BGH 20. Dezember 2023
XII ZB 117/23
AEUV Art. 267; Rom-III VO Art. 8

Vorabentscheidungsverfahren; Scheidung eines Diplomaten-Ehepaares; Kriterien zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts

letzte Aktualisierung: 11.3.2024
BGH, Beschl. v. 20.12.2023 – XII ZB 117/23

AEUV Art. 267; Rom-III VO Art. 8
Vorabentscheidungsverfahren; Scheidung eines Diplomaten-Ehepaares; Kriterien zur
Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 8 der Verordnung (EU)
Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des
Ehebandes anzuwendenden Rechts (Rom III-VO) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Nach welchen Kriterien ist der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b Rom
III-VO zu bestimmen, insbesondere
- beeinflusst die Entsendung als Diplomat die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im
Empfangsstaat oder steht sie einer solchen sogar entgegen?
- muss die physische Präsenz der Ehegatten in einem Staat von gewisser Dauer gewesen sein,
bevor davon ausgegangen werden kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet
wurde?
- setzt die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein gewisses Maß an sozialer und
familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraus?

Gründe:

A. Sachverhalt
Das Verfahren betrifft die Scheidung der Ehe zwischen dem 1965 geborenen
Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) und der 1964 geborenen Antragsgegnerin
(im Folgenden: Ehefrau).

Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige und schlossen im Jahr
1989 die Ehe. Aus dieser sind zwei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen.
Im Jahr 2006 mieteten die Beteiligten eine Wohnung in Berlin an, in der
sie dann gemeinsam lebten. Im Juni 2017 zogen sie mit nahezu ihrem gesamten
Hausstand nach Schweden, wo der Ehemann an der Deutschen Botschaft Stockholm
beschäftigt war. Ihren inländischen Wohnsitz meldeten die Beteiligten im
Juni 2017 ab. Als der Ehemann an die Deutsche Botschaft Moskau (Russland)
versetzt wurde, zogen die Beteiligten im September 2019 mit ihrem Hausstand
von Stockholm nach Moskau in eine Wohnung auf dem Compound der Botschaft.
Der Ehemann ist Botschaftsrat und beherrscht - anders als die Ehefrau - die russische
Sprache. Die Ehefrau war als Angehörige eines Botschaftsmitarbeiters
ebenfalls in der Wohnung auf dem Compound gemeldet; sie meldete auch ihr
Auto in Russland an. Die Beteiligten besitzen beide einen Diplomatenpass.
Ihre Mietwohnung in Berlin behielten die Beteiligten bei, um nach der Auslandstätigkeit
des Ehemanns wieder dorthin zurückkehren zu können. Seit September
2019 lebte die volljährige Tochter der Beteiligten in dieser Mietwohnung.
Ab diesem Zeitpunkt hatten die Beteiligten auch Teile der Wohnung untervermietet,
wobei diese Mietverträge Ende Mai bzw. Juni 2020 endeten.

Im Januar 2020 reiste die Ehefrau nach Berlin, um sich dort einer Operation
zu unterziehen; eine ärztliche Behandlung in Moskau lehnte sie ab. Sie
wohnte in der Folgezeit in der Berliner Mietwohnung der Beteiligten und ließ sich
später Sommerbekleidung von Moskau nach Berlin schicken. Im August/September
2020 reiste auch der Ehemann nach Berlin und wohnte für die Dauer seines
Aufenthalts ebenfalls in der Mietwohnung. Die Beteiligten trafen sich in Berlin gemeinsam
mit Freunden. Weihnachten 2020 und den Jahreswechsel 2020/2021
verbrachte der Ehemann zusammen mit dem Sohn der Beteiligten bei seinen
Eltern in Koblenz.

Im Februar 2021 kehrte die Ehefrau nach Moskau zurück und wohnte in
der Wohnung auf dem Compound der Botschaft. Nach Angaben des Ehemanns
teilten die Beteiligten ihren Kindern am 17. März 2021 mit, dass sie sich scheiden
lassen wollten. Die Ehefrau verbrachte während ihres Aufenthalts alle Gegenstände,
die sie mit nach Berlin nehmen wollte, in ein separates Zimmer der Moskauer
Wohnung. Sie reiste am 23. Mai 2021 nach Berlin und lebt seither in der
dortigen Mietwohnung der Beteiligten. Der Ehemann lebt weiterhin in der Wohnung
auf dem Compound der Botschaft.

Am 8. Juli 2021 hat der Ehemann beim Amtsgericht einen Scheidungsantrag
gestellt. Er hat vorgetragen, dass die Beteiligten seit Januar 2020 getrennt
gelebt hätten, die Ehefrau im März 2021 nur für einen kurzen Zeitraum nach Moskau
gereist sei und die Beteiligten sich dann endgültig getrennt hätten.

