde, mag auf einer entsprechenden rechtlichen Wertung und Belehrung des Notars beruht haben. Mit ihrer Erklärung vom 15.05.2021 hat die Vorerbin hingegen allein Tatsachen bekundet, die nach ihrer Erinnerung für die Testierenden seinerzeit maßgeblich waren.
dd)
Bei der Frage nach dem konkludenten Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenrechts stellt der BGH außerdem entscheidend darauf ab, ob es den Testierenden auf den Verbleib des Erblasservermögens über den Nacherbfall hinaus innerhalb der Familie ankam (dann gilt Ersatzerbfolge der weiteren Abkömmlinge) oder sie die Erhöhung der Kreditfähigkeit des unmittelbar berufenen Nacherben und damit dessen Eigeninteresse im Sinn hatten (dann gilt die Vererbung des Anwartschaftsrechts auf die Nacherbenerben). Für Letzteres spricht hier in Zusammenschau mit den vorgenannten Kriterien unter aa) und bb) und dem seinerzeitigen Alter der Abkömmlinge nichts.
3.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf
4.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO sind nicht gegeben, da die für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Rechtsfragen durch den BGH bereits geklärt sind.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Brandenburg
Erscheinungsdatum:15.08.2023
Aktenzeichen:3 U 204/22
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB §§ 2069, 2087, 2108