Zur Zulässigkeit einer Ehescheidung ohne Anhörung des Antragstellers
letzte Aktualisierung: 25.2.2021
OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.5.2020 – 13 UF 20/20
Zur Zulässigkeit einer Ehescheidung ohne Anhörung des Antragstellers
1. Eine Ehescheidung ohne Anhörung des Antragstellers ist zulässig, wenn die Ehegatten seit drei
Jahren getrennt leben. Denn unabhängig von der Zustimmung des anderen Ehegatten ergibt sich
eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe aus § 1566 Abs. 2 BGB (Anschluss BGH,
Bes. v. 27. Januar 2016 – XII ZB 656/14, FamRZ 2016, 617-619).
2. Bei vorgetragenen Zweifeln am Fortbestehen des für die Ehescheidung auch bei dreijähriger
Trennungszeit erforderlichen Scheidungswunsches des Antragstellers indiziert der bis zur
mündlichen Verhandlung aufrechterhaltene Scheidungsantrag das Fortbestehen dieses Begehrens.
Dies gilt insbesondere, wenn andere Umstände wie eine den Scheidungswillen dokumentierende
schriftliche Erklärung hinzutreten.
Gründe:
Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu verfahren,
von folgenden Überlegungen leiten:
Eine mündliche Verhandlung hat bereits in erster Instanz stattgefunden. Weitere
Erkenntnisse sind nicht zu erwarten.
Mit der Antragsgegnerin am 20. Juli 2016 zugestelltem Schriftsatz hat der Antragsteller
die Ehescheidung beantragt. Diese hat in ihrer Erwiderung den vom Antragsteller
angegebenen Trennungszeitpunkt Januar 2015 bestätigt und sich im Übrigen
eine Entscheidung über die Zustimmung zum Scheidungsantrag oder das Stellen
eines eigenen Antrags auf Ehescheidung vorbehalten. In der Folgezeit haben die
Eheleute das Verfahren auf Ehescheidung aufgrund des Versuchs, eine außergerichtliche
Einigung über den nachehelichen Unterhalt der Antragsgegnerin zu
erzielen, nicht betrieben. Nachdem ein ursprünglich auf den 10. Oktober 2019
bestimmter Termin zur mündlichen Verhandlung über den Scheidungsantrag und
die Folgesachen wegen einer Krebserkrankung des Antragstellers auf den 29.
Januar 2020 verlegt worden war, hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11.
Dezember 2019 mitteilen lassen, er sei aufgrund seiner Krankheit weder in der
Lage, zum Termin vor dem Amtsgericht Papenburg zu kommen noch einen Termin
zur Anhörung im Wege der Rechtshilfe vor dem Amtsgericht seines Wohnsitzes
Ort6 wahrzunehmen. Die Antragsgegnerin hat daraufhin mitgeteilt, sie wolle von
einer Ehescheidung Abstand nehmen. Da sie vermute, dass dem Antragsteller vor
dem Hintergrund seiner schweren Erkrankung nicht mehr an einer Scheidung gelegen
sei, müsse sie aber auf einer aktuellen persönlichen Anhörung des Antragstellers
bestehen. Der Antragsteller hat hierauf unter Vorlage einer handschriftlich
unterschriebenen Erklärung erwidert, er wolle weiterhin geschieden werden und
gehe davon aus, dass seine persönliche Anhörung aufgrund des über dreijährigen
Getrenntlebens der Eheleute nicht erforderlich sei.
Im Termin vom 23. Januar 2020 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers
beantragt, die Ehe zu scheiden. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin
hat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen. Durch am 30. Januar 2020
verkündeten und hiermit vollinhaltlich in Bezug genommenen Beschluss hat das
Amtsgericht die Ehe geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Gegen
den Ausspruch zur Ehescheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer formund
fristgerecht eingelegten Beschwerde, mit welcher sie ihr erstinstanzliches
Begehren auf Zurückweisung des Scheidungsantrags weiterverfolgt und hilfsweise
die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und die Zurückverweisung der
Sache an das Amtsgericht begehrt.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Dass das Amtsgericht ohne Anhörung des Antragstellers die Scheidung der Ehe
ausgesprochen hat, ist nicht zu beanstanden. Zwar soll das Gericht nach § 128 Abs.