Die Ehefrau ist dem Scheidungsantrag mit der Begründung entgegengetreten,
dass eine Trennung der Ehegatten frühestens im Mai 2021 erfolgt sei.
Aufgrund der medizinischen Behandlung habe sie sich vom 15. Januar 2020 bis
zum 26. Februar 2021 in Berlin aufgehalten. Eine frühere Rückkehr nach Moskau
sei wegen ihres Gesundheitszustands und der Corona-Beschränkungen nicht
möglich gewesen. Bis zu ihrer Abreise aus Moskau am 23. Mai 2021 habe sie
sich um den dortigen Haushalt der Beteiligten gekümmert. Zudem habe sie den
Ehemann, der sich aufgrund eines Schlaganfalls in einem russischen Krankenhaus
bzw. Sanatorium befunden habe, mit Kleidung versorgt.

Das Amtsgericht hat den Scheidungsantrag durch Beschluss vom 26. Januar
2022 zurückgewiesen, weil das (nach deutschem Recht erforderliche) Trennungsjahr
noch nicht abgelaufen sei und Gründe für eine Härtefallscheidung
nicht vorlägen (§ 1565 Abs. 2 BGB). Auf die Beschwerde des Ehemanns hat das
Kammergericht nach vorherigem rechtlichen Hinweis die Ehe der Beteiligten
nach russischem Sachrecht geschieden. Zur Begründung hat es ausgeführt,
dass sich das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht nach Art. 8
Rom III-VO richte, weil eine Rechtswahl gemäß Art. 5 Rom III-VO nicht erfolgt
sei. Vorliegend finde Art. 8 lit. b Rom III-VO und damit das russische Sachrecht
Anwendung; eine Rück- und Weiterverweisung sei gemäß Art. 11 Rom III-VO
ausgeschlossen. Nach dem Vortrag der Beteiligten sei davon auszugehen, dass
der gewöhnliche Aufenthalt des Ehemanns weiterhin in Moskau sei, während der
dortige gewöhnliche Aufenthalt der Ehefrau erst mit ihrer Abreise nach Deutschland
am 23. Mai 2021 geendet habe, also weniger als ein Jahr vor Anrufung des
Amtsgerichts am 8. Juli 2021.

Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Ehefrau,
die eine Scheidung nach deutschem Sachrecht und zusammen mit dem Scheidungsausspruch
eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung über den Versorgungsausgleich
erstrebt.

B. Zur Rechtslage
I. Art. 8 Rom III-VO lautet wie folgt:

Mangels einer Rechtswahl gemäß Artikel 5 unterliegen die Ehescheidung
und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes:

a) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung
des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, oder anderenfalls

b) dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor
Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt
der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, oder anderenfalls

c) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten
zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen, oder anderenfalls

d) dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts.

II. Würde die Scheidung der Ehe der Beteiligten dem russischen Sachrecht
unterliegen, wäre sie gemäß Art. 23 Nr. 1 des Familiengesetzbuchs der
Russischen Föderation vom 29. Dezember 1995 (abgedruckt bei Bergmann/
Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 10. März 2021]
Länderteil Russische Föderation S. 52) als einverständliche Scheidung ohne
Feststellung von Scheidungsgründen auszusprechen, weil die Ehefrau nicht die
Zurückweisung der Beschwerde des Ehemanns beantragt hat und daher der
Scheidung als solcher nicht mehr entgegentritt. Im Falle der Anwendbarkeit des
russischen Scheidungsstatuts wäre ein Versorgungsausgleich, den das russische
Recht nicht kennt, nur nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 4 Satz 2 EGBGB
durchzuführen, der folgenden Wortlaut hat:

nach deutschem Recht durchzuführen, wenn einer der Ehegatten in der
Ehezeit ein Anrecht bei einem inländischen Versorgungsträger erworben
hat, soweit die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere im
Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der
gesamten Ehezeit der Billigkeit nicht widersprich

Ein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs nach deutschem
Recht ist im vorliegenden Verfahren nicht gestellt worden, so dass die Ehescheidung
nach russischem Recht isoliert auszusprechen wäre.

III. Würde auf die Ehescheidung hingegen das deutsche Sachrecht anzuwenden
sein, wäre die Ehe der Beteiligten nach § 1565 BGB zu scheiden. Denn
die Ehe ist gescheitert, weil die Lebensgemeinschaft der Ehegatten seit mehr als
einem Jahr nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten
sie wiederherstellen. Im Falle der Anwendbarkeit des deutschen Scheidungsstatuts
wäre der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht gemäß Art. 17
Abs. 4 Satz 1 EGBGB durchzuführen, der wie folgt lautet:
em nach der Verordnung (EU)
Nr. 1259/2010 auf die Scheidung anzuwendenden Recht; er ist nur durchzuführen,
wenn danach deutsches Recht anzuwenden ist und ihn das
Recht eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt des Eintritts
der Rechtshängigkeit
Über den Versorgungsausgleich wäre bei Anwendbarkeit des deutschen
Scheidungsstatuts von Amts wegen - also ohne dass es insoweit eines Antrags
eines Ehegatten bedürfte - im Rahmen des Scheidungsverbunds nach §§ 137
Abs. 1 und 2, 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG zu entscheiden.
§ 137 FamFG hat folgenden (auszugsweisen) Wortlaut:
(1) Über Scheidung und Folgesachen ist zusammen zu verhandeln und
zu entscheiden (Verbund).
(2) Folgesachen sind
1. Versorgungsausgleichssachen,
[
wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die
Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung
im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig
gemacht wird. Für den Versorgungsausgleich ist in den Fällen der
§§ 6 bis 19 und 28 des Versorgungsausgleichsgesetzes kein Antrag notwendig
§ 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG lautet:

sachen durch einheitlichen Beschluss zu
C. Zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union
Der Erfolg der Rechtsbeschwerde hängt von der Auslegung des Begriffs
Art. 8 lit. a und b der Verordnung (EU)
Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten
Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung
ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (im Folgenden:
Rom III-VO) ab. Dazu liegt bislang eine Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) nicht vor, und das Begriffsverständnis
ist auch nicht von vornherein eindeutig oder zweifelsfrei im Sinne eines
acte clair. Deshalb ist das Beschwerdeverfahren auszusetzen (§ 113 Abs. 1
FamFG iVm § 148 Abs. 1 ZPO analog) und gemäß Art. 19 Abs. 3 lit. b EUV,
Art. 267 Abs. 1 lit. a und b, Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs
einzuholen.

I.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch
sonst zulässig; insbesondere ist die Ehefrau rechtsbeschwerdebefugt.
Eine materiell-rechtliche Rechtsbeeinträchtigung der Ehefrau folgt allerdings
nicht bereits daraus, dass das Beschwerdegericht die Ehe der Beteiligten
nach russischem (und nicht wie von der Ehefrau gewünscht nach deutschem)
Recht geschieden hat (vgl. BGH Urteil vom 17. Februar 2023 - V ZR 212/21 -
NJW 2023, 2281 Rn. 12 mwN; Staudinger/Mankowski BGB [2010] Art. 17
EGBGB Rn. 256). Die Ehefrau ist jedoch aus verfahrensrechtlichen Gründen
durch die angefochtene Entscheidung beschwert. Zwar hat sie sich schon im Beschwerdeverfahren
nicht mehr gegen die Ehescheidung als solche gewandt.

Denn sie hat nicht (mit dem eindeutigen Ziel der Aufrechterhaltung der Ehe) eine
Zurückweisung der Beschwerde des Ehemanns beantragt, sondern lediglich
- nachdem das (nach deutschem Recht erforderliche) Trennungsjahr zwischenzeitlich
auch nach ihrem Vortrag abgelaufen war - gemäß § 146 FamFG eine Zurückverweisung
der Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung begehrt.
Allerdings macht sie mit ihrer Rechtsbeschwerde geltend, dass die Ehe
der Beteiligten nach deutschem Sachrecht hätte geschieden werden müssen,
was zur Folge gehabt hätte, dass der Versorgungsausgleich automatisch in den
Scheidungsverbund gelangt wäre (§ 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Über ihn wäre
nach §§ 137 Abs. 1, 142 Abs. 1 FamFG zusammen mit der Scheidung zu verhandeln
und zu entscheiden gewesen, so dass ein isolierter Scheidungsausspruch,
wie ihn das Beschwerdegericht vorgenommen habe, unzulässig gewesen
wäre.

Der Verbund von Scheidungssachen und Folgesachen dient dem Schutz
des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli
2021 - XII ZB 21/21 - FamRZ 2021, 1521 Rn. 19 ff. mwN). Durch ihn soll erreicht
werden, dass die Scheidung erst dann ausgesprochen wird, wenn die mit ihr zusammenhängenden
Folgefragen geklärt sind (Senatsbeschluss vom 26. Juni
2013 - XII ZR 133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn. 16). Wird einem Scheidungsantrag
zu Unrecht vor der Entscheidung über eine Folgesache stattgegeben, schafft
dies nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine selbständige Beschwer,
die mit der (Erst-)Beschwerde gegen den Scheidungsbeschluss gerügt werden
kann. In diesen Fällen verfolgt der Rechtsmittelführer mit einem auf Aufhebung
und Zurückverweisung gerichteten Beschwerdeantrag in zulässiger Weise das
Ziel, dass nach der von ihm begehrten Zurückverweisung der Sache an das
Amtsgericht zugleich mit dem Scheidungsausspruch über die von ihm geltend
gemachten Ansprüche in Folgesachen entschieden wird (vgl. etwa Senatsbeschluss
vom 4. September 2013 - XII ZB 87/12 - FamRZ 2013, 1879 Rn. 12
mwN). Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass die Scheidung der Ehe erstmals
durch das Beschwerdegericht ausgesprochen wird und die dagegen gerichtete
Rechtsbeschwerde das Ziel verfolgt, dass zugleich mit dem Scheidungsausspruch
über von Amts wegen einzuleitende Folgesachen entschieden wird. Daher
begründet die vom Beschwerdegericht isoliert ausgesprochene Scheidung
für die Ehefrau, die am Verhandlungs- und Entscheidungsverbund festhalten
möchte, indem sie eine Scheidung nach deutschem Sachrecht und zusammen
mit dem Scheidungsausspruch eine amtswegige Entscheidung über den Versorgungsausgleich
erstrebt, eine selbständige Beschwer, auch wenn sie dem Scheidungsbegehren
des Ehemanns in der Sache nicht (mehr) entgegentritt.

