OLG München 10. April 2020
31 Wx 354/17
BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2; BeurkG § 44

Widerruf eines Verzichts auf Aufnahme der Erbquoten in den Erbschein; Zeitpunkt der Heftung notarieller Urkunden

letzte Aktualisierung: 01.07.2020
OLG München, Beschl. v. 10.4.2020 – 31 Wx 354/17

BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2; BeurkG § 44
Widerruf eines Verzichts auf Aufnahme der Erbquoten in den Erbschein; Zeitpunkt der Heftung notarieller Urkundenn

1. Der Widerruf des Verzichts auf Aufnahme der Erbquoten in den Erbschein ist nur bis zur
Erteilung des Erbscheins möglich.
2. Notarielle Urkunden sind nicht schon vor Leistung der Unterschriften zu heften. Es genügt, wenn
dies nach Abschluss der Niederschrift erfolgt.

Gründe

I.
Der Erblasser ist am 22.3.2016 im Alter von 66 Jahren verstorben. Der Erblasser war deutscher
Staatsangehöriger, die Beteiligte zu 1, seine zweite Ehefrau, ist russische Staatsangehörige. Die Beteiligten
zu 2 und 3 sind seine Töchter aus erster Ehe.

Am 9.9.2016 versicherten die Beteiligten zu 1 bis 3 in notarieller Urkunde an Eides statt, dass der Erblasser
weder einen Erbvertrag abgeschlossen noch eine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hat und daher
von den Beteiligten zu 1 bis 3 beerbt wurde, die die Erbschaft angenommen hätten.

Weiter heißt es in der Urkunde:

Wir, die Erschienenen, beantragen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins dahingehend, dass
wir, die vorgenannten Personen, gesetzliche Erben des Erblassers geworden sind. Wir, die Erschienenen,
verzichten auf die Aufführung der Erbteile im Erbschein gemäß § 325 a Abs. 2 Satz 2 FamFG.

Mit Beschluss vom 29.9.2016 stellte die Rechtspflegerin am Amtsgericht - Nachlassgericht - fest, dass die
Tatsachen, die zur Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligten zu 1 bis 3 erforderlich sind, für festgestellt
zu erachten sind. Der Erbschein wurde am gleichen Tag von der Rechtspflegerin erteilt.

Gegen die Erteilung des Erbscheins wandte sich die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 21.11.2016. Darin
erklärt sie, den Erbschein „zurückzurufen“, da er aufgrund einer gefälschten notariellen Urkunde erteilt
worden sei. Tatsächlich sei am 9.9.2016 ein dem ihr zuvor übersandten Entwurf entsprechender Text
vorgelesen und unterschrieben worden, in dem die Erbteile bezeichnet gewesen seien. In dem Entwurf sei
noch gestanden, dass sie Erbin zu ½ sei.

Das angehörte Notariat erklärte am 9.12.2016, dass die von der Beteiligten zu 1 erhobenen Vorwürfe nicht
zuträfen. Im Rahmen der Protokollierung des Antrags habe sich herausgestellt, dass die Ehegatten
möglicherweise in einem ausländischen Güterstand verheiratet gewesen seien, was Auswirkungen auf die
Erbquote hätte. Da der korrekte Erbteil kurzfristig nicht zu ermitteln gewesen sei, hätten die Erben von der
Möglichkeit des § 352a Abs. 2 Satz 2 FamFG Gebrauch gemacht und auf die Aufführung der Erbquoten
verzichtet.

Das Amtsgericht - Nachlassgericht - hat den Antrag mit Beschluss vom 30.8.2017 zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 1 mit der am 27.9.2017 eingelegten Beschwerde. Sie habe die Ehe
mit dem Erblasser in Deutschland geschlossen, so dass sie im deutschen gesetzlichen Güterstand gelebt
hätten. Eine Änderung der Urkunde sei daher ohne ihre Mitwirkung und ohne ihr Einverständnis erfolgt. Sie
habe den Text unterzeichnet, der dem ihr vorab zugesandten Entwurf entsprochen habe. Die Urkunde sei bei
Unterzeichnung nicht gemäß § 44 BeurkG mit Schnur und Prägesiegel verbunden gewesen. Es sei nur ein
Absatz zur Schreibweise ihres Namens ergänzt worden, weiteres sei bei der Beurkundung weder
besprochen noch geändert worden.

Die Beteiligten zu 2 und 3 wenden sich gegen die Einziehung des Erbscheins. Der Antrag beim Notar sei
daher im allgemeinen Einvernehmen geändert worden, da sich die Beteiligte zu 1 überwiegend in Moskau
aufgehalten habe, so dass nicht klar gewesen sei, welches Güterrecht gelte. Der Notartermin sei auch
kurzfristig unterbrochen worden, um die besprochenen Änderungen in den Vertrag einzuarbeiten.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Senat hat nach Erholung der Erklärungen der Beteiligten zur Entbindung der Notarin von der
Schweigepflicht eine schriftliche Aussage derselben vom 23.12.2019 erholt.

