Unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht mehr kindergeldberechtigte Kinder
letzte Aktualisierung: 11.1.2023
BFH, Urt. v. 24.5.2022 – IX R 28/21
EStG §§ 23, 32
Unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht mehr kindergeldberechtigte Kinder
Eine Wohnung, die der Steuerpflichtige unentgeltlich an (leibliche) Kinder überlässt, die im
maßgeblichen Zeitraum des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG nicht (mehr) nach
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin im Streitjahr den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht hat (dazu unter 1.). Entgegen der Ansicht der Revision wurde die Wohnung in X-Stadt im maßgeblichen Zeitraum nicht zu "eigenen Wohnzwecken" genutzt; die Veräußerung ist mithin nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen (dazu unter 2.).
1. Die Klägerin hat im Streitjahr den Tatbestand der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.
a) Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.
b) Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Die Freistellung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG bewirkt eine Rückausnahme von der ausnahmsweisen, den Grundsatz der im Dualismus der Einkunftsarten verankerten Nichtsteuerbarkeit von Wertveränderungen privater Wirtschaftsgüter durchbrechenden Steuerbarkeit privater Veräußerungsgeschäfte (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 01.03.2021 - IX R 27/19,
aa) Die Senatsrechtsprechung hat den Ausdruck "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in der dem Dualismus der Einkunftsarten wieder Geltung verschaffenden Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ‑‑entsprechend deren Zweck, die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Aufgabe eines Wohnsitzes (z.B. wegen eines Arbeitsplatzwechsels) zu vermeiden (BTDrucks 14/265, S. 181)‑‑ stets sehr weit gefasst und eigenständig ausgelegt. Danach setzt der Ausdruck "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in beiden Alternativen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen dauerhaft geeignet ist und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt (BFH-Urteil in
Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht (vgl. BFH-Urteile vom 31.05.1995 - X R 140/93,
bb) Keine Nutzung "zu eigenen Wohnzwecken" liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen (BFH-Urteile in
cc) Überlässt der Steuerpflichtige die Wohnung nicht ausschließlich einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind (oder mehreren einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern) unentgeltlich zur Nutzung, sondern zugleich einem Dritten, liegt keine begünstigte Nutzung des Steuerpflichtigen zu eigenen Wohnzwecken vor.
2. Die Klägerin hat im Streitjahr die Merkmale des Tatbestands der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht, indem sie die im April 2010 angeschaffte Wohnung in X-Stadt mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 14.12.2016 wieder veräußert hat; dies ist zwischen den Beteiligten nicht weiter streitig. Das FG ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Veräußerung der Wohnung in X-Stadt der Besteuerung unterfällt; denn im Streitfall ist der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht erfüllt.
a) Nach den eingangs dargestellten Grundsätzen stellt die Überlassung einer Wohnung zur teilweisen oder alleinigen Nutzung an ein unterhaltsberechtigtes Kind eine Form der dem Steuerpflichtigen zuzurechnenden "mittelbaren Eigennutzung" dar (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 18; vgl. auch BFH-Urteile vom 26.01.1994 - X R 94/91,
b) Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG wird im Streitfall indes durch den Umstand ausgeschlossen, dass die Zwillinge A und B ab Juni 2014 ‑‑nach der Vollendung ihres 25. Lebensjahres (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG)‑‑ bis zur Veräußerung der Wohnung nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich bei der Veranlagung der Kläger zu berücksichtigen waren.
aa) Ob der Zurechnung einer "mittelbaren" Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ‑‑in Form der Nutzung durch das einkommensteuerlich zu berücksichtigende Kind C im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG ‑‑ die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigen Zwillinge A und B entgegensteht, ist umstritten. In Rechtsprechung und Schrifttum wird einerseits die Auffassung vertreten, dass im Fall der Nutzungsüberlassung an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind die Mitbenutzung der Wohnung durch andere (auch unterhaltsberechtigte) Angehörige ‑‑etwa ein einkommensteuerlich nicht zu berücksichtigendes Kind oder die/der ehemalige Lebensgefährtin/e und Kindesmutter/-vater‑‑ entgegensteht (so Brandis/Heuermann/Ratschow, § 23 EStG Rz 51; in diesem Sinne auch BeckOK EStG/Trossen, 12. Ed. [01.03.2022], § 23 Rz 184, zur Nutzung durch getrennt lebende Ehepartner oder Eltern; Kube in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 23 Rz 6; Obermeier, Neue Wirtschafts-Briefe 2001, 567, 584, zur Nutzung durch andere, auch unterhaltsberechtigte Angehörige; Hessisches FG vom 30.09.2015 - 1 K 1654/14,
bb) Der erkennende Senat hält die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kinder A und B im Streitfall für schädlich.
