BGH 07. Januar 2015
XII ZB 395/14
BGB § 1906 Abs. 4

Regelmäßiges Verschließen der Eingangstür während der Nachtstunden bei betreuter Wohngruppe als unterbringungsähnliche Maßnahme

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 27.2.2015
BGH , 7.1.2015 - XII ZB 395/14

BGB § 1906 Abs. 4
Regelmäßiges Verschließen der Eingangstür während der Nachtstunden bei betreuter
Wohngruppe als unterbringungsähnliche Maßnahme

a) Ohne rechtswirksame Einwilligung des Betroffenen ist eine Maßnahme immer dann als
unterbringungsähnlich i. S. d. § 1906 Abs. 4 BGB einzustufen, wenn sie, ohne eine
Unterbringung zu sein, die Bewegungsfreiheit des Betroffenen über einen längeren Zeitraum
oder regelmäßig begrenzt und dies zumindest auch bezweckt.
b) Ein „regelmäßiges“ Hindern i. S. d. § 1906 Abs. 4 BGB liegt vor, wenn es stets zur selben
Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt. Es kommt nicht auf die Dauer der jeweiligen
Einzelmaßnahme an, so dass auch kurzzeitige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit genehmigungspflichtig
sind, wenn sie regelmäßig vorgenommen werden. Lediglich diejenigen regelmäßigen
Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit unterfallen nicht § 1906 Abs. 4 BGB, bei
denen es sich um nur unerhebliche Verzögerungen handelt.
c) Das regelmäßige Verschließen der Eingangstür während der Nachtstunden kann eine unterbringungsähnliche
Maßnahme darstellen, wenn der Betroffene weder einen Schlüssel erhält noch
ein Pförtner das jederzeitige Verlassen der Einrichtung ermöglicht.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Januar 2015
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der
Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom
15. Juli 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht
zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.
Die im Jahre 1960 geborene Betroffene leidet an einer hochgradigen Intelligenzminderung
mit Verhaltensstörung. Sie steht seit 1993 unter einer umfassenden
Betreuung. Von 1995 bis Ende Oktober 2012 war die Unterbringung
der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung durch das Betreuungsgericht
genehmigt.
Im Februar 2012 zog die Betroffene in ein neu geschaffenes Behindertenzentrum,
in dem es offene und geschlossene Wohngruppen gibt. Jedenfalls
seit Ende 2012 lebt die Betroffene dort in einer offenen Wohngruppe. Von
20.00 Uhr bis 6.00 Uhr wird die Tür zur Wohngruppe allerdings verschlossen,
weil die Bewohner sich bei versehentlichem Verlassen verirren und selbst
gefährden könnten. Auch in diesem Zeitraum können die Bewohner sich an eine
Aufsichtsperson wenden, die ihnen die Tür öffnet. Befindet sich die Aufsichtsperson,
die noch für eine weitere Wohngruppe zuständig ist, nicht auf der
Station, haben die Bewohner die Möglichkeit, einen Notrufknopf zu bedienen.
Innerhalb einer Zeitspanne von maximal 30 Minuten wird ihnen die Tür des
Wohngruppenbereichs geöffnet.
Der Betreuer der Betroffenen hat beantragt, die Unterbringung der Betroffenen
über Oktober 2012 hinaus zu genehmigen. Das Amtsgericht hat dies
abgelehnt, weil für eine solche Entscheidung kein Bedarf bestehe. Insbesondere
stelle das nächtliche Abschließen der Tür weder eine Unterbringung noch
eine unterbringungsähnliche Maßnahme dar. Die vom Verfahrenspfleger der
Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.
Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde macht der Verfahrenspfleger
weiter geltend, es liege eine freiheitsentziehende und daher genehmigungsbedürftige
Maßnahme vor.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht
gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom
7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 8) und auch im Übrigen
zulässig. Insbesondere ergibt sich die Beschwerdebefugnis des Verfahrenspflegers
