BGH 14. Juni 2024
V ZR 8/23
BGB §§ 139, 311b Abs. 1 S. 1

Zahlung eines Kaufpreisteils vor Beurkundung; Formmangel; Widerlegung der Vermutung der Gesamtnichtigkeit

letzte Aktualisierung: 2.9.2024
BGH, Urt. v. 14.6.2024 – V ZR 8/23

BGB §§ 139, 311b Abs. 1 S. 1
Zahlung eines Kaufpreisteils vor Beurkundung; Formmangel; Widerlegung der Vermutung
der Gesamtnichtigkeit

a) Die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages
führende Vermutung des § 139 BGB ist bereits dann widerlegt, wenn der Käufer die im
Voraus geleistete Zahlung auf den Kaufpreis zu beweisen vermag (Bestätigung von Senat, Urteil
vom 17. März 2000 – V ZR 362/98, NJW 2000, 2100).
b) Die Widerlegung der Vermutung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die
Zahlung quittiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen
kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld gezahlt zu haben.

Entscheidungsgründe:

I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger gegen die Beklagten
keinen Anspruch auf Übereignung des zweiten Miteigentumsanteils. Der
notarielle Kaufvertrag vom 8. November 2018 sei formunwirksam und damit nichtig.
Soweit der Kläger behaupte, die mittels der beiden Überweisungen geleistete
Gesamtzahlung von 80.000 € hätte in Höhe von 40.000 € vereinbarungsgemäß
auf den Kaufpreis aus dem erst nachfolgend geschlossenen Kaufvertrag vom
8. November 2018 verrechnet werden sollen, handele es sich um eine beurkundungsbedürftige
Vorauszahlungsabrede, die mangels Beurkundung nichtig sei.

Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB ziehe die Nichtigkeit dieses Vertragsteils
die Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages nach sich. Zwar könne insoweit
eine Einschränkung geboten sein, wenn der Käufer die Vorauszahlung zu
belegen vermöge. Dies sei aber hier nicht der Fall. Für den Kläger als Käufer sei
die Vorauszahlung bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages nicht belegbar
gewesen. Dagegen spreche zunächst der Inhalt des notariellen Kaufvertrages
selbst, der die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe und
keine Anhaltspunkte für die Vorauszahlungsvereinbarung enthalte. Auch ein weiterer,
nicht in Vollzug gesetzter Vertrag zwischen dem Kläger und dem Erblasser
vom 5. September 2018 über eine andere Immobilie (Eigentumswohnung) enthalte
keine Hinweise auf die Vorauszahlung. Die Überweisungen des Klägers
könnten als Beleg nicht dienen, da es sich um einseitige Handlungen und nicht
um Quittungen des Erblassers handele. Der neue Vortrag des Klägers zu einem
sog. Immobilien-Übergabeprotokoll vom 15. Mai 2017 sei schon nicht zuzulassen.
Es handele sich um ein neues Angriffsmittel i.S.v. § 531 ZPO. Selbst wenn
man die Vereinbarung aber berücksichtige, habe der Kläger aus seiner Sicht
nicht von einer hinreichenden Belegbarkeit ausgehen können, denn eine entsprechende
Vereinbarung wäre durch den nicht vollzogenen Vertrag vom 5. September
2018 und den notariellen Kaufvertrag vom 8. November 2018 zumindest in
Frage gestellt worden.

II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht
gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Übereignung
des zweiten Miteigentumsanteils gemäß § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht
verneint werden. Ein solcher Anspruch kann sich aus dem zwischen dem Kläger
und dem Erblasser geschlossenen Kaufvertrag vom 8. November 2018 über den
zweiten Miteigentumsanteil ergeben; dass dieser Vertrag insgesamt unwirksam
ist, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings, dass die von dem Kläger
behauptete Vereinbarung über die Vorauszahlung des Kaufpreises für den zweiten
Miteigentumsanteil gemäß § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 125 Satz 1
BGB nichtig wäre, weil sie nicht notariell beurkundet wurde. Eine solche Vereinbarung
ist beurkundungsbedürftig. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung
des Senats, dass die Einigung über die Anrechnung einer Vorauszahlung auf die
Kaufpreisforderung dem Beurkundungszwang nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB
unterliegt, weil sie konstitutive rechtliche Bedeutung hat (vgl. Senat, Urteil vom
20. September 1985 - V ZR 148/84, NJW 1986, 248; Urteil vom 10. Dezember
1993 - V ZR 108/92, NJW 1994, 720, 721; Urteil vom 19. Juni 1998
- V ZR 133/97, NJW-RR 1998, 1470; Urteil vom 17. März 2000 - V ZR 362/98,
DNotZ 2000, 931, 932). Das ergibt sich insbesondere daraus, dass im Zeitpunkt
der Vorauszahlung die Kaufpreisforderung noch nicht besteht und die Vorauszahlung
daher - ohne eine dahingehende Vereinbarung - nicht schon von Rechts
wegen zu einer Teilerfüllung der Kaufpreisschuld führen könnte (grundlegend
Senat, Urteil vom 11. November 1983 - V ZR 150/82, NJW 1984, 974, 975). Danach
wäre die Vorauszahlungsvereinbarung beurkundungsbedürftig und - mangels
Beurkundung - nichtig.

