Anwendung der Überbauvorschriften auch bei Unterschreitung der baurechtlichen Abstandsflächen
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Dokumentnummer: 4u26_04
letzte Aktualisierung: 02.12.2004
OLG Brandenburg, 25.08.2004 - 4 U 26/04
Anwendung der Überbauvorschriften auch bei Unterschreitung der baurechtlichen
Abstandsflächen
4 U 26/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht
13 O 59/02 Landgericht Frankfurt (Oder)
Verkündet am 25.08.2004
...
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit
1. M... G...,
2. H... G...,
Rechtsanwalt ...
gegen
D... H...,
ZP 650
Urteil OLG allgemein - MEGA
Rechtsanwälte ...
auf die mündliche Verhandlung vom 28.07.2004
durch die Richterin am Oberlandesgericht ...,
die Richterin am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ...
für
Recht
erkannt:
1. Die Berufung der Kläger gegen das am 20.01.2004 verkündete Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Oder) - 13 O 59/02 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Die Parteien streiten um die Beseitigung eines Überbaus und die Verletzung
nachbarschützender Bauvorschriften (Bauwich).
Der Beklagte beabsichtigte, ein auf seinem Grundstück befindliches Stallgebäude zu einer
Seniorenwohnung im Dachgeschoß umzubauen und erwirkte unter dem 03.06.1998 eine
antragsgemäße Baugenehmigung u. a. mit der Auflage, “daß die Übernahme einer
Abstandsfläche als Grunddienstbarkeit und beschränkt persönliche Dienstbarkeit (...), deren
Bestellung beim Grundbuchamt vorliegt und Bestandteil der Baugenehmigung ist, auch
vollzogen wird”.
Ein erster notarieller Vertragsentwurf zur Bestellung dieser beschränkt dinglichen Rechte sah
die Übernahme der Abstandsflächen auf einer Breite von 12,30 Metern und einer Tiefe von
3,00 Metern auf dem Grundstück der Kläger vor, da diese die Nichteinhaltung der
Abstandsflächen jedenfalls in diesem Umfang gestatten wollten. Ein von den Parteien
unterzeichneter Lageplan vom 17.10.1997 wies die vorgefundene Bebauung beider
Grundstücke und dabei insbesondere die Breite des Stallgebäudes mit ebenfalls 12,30 Metern
aus. Von eben dieser Breite ging auch eine geänderte Genehmigungsplanung aus, die der
Beklagte mit Schreiben vom 16.06.1998 bei der Baubehörde einreichte. Da die
keinen Handlungsbedarf mehr.
Mit notariellem Vertrag vom 07.05.1998 ist die Abstandsfläche letztlich in der Breite auf 8,30
Meter beschränkt worden, wohl weil der Bauwich wegen der vorhandenen Aufbauten auf
dem Grundstück der Kläger in weiteren 4 Metern Breite nicht übernommen werden konnte.
Mit notariellem Vertrag gleichen Datums räumte der Beklagte den Klägern ihrerseits eine
Grunddienstbarkeit - Baubeschränkung - ein, nämlich “hinsichtlich des an der Grenze (...)
aufstehenden ehemaligen Stallgebäudes”, deren Belastungen für das dienende Grundstück als
solche nicht streitgegenständlich sind. Die dem im Eigentum des Beklagten stehenden
Grundstück dienenden Lasten und Beschränkungen sind am 24.07.1998 ins Grundbuch
eingetragen worden.
Aus statischen Gründen riss der Beklagte das Stallgebäude ab und errichtete einen u. a.
dessen Breite nördlich (zum Wohnhaus der Kläger hin) um 32 cm und südlich um 11 cm
überschreitenden Neubau.