aus § 335 Abs. 2 FamFG.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung
der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache
an das Beschwerdegericht.
1. Dieses hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 BGB gehe von einem engen Unterbringungsbegriff
aus. Entscheidendes Kriterium für eine zivilrechtliche freiheitsentziehende
Unterbringung sei die nicht nur kurzfristige Beschränkung der persönlichen
Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Lebensbereich. Auch im Rahmen
des § 1906 Abs. 4 BGB würden nur solche Maßnahmen erfasst, deren
Auswirkungen denen der Unterbringung vergleichbar seien.
Nach diesen Maßgaben falle die partielle Freiheitsbeschränkung während
der Nachtzeit, wie sie sich aus der Organisation des Heims hinsichtlich der
Anzahl und Behinderungen der Bewohner sowie des vorhandenen Personals
ergebe, nicht unter den Anwendungsbereich des § 1906 BGB. Die kurzzeitige
Beschränkung der Freiheit der Betroffenen, die entstehe, bis ihrem Wunsch,
den Wohnbereich zu verlassen, entsprochen werde, stelle weder eine freiheitsentziehende
Unterbringung noch eine unterbringungsähnliche Maßnahme dar.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass
es keine Unterbringung im Sinn des § 1906 Abs. 1 BGB darstellt, wenn die
Wohngruppentür zur Nachtzeit abgesperrt wird, ohne dass Heimpersonal in
einer einem Pförtner vergleichbaren Funktion zur jederzeitigen Öffnung bereitsteht
oder die Bewohner Schlüssel erhalten, sondern erst Pflegepersonal zum
Öffnen der Tür geholt werden muss.
Eine freiheitsentziehende Unterbringung im Sinn des § 1906 Abs. 1 BGB
ist gegeben, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit
in einem räumlich begrenzten Bereich eines geschlossenen Krankenhauses,
einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen
Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht
und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt
wird. Die Vorschrift geht von einem engen Begriff der mit Freiheitsentziehung
verbundenen Unterbringung aus und erfasst nur solche Maßnahmen,
die die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen nicht nur kurzfristig auf
einen bestimmten räumlichen Lebensbereich begrenzen (Senatsbeschlüsse
vom 7. August 2013 - XII ZB 559/11 - FamRZ 2013, 1646 Rn. 12; vom 23. Januar
2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 19 und BGHZ 145, 297
= FamRZ 2001, 149 f.).
Gemessen daran ist die Betroffene nicht untergebracht. Denn ihre Bewegungsfreiheit
würde - so sie zur Nachtzeit den Wohnbereich verlassen wollte
- zwar durch die verschlossene Tür begrenzt, dies jedoch nicht über den Zeitraum
hinaus, der erforderlich wäre, um Pflegepersonal zum Öffnen der Tür zu
holen, und damit nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen tatrichterlichen
Feststellungen für höchstens 30 Minuten. Dabei handelt es sich
nicht um eine Zeitspanne, die aufgrund § 1906 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB eine
Genehmigung des Betreuungsgerichts erforderlich macht.
b) Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen, mit denen das Beschwerdegericht
das Vorliegen einer unterbringungsähnlichen Maßnahme und
damit ein Genehmigungsbedürfnis nach § 1906 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 BGB verneint
hat.
aa) Gemäß § 1906 Abs. 4 BGB gelten die Vorschriften über die Unterbringung
eines Betreuten (Absätze 1 und 2 der Vorschrift) und damit auch das
Genehmigungserfordernis des § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB entsprechend, wenn
einem Betroffenen, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen
Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen,
Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum
oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.
