OLG München 08. Mai 2023
W XV 5/22 Lw
GrdstVG §§ 2, 9 Abs. 1 Nr. 3

Grundstücksverkehrsgesetz: Beurteilung des Missverhältnisses zwischen Grundstückswert und vereinbartem Kaufpreis

letzte Aktualisierung: 15.1.2024
OLG München, Beschl. v. 8.5.2023 – W XV 5/22 Lw

GrdstVG §§ 2, 9 Abs. 1 Nr. 3
Grundstücksverkehrsgesetz: Beurteilung des Missverhältnisses zwischen Grundstückswert und
vereinbartem Kaufpreis

Für die Beurteilung des Missverhältnisses i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdstVG ist der Marktwert
maßgeblich, der sich nach dem Preis richtet, den Kaufinteressenten, auch Nichtlandwirte, zu zahlen
bereit sind. Wird ein Kaufpreis vereinbart, der den Marktwert des Grundstücks um mehr als die
Hälfte überschreitet, so ist dieser spekulativ überhöht und daher nicht maßgeblich. Bei der Beurteilung
des konkreten Grundstückswerts kann es angezeigt sein, sich abzeichnende städtebauliche
Entwicklungen zu berücksichtigen.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe

I.
Das Landwirtschaftsgericht wies mit Beschluss vom 4.02.2022 den Antrag auf Genehmigung des
Grundstückskaufs der Beschwerdeführerin mit den weiteren Beteiligten zu 4) und 5) über eine vier Hektar
große Teilfläche des landwirtschaftlichen Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung P… zurück: Der
beurkundende Notar habe am 22.4.2020 bei der weiteren Beteiligten zu 1) um Genehmigung ersucht, die am
23.06.2020 versagt wurde. Dem Antrag auf gerichtliche Genehmigung sei nicht zu entsprechen, da die
Versagungsgründe nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 GrdstVG greifen würden. In Richtung des
Versagungsgrunds Nr. 3 habe ein Sachverständiger bestätigt, dass ein grobes Missverhältnis zum Wert des
Grundstücks bestünde. Den Versagungsgrund Nr. 2, 1 habe die Beteiligte zu 1) in zulässiger Weise
nachgeschoben und die Veräußerung würde den Milcherzeugungsbetrieb der weiteren Beteiligten zu 4) und
5), die 50 Milchkühe halten, unwirtschaftlich verkleinern, da nur eine unzureichende Grünlandfläche von
knapp 9 ha vorläge. Auf die Einzelheiten des Beschlusses wird Bezug genommen.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde vom 5.4.2022 gegen den am 22.3.2022 zugestellten
vorgenannten Beschluss, die am 7.6.2022 begründet wurde. Das Erstgericht habe für die
Verkehrswertbestimmung in zeitlicher Hinsicht einen falschen Maßstab angelegt. Maßgeblich sei allein der
Zeitpunkt des Vertragsschlusses, was nicht ausreichend beachtet wurde. Auf die Einzelheiten der
Beschwerdebegründung wird Bezug genommen.

Im Beschwerdeverfahren wird beantragt:

Die Antragstellerin beantragt,
„Von daher ist die Entscheidung des Gerichts falsch und die Genehmigung nach dem
Grundstücksverkehrsgesetz ist zu erteilen.“
Die weitere Beteiligte zu 1) beantragt,
„Die Entscheidung des Gerichts ist nicht zu beanstanden. Die Genehmigung ist weiterhin zu versagen und
der Antrag des Klägers zurückzuweisen“
Die weitere Beteiligte zu 2) beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde.
Die weiteren Beteiligten zu 4) und 5) stellen keinen konkreten Antrag.
Die weiteren Beteiligten zu 1) und 2) verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Das Landwirtschaftsgericht half der Beschwerde nicht ab.

II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 22 GrdStVG i. V.m. §§ 38, 58 ff. FamFG).

