Entbehrlichkeit der Mahnung nach Fälligkeit bei vorheriger Erklärung des Schuldners, nicht rechtzeitig leisten zu können
letzte Aktualisierung: 17.8.2023
BGH, Urt. v. 20.4.2023 – I ZR 140/22
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 4
Entbehrlichkeit der Mahnung nach Fälligkeit bei vorheriger Erklärung des Schuldners,
nicht rechtzeitig leisten zu können
a) Erklärt der Schuldner noch vor Fälligkeit, dass er nicht rechtzeitig leisten könne, würde es eine
reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers nach
Fälligkeit abhängig zu machen, der der Schuldner seinen Erklärungen zufolge ohnehin nicht Folge
leisten kann. In einem solche Fall ist eine Mahnung nach Fälligkeit entbehrlich.
b) Der Gläubiger kann vom Schuldner den Ersatz erforderlicher Kosten der Schadensabwendung
anstelle des höheren originären Verzögerungsschadens verlangen, der nach Verzugseintritt ohne die
Maßnahmen des Gläubigers entstanden wäre.
Entscheidungsgründe:
A. Das Berufungsgericht hat angenommen, der anspruchsberechtigten
Klägerin stehe der wegen der Aufwendungen ihrer Versicherungsnehmerin für
den Lufttransport geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu. Zur Begründung
hat es ausgeführt:
Der Schadensersatzanspruch ergebe sich allerdings nicht aus dem Gesichtspunkt
des Verzugs. Die Versicherungsnehmerin habe keinen fälligen und
durchsetzbaren Anspruch gegen die Beklagte auf Verschiffung der Produktionsteile
am 24. Juni 2017 gehabt. Die Ablieferung der Container sei ausgehend von
einer planmäßigen Verladung auf das Containerschiff "APL H. " am 24. Juni
2017 frühestens am 13. Juli 2017 fällig gewesen. Die beiden E-Mails der Versicherungsnehmerin
vom 6. Juli 2017 seien zwar Mahnungen, weil die Versicherungsnehmerin
deutlich gemacht habe, sie erwarte eine Erfüllung. Vor Fälligkeit
lösten die Mahnungen jedoch keinen Verzug aus. Eine Mahnung nach Fälligkeit
sei auch nicht entbehrlich gewesen. Es liege keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung
im Sinne von § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB vor, weil die Beklagte
noch vor Fälligkeit ablehnend geantwortet habe. Aus demselben Grund lägen
keine besonderen Gründe nach
der beiderseitigen Interessen den sofortigen Eintritt der Verzugsfolgen rechtfertigen
würden.
Der Schadensersatzanspruch folge jedoch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen
einer Verletzung der allgemeinen Pflicht zur vertragsgemäßen Leistungserbringung.
Dies sei gerechtfertigt, weil die Beklagte unmissverständlich zu erkennen
gegeben habe, die Leistung nicht rechtzeitig erbringen zu können, und die Versicherungsnehmerin
schon vor Fälligkeit Aufwendungen getätigt habe, die nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Abwendung eines höheren Schadens
erforderlich gewesen seien. Wenn das sofortige Tätigwerden der Versicherungsnehmerin
im Interesse beider Vertragsparteien zur Vermeidung eines drohenden
höheren Schadens geboten sei, könne es nicht auf eine Mahnung nach Fälligkeit
ankommen.
B. Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig
(dazu B I) und begründet (dazu B II).
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin befugt, den erhobenen
Zahlungsanspruch gerichtlich geltend zu machen.
1. Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder
Lage des Verfahrens, also auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu
prüfen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - I ZR 135/21, RdTW
2023, 58 [juris Rn. 12] mwN). Das Revisionsgericht hat selbstständig festzustellen,
ob die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis im Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben und
im Revisionsverfahren fortbestehen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2022
- I ZR 69/21,
im Internet, mwN). Für erforderliche Ermittlungen gelten dabei nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Grundsätze des Freibeweises
(BGH, RdTW 2023, 58 [juris Rn. 12] mwN).