II.
Die Begründetheit der Rechtsbeschwerde hängt davon ab, ob das Beschwerdegericht
rechtsfehlerfrei angenommen hat, dass die Scheidung der Ehe
der Beteiligten gemäß Art. 8 lit. b Rom III-VO dem russischen Recht unterliegt.
Wäre die Auffassung des Beschwerdegerichts unrichtig, müsste die Ehe
gemäß Art. 8 lit. a oder c Rom III-VO nach deutschem Sachrecht geschieden
werden, was verfahrensrechtlich zur Folge hätte, dass der Versorgungsausgleich
automatisch in den Scheidungsverbund fiele, ohne dass insoweit ein Antrag eines
Ehegatten erforderlich wäre (§ 137 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Über die Scheidung
und den Versorgungsausgleich müsste dann gemäß §§ 137 Abs. 1, 142
Abs. 1 FamFG zusammen verhandelt und in einem Beschluss entschieden werden.
Dafür müssten zunächst die ehezeitlich erworbenen Versorgungsanrechte
der Beteiligten (§ 1 Abs. 1 VersAusglG) ermittelt werden, so dass der angefochtene
Beschluss aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen wäre.

Hätte das Beschwerdegericht die Ehe der Beteiligten hingegen zutreffend
gemäß Art. 8 lit. b Rom III-VO nach russischem Sachrecht geschieden, wäre die
Rechtsbeschwerde der Ehefrau zurückzuweisen. Denn in diesem Fall wäre der
Versorgungsausgleich nicht automatisch, sondern nach Art. 17 Abs. 4 Satz 2
EGBGB nur auf Antrag eines Ehegatten in den Scheidungsverbund gelangt. Die
Ehefrau hat einen solchen Antrag - von ihrem Standpunkt aus folgerichtig - jedoch
nicht gestellt, weil sie von der Anwendbarkeit deutschen Scheidungsrechts
und damit von der automatischen Einbeziehung des Versorgungsausgleichs in
den Scheidungsverbund ausgegangen ist. In Ermangelung eines entsprechenden
Antrags wäre über den Versorgungsausgleich also nicht zusammen mit der
Scheidung zu entscheiden gewesen, so dass der isolierte Scheidungsausspruch
durch das Beschwerdegericht nicht zu beanstanden wäre.

1. Richtig sind die rechtlichen Ausgangspunkte des Beschwerdegerichts.
a) Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass sich die internationale
Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Streitfall aus Art. 3 Abs. 1
lit. a dritter Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom
27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche
Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im
Folgenden: Brüssel IIa-VO) iVm Art. 100 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2019/1111
des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche
Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Brüssel
IIb-VO) ergibt. Danach sind für Entscheidungen über die Ehescheidung in vor
dem 1. August 2022 eingeleiteten Verfahren die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig,
in dessen Hoheitsgebiet der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat. Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass die Ehefrau
als Antragsgegnerin bei Anrufung des Amtsgerichts am 8. Juli 2021 ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland hatte. Die Rechtsbeschwerde erinnert hiergegen
nichts. Im Übrigen ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen
Gerichte unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt aufgrund der gemeinsamen
Staatsangehörigkeit der Beteiligten aus Art. 3 Abs. 1 lit. b Brüssel IIa-VO.

b) Ebenfalls zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen,
dass sich das auf die Ehescheidung anzuwendende Recht aus Art. 8 Rom III-VO
ergibt, weil die Beteiligten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten
Rechtszug (vgl. Art. 46 e Abs. 2 Satz 1 EGBGB iVm Art. 5 Abs. 2 und 3
Rom III-VO) keine Rechtswahl nach Art. 5 Rom III-VO getroffen haben. Art. 8
Rom III-VO bestimmt das anzuwendende Recht, indem die Vorschrift als Anknüpfungspunkte
der Reihe nach den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten zum
Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, anderenfalls unter bestimmten Voraussetzungen
den letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, anderenfalls ihre gemeinsame
Staatsangehörigkeit oder anderenfalls den Sitz des angerufenen Gerichts
heranzieht (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe
vom 14. September 2017 - C-372/16 - juris Rn. 12; vgl. auch Senatsbeschluss
BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 Rn. 30).

2. Aufgrund der Anknüpfungsleiter in Art. 8 Rom III-VO kommt es zunächst
darauf an, ob die Beteiligten - wie das Beschwerdegericht angenommen hat - in
Russland einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Dies könnte schon
deshalb fraglich erscheinen, weil der Ehemann als Diplomat nach Russland entsandt
wurde und seinen Wohnsitz auf dem Compound der Deutschen Botschaft
Moskau nicht freiwillig angemeldet hat, sondern aufgrund dienstrechtlicher Bestimmungen
dazu gezwungen war, wie die Ehefrau unbestritten vorgetragen hat.
Daher stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der gewöhnliche Aufenthalt
der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO zu bestimmen ist, insbesondere
ob die Entsendung als Diplomat die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts
im Empfangsstaat beeinflusst oder sie einer solchen sogar entgegensteht. Diese
Frage ist schon deshalb entscheidungserheblich, weil die Scheidung nicht dem
russischen Sachrecht unterliegen würde, wenn die Beteiligten in Russland keinen
gewöhnlichen Aufenthalt hätten begründen können.

