Grundstückskaufvertrag; Sachmangel; Haftung für Angaben im Maklerexposé; Auslegung des Ausdrucks „komplette Dacherneuerung“
letzte Aktualisierung: 14.2.2025
BGH, Urt. v. 6.12.2024 – V ZR 229/23
BGB §§ 133, 157, 434
Grundstückskaufvertrag; Sachmangel; Haftung für Angaben im Maklerexposé; Auslegung
des Ausdrucks „komplette Dacherneuerung“
1. Der allgemeine Sprachgebrauch ist als allgemeiner Erfahrungssatz revisibel.
2. Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter einem in einem bestimmten
Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht (hier:
Bitumenbahnen) zu verstehen ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Kläger gegen die Beklagte
auf Schadensersatz aus
kein Mangel im Sinne des § 434 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) BGB vor. Das
ergebe die Auslegung der Angabe in dem Exposé, das Dach sei 2009 komplett
erneuert worden, gemäß
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde unter „Dach“ (nur) der
Abschluss eines Gebäudes verstanden, der entweder durch eine horizontale Fläche
oder durch eine mit Ziegeln oder anderem Material - wie hier Bitumen - gedeckte
Konstruktion gebildet werde, bei der die Flächen in einem bestimmten
Winkel zueinander stünden. Das schließe Dämmung und Unterkonstruktion nicht
ein. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeute „komplett“ vollständig. Der
Begriff „erneuern“ werde im Duden mit „1. (altes, verbrauchtes) gegen neues auszuwechseln.
2. (durch Ausbessern, Auswechseln von Einzelteilen, Neuanstrich
o.ä.) wiederherstellen, renovieren“ beschrieben. Das Exposé besage somit nur,
dass 2009 eine Dachabdichtung vorgenommen worden sei, bei der alte Bitumenbahnen
durch neue ersetzt worden seien. Gemessen daran sei von einer vollständigen
Ausbesserung des Dachs durch die Beklagte auszugehen. Diese habe
im Jahr 2009 auf der gesamten Dachfläche Bitumenbahnen verkleben und verschweißen
lassen. Allenfalls hätten die Kläger das Exposé missverstanden.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung
kann ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagte nach
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts.
Nach
noch anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (nachfolgend:
aF; jetzt in der Sache unverändert § 434 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b]
BGB) gehören zu der Sollbeschaffenheit auch die Eigenschaften, die der Käufer
nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers erwarten darf, wozu auch Angaben
in einem Exposé zählen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 9. Februar 2018
- V ZR 274/16,
- V ZR 4/19,
es sich um ein von dem Verkäufer selbst erstelltes Exposé oder um ein Maklerexposé
handelt (vgl. Senat, Urteil vom 19. Januar 2018 - V ZR 256/16, NJW-RR
2018, 752 Rn. 10 mwN). Hier fand sich in dem Verkaufsexposé des Maklers die
Angabe, dass das Dach des verkauften Hauses im Jahr 2009 komplett erneuert
worden sei. Diese Beschaffenheit durften die Kläger erwarten. Dabei ist mangels
gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten der Revision zu
unterstellen, dass die - für das Gegenteil darlegungs- und beweispflichtige - Beklagte
den Inhalt des Maklerexposés kannte bzw. kennen musste (§ 434 Abs. 1
Satz 3 Halbsatz 2 BGB aF).
2. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht einen Sachmangel gemäß
das Dach des Hauses sei 2009 komplett erneuert worden, bedeute nach
dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass im Jahr 2009 lediglich auf der gesamten
Dachfläche Bitumenbahnen verschweißt und verklebt worden seien.
a) Die Auslegung einer Individualerklärung nach
von dem Revisionsgericht zwar im Grundsatz nur eingeschränkt überprüft werden,
nämlich darauf, ob der Tatrichter die gesetzlichen und allgemein anerkannten
Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die
der Auslegung zugrunde gelegten Tatsachen ohne Verfahrensfehler ermittelt hat
(vgl. Senat, Urteil vom 30. September 2005 - V ZR 197/04, juris Rn. 17; Urteil
vom 8. November 2013 - V ZR 95/12,
soweit das Tatgericht bei der Auslegung einen allgemeinen Sprachgebrauch und
damit einen Erfahrungssatz im Sinne der Feststellung einer bei dem Gebrauch
der deutschen Sprache allgemein bestehenden Übung zugrunde legt. Der allgemeine
Sprachgebrauch ist als allgemeiner Erfahrungssatz revisibel (vgl. RGZ
105, 417, 419; Senat, Urteil vom 2. Mai 1956 - V ZR 157/54, BeckRS 1956,
31373350; Urteil vom 30. November 1990 - V ZR 91/89,
mwN).