2. Die Klägerin kann den mit der Klage geltend gemachten Anspruch in
Höhe von 7.600 USD infolge der Regulierung des Schadens der Versicherungsnehmerin
geltend machen, weil deren Anspruch gegen die Beklagte in dieser
Höhe gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf sie übergegangen ist.
3. Im Übrigen ist die Klägerin aufgrund der Ermächtigung der Versicherungsnehmerin
berechtigt, den von dieser zu tragenden Selbstbehalt in Höhe von
5.000 USD in gewillkürter Prozessstandschaft gerichtlich geltend zu machen.
a) Eine gewillkürte Prozessstandschaft ist zulässig, wenn der Prozessführende
vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozessführung ermächtigt worden
ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat. Das schutzwürdige
Eigeninteresse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene
Rechtslage des Prozessführenden hat. Es kann auch durch ein wirtschaftliches
Interesse begründet werden (BGH, Urteil vom 10. Juni 2016 - V ZR 125/15,
b) Die Klägerin ist von ihrer Versicherungsnehmerin zur Prozessführung
ermächtigt worden. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen.
Nach der schriftlichen Bestätigung der Versicherungsnehmerin vom
10. Dezember 2019 ist die Klägerin berechtigt, den von dieser zu tragenden
Selbstbehalt in einem Regress gegen den Schädiger gerichtlich geltend zu machen.
Mit dem die Versicherungsnehmerin betreffenden Handelsregisterauszug
hat die Klägerin die Vertretungsbefugnis der Unterzeichner dieser Bestätigung
belegt.
c) Die Klägerin hat an der Prozessführung ein eigenes schutzwürdiges Interesse.
Erfolgt wie im Streitfall zum Ersatz des Schadens des Versicherungsnehmers
lediglich eine Teilzahlung des Versicherers, wird der ursprünglich einheitliche
Anspruch des Geschädigten gegen den Schädiger aufgespalten. Infolge
des gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 86 Abs. 1 VVG wird der Versicherer
im Umfang der Regulierung Anspruchsinhaber; soweit keine Schadensregulierung
erfolgt, bleibt der geschädigte Versicherungsnehmer anspruchsberechtigt.
Bei einer solchen Sachlage liegt eine umfassende und abschließende
Regulierung der Ansprüche des Geschädigten in einem einzigen Verfahren im
allseitigen Interesse (vgl. zur Regulierungsvollmacht des Versicherers BGH, Urteil
vom 11. Oktober 2006 - IV ZR 329/05,
II. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht die Klage als begründet
angesehen. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch
ihrer Versicherungsnehmerin ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht
des Berufungsgerichts bereits aus dem Gesichtspunkt des Verzugs (§ 280 Abs. 1
und 2,
Die Beklagte war gegenüber der Versicherungsnehmerin verpflichtet, die
Produktionsteile von Deutschland nach Mexiko zu verschiffen (dazu B II 1). Diese
Leistung hat die Beklagte nicht rechtzeitig erbracht (dazu B II 2). Sie befand sich
mit der Leistungserbringung auch in Verzug (dazu B II 3). Die von der Versicherungsnehmerin
aufgewandten Kosten für eine Beförderung mit dem Flugzeug
stellen außerdem einen von der Beklagten zu erstattenden Verzögerungsschaden
dar (dazu B II 4). Der Zinsanspruch ist ebenfalls begründet (dazu B II 5).
1. Der Versicherungsnehmerin stand gegen die Beklagte ein Anspruch auf
Verschiffung der im Juni 2017 in Container geladenen Produktionsteile mit dem
Schiff von Bremen nach Mexiko zu.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Beklagte nicht lediglich
verpflichtet gewesen sei, von verschiedenen Produktionsstätten innerhalb
Europas Produktionsteile abzuholen und entsprechend den Weisungen der Versicherungsnehmerin
zu Containerladungen zusammenzustellen, in Container zu
stauen und die konsolidierten Container an den von der Versicherungsnehmerin
benannten Seebeförderer zu übergeben. Die Beklagte sei auch für den Seetransport
der in Rede stehenden Produktionsteile nach Mexiko verantwortlich gewesen.