II.
Die nach § 58 FamFG statthafte Beschwerde ist im Übrigen zulässig (§§ 63, 64 FamFG).
Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Eine Einziehung des Erbscheins vom 29.9.2016 ist nicht veranlasst,
weil dieser dem gestellten Antrag und der Erbrechtslage entspricht.

1. Ein erteilter Erbschein ist nach § 2361 BGB einzuziehen, wenn er unrichtig ist. Eine Unrichtigkeit des
Erbscheins liegt vor, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung entweder schon ursprünglich nicht
gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind (Palandt/Weidlich BGB 79. Aufl. § 2361 Rn. 2).
a) Verfahrensfehler können unter Umständen die Einziehung des Erbscheins begründen, insbesondere
wenn das erteilende Gericht nicht für das Nachlassverfahren zuständig war (Palandt/Weidlich § 2361 Rn. 3).
Wird ein Erbschein erteilt, ohne dass ein wirksamer Antrag vorlag, zwingt dies nur dann nicht zur
Einziehung, wenn der Antragsberechtigte die Erteilung nachträglich genehmigt hat (BGH NJW 1989, 984;
BayObLG NJW-RR 2001, 950).

aa) Vorliegend lag dem erteilten Erbschein allerdings ein wirksamer Antrag vom 9.9.2016 zugrunde. Die
notarielle Urkunde wurde nämlich wirksam errichtet und enthält den entsprechenden Antrag auf Erteilung
eines Erbscheins.

Soweit die Beteiligte zu 1 vorträgt, die von ihr am 9.9.2016 unterzeichnete Urkunde habe nicht den
vorliegenden Antrag enthalten, sondern dem Entwurf entsprochen, der die Quoten ausgewiesen hätte, ist
dies durch die schriftliche Aussage der Notarin widerlegt. Diese hat nach allseitiger Entbindung von der
Schweigepflicht in einem Schreiben vom 23.12.2019 folgendes angegeben: Es sei für den
Beurkundungstermin ein Entwurf vorbereitet gewesen, der die Erbteile der an der Urkunde Beteiligten
enthalten habe. Im Beurkundungstermin habe sich jedoch herausgestellt, dass die Frage, in welchem
Güterstand die Ehegatten verheiratet gewesen seien, bei der Entwurfserstellung nicht bedacht worden sei.

Da dies erst im Rahmen der Beurkundung festgestellt worden sei und auch in der Kürze der Zeit nicht zu
ermitteln gewesen sei, habe sie eruiert, zu welchem Zweck der Erbschein benötigt würde. Da es im
Wesentlichen um die Auflösung eines Kontos gegangen sei, habe sie vorgeschlagen, einen Erbschein ohne
Angabe der Erbquoten zu beantragen, da dies ohne zeitliche Verzögerung möglich wäre. Sie erinnere sich
deswegen so gut daran, da sie erst kurz vor dem Beurkundungstermin von dieser Möglichkeit, die Erbanteile
wegzulassen, gelesen habe. Alle Beteiligte hätten dem zugestimmt. Es habe dann auch noch ein Vermerk
zur Schreibweise des Namens der Beteiligten zu 1 zu einer Änderung des Entwurfs geführt. Der Antrag sei
dann mit den entsprechenden Änderungen im allgemeinen Einverständnis beurkundet worden. Nach der
Beurkundung habe es keine Veränderung der Urkunde gegeben.

Der Senat folgt diesen Angaben, da sie plausibel und schlüssig sind. Die Einlassung der Notarin ist auch
erkennbar erinnerungsfundiert. So verweist sie darauf, dass sie erst kurz vor der Beurkundung über die
Möglichkeit der Antragstellung gelesen habe und dies daher vorgeschlagen habe. Auch die Ergänzung der
Urkunde im Vergleich zum Entwurf in Bezug auf den Namen der Beteiligten zu 1 wird durch die vorliegenden
Unterlagen bestätigt. Zudem ist die Beteiligte zu 1 nach eigenem Vortrag russische Staatsangehörige mit
Wohnsitz in Moskau, auch bestand ein Ehevertrag nicht, so dass die Unsicherheit über den Güterstand im
Beurkundungstermin plausibel ist. Diese Diskussion über den Güterstand haben auch durch die Beteiligten
zu 2 und 3 bestätigt. Ausweislich einer Kurznachricht, die die Beteiligte zu 2 als Ausdruck des gegenseitigen
Schriftverkehrs vorgelegt hat, haben die Beteiligten zu 2 und 3 dies schon von Anfang an gegenüber der
Beteiligten zu 1 thematisiert.

bb) Hingegen ist der Vortrag der Beteiligten zu 1 nicht glaubhaft, sie habe eine andere Version der Urkunde
unterschrieben. Die Notarin hat bestätigt, dass es nach Unterzeichnung der Urkunde keine Änderungen
mehr gegeben habe.