a) Der Umstand, dass die Beteiligten wegen der beruflichen Tätigkeit des
Ehemanns als Diplomat nach Moskau gezogen sind, hat nach Auffassung des
Beschwerdegerichts keinen Einfluss auf die Beurteilung eines dort begründeten
gewöhnlichen Aufenthalts der Beteiligten iSv Art. 8 Rom III-VO. Denn dieser Aufenthalt
sei auf unbestimmte Dauer angelegt gewesen, wie der Vortrag der Ehefrau,
die Beteiligten hätten ihre Berliner Mietwohnung im Jahr 2021 vollständig
renoviert, um dort im Alter ihren Wohnsitz zu begründen, belege.
b) Die Frage, ob Diplomaten im Empfangsstaat grundsätzlich einen gein
einer Entscheidung verneint (vgl. Urteil vom 6. Juni 2007 - 31642 - The European
Legal Forum 2007 II-145; deutsche Zusammenfassung abrufbar unter
www.unalex.eu [Entscheidung LU-26]), die allerdings zu Art. 2 Abs. 1 lit. a der
Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit
und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen
und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen
Kinder der Ehegatten (Brüssel II-VO) ergangen ist.

Dieser Entscheidung lag ein dem vorliegenden Fall vergleichbarer Sachverhalt
zugrunde. Der dortige Ehemann wurde zum luxemburgischen Botschafter
in Griechenland ernannt und zog einige Jahre vor Einreichung des Scheidungsgeführt,
es könne nicht angenommen werden, dass der Ehemann den Willen gehabt
habe, im Empfangsstaat den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen zu
begründen. Die Dauer seines Aufenthalts im Empfangsstaat hänge ausschließlich
von der Dauer der Ausübung der diplomatischen Funktionen ab; die Zuweisung
dieser Funktionen unterliege der ausschließlichen Bestimmung durch die
Regierung des Entsendestaats. Sein Aufenthalt im Empfangsstaat sei zufällig,
weil die Regierung ihn auf jeden anderen Posten versetzen könne, zeitlich begrenzt,
weil generell auf einige Jahre beschränkt, und ungewiss, weil die Regierung
ihm jederzeit eine neue Position oder Funktion zuweisen könne. Soweit sich
nicht nur das berufliche, sondern auch das familiäre und soziale Leben des Ehemanns
hauptsächlich im Empfangsstaat abspiele, sei dies lediglich die Konsequenz
aus der Betrauung mit der Funktion als Diplomat. Eine Absicht des Diplomaten,
sich im Empfangsstaat zu integrieren, bestehe nicht. Eine solche Integration
im Empfangsstaat könnte auch als unvereinbar mit der diplomatischen Funktion
angesehen werden, die es erfordere, die Unabhängigkeit gegenüber dem
Empfangsstaat zu wahren.

c) Die Rechtsbeschwerde stützt sich auf die genannte Entscheidung und
ist der Auffassung, dass auch im Rahmen von Art. 8 Rom III-VO die Voraussetzungen
für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat
bei Angehörigen des diplomatischen Dienstes von vornherein nicht erfüllt seien.
Vielmehr stehe die berufliche Stellung des Ehemanns als Diplomat an der Deutschen
Botschaft Moskau der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in
Russland entgegen. Der Aufenthalt der Beteiligten in Moskau sei zwar nicht für
eine bestimmte Dauer (im Sinne einer festen Befristung) geplant, seiner Natur
nach aber doch vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt gewesen. Die Beteiligten
hätten spätestens nach Beendigung der Tätigkeit des Ehemanns an der
Deutschen Botschaft Moskau (oder einer anderen Auslandvertretung) nach
Deutschland zurückkehren wollen, was sich schon daraus ergebe, dass sie ihre
Mietwohnung in Berlin aufrechterhalten hätten, auch wenn diese teilweise untervermietet
worden sei. Bei Aufenthalten in Berlin hätten sie die Wohnung auch
weiterhin nutzen können. Ferner hätten sie sich nicht aus freiem Willen für den
Aufenthalt in Moskau entschieden, sondern dieser sei dadurch bedingt gewesen,
dass der Ehemann als Diplomat von seinem Dienstherrn dorthin versetzt worden
sei. Die Beteiligten hätten zudem in Moskau keine von ihnen frei zu wählende
Wohnung anmieten können; sie seien vielmehr aus dienstrechtlichen Gründen
gehalten gewesen, eine Wohnung auf dem Compound der Deutschen Botschaft
zu nehmen. Sie hätten also - wie andere deutsche Diplomaten auch - in einem
räumlich abgegrenzten Bereich gelebt, der zwar rechtlich nicht als extraterritorial
gewertet werden möge, jedenfalls aber in beruflicher, sozialer und kultureller Hinder
physischen Anwesenheit der Beteiligten in Russland und stehe der Begründung
sozialer Bindungen in diesem Staat entgegen. Auch nach der Begründung
ihres Wohnsitzes in Moskau hätten sie intensive Bindungen zu Deutschland aufrechterhalten.
So hätten familiäre Verbindungen zu ihrer volljährigen Tochter bestanden,
die seit September 2019 in der Mietwohnung der Beteiligten lebe.