Dies ergebe sich aus dem Rahmenvertrag der Parteien. Unter der Überschrift
"Description of the transport relation" heiße es unter Buchstabe b "ocean
freight business from Germany to Mexico". Außerdem sei dort ausdrücklich geregelt,
dass die Beklagte als "carrier" hafte, selbst wenn sie nur als Spediteur
oder als Agent tätig geworden sei.
b) Diese Auslegung des Rahmenvertrags durch das Berufungsgericht
steht im Revisionsverfahren nicht in Streit. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler
erkennen.
2. Die Beklagte hat die ihr obliegende Leistung nicht rechtzeitig erbracht.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, zwar habe die Versicherungsnehmerin
keinen fälligen und durchsetzbaren Anspruch gegen die Beklagte auf
Verschiffung der Produktionsteile am 24. Juni 2017 gehabt. Im Rahmen des von
der Beklagten geschuldeten Seetransports nach Mexiko habe ihre Hauptleistungspflicht
gemäß
zu befördern und dem Empfänger abzuliefern. Da ausweislich der
"Timeline EXW Pick up-DAT Veracruz" für die Seebeförderung eine Dauer von
19 Tagen eingeplant gewesen sei, wäre die Ablieferung der Container bei planmäßiger
Verladung auf das Containerschiff "APL H. " am 24. Juni 2017 frühestens
am 13. Juli 2017 fällig gewesen. Nachdem die Beklagte der Versiche-
rungsnehmerin mitgeteilt habe, dass die Container wegen eines Maschinenschadens
nicht wie geplant in der Kalenderwoche 25 auf das Containerschiff "APL
H. " verladen werden konnten und stattdessen auf das Motorschiff "MS L.
" verladen werden würden, welches in der Kalenderwoche 26 abfahren sollte,
habe die Beklagte am 6. Juli 2017 der Versicherungsnehmerin per E-Mail mitgeteilt,
dass die Container nicht auf das Motorschiff "MS L. ", sondern auf das
Motorschiff "MS B. " verladen werden würden, welches in der Kalenderwoche
27 am 10. Juli 2017 abfahren und am 25. Juli 2017 in Mexiko ankommen
sollte. Mit einer weiteren E-Mail habe die Beklagte mitgeteilt, dass es keinen Sinn
ergebe, die Container vom Terminal zu holen, weil dann alles noch länger dauern
würde. Die Beklagte habe damit unmissverständlich zu erkennen gegeben, die
Leistung nicht rechtzeitig erbringen zu können.
b) Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
aa) Im Streitfall sind die Regeln des allgemeinen Schuldrechts anwendbar.
Dabei kann offen bleiben, ob die Parteien in Ausführung des zwischen ihnen bestehenden
Rahmenvertrags betreffend die in Rede stehenden Produktionsteile
einen einheitlichen Frachtvertrag über eine Beförderung mit verschiedenartigen
Beförderungsmitteln (Multimodaltransport) im Sinne von § 452 HGB (Beförderung
über Land nach Bremen und Beförderung per Schiff nach Mexiko) oder über
jeden Teil der Beförderung - also auch für die Verschiffung der Produktionsteile
von Deutschland nach Mexiko - mit jeweils einem Beförderungsmittel jeweils einen
gesonderten Vertrag geschlossen haben. Im einen wie im anderen Fall gelangt
vorliegend das Seefrachtrecht zur Anwendung. Da feststeht, dass die Verzögerung
auf der Seestrecke eingetreten ist, bestimmt sich die Haftung der Beklagten
auch im Fall eines vereinbarten Multimodaltransports gemäß § 452a
Satz 1 HGB nach Seefrachtrecht. Das Seefrachtrecht enthält keine spezialgesetzliche
Regelung für die Haftung des Verfrachters für Schäden, die aus einer
verspäteten Ablieferung des Guts entstehen. Ob eine Haftung besteht, bestimmt
sich deshalb nach den allgemeinen Vorschriften über den Verzug (Bahnsen in
Rabe/Bahnsen, Seehandelsrecht, 5. Aufl.,
MAH Internationales Wirtschaftsrecht, § 8 Rn. 253).
