Kammergericht 23. Mai 2020
22 W 61/19
BGB §§ 32 Abs. 1 S. 3, 40

Statutarisches Erfordernis der einfachen Mehrheit; Auslegung

letzte Aktualisierung: 14.4.2021
KG, Beschl. v. 23.5.2020 – 22 W 61/19

BGB §§ 32 Abs. 1 S. 3, 40
Statutarisches Erfordernis der einfachen Mehrheit; Auslegung

Ist für einen Beschluss nach der Satzung eine „einfache Mehrheit“ erforderlich, ist diese erreicht,
wenn für den Beschlussgegenstand mehr Stimmen abgegeben werden als gegen ihn. Dabei kommt
es auf die abgegebenen Stimmen an. Enthaltungen werden nicht mitgezählt.

Gründe

I.
Mit notarieller Urkunde vom 11. Juli 2019 meldete der Vorstand des Beteiligten unter
Vorlage des Protokolls der Mitgliederversammlung, einer brieflichen Abstimmung vom 06.
April 2019, Herrn O... L... und Frau S... S... als stellvertretende Vorsitzende zur Eintragung
in das Vereinsregister beim Amtsgericht Charlottenburg – Registergericht an. In dem der
Anmeldung beigefügten Protokoll ist u.a. festgehalten, dass Herr L... mit 79 Ja-Stimmen und
Frau S... mit 74 Ja-Stimmen gewählt worden sind bei 172 stimmberechtigten Stimmen.
Angaben zu Gegenstimmen oder Enthaltungen gibt es im Protokoll nicht.

Mit Verfügung vom 22. Juli 2019 wies das Registergericht darauf hin, dass bei 172
abgegebenen Stimmen für die Wahl der stellvertretenden Vorstandsmitglieder jeweils 87 Ja-
Stimmen erforderlich seien, sofern es keine Stimmenthaltungen gegeben habe, da nach den
Bestimmungen der Satzung in § 7 Abs. 7 S. 3 eine einfache Mehrheit erforderlich sei. Die
aktuelle Satzung in der Fassung vom 15. April 2017 lautet hinsichtlich Abstimmung und
Wahlen in § 7 Abs. 7 S. 3: „Die Mitgliederversammlung fasst ihre Beschlüsse mit der
einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“ Der Beteiligte wies sodann darauf hin, dass
hier die Bedeutung des rechtlichen Begriffs der einfachen Mehrheit für die
Vereinsmitglieder die der relativen Mehrheit sei und schlug vor, die Satzung ohne
Mitgliederversammlung entsprechend zu ändern.

Mit Beschluss vom 13. August 2019, dem Notar ausweislich des Empfangsbekenntnisses
am 20. August 2019 zugestellt, hat das Amtsgericht die Anmeldung vom 11. Juli 2019
zurückgewiesen. Der am 21. August 2019 beim Amtsgericht Charlottenburg per Fax und
am 29. August als Original eingegangenen Beschwerde hat das Amtsgericht nicht
abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig, sie ist nach § 58 Abs. 1, 374 Nr. 4, 382 Abs. 3 FamFG
statthaft und gemäß §§ 63, 64 FamFG form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden. Des Erreichens eines Beschwerdewertes bedarf es nicht, weil es sich um eine
Vereinsangelegenheit handelt und damit um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit
im Sinne des § 61 Abs. 1 FamFG. Der Beteiligte, vertreten durch den
einzelvertretungsberechtigten Vorsitzenden, ist durch den seinen Eintragungsantrag
zurückweisenden Beschluss unmittelbar beschwert im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das Registergericht hat die Anmeldung nach § 67 Abs. 1 BGB zu Recht zurückgewiesen,
die Wahl der angemeldeten stellvertretenden Vorsitzenden ist unwirksam. Aus dem
eingereichten Protokoll der Mitgliederversammlung ergibt sich nicht, ob die beiden zur
Eintragung als stellvertretende Vorsitzende angemeldeten Kandidaten mit der nach § 7 Abs.