b) Die Auslegung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch durch das Berufungsgericht
hält der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung
nicht stand. Es gibt keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter
einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung
der obersten Dachschicht zu verstehen ist.
aa) Ein Sprachgebrauch mit diesem Inhalt kann dem Duden nicht entnommen
werden. Das Berufungsgericht zieht insoweit die Dudeneinträge zu den Begriffen
„Dach“, „komplett“ und „erneuern“ heran. Dabei übersieht es, dass in dem
Duden ein „Dach“ nur ganz allgemein beschrieben wird, ohne zwischen den verschiedenen
Dachtypen zu differenzieren und die möglichen Schichten des Dachaufbaus
zu nennen. Dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mit „Dach“ immer
nur die äußere Dachschicht gemeint ist, ergibt sich daraus nicht. Dementsprechend
bedeutet „komplette Erneuerung“ auch nicht allgemein die Erneuerung
(nur) der obersten Dachschicht.
bb) Andere Anhaltspunkte dafür, dass sich ein allgemeiner, eindeutiger
Sprachgebrauch hinsichtlich der Formulierung, ein Dach sei in einem bestimmten
Jahr komplett erneuert worden, gebildet hat, sind nicht erkennbar.
(1) Nach der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Dach „im Bauwesen
eine Konstruktion, die darunterliegende Räume und Flächen nach oben hin abschließt
und sie dadurch vor Sonne, Witterung und anderen von oben eindringenden
Einflüssen schützt.“ Mit dieser Formulierung aus dem Bereich des Bauwesens
wird nicht ein allgemeiner Sprachgebrauch wiedergegeben, sondern lediglich
die Funktion eines Dachs im Allgemeinen beschrieben. In der Anlage 3
Nr. 4 zu
Fassung werden zwar die Begriffe „Dach“ und „Erneuerung“ verwendet. Auch
hier wird die äußere Dachhaut aber nur als einer von mehreren Bestandteilen
des Dachs genannt, was eher gegen den von dem Berufungsgericht zugrunde
gelegten allgemeinen Sprachgebrauch spricht. Abgesehen davon gibt die EnEV
aF einen technischen und nicht einen allgemeinen Sprachgebrauch wieder.
(2) Was mit einer Kompletterneuerung eines Dachs gemeint ist, kann nicht
allgemein bestimmt werden, weil es für das Verständnis auf den jeweiligen Dachtyp
und die jeweiligen Bestandteile (Schichten) des Dachaufbaus ankommt. Wird
angegeben, dass das Dach in einem bestimmten Jahr komplett erneuert worden
sei, können zudem auch die in diesem Jahr geltenden Vorschriften über die Anforderungen
an eine Kompletterneuerung das Verständnis beeinflussen.
3. Infolgedessen erweist sich auch die Abweisung des Antrags der Kläger
auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere künftige Schäden, die
mit der Erneuerung des Dachs verbunden sind, als rechtsfehlerhaft. Das für die
Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse ist schon mit Blick auf die
erst bei Durchführung der Mängelbeseitigung anfallende Umsatzsteuer gegeben.
Ebenfalls rechtsfehlerhaft ist die Abweisung des Antrags der Kläger auf Ersatz
der außergerichtlichen Kosten in der von dem Landgericht errechneten Höhe.
III.
1. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist im Umfang
der Anfechtung aufzuheben (
2. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich; vielmehr
bedarf es weiterer Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Weil ein allgemeiner Sprachgebrauch hinsichtlich der Angaben der Beklagten
in dem Exposé nicht besteht, kommt es für die Haftung der Beklagten
nach
Käufer nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte die Angabe in dem Exposé
verstehen durfte (
ein durchschnittlicher Käufer eine vollständige Erneuerung des Dachs einschließlich
Unterkonstruktion und Dämmung erwarten konnte (vgl. Senat, Urteil
vom 25. Januar 2019 - V ZR 38/18,
der objektivierten Sicht eines durchschnittlichen Käufers ist in erster Linie Sache
des Tatrichters. Die von dem Berufungsgericht unterlassene Auslegung aus der
Sicht eines durchschnittlichen Grundstückskäufers kann der Senat nicht selbst
vornehmen. Es ist nämlich unklar, um was für eine Art von Dach es sich handelt
und aus welchen Schichten es aufgebaut ist. In dem Berufungsurteil wird teils
von einem Faltdach gesprochen, in einem anderen Zusammenhang von einer
Betondecke, dann ist wiederum von einer Dämmung die Rede.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Das Berufungsgericht wird die Angabe in dem Exposé aus der objektiven
Sicht eines durchschnittlichen Käufers auszulegen haben. Dazu hat es zunächst
festzustellen, um welchen Dachtyp es sich handelt und aus welchen
Schichten das Dach des verkauften Hauses im Jahr 2009 bestanden hat. Die
Angabe „2009 wurde das Dach komplett erneuert“ ist sodann als einheitliche Formulierung
auszulegen. Dabei sind auch die in dem Exposé enthaltenen Angaben
zu weiteren Erneuerungsarbeiten an dem Haus, mit denen der Zustand des Hauses
insgesamt als neuwertig beschrieben wird, einzubeziehen und im Gesamtzusammenhang
zu würdigen. Das Berufungsgericht wird zudem berücksichtigen
müssen, dass die Beklagte zunächst selbst davon ausging, eine komplette Erneuerung
des Dachs beziehe sich auf alle Dachschichten. Denn nach ihrem Vorbringen
in der Klageerwiderung, auf den die Revision verweist, hat die Beklagte
der Maklerin lediglich mitgeteilt, dass im Jahr 2009 auf der gesamten Dachfläche
neue Bitumenbahnen geschweißt und verklebt worden seien; sie habe es nicht
zu vertreten, dass die Maklerin „aus freien Stücken und willkürlich“ diese Angabe
dahingehend „umformuliert“ habe, dass das Dach komplett erneuert worden sei.