bb) Aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich,
dass die Beklagte die von ihr geschuldete Beförderungsleistung jedenfalls vor
dem 25. Juli 2017 zu erbringen hatte. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen
dazu getroffen, ob und wann die Beklagte die von ihr beladenen Container
bei der Empfängerin in Mexiko abgeliefert hat. Die Revision macht geltend, die
Container seien wie angekündigt am 25. Juli 2017 mit der "MS B. " dort
angekommen. Auch dann hätte die Beklagte allerdings ihre vertraglichen Pflichten
zu spät erfüllt.
(1) Wann die vom Schuldner zu erbringende Leistung geschuldet ist, ergibt
sich im Grundsatz aus
verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken, wenn eine Zeit für die Leistung
weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen ist (
Ist eine Zeit bestimmt, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Gläubiger die
Leistung nicht vor dieser Zeit verlangen, der Schuldner aber sie vorher bewirken
kann (§ 271 Abs. 2 BGB). Ergänzend ist die für das Frachtgeschäft geltende Legaldefinition
des § 423 HGB heranzuziehen. Danach ist der Frachtführer verpflichtet,
das Gut innerhalb der vereinbarten Frist oder mangels Vereinbarung
innerhalb der Frist abzuliefern, die einem sorgfältigen Frachtführer unter Berücksichtigung
der Umstände vernünftigerweise zuzubilligen ist (Lieferfrist). Maßgeblich
für den Zeitpunkt, bis zu dem die geschuldete Leistung zu erbringen ist, ist
danach in erster Linie die Parteivereinbarung.
(2) Der zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossene
Rahmenvertrag enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, zu welchen
Zeitpunkten die von der Beklagten geschuldeten Seetransporte durchgeführt und
die Produktionsteile in Mexiko abgeliefert werden sollten.
(3) Das Berufungsgericht hat den weiteren Abreden der Parteien des Rahmenvertrags
und den Umständen entnommen, dass die Beklagte verpflichtet
war, die in Rede stehenden Produktionsteile jedenfalls vor dem 25. Juli 2017 in
Mexiko abzuliefern. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen
Feststellungen des Landgerichts war der Beklagten bekannt, dass die Versicherungsnehmerin
Automobilzulieferer ist und es ihr auf die Einhaltung eines genauen
Zeitplans ankommt. Wie sich aus der Bezugnahme des Berufungsgerichts
auf die Wochenübersichten - "Timeline EXW Pick up-DAT Veracruz" - ergibt, die
kleinschrittige, wöchentliche Lieferzyklen abbilden, hat das Berufungsgericht die
Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien durch das Landgericht
gebilligt, wonach eine wöchentliche Lieferpflicht der Beklagten bestand.
(4) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht damit
festgestellt, dass die Ablieferungsverpflichtung der Beklagten vor der geplanten
Ankunft des Motorschiffs "MS B. " in Mexiko am 25. Juli 2017 fällig war. Es
kann offenbleiben, ob bereits eine Fälligkeit zum vorgesehenen Ankunftstermin
des Containerschiffs "APL H. " am 13. Juli 2017 eingetreten ist. Angesichts
der vorgesehenen wöchentlichen Lieferpflicht der Beklagten wäre eine Ablieferung
unter Einsatz des erst nahezu zwei Wochen später in Mexiko eintreffenden
Motorschiffs "MS B. " jedenfalls verspätet gewesen.