Nach Rohbaubesichtigung am 08.12.1998 bescheinigte die Baubehörde dem Beklagten
gemäß
Genehmigung ausgeführt worden ist und sichtbare Mängel bzw. wesentliche Abweichungen
nicht festgestellt wurden. Am 04.02.2000 bescheinigte die Baubehörde dem Beklagten nach
dieser Vorschrift, dass die Besichtigung des Bauzustandes - abschließende Fertigstellung - am
21.09.1999 stattgefunden hat und die bauliche Anlage genutzt werden kann.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12.1999 mahnten die Kläger die Erfüllung einiger
Verpflichtungen aus der zugunsten ihres Grundstücks bestellten Grunddienstbarkeit an. Mit
anwaltlichem Schreiben vom 22.12.2000 rügten sie einen Überbau und die Verletzung des
Bauwichs auf insgesamt 43 cm Breite und forderten den Beklagten insoweit erfolglos zur
Beseitigung auf. Mit anwaltlichem Schreiben gleichen Datums forderten die Kläger die
Baubehörde zum “baupolizeilichen Einschreiten gegen das formell und materiell rechtswidrig
errichtete Wohnhaus” auf. Mit Anhörungsschreiben vom 05.02.2001 machte sich die
Baubehörde die Überbaubehauptung der Kläger zu eigen und verneinte deswegen und wegen
der “von der erteilten Grunddienstbarkeit” abweichenden Größe des Neubaus vorläufig
dessen Genehmigungsfähigkeit. Ausweislich eines an den Beklagten gerichteten Schreibens
der Abstandsfläche vom Ausgang dieses Rechtsstreits ab.
Mit ihrer Klage begehren die Kläger Beseitigung des Gebäudes, hilfsweise Rückbau auf das
die Maße des ursprünglichen Stallgebäudes, wiederum hilfsweise um den Breitenzuwachs
von insgesamt 43 cm.
Den erst- und zweitgenannten Klageantrag hat das Landgericht mangels Anspruchsgrundlage
(mangels Überbau und Verletzung drittschützender Bauvorschriften) und den drittgenannten
Klageantrag aufgrund der Einrede der unzulässigen Rechtsausübung abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihre Begehren weiter.
Sie beklagen insoweit ein vorsätzliches, zumindest aber grob fahrlässiges Hinwegsetzen über
die Baugenehmigung und damit einhergehend den Bauwich auf einer Breite von insgesamt 43
cm. Durch den Neubau habe sich zudem der Abstand zu ihrem Wohnhaus auf 1,32 Meter
Breite von 1,60 Meter auf 1,39 bzw. 1,45 Meter verringert, was das Landgericht zu Unrecht
außer Betracht gelassen habe. Dem könne nur durch vollständigen Abriss des Gebäudes des
Beklagten begegnet werden, da ein Rückbau unmöglich sei. Schon angesichts der
rechtsfeindlichen Gesinnung des Beklagten, die in der vorsätzlichen Missachtung des Bauund Nachbarrechts zum Ausdruck komme, sei ihr Beseitigungsverlangen auch keineswegs
treuwidrig.
Ferner beanstanden die Kläger, dass ihre Bedenken an einem im ersten Rechtszug eingeholten
Sachverständigengutachten, wonach der Beklagte nicht über die Grenze gebaut hat, auch
durch den außergerichtlichen Ortstermin mit dem Sachverständigen nicht hätten ausgeräumt
werden
können.
Diesen
Ortstermin
haben
die
Kläger
nach
Eingang
des
Sachverständigengutachtens im ersten Rechtszug angeregt, das Vermessungsergebnis
“zumindest vorläufig bezweifelt” und insoweit die Einholung einer ergänzenden
Stellungnahme sowie sinngemäß die mündliche Anhörung des Sachverständigen beantragt.