2. Damit steht aber nicht fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 8. November
2018 gemäß § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Zwar ist dies nach der
Auslegungsregel des § 139 BGB zu vermuten; doch kann diese Vermutung gerade
im Falle einer Kaufpreisvorauszahlung bei Vorliegen besonderer Umstände
widerlegt sein (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 1993 - V ZR 108/92, NJW
1994, 720, 721). Das kommt, anders als das Berufungsgericht meint, auch hier
in Betracht.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, von der auch das Berufungsgericht
ausgeht, ist die wegen des Formmangels einer Vorauszahlungsabrede
zur Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages führende Vermutung des § 139
BGB dann widerlegt, wenn der Käufer die im Voraus geleistete Zahlung auf den
Kaufpreis zu beweisen vermag (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 1982 - V ZR
161/81, NJW 1983, 563, 564; Urteil vom 11. November 1983 - V ZR 150/82, NJW
1984, 974, 975; Urteil vom 10. Dezember 1993 - V ZR 108/92, NJW 1994, 720,
721; Urteil vom 17. März 2000 - V ZR 362/98, DNotZ 2000, 931, 933). Denn dann
kann es für ihn von untergeordneter Bedeutung sein, ob seine Kaufpreisschuld
schon im Zeitpunkt ihrer Entstehung erlischt oder ob die Tilgung der Schuld noch
von weiteren Rechtshandlungen abhängt (vgl. Senat, Urteil vom 11. November
1983 - V ZR 150/82, aaO; Urteil vom 10. Dezember 1993 - V ZR 108/92, aaO).

b) Entscheidend ist danach der Nachweis der Zahlung auf die noch nicht
bestehende Schuld; dagegen kann, anders als das Berufungsgericht meint, nicht
verlangt werden, dass der Käufer den Abschluss einer entsprechenden Vorauszahlungsabrede
und deren Fortbestehen bei Abschluss des notariellen Kaufvertrages
beweist.

aa) Weist der Käufer seine Zahlung auf die noch nicht bestehende Kaufpreisforderung
nach, ist die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass sich die Parteien
auch ohne die Anrechnungsabrede auf den beurkundeten Teil des Rechtsgeschäfts
eingelassen hätten (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 1993
- V ZR 108/92, NJW 1994, 720, 721; Urteil vom 17. März 2000 - V ZR 362/98,
DNotZ 2000, 931, 933). Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der
Verkäufer eine Quittung über die Zahlung erteilt hat. Die Widerlegung der Vermutung
kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Verkäufer die Zahlung quit-
tiert hat; entscheidend ist, dass der Käufer aus seiner Sicht zweifelsfrei nachweisen
kann, vor Vertragsschluss auf die noch nicht bestehende Kaufpreisschuld
gezahlt zu haben.

bb) Dagegen steht der von dem Berufungsgericht herangezogene Umstand,
dass in dem Kaufvertrag kein Hinweis auf die Vorauszahlungsvereinbarung
enthalten ist, der Widerlegung der Vermutung nicht entgegen. Denn die
Nichtigkeit des Kaufvertrages folgt gerade daraus, dass die Vorauszahlungsabrede
nicht beurkundet wurde. Wäre die Vorauszahlungsabrede in dem Kaufvertrag
enthalten gewesen, so bedürfte es keines Beweises zur Widerlegung der
Vermutung nach § 139 BGB. Das Fehlen der Beurkundung der Vorauszahlungsabrede
kann daher denklogisch nicht dazu führen, dass der Käufer seine Leistung
nicht zu beweisen vermag.

c) Daran gemessen ist es möglich, dass der Kläger die Vermutung der
Gesamtnichtigkeit des Kaufvertrages vom 8. November 2018 durch einen entsprechenden
Zahlungsnachweis widerlegen kann.

aa) Ein Beleg der Kaufpreiszahlung ergibt sich allerdings nicht aus den
von dem Kläger vorgelegten Überweisungen. Zwar könnten Überweisungsträger
grundsätzlich ausreichen. Hier fehlt es aber an einer entsprechenden Tilgungsbestimmung.
Die Überweisungsnachweise vom 6. April 2017 mit dem Verwendungszweck
„…975/23.03.2017“ und vom 15. Mai 2017 mit dem Verwendungszweck
„RESTZAHLUNG 975/23.03.2017“ beziehen sich ausdrücklich auf den
Kaufvertrag vom 23. März 2017 über den ersten Miteigentumsanteil. Diese Belege
enthalten damit auch aus Sicht des Klägers keine Tilgungsbestimmung, die
sich auf den zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über
den zweiten Miteigentumsanteil bezieht.

bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber die als „Immobilien-
Übergabeprotokoll“ bezeichnete Erklärung der Parteien vom 15. Mai 2017
aus Sicht des Klägers geeignet sein, die Vorauszahlung auf den Kaufpreis für
den zweiten Miteigentumsanteil nachzuweisen.