3. Die Beklagte befand sich mit ihrer Leistung auch in Verzug.
a) Nach
des Gläubigers in Verzug, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt. Nach § 286
Abs. 2 BGB ist in den dort genannten Fällen eine Mahnung für den Verzugseintritt
entbehrlich.
b) Im Streitfall ist eine Mahnung der Versicherungsnehmerin nach Fälligkeit
nicht erfolgt. Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Mahnung der Versicherungsnehmerin
sei nach dem 13. Juli 2017 - dem frühest möglichen Zeitpunkt
der Fälligkeit der von der Beklagten geschuldeten Ablieferung der Produktionsteile
in Mexiko - nicht erfolgt. Die E-Mails der Versicherungsnehmerin vom
6. Juli 2017, mit denen sie deutlich gemacht habe, dass sie eine Erfüllung, notfalls
durch einen Transport mit einem Flugzeug, erwarte, stellten zwar Mahnungen
dar. Diese Mahnungen seien jedoch vor Fälligkeit erfolgt. Diese Beurteilung
wird von der Revision nicht angegriffen. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
c) Die Revisionserwiderung macht mit Erfolg geltend, dass entgegen der
Ansicht des Berufungsgerichts im Streitfall eine Mahnung nach Fälligkeit entbehrlich
war.
aa) Nach § 286 Abs. 2 BGB bedarf es einer Mahnung nicht, wenn für die
Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist (Nr. 1), der Leistung ein Ereignis
vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der
Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen
lässt (Nr. 2), der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert
(Nr. 3) oder aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen
Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist (Nr. 4).
bb) Es kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen von § 286 Abs. 2 Nr. 1,
2 oder 3 BGB vorgelegen haben. Einer Mahnung der Versicherungsnehmerin
nach Fälligkeit bedurfte es im Streitfall jedenfalls deshalb nicht, weil gemäß § 286
Abs. 2 Nr. 4 BGB aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen
Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt war.
(1) Die Mahnung soll den Schuldner in die Lage versetzen zu erkennen,
dass das Ausbleiben seiner Leistung Folgen haben werde, und ihn zur sofortigen
Leistung veranlassen. Eine besondere Mahnung durch den Gläubiger kann deshalb
überflüssig sein, wenn der mit der Mahnung verfolgte Zweck bereits durch
den Vertragsabschluss selbst erreicht ist. Muss sich der Schuldner bereits aufgrund
der Vertragserklärungen darüber klar sein, dass er die Folgen auf sich
nehmen muss, wenn er die Zeit nicht einhält, innerhalb der die Erfüllung vereinbart
worden ist, ist eine Mahnung durch den Gläubiger nach Treu und Glauben
entbehrlich, weil sie reine Förmelei wäre (BGH, Urteil vom 17. Dezember 1996
- X ZR 74/95,
einer Selbstmahnung kann eine Mahnung entbehrlich sein, wenn der Schuldner
die alsbaldige Leistung ankündigt, aber gleichwohl nicht leistet (vgl. BGH, NJWRR
1997, 622 [juris Rn. 13]; BGH, Urteil vom 16. Januar 2008 - VIII ZR 222/06,
181, 132 [juris Rn. 24]; Urteil vom 13. Juli 2012 - V ZR 94/11,
[juris Rn. 22]; zum Seefrachtrecht vgl. auch Bahnsen, RdTW 2021, 219, 220). Im
Streitfall hat das Berufungsgericht das Vorliegen mehrerer solcher Umstände
festgestellt, die eine Mahnung entbehrlich erscheinen lassen.
(2) Die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien ließen für die Beklagte
bereits erkennen, dass die Nichteinhaltung des vorgesehenen Zeitplans für sie
nachteilige Folgen haben würde. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
war die Beklagte zu wöchentlichen Lieferungen verpflichtet. In den Wochenübersichten,
auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, war festgehalten,
an welchen Tagen einer Kalenderwoche die Beklagte sogenannte pickup-
sheets erhält, anhand derer sie die in dieser Woche vorgesehenen Produktionsteile
an jeweils bestimmten Tagen sammelt, in Container verlädt und für den
Seetransport vorbereitet. Die Wochenübersichten sahen außerdem einen konkreten
Zeitraum für den Seetransport vor. Daraus ergab sich für die Beklagte,
dass es der Versicherungsnehmerin auf eine regelmäßige Belieferung ihrer Abnehmerin
in Mexiko und eine Vermeidung von Verzögerungen ankam. Der Beklagten
musste danach bereits bei ihrer E-Mail-Mitteilung an die Versicherungsnehmerin
vom 30. Juni 2017, dass die vorgesehene Verladung der beiden von
ihr beladenen Container auf das Containerschiff "APL H. " nicht möglich sei,
klar sein, dass sie den vorgegebenen Zeitrahmen nicht einhalten können werde.