Nachdem der außergerichtliche Ortstermin im Einvernehmen mit der Beklagtenseite
durchgeführt worden ist, sind die Kläger im ersten Rechtszug auf ihre Beweisanträge nicht
mehr zurückgekommen. Ferner haben sie sich auf die Behauptung des Beklagten, wonach der
Sachverständige das Gutachten den Parteien im Beisein ihrer Prozessbevollmächtigten
Berufung rügen sie weder das Übergehen ihrer Beweisantritte noch stellen bzw. wiederholen
sie ihre diesbezüglichen Anträge.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des am 20.01.2004 verkündeten Urteils des
Landgerichts Frankfurt (Oder) - 13 O 59/02 - zu verurteilen,
1. das aufgrund der Baugenehmigung der Baubehörde des Landkreises ... vom 03.06.1998,
Az.: 07337-9719, auf dem Grundstück des Beklagten, ... in ..., OT ..., eingetragen in dem
Grundbuch des Amtsgerichts ..., Gemeinde ..., Blatt ..., Flur 1, Flurstück 11, errichtete
Gebäude auf seine Kosten zu beseitigen,
hilfsweise,
2. das aufgrund der Baugenehmigung der Baubehörde des Landkreises ... vom 03.06.1998,
Az.: 07337-9719, auf dem Grundstück des Beklagten, ... in ..., OT ..., eingetragen in dem
Grundbuch des Amtsgerichts ..., Gemeinde ..., Blatt ..., Flur 1, Flurstück 11, errichtete
Gebäude auf das ursprüngliche Ausmaß des vormaligen auf dem Grundstück befindlichen
Stallgebäudes mit einer Breite von 12,30 m und einer Tiefe von 4,97 m auf seine Kosten
zurückzubauen,
hilfsweise,
3. das aufgrund der Baugenehmigung der Baubehörde des Landkreises ... vom 03.06.1998,
Az.: 07337-9719, auf dem Grundstück des Beklagten, ... in ..., OT..., eingetragen in dem
Grundbuch des Amtsgerichts ..., Gemeinde ..., Blatt ..., Flur 1, Flurstück 11, errichtete
Gebäude in dem zur ... belegenen Teil in der Breite um 11 cm zurück zu bauen und in dem
zum hinteren Grundstück belegenen Teil um 32 cm zurück zu bauen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis folgende Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme,
wobei er namentlich auf die Grenzlage des von den Klägern Mitte der neunziger Jahre umund ausgebauten Wohnhauses verweist.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage
jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Denn sie ist unbegründet.
1. Die Kläger können von den Beklagten die Beseitigung des von diesem errichteten Neubaus
weder aus
Schutzgesetz beanspruchen.
a) Entgegen der Auffassung der Kläger läßt sich ein solcher Anspruch nicht schon aus einer
formellen und materiellen Baurechtswidrigkeit des Neubaus ableiten. Denn daraus könnte
sich eine Beeinträchtigung ihres Eigentums nur ergeben, wenn die verletzten öffentlichrechtlichen Bauordnungsvorschriften gerade dem Schutz ihrer privaten Interessen dienen
(Palandt-Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 1004 Rdnr. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen). Diese
Interessen werden zwar u. a. durch die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften
geschützt (hier:
näher unten 3.), folgte daraus indes noch nicht der geltend gemachte Beseitigungsanspruch.
Denn der Eigentümer kann die Beseitigung nur soweit verlangen, wie er in seinem Eigentum
gestört wird. Er kann m. a. W. nur den Beseitigungserfolg beanspruchen. Durch welche
Maßnahmen dieser Erfolg bewirkt wird, ist dagegen grundsätzlich Sache des Störers selbst
(ständige Rechtsprechung, statt vieler BGH,
Bauwichs nur durch Beseitigung des gesamten Neubaus möglich ist, behaupten die Kläger
lediglich pauschal und jedenfalls beweislos, zumal sie sich zumindest bis zu einer Breite von
12,30 Metern mit einer Nichteinhaltung der Abstandsflächen einverstanden erklärt haben. In
diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, ob sich durch den Neubau der Abstand zu ihrem
Wohnhaus auf 1,32 Meter Breite von 1,60 Metern auf 1,39 bzw. 1,45 Meter verringert hat.