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

a. Das Grundstücksverkehrsgesetz ist unproblematisch anwendbar, da es sich bei dem Kaufgegenstand um
eine vier Hektar große landwirtschaftliche Fläche handelt (§ 2 GrdStVG i.V.m. Art. 2 BayAgrG).

b. Das Erstgericht hat zutreffend die Genehmigung nach §§ 22 Abs. 3, 9 Abs. 1 Nr. 3 GrdStVG versagt:
(1) Nach dieser Vorschrift ist eine Genehmigung zum Erwerb landwirtschaftlicher Flächen zu versagen, wenn
Tatsachen vorliegen, wonach der Gegenwert in einem groben Missverhältnis zum Wert des Grundstücks
steht.

aa. Mit diesem – selbständigen (vgl. BGH 25. 4. 2014 – BLw 5/13) – Versogungsgrund soll der Gefahr des
Entstehens von Spekulationsblasen entgegengewirkt werden, die den Bodenmarkt destabilisieren und damit
agrarstrukturrelevant werden; landwirtschaftliche Betriebe sollen nicht mit Anschaffungskosten belastet
werden, die ihren Bestand oder ihre Wirtschaftlichkeit bedrohen.

Nach der EuGH Entscheidung vom 16. 7. 2015 (C-39/14) ist für die Beurteilung des Missverhältnisses der
Marktwert maßgeblich, der sich nach dem Preis richtet, den Kaufinteressenten, auch Nichtlandwirte, zu
zahlen bereit sind. Wird allerdings ein Kaufpreis vereinbart, der den Marktwert des Grundstücks um mehr als
die Hälfte überschreitet, ist dieser spekulativ überhöht und daher nicht maßgeblich.

1. In zeitlicher Hinsicht ist, insoweit teilt der Senat die Einschätzung des Erstgerichts nicht in jeder Hinsicht,
allein der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich:

Für die Beurteilung, ob eine Spekulationsblase vorliegt oder nicht, ist der Zeitpunkt der Einigung maßgeblich,
da nur dann beurteilt werden kann, ob die im Synallagma stehenden Vertragspflichten gleichwertig sind und
ob damit der versprochene Kaufpreis realistisch den Markt abbildet.

2. Für den zu beurteilenden Fall gilt insoweit in tatsächlicher Hinsicht:

Die betroffene Fläche wurde am 16.4.2020 veräußert. Der Kaufvertrag sieht in Ziff. II. einen
Quadratmeterpreis von 44 Euro vor und in Ziff. V weitere Zusatzleistungen: Die Errichtung von drei Fahrsilos,
eine Güllegrube, die Errichtung einer fünf Meter breiten Überfahrt über den W..
Etwa zwei Monate später, am 22.6.2020 beschloss die Gemeinde P. einen Flächennutzungsplan, in dem
Gewerbeflächen angrenzend an das veräußerte Grundstück ausgewiesen wurden, allerdings war das
veräußerte Grundstück von der Flächenänderung nicht betroffen. Inzwischen gab die Gemeinde die Planung
unter Aufhebung des Flächennutzungsplans am 28.09.2021 wieder auf. Der Bodenrichtwert für
landwirtschaftliche Fläche beläuft sich auf 9 Euro.

Die vom Erstgericht bestellte Sachverständige schätzte in ihrem Gutachten vom 26.04.2021 den
Quadratmeterpreis auf 33 Euro. Es sei von Bauerwartungsland auszugehen, da das Grundstück in der Nähe
der Autobahn läge, dies typischerweise für Gewerbeansiedlungen verwendet werde und für die
Nachbargrundstücke entsprechende Änderungen beschlossen worden seien. Auch sei bei dem Grundstück
eine Überschwemmungsproblematik zu beachten. Unter Berücksichtigung der Zusatzleistungen läge der
Kaufpreis bei 53,50 Euro. Unter Berücksichtigung der veränderten Planungssituation – Aufgabe der Absicht,
dort Gewerbe anzusiedeln; Aufhebung des Flächennutzungsplans – sei der Quadratmeterpreis mit 17,50
Euro anzusetzen.

bb. Der tatsächliche Verkaufspreis mit 2,1 Millionen Euro steht in einem krassen Missverhältnis zum
Marktwert von 700.000 Euro.

1. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind sämtliche Gegenleistungen des Käufers für die Bemessung
des Kaufpreises maßgeblich. Der Kaufvertrag ist ein synallagmatischer Vertrag mit Leistung und
Gegenleistung.

Als Gegenleistung sieht der zu beurteilende Kaufvertrag eine Zahlung über 1,6 Millionen Euro vor; hinzu
kommt die Errichtungsverpflichtung von drei Fahrsilos, eine Güllegrube und eine Überfahrt. Die
Zusatzleistungen sind mit 500.000 Euro anzusetzen. Bei der Bewertung der Zusatzleistung folgt der Senat
der übereinstimmenden Schätzung der Sachverständigen, der weiteren Beteiligten zu 1) sowie den
geänderten Angaben des Verkäufers, den weiteren Beteiligten zu 4). An der Richtigkeit der Einschätzung
bestehen für den mit besondere Sachkunde besetzten Senat keine Zweifel.

Letztlich hat auch die Antragstellerin persönlich eingeräumt, dass der Wert realistisch ist. Sie hat nur
argumentiert, dass sie die Zusatzleistungen persönlich erbringen werde und ihr persönlicher Aufwand
geringer sei. Dem folgt der Senat nicht, da für die Bezifferung des Kaufpreises allein der objektive Mehrwert
maßgeblich ist, der dem Vermögen des Käufers zufließt. Seine Entreicherung durch Hingabe des
Kaufgegenstands steht im Synallagma zu seinem Wertzuwachs, den er durch den Kaufpreis erfährt.
Als Kaufpreis wurden daher 52,50 Euro pro Quadratmeter vereinbart.

2. Für den Marktwert des Grundstücks sind 17,50 Euro pro Quadratmeter anzusetzen:
Wie die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, liegen keine ausreichenden vergangenen
Verkaufsvorfälle vor, so dass der Marktwert sachverständig zu schätzen war:

Hierbei waren nicht neun Euro pro Quadratmeter für Landwirtschaftsflächen maßgeblich, da das Grundstück
bereits Bauerwartungsland ist: Diese – rechtliche – Einschätzung richtet sich allein nach § 5 Abs. 2
ImmoWertV. Nach dieser vorgenannten Bewertungsvorschrift sind Flächen Bauerwartungsland, die nach
ihren weiteren Grundstücksmerkmalen (§ 6), insbesondere dem Stand der Bauleitplanung und der sonstigen
städtebaulichen Entwicklung des Gebiets, eine bauliche Nutzung auf Grund konkreter Tatsachen mit
hinreichender Sicherheit erwarten lassen. Maßgeblich sind allein objektive Kriterien; eine von Hoffnungen
und Wünschen geprägte Verkehrsauffassung ist als Spekulation unbeachtlich, was bereits unmittelbar aus
dem Wortlaut – konkrete Tatsachen; mit hinreichender Sicherheit – folgt.

a Der Senat folgt der plausiblen Einschätzung der Sachverständigen: Die konkrete Lage des Grundstücks an
der Autobahn A8, der Umstand, dass an das Grundstück Gewerbeflächen angrenzen sowie dem typischen
Bauverhalten von Kommunen, Gewerbeflächen häufig an Grundstücken auszuweisen, die an Autobahnen
angrenzen, sind konkrete Tatsachen, die hinreichend sicher feststehen, weshalb die streitgegenständlichen
Fläche Bauerwartungsland ist.

b Bei der weiteren Bewertung ist – Stand der Bauleitplanung bzw. der sonstigen städtebaulichen Entwicklung
– davon auszugehen, dass für die angrenzenden Flächen keine Änderung des Flächennutzungsplans erfolgt
ist:

Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses war die städtebauliche Entwicklung ungewiss und der
Flächennutzungsplan war noch nicht geändert worden. Es kann offen bleiben, ob bei einem
hochdynamischen Geschehen ein juristischer Augenblick – die Annahme des Vertragsangebots und damit
das Zustandekommen des Kaufvertrags am 16.04.2020 – maßgeblich ist oder ob die Entwicklung eines
historisch zusammenhängende Geschehens maßgeblich ist:

Stellt man nämlich isoliert auf den Kaufvertragsschluss ab, war der Flächennutzungsplan für die
angrenzenden Grundstücke am 16.04.2020 noch nicht geändert; die Änderungen wurden zwei Monate
später beschlossen. Gleiches gilt aber auch unter Beachtung der Entwicklung der konkreten Geschehnisse,
wozu der Senat neigt, da dem Telos, Spekulationsblasen zu verhindern, hierdurch besser Rechnung
getragen werden kann: Die im Flächennutzungsplan aufgestellten Änderungen wurden bereits nach einem
Jahr kassiert. Unter Berücksichtigung der zusammenhängenden Geschehnisse ist ebenfalls bei der
Bewertung maßgeblich, dass die angrenzenden Flächen im Flächennutzungsplan nicht als Gewerbegebiet
ausgewiesen wurden.

Das Gesamtergebnis ist für den Senat stimmig: Die Antragstellerin hat das bindende Kaufvertragsangebot
bereits am 23.11.2015, und damit sieben Monate vor der Änderung des Flächennutzungsplans, abgegeben,
was die persönliche Spekulationserwartung unterstreicht.

c Die Sachverständige hat – unter Beachtung der vorgenannten rechtlichen Rahmenerwägungen – den
Marktwert plausibel und nachvollziehbar mit 17,50 Euro geschätzt.

Soweit die weitere Beteiligte zu 1) mehrfach gerügt hat, dass der Wert – deutlich – darunter läge, folgt der
Senat dem nicht. Die weitere Beteiligte zu 1) argumentiert, dass Grundstück sei zu keinem Zeitpunkt von den
Änderungen betroffen gewesen.

Der Senat folgt dem nicht: Die Sachverständige hat deutlich gemacht, dass die konkret vorzunehmende
Bewertung von Bauerwartungsland von diversen Faktoren abhängig ist. Ein Faktor ist hierbei, ob die
städtebauliche Entwicklung die Grundstücke erfasst hat, bis zu diesen reicht oder nicht, was unmittelbar
einleuchtet. Da das Grundstück von dem Flächennutzungsplan eben nicht betroffen war, hat die
Sachverständige konsequent einen Wert am unteren Rahmen des Preisspektrums für Bauerwartungsland
herangezogen.

d Ein Kaufpreis von 52,50 Euro pro Quadratmeter steht – unproblematisch – im krassen Missverhältnis von
17,50 Euro pro Quadratmeter.

cc. Als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung verlangt die Rechtsprechung zudem, dass ein Landwirt
zu dem Erwerb des Grundstücks zu einem Preis bereit ist, der „in etwa“ dem Marktwert entspricht (zu
Einzelheiten Martinez in Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2. Auflage 2022, § 9 Rnr. 32 ff. m.w.N.). Die insoweit
getroffenen Feststellungen und Erwägungen des Erstgerichts wurden nicht angegriffen. Der Senat macht
sich die Einschätzung aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen.

c. Das Erstgericht hat auch zutreffend als weiteren Versorgungsgrund die unwirtschaftliche Verkleinerung
nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 Nr. 1 GrdstVG angenommen.

Die insoweit getroffenen Feststellungen und Erwägungen des Erstgerichts wurden nicht angegriffen. Der
Senat macht sich die Einschätzung aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 FamFG. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens war
nach § 76 Nr. 4 GNotKG festzusetzen.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

08.05.2023

Aktenzeichen:

W XV 5/22 Lw

Rechtsgebiete:

Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Sonstiges Öffentliches Recht

Normen in Titel:

GrdstVG §§ 2, 9 Abs. 1 Nr. 3