Diese Regelung schützt - ebenso wie Absatz 1 und 2 der Vorschrift -
die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung
im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (Senatsbeschlüsse vom 27. Juni
2012 - XII ZB 24/12 - FamRZ 2012, 1372 Rn. 10 mwN und BGHZ 145, 297
= FamRZ 2001, 149, 150). Die Vorschrift ist weit gefasst (HK-BUR/Bauer/Braun
[Stand: August 2014] § 1906 BGB Rn. 55) und ergänzt sich mit Absatz 1 dahingehend,
dass in dem in Absatz 4 genannten räumlichen Bereich - Anstalt,
Heim, sonstige Einrichtung - jede gezielte Behinderung des Betroffenen in seinem
Wunsch, den bisherigen Aufenthaltsort zu verlassen, genehmigungsbedürftig
ist (Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 79;
vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 640). Der Gesetzgeber wollte mit
§ 1906 Abs. 4 BGB die Rechtsstellung Betroffener stärken, indem er solche
Maßnahmen ebenfalls unter betreuungsgerichtliche Kontrolle und Genehmigungspflicht
stellte (Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1906 Rn. 89; vgl. auch
BT-Drucks. 11/4528 S. 82, 148).
Erforderlich ist für § 1906 Abs. 4 BGB nicht, dass es sich um eine individuelle,
nur auf die Bedürfnisse des einzelnen Betroffenen abgestimmte, also
personenbezogene Einzelmaßnahme handelt (so aber LG Ulm FamRZ 2010,
1764, 1765; Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht 3. Aufl. § 1906 BGB Rn. 58; Knittel
Betreuungsrecht [Stand: 10. Juni 2014] § 1906 BGB Rn. 165). Auch Maßnah-
men, die sich auf eine Mehrzahl der oder gar alle Bewohner einer Einrichtung
dahingehend auswirken, dass sie die Bewegungsfreiheit begrenzen, aber etwa
unterhalb der zeitlichen Schwelle für ein Eingreifen von § 1906 Abs. 1 BGB
bleiben, sind nach dem Willen des Gesetzgebers von § 1906 Abs. 4 BGB erfasst
(ebenso wohl auch MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 37).
Dies machen die in den Gesetzesmaterialien genannten Beispiele deutlich, bei
denen es sich zum Teil nicht um personenbezogene Einzelmaßnahmen handelt
(BT-Drucks. 11/4528 S. 148).
bb) Fehlt es an einer rechtswirksamen Einwilligung des Betroffenen, ist
eine Maßnahme daher immer dann als unterbringungsähnlich im Sinn des
§ 1906 Abs. 4 BGB einzustufen, wenn sie, ohne eine Unterbringung zu sein, die
Bewegungsfreiheit des Betroffenen über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig
begrenzt und dies zumindest auch bezweckt (vgl. Knittel Betreuungsrecht
[Stand: 10. Juni 2014] § 1906 BGB Rn. 172; MünchKommBGB/Schwab
6. Aufl. § 1906 Rn. 42; BT-Drucks. 11/4528 S. 149).
(1) Ein "regelmäßiges" Hindern liegt dabei vor, wenn es stets zur selben
Zeit - die Gesetzesbegründung nennt das Absperren der Tür jeweils zur Nachtzeit
- oder aus wiederkehrendem Anlass erfolgt, wie etwa bei Einsperren eines
Betroffenen immer dann, wenn er die Nachtruhe stört (vgl. BT-Drucks. 11/4528
S. 149). Daraus, dass das Gesetz als weitere Alternative "über einen längeren
Zeitraum" nennt, erhellt, dass es bei der regelmäßigen Freiheitsentziehung
nicht auf die Dauer der jeweiligen Einzelmaßnahme ankommen soll, so dass
auch kurzzeitige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit genehmigungspflichtig
sind, wenn sie regelmäßig vorgenommen werden. Mithin unterfallen lediglich
diejenigen regelmäßigen Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit nicht
§ 1906 Abs. 4 BGB, die sich als nur unerhebliche Verzögerungen darstellen
(zur Freiheitsberaubung i.S.d. § 239 StGB vgl. auch Fischer StGB 61. Aufl.
§ 239 Rn. 6; MünchKommStGB/Wieck-Noodt 2. Aufl. § 239 Rn. 17; SSW-StGB/
Schluckebier 2. Aufl. § 239 Rn. 6).
(2) Darüber hinaus erfordert § 1906 Abs. 4 BGB, dass dem Betroffenen
"die Freiheit entzogen werden soll". Eine unterbringungsähnliche Maßnahme
liegt daher nur dann vor, wenn mit der Maßnahme zumindest auch auf eine Beschränkung