Abstandsflächen nur die letzten 0,32 cm der nördlichen Neubaubreite.
b) Aus diesen Gründen scheidet auch ein auf Beseitigung des Neubaus gerichteter Anspruch
aus § 823 Abs. 2 i. V. m.
(dazu näher unten 3.), fehlt es schon aufgrund ihres Einverständnisses an der
Rechtswidrigkeit der Schutzgesetzverletzung, soweit die Bauchwichunterschreitung nicht
über eine Breite von 12,30 Metern hinausgeht.
2. Die Kläger haben gegen den Beklagten auch keinen Anspruch auf Rückbau des Neubaus
auf die Maße des ursprünglichen Stallgebäudes.
a) Insoweit kann zunächst auf die Ausführungen zu Ziff. 1 verwiesen werden. Auch dieser
Klageantrag
geht
unbeschadet
des
Breitenzuwachses
über
jeden
denkbaren
Beeinträchtigungserfolg hinaus, weil die Kläger durch einen Tiefenzuwachs des Neubaus
mangels Überbaus nicht in ihrem Eigentum gestört werden. Dadurch kann sich auch nicht der
Abstand zu ihrem Wohnhaus, wie die Kläger beweislos behaupten, auf 1,32 Meter Breite von
1,60 Metern auf 1,39 Meter bzw. 1,45 Meter verringert haben, weil bereits das ehemalige
Stallgebäude ausweislich der notariellen Urkunde, mit dem das Grundstück des Beklagten mit
einer Grunddienstbarkeit belastet wurde, an der Grenze zu ihrem Grundstück stand und der
Neubau diese Grenze nicht erweislich verletzt.
So hat der im ersten Rechtszug bestellte Sachverständige einen Überbau nicht festzustellen
vermocht. Dass die Kläger diese Feststellungen für nicht überzeugungskräftig erachten, ist für
sich betrachtet ohne Belang. Denn für einen Überbau ist nach allgemeinen Beweislastregeln
nicht der Störer, sondern der Eigentümer beweisbelastet. Aus einer mangelnden
Überzeugungskraft der einen Überbau verneinenden Feststellungen lässt sich nicht auf einen
Überbau schließen.
Für
weitergehende
Beweisanordnungen
im
Rahmen
der
Erhebung
des
Sachverständigenbeweises nach den
Sicht des Landgerichts kein Anlass, da es die sachverständigen Feststellungen im Unterschied
zu den Klägern für überzeugungskräftig hielt. Das Absehen von solchen Beweisanordnungen
von Amts wegen lässt Ermessens- und damit Rechtsfehler schon deshalb nicht erkennen, weil
zurückgekommen sind, nachdem der auf ihre Initiative anberaumte außergerichtliche
Ortstermin mit dem Sachverständigen stattgefunden hatte. Dies ließ aus Sicht des Gerichts
des ersten Rechtszugs nur den Schluss zu, dass sich die Einwände der Kläger aufgrund des
Ortstermins und damit zugleich die darauf bezogenen Beweisanträge nach den §§ 402 i. V. m.
397, 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO erledigt hatten, zumal sie auch der Behauptung des Beklagten,
der Sachverständige habe den Grenzstein identifiziert, im folgenden nicht bestreitend
entgegengetreten sind.
Auch für den Senat besteht kein Anlass, die Tatsachenfeststellungen zum Überbau nochmals
aufzugreifen. Nach dem Vorgesagten handelt es sich bei den in der Berufung vorgebrachten
Einwänden gegen die sachverständigen Feststellungen um neue Angriffsmittel, ohne dass eine
der enumerativ genannten Zulassungsvoraussetzungen vorgetragen oder sonst ersichtlich ist
(
keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen (
Entscheidungserheblich ist nämlich aufgrund der gegebenen Beweislastverteilung nicht die
Feststellung, dass kein Überbau vorliegt, sondern dass sich ein Überbau nicht feststellen lässt.