Der Ehemann macht im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend, Sinn und
Zweck der gemeinschaftsrechtlichen Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt
könne nicht sein, dass Diplomaten, die aufgrund ihrer dienstlichen Verwendung
nach Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über
diplomatische Beziehungen (BGBl. II 1964 S. 957, 977) im Empfangsstaat Immunität
genießen, infolge allfälliger Versetzung an einen neuen Verwendungsort
regelmäßig dem (Scheidungs-)Recht des neuen Wohnsitzstaates unterlägen.
d) Diese Frage ist bislang in der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht
geklärt. Zwar hat der Gerichtshof Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO sowie Art. 3
lit. a und b der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008
über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung
von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (im
Folgenden: Europäische Unterhaltsverordnung) dahin ausgelegt, dass die Eigenschaft
der betreffenden Ehegatten als Vertragsbedienstete der Union, die in einer
Delegation der Europäischen Union in einem Drittstaat beschäftigt sind und hinsichtlich
derer behauptet wird, dass sie in diesem Drittstaat den Diplomatenstatus
innehätten, keinen entscheidenden Gesichtspunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen
Aufenthalts im Sinne dieser Vorschrift darstellen könne (vgl. EuGH
Urteil vom 1. August 2022 - C-501/20 - FamRZ 2022, 1466 Rn. 58 ff.). Vorliegend
geht es indes um die Rom III-VO, auf die sich die zur Brüssel IIa-VO und zur
Europäischen Unterhaltsverordnung ergangene Rechtsprechung nicht ohne
Weiteres übertragen lässt. Insbesondere kommt es für die Bestimmung des maßgeblichen
Scheidungsstatuts nicht in gleicher Weise wie bei der Beurteilung des
Bestehens und der Höhe eines Unterhaltsanspruchs auf die rechtlichen und tatsächlichen
Bedingungen des sozialen Umfelds des Aufenthaltsstaates an. Überdies
ist die genannte Entscheidung gerade nicht zu Diplomaten ergangen, sondern
zu Vertragsbediensteten der Europäischen Union, die am Sitz in Brüssel
keiner Rotation unterlagen und bei denen ein Rückkehrwille in ihren Heimatstaat
nicht festzustellen war. Im Übrigen macht die Rechtsbeschwerde geltend, dass
vorliegend nicht entscheidend sei, ob ein Diplomatenstatus als solcher (und eine
daraus folgende Immunität) der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im
Empfangsstaat entgegenstehen könne, sondern vielmehr die Frage aufgeworfen
sei, ob die Natur und die Eigenart der Tätigkeit eines an einer Auslandsvertretung
eingesetzten Diplomaten aufgrund der in dieser Funktion begründeten Umstände
der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat entgegenstehe.
e) Aus Sicht des Senats ist zweifelhaft, welchen Einfluss der Umstand,
dass die Beteiligten wegen der beruflichen Tätigkeit des Ehemanns als Diplomat
für unbestimmte Zeit nach Moskau ziehen mussten, auf die dortige Begründung
eines gewöhnlichen Aufenthalts hat. Im Rahmen der Beurteilung könnte jedenfalls
auch zu berücksichtigen sein, dass sich die Beteiligten nicht aus freiem Willen
für einen Umzug nach Moskau entschieden haben, sondern dieser durch die
berufliche Versetzung des Ehemanns bedingt war. Gleiches dürfte für den Umstand
gelten, dass auch die (ohnehin begrenzte) Dauer seiner dortigen Tätigkeit
nicht entscheidend vom Willen des Ehemanns abhängig ist. Hinzu kommt, dass
die Beteiligten ihren Wohnsitz in Russland nicht frei wählen durften und dass sie
ihre Wohnung in Berlin beibehalten haben, um nach der Beendigung der Auslandstätigkeit
des Ehemanns wieder dorthin zurückkehren zu können. Wenn
diese Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen wären,
könnte die Frage, ob die Beteiligten in Russland ihren gewöhnlichen Aufenthalt
begründen konnten, zu verneinen sein. In Ermangelung einschlägiger Rechtsprechung
des Gerichtshofs ist aus Sicht des Senats jedenfalls nicht eindeutig, wie
sich die Entsendung als Diplomat auf die Bestimmung des Begriffs
lichen Au 8 lit. a und b Rom III-VO auswirkt.