der Bewegungsfreiheit des Betroffenen abgezielt wird. Denn der
Gesetzgeber wollte nur solche Maßnahmen erfassen, deren Auswirkungen denen
einer Unterbringung vergleichbar sind (Senatsbeschluss BGHZ 145, 297
= FamRZ 2001, 149, 150; BT-Drucks. 11/6949 S. 76).
cc) Nach diesen Maßgaben kann die Entscheidung des Beschwerdegerichts
aus Rechtsgründen keinen Bestand haben.
(1) Das Verschließen der Wohngruppentür jeweils in der Zeit von
20.00 Uhr bis 6.00 Uhr kann eine unterbringungsähnliche Maßnahme für die
Betroffene darstellen, nachdem es nach den tatrichterlichen Feststellungen bis
zu 30 Minuten dauern kann, bis einem Öffnungsverlangen der Bewohner nachgekommen
wird. Die Betroffene wird mithin jeweils bis zu 30 Minuten daran gehindert,
ihre Fortbewegungsfreiheit durch Verlassen des Wohnbereichs zu betätigen.
Der Zeitraum von 30 Minuten liegt deutlich oberhalb einer unerheblichen
Verzögerung.
Dabei kann dahinstehen, dass die angefochtene Entscheidung keine
konkreten Feststellungen dazu enthält, ob die Betroffene in der Lage ist, von
der Möglichkeit, den Notrufknopf zu betätigen, gezielt Gebrauch zu machen und
auf diese Weise nicht auf der Station befindliches Personal zum Öffnen der Tür
herbeizurufen. Denn die Einschätzung des Beschwerdegerichts, es handele
sich im Ergebnis nur um eine von § 1906 Abs. 4 BGB nicht erfasste kurzfristige
Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit, ist schon mit Blick auf die
unbeschadet der individuellen Fähigkeiten der Betroffenen festgestellten Wartezeiten
rechtsfehlerhaft. Sie wird im Übrigen auch nicht von der Erwägung getragen,
dass die Beschränkung der Bewegungsfreiheit Folge der Einrichtungsorganisation
und insbesondere des vorhandenen Personals und damit gewissermaßen
zwangsläufig sei. Finanzielle Erwägungen, wie sie insbesondere
dem für eine Einrichtung geltenden Personalschlüssel zugrunde liegen, können
einer Maßnahme nicht den Charakter einer Freiheitsentziehung im Sinn des
§ 1906 BGB nehmen (zur Berücksichtigung dieser Umstände im Rahmen der
Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. etwa OLG München OLGR 2006, 73, 75).
(2) Dementsprechend hat der Gesetzgeber den Fall des zeitweiligen
- insbesondere nächtlichen - Verschließens der Eingangstür, ohne
dass der Betroffene einen Schlüssel erhält oder ein Pförtner das jederzeitige
Verlassen der Einrichtung ermöglicht, ausdrücklich als Anwendungsfall des
§ 1906 Abs. 4 BGB genannt (BT-Drucks. 11/4528 S. 148; vgl. auch: Damrau/
Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 90; Erman/Roth BGB
14. Aufl. § 1906 Rn. 34; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 5. Aufl.
§ 1906 BGB Rn. 45; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 10. Juni 2014] § 1906 BGB
Rn. 161; MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 35; Staudinger/
Bienwald BGB [2014] § 1906 Rn. 91). Er hatte mithin bei Einführung der Vorschrift
auch die Situation vor Augen, dass eine Einrichtung - bzw. ein Teil hiervon
- zeitweise nicht verlassen werden kann, weil zwar (wie bei derartigen Einrichtungen
üblich) zur Türöffnung fähiges und bereites (Pflege-)Personal zugegen
ist, aber nicht in der Art eines Pförtners jeweils sofort dem Öffnungswunsch
eines Bewohners nachkommen kann. Die hiermit verbundene Beschränkung
der Fortbewegungsfreiheit ist daher grundsätzlich genehmigungsbedürftig.
(3) Mit der Maßnahme ist auch die Begrenzung der Bewegungsfreiheit
bezweckt. Denn nach der vom Beschwerdegericht zitierten Mitteilung der Pfle-
geeinrichtung erfolgt das Absperren der Wohngruppentür mit der Zielrichtung,
die Betroffene - wie auch die anderen Bewohner der Wohngruppe - an einem
Verlassen der Wohngruppe zu hindern und so einer Selbstgefährdung vorzubeugen.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG).
Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht
zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).
Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird das Beschwerdegericht
zu prüfen haben, ob die fragliche Maßnahme mit Einwilligung der Betroffenen
erfolgt. Eine solche kann zwar nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent
erfolgen (Staudinger/Bienwald BGB [2014] § 1906 Rn. 30; Knittel Betreuungsrecht
[Stand: 15. Juli 2013] § 1906 BGB Rn. 59, auch zu den Anforderungen
an die Feststellung der Einwilligung). Sie setzt allerdings voraus, dass
der Betroffene mit natürlichem Willen die Tragweite der freiheitsentziehenden
Maßnahme zu erfassen vermag (BayObLG MDR 1994, 922; Damrau/
Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 1906 BGB Rn. 95; HK-BUR/Bauer/
Braun [Stand: August 2014] § 1906 BGB Rn. 40; Staudinger/Bienwald BGB
[2014] § 1906 Rn. 88; zweifelnd MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 45).
Auch wenn es an einer rechtswirksamen Einwilligung der Betroffenen
fehlen sollte, werden darüber hinaus Feststellungen dazu zu treffen sein, ob die
Betroffene die Wohngruppe während der Nachtstunden verlassen will. Zwar
ist eine objektiv freiheitsentziehende Maßnahme im Zweifel genehmigungspflichtig
(Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15. Juli 2013] § 1906 BGB Rn. 174;
MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1906 Rn. 42). Kann aber mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Betroffene seine Bewegungsfreiheit
so betätigen wird, dass die Maßnahme eine Beschränkung darstellt,
dann besteht für eine betreuungsgerichtliche Genehmigung kein Bedürfnis (vgl.
Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15. Juli 2013] § 1906 BGB Rn. 57; Palandt/Götz
BGB 74. Aufl. § 1906 Rn. 35; vgl. auch Erman/Roth BGB 14. Aufl. § 1906 Rn. 34 a).
In diese Richtung könnte im vorliegenden Fall weisen, dass bei der Betroffenen
nach der vom Beschwerdegericht wiedergegebenen Stellungnahme
der Pflegeeinrichtung "seit Öffnung der Wohngruppe kein willkürliches Verlassen
des Wohnbereichs beobachtet worden" sei, zumal die Betroffene aufgrund
ihres erheblich eingeschränkten Sehvermögens und des unsicheren Gangbildes
ohnehin außerhalb der Wohngruppe immer auf Begleitung und Handführung
angewiesen sei.
Sofern das Beschwerdegericht nach alledem zu dem Ergebnis gelangt,
dass eine unterbringungsähnliche Maßnahme vorliegt, wird es deren materiellrechtliche
Voraussetzungen entsprechend § 1906 Abs. 1 BGB nach den verfahrensrechtlichen
Maßgaben der §§ 312 ff. FamFG zu klären haben.
4. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist in Unterbringungssachen gerichtsgebührenfrei
(Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ
2014, 1285 Rn. 10 f.). Dies folgt für Rechtsbeschwerden des Betroffenen nicht
aus § 26 Abs. 3 GNotKG (so aber Fröschle FamRZ 2014, 1622), der lediglich
zu Auslagen, nicht aber zu Gerichtsgebühren eine Regelung trifft. Vielmehr
ergibt es sich daraus, dass der Gesetzgeber an dem unter Geltung des § 128 b Satz 1 KostO
bestehenden Zustand der Gerichtsgebührenfreiheit von Unterbringungssachen
- der sich auch auf Rechtsmittelverfahren erstreckte - durch
Einführung des Gesetzes über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für
Gerichte und Notare vom 23. Juli 2013 (Gerichts- und Notarkostengesetz
- GNotKG; BGBl. I S. 2586) nichts ändern wollte (Senatsbeschluss
vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 11 mwN). Die
für die Rechtsmittelinstanzen vorgesehenen Auffanggebührentatbestände (KV
GNotKG Nr. 19116 und 19128) sind in Unterbringungssachen daher nicht einschlägig.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

07.01.2015

Aktenzeichen:

XII ZB 395/14

Rechtsgebiete:

Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen

Normen in Titel:

BGB § 1906 Abs. 4