Erst recht galt dies für den Zeitpunkt der Abfassung ihrer Mitteilung per E-Mail
vom 6. Juli 2017, mit der sie der Versicherungsnehmerin mitgeteilt hat, dass die
Container nicht - wie zunächst vorgesehen - ersatzweise auf das Motorschiff
"MS L. ", sondern auf das Motorschiff "MS B. " verladen werden würden,
das eine weitere Kalenderwoche später abfahren sollte.
(3) Darüber hinaus hat die Beklagte bei Mitteilung der erstmaligen Verzögerung
der Verschiffung der beiden Container in Kenntnis des Umstands, dass
es der Versicherungsnehmerin auf die Einhaltung eines genauen Zeitplans ankommt,
angekündigt, die Verladung werde in der Kalenderwoche 26 auf das
Motorschiff "MS L. " erfolgen. Darin liegt die Ankündigung einer alsbaldigen
Leistung. Die darin enthaltene Terminzusage hat die Beklagte nicht eingehalten
und eine Verladung erst in der Kalenderwoche 27 in Aussicht gestellt.
(4) Hinzu kommt im Streitfall, dass die Versicherungsnehmerin - wenn
auch vor Fälligkeit - die Beklagte aufgefordert hatte, für einen schnelleren Transport
von bestimmten Produktionsteilen zu sorgen. Die Beklagte hatte demgegenüber
in ihrer zweiten E-Mail vom 6. Juli 2017 - also ebenfalls vor Fälligkeit - unmissverständlich
zu erkennen gegeben, dass sie hierzu nicht in der Lage sei.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie darin erklärt, dass alles
noch länger dauern würde, wenn die Container vom Terminal geholt würden. Erklärt
der Schuldner wie im Streitfall noch vor Fälligkeit, dass er nicht rechtzeitig
leisten könne, würde es eine reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs
von einer Mahnung des Gläubigers nach Fälligkeit abhängig zu machen, der der
Schuldner seinen Erklärungen zufolge ohnehin nicht Folge leisten kann. Anders
als das Berufungsgericht meint, steht der Annahme, dass eine Mahnung im
Streitfall entbehrlich ist, nicht entgegen, dass die besonderen Gründe aus der
Zeit vor der Fälligkeit der Leistung der Beklagten stammen. Nach der Vorschrift
des
entbehrlich, nicht jedoch die Fälligkeit der Leistung. Die Vorschrift führt auch nicht
dazu, dass die Fälligkeit vorverlagert wird. Wirken jedoch wie im Streitfall vor Fälligkeit
liegende besondere Gründe bis zum Fälligkeitszeitpunkt fort, tritt der Verzug
nach
4. Die Aufwendungen für den Lufttransport sind als erforderliche Kosten
der Schadensabwendung im Sinne von
höheren originären Verzögerungsschadens ersatzfähig, der nach Verzugseintritt
ohne die Maßnahmen der Versicherungsnehmerin entstanden wäre.
a) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, ein Anspruch der Klägerin auf
Ersatz der Kosten der Flugbeförderung sei von vornherein ausgeschlossen, weil
es sich dabei nicht um Schadensersatz neben der Leistung, sondern um Schadensersatz
statt der Leistung handele. Schadensersatz statt der Leistung könne
die Klägerin jedoch nicht mehr verlangen, weil die Versicherungsnehmerin weiter
Erfüllung verlange und die Beklagte durch den Transport der beiden Container
auf dem Motorschiff "MS B. " ihre Verpflichtungen erfüllt habe.
aa) Der Gläubiger hat im Fall des Verzugs Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens,
§ 280 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 286 BGB. Dabei
handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, der neben den Erfüllungsanspruch
tritt.