S. 3 der Satzung notwendigen einfachen Mehrheit der Stimmen gewählt worden sind.
Vorliegend lässt sich nicht feststellen, ob diejenigen Mitglieder, die nicht mit „Ja“
abgestimmt haben, sich der Wahl enthalten oder aber mit „Nein“ abgestimmt haben. Da
nicht auszuschließen ist, dass die verbleibende Mehrheit gegen die Kandidaten gestimmt
hat, kann keiner der beiden angemeldeten Personen als gewählt angesehen werden.

Die einfache Mehrheit – wie in § 7 Abs. 7 S. 3 der Satzung festgelegt – erreicht ein
Beschlussantrag bzw. Wahlvorschlag dann, wenn er mehr als die Hälfte der gültigen
Stimmen auf sich vereinigt. Erforderlich ist, dass die Zahl der gültigen Ja-Stimmen die der
gültigen Nein-Stimmen um wenigstens eine übertrifft; Stimmenthaltungen und ungültige
Stimmen werden bei der Festlegung des Abstimmungsergebnisses nicht mitgezählt (BGH,
Urteil vom 12. Januar 1987, II ZR 152/86, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom
29. Januar 2008, 31 Wx 78/07, juris Rn. 21 und Beschluss vom 19. Januar 1996, 3Z BR
233/95, juris Rn. 18; Palandt-Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 32 Rn. 7;
Staudinger/Schwennicke, BGB, 2019, § 32 Rn. 111). Wenn anstelle der einfachen die sog.
relative Mehrheit, also die Mehrheit aller abgegebenen Ja- und Neinstimmen, hätte
maßgebend sein sollen, so hätte dies nach § 40BGB einer entsprechenden Bestimmung in
der Satzung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 1988, II ZR 96/88, juris Rn. 12;
OLG Schleswig, Beschluss vom 12. Januar 2005, 2 W 308/04, juris Rn. 9; Palandt-
Ellenberger, aaO).

Ein anderes Mehrheitserfordernis lässt sich auch nicht durch Auslegung der Satzung
erzielen. Die Auslegung der Vereinssatzung ist aus sich heraus nach objektiven Kriterien
vorzunehmen. Der Wortlaut hat eine erhöhte Bedeutung, während die Umstände nur
eingeschränkt für die Auslegung zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 28. November
1988, II ZR 96/88, juris Rn. 11). Der Wortlaut der Satzung sieht eindeutig die „einfache“
Mehrheit in § 7 Abs. 7 S. 3 vor. Bei der gebotenen objektiven Auslegung kann es nur auf die
zutreffende Bedeutung ankommen. Dass der Begriff „einfache Mehrheit“ häufig
missverstanden wird, kann daran nichts ändern (OLG München, Beschluss vom 29. Januar
2008, 31 Wx 78/07, juris Rn. 26). Eine nach der Satzung erforderliche einfache Mehrheit ist
nicht als relative, sondern als absolute Mehrheit zu verstehen (OLG München, Beschluss
vom 29. Januar 2008, 31 Wx 78/07, juris Rn. 21 und Beschluss vom 19. Januar 1996, 3Z BR
233/95, juris Rn. 19; Palandt-Ellenberger, aaO; Staudinger/Schwennicke, aaO, Rn. 110).

Dem steht auch nicht die Feststellung der Kandidaten als „gewählt JA“ im Protokoll vom
06. April 2019 entgegen. Denn der Feststellung des Abstimmungsergebnisses kommt keine
konstitutive Wirkung zu, da es kein fristgebundenes Anfechtungsrecht wie etwa bei der
Aktiengesellschaft gibt (BGH, Urteil vom 12. Januar 1987, II ZR 152/86, juris Rn. 5; OLG
Schleswig, Beschluss vom 12. Januar 2005, 2 W 308/04, juris Rn. 9). Die Satzung sieht auch
keine eindeutige Ausnahme dieses Prinzips durch entsprechende Bestimmung bzgl. der
Wirkung der Feststellung des Abstimmungsergebnisses im Protokoll vor.