1 Satz 1 FamFG das persönliche Erscheinen der Ehegatten anordnen und sie anhören.
Durch die Anhörung kann der Sachverhalt näher aufgeklärt werden, die persönliche
Sichtweise der Ehegatten in ihren höchstpersönlichen Angelegenheiten
geäußert werden und dem Gericht ein persönlicher Eindruck von den Ehegatten
vermittelt werden (Keidel-Weber, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 128 Rdnr. 5). Zwar stellt
eine zu Unrecht unterbliebene Anhörung gem. § 128 FamFG einen schweren Verfahrensmangel
i.S.v. § 117 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 ZPO dar, der zur
Aufhebung und Zurückverweisung führen kann (vgl. OLG Hamm FamRZ 2013, 64-
66, juris Rdnr. 36 f.). Im vorliegenden Fall ist die Anhörung des Antragsgegners aber
zu Recht unterblieben.
Unabhängig von der Zustimmung des anderen Ehegatten - hier der Antragsgegnerin
- ergibt sich eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe aus
§ 1566 Abs. 2 BGB, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Diese
Voraussetzung ist unstreitig erfüllt, da die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zum
Scheidungsantrag Januar 2015 als Trennungszeitpunkt bestätigt hat und in Anhörung
vom 23. Januar 2020 angegeben hat, seit mindestens drei Jahren vom Antragsteller
getrennt zu leben. Nach allgemeiner Ansicht besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit
zu einer Anhörung, soweit eine gesetzliche Vermutung greift, etwa wie
im vorliegenden Fall § 1566 Abs. 2 BGB für das Scheitern der Ehe (vgl. BGH FamRZ
2016, 617-619, juris Rdnr. 15; Keidel-Weber a.a.O.; BeckOK FamFG-Weber, 34.
Edition (Stand 01.04.2020), § 128 Rdnr. 6).
Zwar kann die Anhörung nach § 128 Abs. 1 Satz 1 FamFG auch dazu dienen,
begründete Zweifel am für die Scheidung auch nach Ablauf einer dreijährigen Ehezeit
erforderlichen Scheidungswunsch des antragstellenden Ehegatten auszuräumen
(vgl. BGH a.a.O., juris Rdnr. 14). Die Antragsgegnerin trägt zwar vor, sie
zweifle aufgrund der Schwächung des Antragstellers aufgrund seiner schweren
Krebserkrankung sowie der damit verbundenen Chemotherapie daran, ob der
Antragsteller noch geschieden werden will. Tragfähige Anhaltspunkte hierfür nennt
sie allerdings nicht. Auch besteht kein Erfahrungssatz dahingehend, dass schwer
erkrankte Antragsteller bzw. Antragstellerinnen in Scheidungsverfahren von ihrem
ursprünglichen Scheidungsverlangen abrücken. Vielmehr indiziert hier der bis zur
mündlichen Verhandlung aufrechterhaltene Scheidungsantrag das Fortbestehen
des Scheidungswunsches. Im Übrigen hat der Antragsteller durch persönlich unterschriebenes
Dokument vom 9. Januar 2020 seinen fortdauernden Wunsch dokumentiert,
geschieden zu werden.
Folglich haben weder die bloße Vermutung der Antragsgegnerin noch sonstige
Umstande eine rechtliche Notwendigkeit begründet, den Antragsteller persönlich
zum Scheidungsbegehren anzuhören.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Oldenburg
Erscheinungsdatum:13.05.2020
Aktenzeichen:13 UF 20/20
Rechtsgebiete:
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB § 1566 Abs. 2; FamFG § 128 Abs. 1 S. 1