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Mehrkosten
eines Deckungskaufs durch den Käufer nicht als Verzögerungsschaden ersatzfähig.
Denn bei derartigen Kosten handelt es sich nicht um einen Verzögerungs-
oder Begleitschaden, sondern um einen Schaden wegen Ausbleibens der
geschuldeten Leistung, der an deren Stelle tritt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2013
- VIII ZR 169/12,
kann der Gläubiger nur unter den Voraussetzungen der § 280 Abs. 1 und 3 in
Verbindung mit § 281 BGB und somit nicht neben der Vertragserfüllung beanspruchen
(
Gläubigers auf die Leistung, wenn er statt der Leistung Schadensersatz verlangt
(§ 281 Abs. 4 BGB). Umgekehrt schließt die Erfüllung einen Anspruch auf Erstattung
von (Mehr-)Kosten eines zuvor getätigten eigenen Deckungsgeschäfts aus
(
cc) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann im Streitfall nicht
zur Anwendung gelangen.
In dem Fall, der der in
Bundesgerichtshofs zugrunde lag, hatte der Käufer den Verkäufer zunächst erfolgreich
auf Leistung in Anspruch genommen. Außerdem verlangte er im Anschluss
daran den Ersatz der Mehrkosten für Deckungskäufe, die er infolge der
Lieferverweigerung des Verkäufers getätigt hatte. In diesem Fall waren beide Ansprüche
auf das positive Interesse gerichtet.
So liegt der Streitfall nicht. Die Versicherungsnehmerin hat im Streitfall
zwar einen Dritten mit dem Lufttransport einiger Produktionsteile nach Mexiko
beauftragt, weil die Beklagte zu einer rechtzeitigen Ablieferung dieser Teile in
Mexiko im Wege des vereinbarten Seetransports nicht imstande und zur Durchführung
eines Lufttransports nicht willens war. Dabei sind der Versicherungsnehmerin
auch deutlich höhere Kosten als durch die mit der Beklagten vereinbarte
Vergütung für die Seebeförderung entstanden. Die Versicherungsnehmerin hat
die Kosten für einen Lufttransport jedoch nicht aufgewandt, um überhaupt eine
Beförderungsleistung zu erhalten, sondern - anders als in dem Verfahren, das
der in
lag - um einen Verzögerungsschaden zu vermeiden. Nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts wäre es wegen der verspäteten Ablieferung der
Container am 25. Juli 2017 ohne den Lufttransport zu einem Haftungsschaden
der Versicherungsnehmerin gegenüber ihrer Abnehmerin gekommen. Für diesen
Verzögerungsschaden hätte die Beklagte nach § 280 Abs. 1 und 2 in Verbindung
mit § 286 BGB gehaftet, weil er nach Verzugseintritt entstanden und adäquat
kausal durch die Verzögerung verursacht worden wäre. Es handelt sich hier also
nicht um einen Deckungskauf in dem Sinne, dass die geschuldete Leistung (endgültig)
durch eine andere Leistung ersetzt wird und der Erfüllungsanspruch erlischt
(vgl.
b) Die durch die Luftbeförderung verursachten Kosten sind ebenso wie der
Schaden, zu dessen Vermeidung sie aufgewendet wurden, als gemäß § 280
Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 286 BGB ersatzfähiger Verzögerungsschaden
anzusehen.