Soweit die Beteiligte zu 1 dies damit belegen will, dass die Urkunde bei Leistung der Unterschriften nicht
nach § 44 BeurkG geheftet gewesen sei, ist dies nach Kenntnis des Senats die allgemeine und zulässige
Praxis von Notariaten. Nach allgemeiner Ansicht sind nämlich mehrere Blätter einer Urkunde erst unmittelbar
nach dem Abschluss der Niederschrift zu heften und zu siegeln (Huhn/Stuckmann BeurkG 3. Aufl. § 44 Rn.
16). Eine Heftung schon vor Unterschriftsleistung würde nämlich nötige Änderungen im Beurkundungstermin
verhindern. Dass solche noch notwendig waren, zeigt im Übrigen die Tatsache, dass in dem hier vorgelegten
Entwurf der Familienstand der Beteiligten zu 1 noch offen war. Auch wer die Kosten der Beurkundung tragen
sollte, war im Entwurf offen gelassen. Auch dies zeigt, dass der Vortrag der Beteiligten zu 1, es sei in dem
Termin allein um die Schreibweise ihres Namen gegangen und nichts anderes besprochen worden, nicht den
Tatsachen entspricht.

cc) Soweit die Erklärung der Beteiligten, dass sie den „Erbschein zurückzurufe“ als Rücknahme des Antrags
zu verstehen sein sollte, ist dies unbehelflich. Der Erbscheinsantrag wurde auch von den Beteiligten zu 2
und 3 mit Urkunde vom 9.9.2016 wirksam beantragt. Deren Anträge kann die Beteiligte zu 1 nicht
zurücknehmen.

b) Auch eine materielle Unrichtigkeit des Erbscheins liegt nicht vor.
Eine solche macht die Beteiligte zu 1 zwar insofern geltend, als nach ihrer Ansicht zu Unrecht keine
Erbquoten angegeben sind. Die Erbteilsangabe im Erbschein ist jedoch nicht erforderlich, wenn nach § 352a
Abs. 2 Satz 2 FamFG alle Antragsteller in dem Antrag auf die Aufnahme der Erbteile verzichten
(Keidel/Zimmermann FamFG 19. Aufl. § 352e Rn. 80 und § 352 a Rn. 11 ff).

aa) Ein allseitiger Verzicht ergibt sich aus der notariellen Urkunde vom 9.9.2016. Dass ein solcher entgegen
dem Vortrag der Beteiligten zu 1 auch wirksam erklärt wurde, ergibt sich aus der auch insofern glaubhaften
schriftlichen Aussage der Notarin.
Die Tatsache, dass in der Urkunde auf „§ 325a Abs. 2 Satz 2 FamFG“ Bezug genommen ist, ist unbehelflich.
Eine solche Vorschrift ist nicht existent. Tatsächlich gibt aber § 352a Abs. 2 Satz 2 FamFG die Möglichkeit
des Verzichts auf die Aufnahme der Erbquoten. Der Vortrag des Notariats, dass es sich bei dem Zitat um ein
Schreibversehen gehandelt habe, ist daher plausibel.

bb) Selbst wenn von einem Widerruf des Verzichts auf Erbquoten durch die Beteiligte zu 1 ausgegangen
würde, erfolgte ein solcher erst nach Erteilung des Erbscheins. Ein Widerruf ist jedoch nur bis zur Erteilung
des Erbscheins möglich (Keidel/Zimmermann § 352a Rn. 15).

III.
1. Die Entscheidung über die Tragung der außergerichtlichen Kosten beruht auf § 84 FamFG. Danach soll
das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es
eingelegt hat. Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, von diesem Grundsatz abzuweichen.
2. Für den Geschäftswert ist das wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers maßgebend (§ 131 Abs.
4, § 30 Abs. 1 KostO). Dieses entspricht im Wesentlichen der Höhe des Vermögens des Erblassers
abzüglich der Nachlaßverbindlichkeiten. Der Senat setzt den Geschäftswert daher auf 21.700 € fest.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 FamFG)

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

10.04.2020

Aktenzeichen:

31 Wx 354/17

Rechtsgebiete:

Beurkundungsverfahren
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)

Normen in Titel:

BGB § 2361; FamFG § 352a Abs. 2 S. 2; BeurkG § 44