3. Auch im Übrigen ist offen, nach welchen Kriterien der gewöhnliche Aufenthalt
der Ehegatten iSv Art. 8 lit. a und b Rom III-VO zu bestimmen ist. Insbesondere
ist klärungsbedürftig, ob die physische Präsenz der Ehegatten in einem
Staat von gewisser Dauer gewesen sein muss, bevor davon ausgegangen werden
kann, dass dort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wurde, und ob die
Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein gewisses Maß an sozialer und
familiärer Integration in dem betreffenden Staat voraussetzt. Diese Fragen sind
entscheidungserheblich, weil auf die Scheidung der Beteiligten nur dann das russische
Sachrecht Anwendung finden würde, wenn (auch) die Ehefrau ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Russland begründet hätte und dieser nicht mehr als ein
Jahr vor Anrufung des Amtsgerichts am 8. Juli 2021 beendet gewesen wäre. Die
Entscheidungserheblichkeit der genannten Fragen entfiele selbst dann nicht,
wenn man - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - annehmen
würde, dass die Ehefrau aufgrund ihrer physischen Präsenz in Berlin von Januar
2020 bis Februar 2021 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (wieder)begründet
hätte. Denn auch in diesem Fall könnte ihre Rückkehr nach Moskau im
Februar 2021, als sie noch Chancen für die Fortführung ihrer Ehe sah, sofort zu
einer (Neu-)Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Russland geführt haben,
wenn man hierfür eine Mindestverweildauer und eine soziale sowie familiäre
Integration nicht für erforderlich hielte.

a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist
unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Kontexts der
Bestimmungen, in denen er genannt wird, sowie der Ziele der jeweiligen Verordnung
autonom auszulegen (vgl. EuGH Urteile vom 6. Juli 2023 - C-462/22 -
FamRZ 2023, 1479 Rn. 26; vom 25. November 2021 - C-289/20 - FamRZ 2022,
215 Rn. 39 und vom 28. Juni 2018 - C-512/17 - FamRZ 2018, 1426 Rn. 40, jeweils
zur Brüssel IIa-VO). Zur Auslegung dieses Begriffs in der Rom III-VO hat
sich der Gerichtshof hingegen bislang nicht geäußert.

b) Darüber, wie der gewöhnliche Aufenthalt in Art. 8 lit. a und b Rom III-VO
zu verstehen ist, besteht im deutschsprachigen Schrifttum Uneinigkeit.

aa) Erwägungsgrund 10 Abs. 1 der Rom III-VO sieht vor, dass der sachliche
Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser Verordnung mit der Brüssel
IIa-VO im Einklang stehen sollten. Daraus folgern - wie das Beschwerdegericht
- Teile der deutschen Rechtsliteratur
der Rom III-VO ebenso zu verstehen sei wie der gleiche Begriff in
der Brüssel IIa-VO (vgl. Althammer/Mayer Art. 5 Rom III-VO Rn. 12; Althammer/
Tolani Art. 8 Rom III-VO Rn. 6 f.; Jauernig/Budzikiewicz BGB 19. Aufl. Art. 5-16
VO (EU) 1259/2010 Rn. 9 und 2; NK-BGB/Gruber 3. Aufl. Art. 3 Rom III Rn. 15;
Grüneberg/Thorn BGB 83. Aufl. Art. 5 Rom III Rn. 3; Andrae Internationales Familienrecht
4. Aufl. § 3 Rn. 26 und § 2 Rn. 64; Hausmann Internationales und Europäisches
Familienrecht 2. Aufl. Rn. A 370 und A 424; Winter Internationales
Familienrecht bei Fällen mit Auslandsbezug Rn. 181; Gruber IPRax 2012, 381,
385).

Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 3
Abs. 1 lit. a Brüssel IIa-VO (vgl. EuGH Urteile vom 1. August 2022 - C-501/20 -
FamRZ 2022, 1466 Rn. 44 und vom 25. November 2021 - C-289/20 - FamRZ
2022, 215 Rn. 57
8 lit. a bzw. b Rom III-VO dementsprechend dahingehend
ausgelegt, dass er grundsätzlich durch zwei Elemente gekennzeichnet sei, nämlich
zum einen subjektiv durch den Willen des Ehegatten, den gewöhnlichen Mittelpunkt
seiner Lebensinteressen an einen bestimmten Ort zu legen (animus
manendi), und zum anderen objektiv durch eine hinreichend dauerhafte Anwesenheit
im Hoheitsgebiet dieses Staates. Maßgebend für die Verlagerung des
gewöhnlichen Aufenthalts sei vor allem der Wille des Betreffenden, in diesem
Staat den ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Interessen in der Absicht
zu begründen, ihm Beständigkeit zu verleihen. Eine Mindestdauer sei nicht
vorgesehen, so dass die Dauer des Aufenthalts allenfalls als Indiz im Rahmen
der Beurteilung der Beständigkeit dienen könne (vgl. EuGH Urteil vom 22. Dezember
2010 - C-497/10 PPU - FamRZ 2011, 617 Rn. 51). Das bislang dritte Element
der sozialen Integration trete dagegen in den Hintergrund.