aaa) Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 10e EStG hat die Zurechnung der Wohnnutzung durch unterhaltsberechtigte Kinder (als "mittelbare Eigennutzung") damit begründet, dass der Steuerpflichtige die Wohnung nach dem Wortsinn auch dann zu eigenen Wohnzwecken nutzt, wenn er "in Erfüllung seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung seinem Kind außerhalb des Familienhaushalts eine Wohnung zur Verfügung stellt". Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen (BFH-Urteil in
bbb) Zwar ist das Merkmal "Nutzung zu eigenen Wohnzwecken" in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG im Ausgangspunkt so zu verstehen wie in § 10e EStG und § 4 EigZulG (BFH-Urteile vom 26.10.2021 - IX R 5/21,
Unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks hat die höchstrichterliche Rechtsprechung ‑‑in Fortsetzung ihrer Rechtsprechung zu §§ 10e, 10f EStG und § 4 EigZulG‑‑ die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dahin gedeutet, dass der Begriff der "eigenen" Wohnzwecke nicht nur die Wohnzwecke des Steuerpflichtigen, sondern (mittelbar) auch die Wohnzwecke von Kindern, die nach § 32 EStG zu berücksichtigen sind, umfasst (BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 18, m.w.N.); denn bei Kindern, für die der Steuerpflichtige kinderbezogene Leistungen beanspruchen kann, können auch das Bestehen einer Unterhaltspflicht und das Entstehen von Aufwendungen typisierend unterstellt werden. Nach Maßgabe dieser typisierenden Wertung wird eine vom Steuerpflichtigen zu Unterhaltszwecken unentgeltlich bereitgestellte Wohnung dann nicht mehr i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (mittelbar) zu "eigenen Wohnzwecken" (des Steuerpflichtigen) genutzt, wenn die Immobilie neben einem einkommensteuerlich nach § 32 EStG zu berücksichtigenden Kind auch anderen ‑‑gegebenenfalls auch aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschriften unterhaltsberechtigten‑‑ Angehörigen überlassen wird. Vor diesem Hintergrund führt auch die (Mit-)Nutzung durch ein weiteres, wegen seines Alters nicht (mehr) nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind dazu, dass die Wohnung insgesamt nicht mehr als zu eigenen Wohnzwecken des Steuerpflichtigen genutzt anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 23).
c) Nach den insoweit getroffenen, den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG hat die Klägerin ihre Wohnung in X-Stadt im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren nicht nur dem nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind C, sondern auch den Zwillingen A und B, für die die Kläger ab Juni 2014 keine kindbezogenen Leistungen mehr beanspruchen konnten, unentgeltlich zur Nutzung überlassen; der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG ist mithin nicht erfüllt. Die Mitbenutzung der Wohnung durch A und B ist unbeschadet der Tatsache, dass die Klägerin für die Unterbringung der steuerlich nicht mehr berücksichtigungsfähigen Zwillinge durch die Bereitstellung der Wohnung in X-Stadt gesorgt hat, schädlich.
d) Nach den gesetzlichen Regelungen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG besteht für eine von den Klägern hilfsweise begehrte zeitanteilige Steuerbefreiung ("pro rata temporis") für die Jahre bis 2014, in denen eine Berechtigung zum Bezug kindbezogener Leistungen (auch) hinsichtlich der Zwillinge A und B vorgelegen hat, keine Rechtsgrundlage.
e) Die von den Klägern begehrte abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) ist nicht Gegenstand des vorliegenden (Besteuerungs-)Verfahrens, sondern gegebenenfalls in dem hierfür vorgesehenen Verfahren zu prüfen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:24.05.2022
Aktenzeichen:IX R 28/21
Rechtsgebiete:Einkommens- und Körperschaftssteuer
Normen in Titel:EStG §§ 23, 32