(1) Das Berufungsgericht hat den klägerischen Vortrag zu dem „Immobilien-
Übergabeprotokoll“ in verfahrensfehlerhafter Weise nicht berücksichtigt. Die
auf die Verletzung von § 139 Abs. 2 Satz 1 und § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO
gestützte Verfahrensrüge hat Erfolg.

(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in
erster Instanz siegreiche Partei darauf vertrauen, von dem Berufungsgericht
rechtzeitig einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erhalten, wenn
dieses - wie hier - in einem entscheidungserheblichen Punkt der Beurteilung der
Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung
des Vorbringens oder einen Beweisantritt für erforderlich hält (vgl.
Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 - V ZR 93/22, BeckRS 2023, 5946 Rn. 10
mwN). Der auf einen solchen Hinweis gehaltene Vortrag ist gemäß § 531 Abs. 2
Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen. Die Pflicht, auf eine von der ersten Instanz abweichende
Beurteilung hinzuweisen, liefe nämlich leer, wenn ein von dem Berufungsbeklagten
darauf vorgebrachtes entscheidungserhebliches Vorbringen bei
der Entscheidung über das Rechtsmittel unberücksichtigt bliebe (vgl. Senat,
Beschluss vom 6. Juni 2024 - V ZR 201/23, BeckRS 2024, 17757 Rn. 10 mwN).

(b) Daran gemessen war der in der Berufungsverhandlung erfolgte Vortrag
des Klägers zu dem „Immobilien-Übergabeprotokoll“ zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht
ist von der rechtlichen Würdigung des Landgerichts in einem ent-
scheidungserheblichen Punkt abgewichen. Hierauf hat es in der Ladungsverfügung
zu der Berufungsverhandlung hingewiesen. Der als Reaktion darauf gehaltene
Vortrag des Klägers zu dem „Immobilien-Übergabeprotokoll“ musste gemäß
§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugelassen und berücksichtigt werden.
(2) Das „Immobilien-Übergabeprotokoll“ vom 15. Mai 2017 kann aus Sicht
des Klägers den erforderlichen Nachweis über die Zahlung auf die zu diesem
Zeitpunkt noch nicht bestehende Kaufpreisforderung aus dem Kaufvertrag vom
8. November 2018 darstellen. Darin haben die Parteien gemeinsam erklärt, der
Kläger habe 80.000 € des Kaufpreises für die Immobilie gezahlt, wobei 40.000 €
als „Vorschuss für den Rest des Gebäudes“ darstellten, und die Parteien anerkennen,
„dass sie keine weiteren Ansprüche haben“. Die Echtheit der Urkunde
ist mangels gegenteiliger Feststellungen im Revisionsverfahren zugunsten des
Klägers zu unterstellen.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt nichts anderes aus dem
Umstand, dass die Vertragsparteien später über die Erhöhung des Kaufpreises
für den zweiten Miteigentumsanteil verhandelten und der Kläger dem Beklagten
eine Eigentumswohnung als Gegenstand eines weiteren Vertrages vom 5. September
2018 angeboten haben soll. Denn zum einen ist es schon nicht zum Abschluss
des Vertrages über die Eigentumswohnung gekommen; abgesehen davon
kann die Zahlung des Klägers über 40.000 € damit ohnehin nicht in Zusammenhang
stehen, weil es nach den in Bezug genommenen Feststellungen des
Landgerichts der Kläger war, der diese Wohnung an den Erblasser verkaufen
sollte. Zum anderen ist die Vorauszahlungsabrede mangels Beurkundung ohnehin
unwirksam. Infolgedessen könnte der Kläger die geleistete Vorauszahlung
mangels Rechtsgrundes wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB)
von dem Verkäufer zurückfordern und mit dem Bereicherungsanspruch gegenüber
der offenen Kaufpreisforderung die Aufrechnung erklären. Dies hat der Kläger
nach den Ausführungen der Revision in der Berufungsinstanz hilfsweise getan.

III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der
Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 ZPO). Dabei wird das Berufungsgericht die Echtheit des „Immobilien-
Übergabeprotokolls“ zu klären haben und auf dieser Grundlage würdigen
müssen, ob der Kläger aus seiner Sicht davon ausgehen konnte, dass er die
Zahlung auf die noch nicht bestehende Forderung nachweisen kann.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

14.06.2024

Aktenzeichen:

V ZR 8/23

Rechtsgebiete:

Unternehmenskauf
Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Beurkundungserfordernis
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 139, 311b Abs. 1 S. 1