b) Sollte die Auslegung ergeben, dass ein durchschnittlicher Käufer eines
Grundstücks die Angabe in dem Exposé so verstehen durfte, dass im Jahr 2009
das gesamte Dach einschließlich Unterkonstruktion und Dämmung erneuert worden
ist, bestimmte sich das zu erwartende Maß des Wärmeschutzes nach den
energetischen Anforderungen der damals geltenden Vorschriften, wozu auch die
EnEV gehörte. Etwas anders folgt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts
nicht daraus, dass die EnEV in dem Exposé nicht ausdrücklich genannt worden
ist. Es handelt sich nämlich nicht, wie das Berufungsgericht meint, um eine „neue
Qualitätsstufe“ der Sache, sondern um zwingendes Recht, dessen grundsätzliche
Einhaltung ein Käufer auch ohne besondere Hervorhebung erwarten darf.
c) Für den Fall, dass danach ein Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 3
BGB aF vorliegen sollte, wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Angaben
in dem Exposé der Beklagten zuzurechnen sind. Nach § 434 Abs. 1 Satz 3
Halbsatz 2 Alt. 1 BGB aF ist die öffentliche Äußerung dem Verkäufer nicht zuzurechnen,
wenn dieser die Äußerung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht
kannte und auch nicht kennen konnte. Angesichts der Formulierung „es sei denn“
in
und Beweislast für die Ausnahme, der sich darauf beruft; das ist der
Verkäufer, also hier die Beklagte (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 124; Staudinger/
Matusche-Beckmann, BGB [2023], § 434 Rn. 135; zum Ausnahmefall des
§ 434 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 Alt. 3 BGB aF Senat, Urteil vom 16. Juli 2021
V ZR 119/20,
d) Auf den in dem Kaufvertrag vereinbarten allgemeinen Haftungsausschluss,
der auch die nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers zu erwartenden
Eigenschaften eines Grundstücks erfasst (zu
aF Senat, Urteil vom 22. April 2016 - V ZR 23/15,
Urteil vom 25. Januar 2019 - V ZR 38/18,
die Beklagte sich nur dann mit Erfolg berufen, wenn sie nicht arglistig gehandelt
hat (
die Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Ihnen kommen jedoch Beweiserleichterungen
nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast zugute (vgl.
Senat, Urteil vom 23. September 2022 - V ZR 133/21,
e) Das Berufungsgericht wird ggf. der Frage nachzugehen haben, ob die
Haftung der Beklagten nach
fahrlässige Unkenntnis steht der Kenntnis bei Arglist des Verkäufers nicht gleich
(
Erscheinungsbild des Dachs bei der Besichtigung für sich genommen auf
eine Kenntnis der Kläger nicht geschlossen werden kann. Voraussetzung für eine
Kenntnis im Sinne des
dem Erscheinungsbild gefolgert haben, dass 2009 auf der Dachfläche nur Bitumenbahnen
neu verlegt und verschweißt wurden.
f) Sollte sich eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz gemäß § 437
Nr. 3,
Kläger die Höhe des Schadens anhand der Kosten der Erneuerung des Dachs
nach den voraussichtlich erforderlichen („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten
berechnen (vgl. Senat, Urteil vom 12. März 2021 - V ZR 33/19,
Rn. 7). Insoweit weist der Senat darauf hin, dass den Klägern, anders als das
Berufungsgericht meint, hinsichtlich der Höhe der Mängelbeseitigungskosten die
Beweiserleichterungen des
11. März 2022 - V ZR 35/21,
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:06.12.2024
Aktenzeichen:V ZR 229/23
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 133, 157, 434