Ferner liegt entgegen den Ausführungen der Beschwerde keine Änderung der bisherigen
Praxis seit der Satzungsänderung im Jahr 2009 vor. Bei den vorigen Wahlen lag jeweils die
erforderliche einfache Mehrheit vor, bei der Abstimmung am 15. April 2017 wurde so mit
159 und 162 von 171 gültigen Stimmen, am 11. April 2015 mit 104 und 103 von 181
gültigen Stimmen, am 06. April 2013 ohne Gegenstimme und am 18. April 2009 ohne
Gegenstimme mit nur einer Enthaltung gewählt. Ob eine solche Praxis die Auslegung
ändern könnte, kann mithin dahinstehen.

Dem steht auch die Regelung in § 6 Abs. 8 lit. b) der Satzung, wonach die beiden
stellvertretenden Vorsitzenden „im Block“ gewählt werden, nicht entgegen, denn diese
Regelung kann nur dann greifen, wenn zwei und nicht wie vorliegend fünf Kandidaten zur
Verfügung stehen, diese müssen faktisch einzeln gewählt werden, was laut Protokoll vom
06. April 2019 auch erfolgt ist. Bei Einzelwahlen gilt entsprechend die einfache Mehrheit
des § 7 Abs. 7 S. 3 der Satzung.

Auch das Vorbringen der Beschwerde, die Wahl sei von keinem der Mitglieder beanstandet
worden und entspreche deren Interesse, kann das Wahlergebnis nicht verbindlich werden
lassen. Denn die Abhängigkeit der Nichtigkeit eines Beschlusses vom Widerspruch des in
seinen Rechten verletzten Mitglieds kann allenfalls bei Verstößen gegen
Verfahrensvorschriften greifen, die nur dem Schutz einzelner Mitglieder dienen, nicht aber
bei Verstößen gegen übergeordnete Interessen, wie die das grundlegende gemeinschaftliche
Interesse aller Mitglieder an einer rechts- und ordnungsgemäßen Willensbildung betreffende
Wahl eines Vorstandsmitglieds (OLG München, Beschluss vom 29. Januar 2008, 31 Wx
78/07, juris Rn. 30; Palandt-Ellenberger, aaO, Rn. 10).

Abschließend weist das Gericht den Beteiligten aufgrund der diesbezüglich mehrfachen
Nachfrage darauf hin, dass weder das Gericht noch der Vorstand befugt sind, die Satzung
eigenmächtig zu ändern. Hierzu bedarf es zwingend eines Beschlusses der Mitglieder mit
der Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen gemäß § 7 Abs. 8 der Satzung. Für die
vom Beteiligten präferierte Lösung der sog. relativen Mehrheit für Beschlüsse bedürfte es
entweder der ersatzlosen Streichung des Begriffs „einfachen“ aus § 7 Abs. 7 S. 3 oder –
besser – des Ersetzens des Begriffs „einfachen“ durch „relativen“. Lässt die Satzung bei
Wahlen die Mehrheit ausreichen, ohne eine Stichwahl anzuordnen, dann reicht die relative
Mehrheit aus, das heißt, derjenige Kandidat ist gewählt, der die meisten Stimmen auf sich
vereinigt (OLG München, Urteil vom 19. Mai 2010, 20 U 1695/10, juris Rn. 13; OLG
Schleswig, Beschluss vom 12. Januar 2005, 2 W 308/04, juris Rn. 9).

III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Verpflichtung zur Tragung der
Gerichtskosten ergibt sich aus dem Gesetz. Eine Anordnung der Erstattung
außergerichtlicher Kosten scheidet aus, weil am Beschwerdeverfahren nur der Verein
beteiligt ist. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht, weil es an den
Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG fehlt.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

Kammergericht

Erscheinungsdatum:

23.05.2020

Aktenzeichen:

22 W 61/19

Rechtsgebiete:

Verein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

RNotZ 2020, 475-477

Normen in Titel:

BGB §§ 32 Abs. 1 S. 3, 40