aa) Der Schadensminderungs- oder -abwendungspflicht des Geschädigten
steht die Pflicht des Schädigers gegenüber, dem Geschädigten den Aufwand
für seine Maßnahmen zur Schadensminderung oder -abwendung zu ersetzen
(BGH, Urteil vom 10. Mai 1960 - VI ZR 35/59,
vom 6. April 1979 - I ZR 94/77,
- Falschmeldung, mwN; Urteil vom 4. Mai 1982 - VI ZR 175/80,
[juris Rn. 10]; Urteil vom 1. April 1993 - I ZR 70/91,
- Verfügungskosten; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 578;
Erman/Ebert, BGB, 16. Aufl., § 254 Rn. 54; BeckOK.BGB/Lorenz, 65. Edition
[Stand 1. Februar 2023], § 254 Rn. 27; MünchKomm.BGB/Oetker, 9. Aufl., § 254
Rn. 70). Nach diesem allgemeinen schadensrechtlichen Grundsatz, der ungeachtet
der Anspruchsgrundlage gilt (vgl.
sind die Kosten der Schadensabwendung nach derjenigen Anspruchsgrundlage
zu ersetzen, nach der die vermiedenen Schäden auszugleichen
gewesen wären (vgl. auch BeckOGK.BGB/Dornis, Stand 1. Oktober 2022,
§ 286 Rn. 27 und 351; Gsell,
Leistung verlangt werden (vgl. unter dem Zurechnungskriterium der Herausforderung
auch Lorenz in Festschrift Leenen, 2012, S. 147, 162; vgl. im Ergebnis
auch BeckOGK.BGB/Dornis aaO § 286 Rn. 351; MünchKomm.BGB/Ernst aaO
§ 286 Rn. 145 und 180; Faust in Festschrift Huber, 2006, S. 239, 256; Gsell,
bb) Danach sind die Kosten der Luftbeförderung von der Beklagten als
Verzögerungsschaden zu erstatten. Hätte die Versicherungsnehmerin es zum
Eintritt des Verzögerungsschadens infolge einer verspäteten Lieferung der Produktionsteile
kommen lassen und die Beklagte auf dessen Ersatz in Anspruch
genommen, hätte ihr die Beklagte entgegenhalten können, sie habe es entgegen
abzuwenden oder zu mindern.
c) Der Ersatzfähigkeit der Kosten, die von der Versicherungsnehmerin
zum Zweck der Schadensvermeidung aufgewendet worden sind, steht entgegen
der Ansicht der Revision nicht entgegen, dass diese Kosten nicht durch den Verzug
der Beklagten verursacht worden sind. Die von der Versicherungsnehmerin
aufgewandten Kosten der Luftbeförderung dienten dazu, den Eintritt eines adäquat-
kausalen Schadens - Produktionsstillstand bei dem Kunden der Versicherungsnehmerin
in Mexiko, für den die Versicherungsnehmerin unter Verzugsgesichtspunkten
gehaftet hätte und für den sie ihrerseits die Beklagte hätte haftbar
machen können - zu vermeiden. Die Kosten der Vermeidung eines solchen Scha-
dens werden aus Rechtsgründen als durch den Verzug adäquat-kausal verursacht
angesehen (zum Schaden aus dem Vollzug einer einstweiligen Verfügung
vgl.
ob die Versicherungsnehmerin die Luftbeförderung erst nach dem Verzug
der Beklagten in Auftrag gegeben hat. Werden - wie im Streitfall - Maßnahmen
zur Schadensabwendung oder -minderung als Verzögerungsschaden geltend
gemacht, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob diese Maßnahmen erst
nach Eintritt des haftungsbegründenden Ereignisses oder vorsorglich schon vorher
getroffen worden sind (
d) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist durch die von der
Versicherungsnehmerin veranlasste Luftbeförderung ein erheblich höherer
Schaden vermieden worden. Dagegen wendet sich die Revision nicht.
e) Die durch den Lufttransport ersparten Seetransportkosten hat die Klägerin
bei Bezifferung ihrer Forderung zutreffend als auszugleichenden Vorteil berücksichtigt.
5. Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ist unter dem Gesichtspunkt
des Verzugs ebenfalls begründet und ergibt sich aus § 288 Abs. 1
BGB.
C. Danach ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung
folgt aus
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:20.04.2023
Aktenzeichen:I ZR 140/22
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 4