bb) Demgegenüber vertreten andere Stimmen im deutschsprachigen
Schrifttum die Auffassung, dass eine völlige Deckungsgleichheit bei der Ausleinternationalen
Zuständigkeit nach der Brüssel IIa-VO und des kollisionsrechtlichen
Scheidungsstatuts nach der Rom III-VO nicht bestehe, weil die Ratio der beiden
Anknüpfungen unterschiedlich sei. Vielmehr könne der gewöhnliche Aufenthalt
bei der Rom III-VO in Grenzfällen durchaus anders zu beurteilen sein als bei der
Brüssel IIa-VO (jurisPK-BGB/Johanson 10. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn. 5 und
Art. 5 Rom III-VO Rn. 13; NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 8 Rom III Rn. 10 und Art. 5
Rom III Rn. 47 ff.; Rauscher/Helms EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO
Rn. 19 und 26; Helms FamRZ 2011, 1765, 1769 f.). Insbesondere sei bei der
Rom III-VO eine intensivere Beziehung zum Aufenthaltsstaat erforderlich als bei
der Brüssel IIa-VO, wo regelmäßig intendiert sei, dass der Antragsteller die Wahl
zwischen alternativen Gerichtsständen habe (jurisPK-BGB/Johanson 10. Aufl.
Art. 5 Rom III-VO Rn. 13). Daher könne selbst nach Ablauf geraumer Zeit eine
Entscheidung darüber, ob der gewöhnliche Aufenthalt eines Ehepaares iSv Art. 8
lit. a und b Rom III-VO bereits in einem anderen Staat liege, erst nach sorgfältiger
Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden (Rauscher/Helms
EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO Rn. 19; Helms FamRZ 2011, 1765,
1770; vgl. auch Henrich Internationales Scheidungsrecht 5. Aufl. Rn. 86 f.).

cc) Nach Erwägungsgrund 14 der Rom III-VO sollte im Falle einer fehlenden
Rechtswahl dasjenige Recht auf die Ehescheidung angewendet werden, zu
dem die Ehegatten einen engen Bezug haben, weshalb dieses Recht auch dann
zum Tragen kommen sollte, wenn es nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaats
ist. Dem Erwägungsgrund 21 ist zudem zu entnehmen, dass die
Rom III-VO im Interesse der Rechtssicherheit und Berechenbarkeit harmonisierte
Kollisionsnormen einführen sollte, die sich auf Anknüpfungspunkte stützen,
welche einen engen Bezug der Ehegatten zum anzuwendenden Recht gewährleisten.
Die Anknüpfungspunkte sollten so gewählt werden, dass sichergestellt
ist, dass Ehescheidungen nach einer Rechtsordnung erfolgen, zu der die Ehegatten
einen engen Bezug haben.

Das Abstellen in den Erwägungsgründen 14 und 21 auf ein Scheidungsrecht,
zu dem die Ehegatten einen engen Bezug haben, könnte dafür sprechen,
den Begriff 8 lit. a und b Rom III-VO anders
auszulegen als in der Brüssel IIa-VO. Denn die Ehegatten werden in der
Regel nicht sofort mit ihrem Umzug in einen anderen Staat einen engen Bezug
zu dessen Rechtsordnung haben, selbst wenn ihr dortiger Aufenthalt auf unbestimmte
Dauer angelegt ist. Etwas anderes mag etwa gelten, wenn es sich dabei
um ihren Heimatstaat handelt. Bei einem Umzug in einen den Ehegatten bislang
fremden Staat könnte jedoch - insbesondere wenn die Ehegatten zu ihrem Heimatstaat
weiterhin intensive Bindungen aufrechterhalten - grundsätzlich zunächst
lediglich ein schlichter Aufenthalt vorliegen, der sich erst nach Ablauf einer
gewissen Zeit zu einem gewöhnlichen Aufenthalt verfestigt.

Für die Frage, ob die Ehegatten zu dem Recht des betreffenden Staates
bereits einen engen Bezug haben, könnte weiter von Relevanz sein, ob bereits
eine gewisse soziale und familiäre Integration in diesem Staat stattgefunden hat.
Der Gerichtshof hat jedenfalls zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im
Rahmen der Brüssel IIa-VO darauf abgestellt, dass der gewöhnliche Aufenthalt
Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration einer Person sein
müsse (EuGH Urteile vom 9. Oktober 2014 - C-376/14 PPU - FamRZ 2015, 107
Rn. 51; vom 22. Dezember 2010 - C-497/10 PPU - FamRZ 2011, 617 Rn. 47 und
vom 2. April 2009 - C-523/07 - FamRZ 2009, 843 Rn. 38 und 44). Dieses Kriterium
ließe sich ebenso
-VO heranziehen (so auch NK-BGB/Lugani 3. Aufl. Art. 5
Rom III Rn. 54; Rauscher/Helms EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 Rom III-VO
Rn. 20), wobei angesichts der in den Erwägungsgründen 14 und 21 zum Ausdruck
kommenden Ziele der Rom III-VO ein deutlich stärkeres Maß an sozialer
und familiärer Integration als bei der Brüssel IIa-VO erforderlich sein könnte, um
einen gewöhnlichen Aufenthalt nach der Rom III-VO bejahen zu können.

III.
a und b Rom III-VO weder der Verordnung
selbst entnehmen noch aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs
eindeutig ableiten. Vielmehr bleiben vernünftige Zweifel bei der Auslegung, so
dass es eines Vorabentscheidungsverfahrens bedarf.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

20.12.2023

Aktenzeichen:

XII ZB 117/23

Rechtsgebiete:

Versorgungsausgleich
Ehevertrag und Eherecht allgemein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

AEUV Art. 267; Rom-III VO Art. 8