Konkret monieren die Kläger indes lediglich, dass unklar geblieben sei, ob der von dem
Sachverständigen gezeigte Feldstein tatsächlich ein Grenzstein sei. Auch wenn man die
Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt, ergibt sich aus ihr nicht zwingend ein abweichender
Grenzverlauf, dies wiederum als wahr unterstellt, nicht notwendig ein Verlauf der
Grundstücksgrenze durch den Neubau des Beklagten.
b) Der Beseitigungsanspruch lässt sich auch nicht auf die den Klägern bewilligte
Grunddienstbarkeit - Baubeschränkung - stützen (
hat der Beklagte hinsichtlich des ehemaligen Stallgebäudes lediglich einzelne, genau
bestimmte Beschränkungen einzuhalten. Ein Bauverbot außerhalb der Maße dieser
Baulichkeit ergibt sich daraus weder ausdrücklich noch stillschweigend. Die Beimessung
eines solchen stillschweigenden Erklärungswerts verbietet sich schon aufgrund eines
Gegenschlusses
aus
einzelnen
Beschränkungen,
mit
denen
lediglich
bestimmte
Maßüberschreitungen wie die Höhe der Brandwand oder die Firsthöhe verboten werden.
43 cm Breitenzuwachs verlangen.
a) Zwar wollen sie der Nichteinhaltung der Abstandsfläche nur bis zu einer Gebäudebreite
12,30 Meter zugestimmt haben, so dass eine Eigentumsverletzung i. S. d. §§ 1004 Abs. 1 Satz
1, 823 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m.
b) Die Kläger sind jedoch insoweit gemäß
Duldung verpflichtet.
aa) Die Vorschrift des
anwendbar.
Wenn
der
Eigentümer
eines
Nachbargrundstücks
unter
bestimmten
Voraussetzungen dessen Überbauung mit einem Gebäude dulden muss, so kann er keine
weitergehenden Rechte haben, wenn unter den Voraussetzungen des
nicht in sein Grundstück eingegriffen, sondern lediglich gegen eine den Bauabstand von der
Grundstücksgrenze regelnde Vorschrift verstoßen wurde (OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993,
665; OLG Koblenz,
zugleich deliktische Eigentumsbeeinträchtigungen (ebd.).
bb) Die Voraussetzungen für eine Duldungspflicht nach dieser Vorschrift liegen vor.
(1) Entgegen der Auffassung der Kläger fällt dem Beklagten bei der Bauabstandsverletzung
weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last. Für ein vorsätzliches Handeln ist ohnehin
nichts ersichtlich. Grob fahrlässig handelt nach ständiger Rechtsprechung nur, wer die
verkehrsübliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz
naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall
jedem einleuchten müßte (z. B.
Überbau deutlich abgeschwächten Eingriffsintensität ist ferner zu berücksichtigen, dass die
dort entwickelten, strengen Haftungskriterien auf den Streitfall nicht oder nur in einem dieser
geringeren Eigentumsverletzung entsprechend verringerten Maße übertragbar sind (grobe
Fahrlässigkeit bereits bei Einweisungsmängeln, vgl. BGH,
dass der Beklagte nicht in diesem Maße sorgfaltswidrig gehandelt hat. Da sich auch dem
Vorbringen der Kläger dahingehende Gesichtspunkte nicht entnehmen lassen, hat der
Beklagte seiner ihn insoweit treffenden Darlegungslast genügt.
Gegen eine derartig schwerwiegende Außerachtlassung der verkehrsüblichen Sorgfalt spricht
bereits, dass es sich um eine absolut wie relativ geringfügige Bauwichverletzung handelt.
Dementsprechend hat die Baubehörde dem Beklagten bescheinigt, dass der Rohbau
entsprechend der Genehmigung ausgeführt worden ist und sichtbare Mängel bzw. wesentliche
Abweichungen nicht festgestellt werden können. Dem kann nicht entgegengehalten werden,
dass eine solche Bescheinigung gemäß
Fassung nicht von der Beobachtung der Bauvorschriften dispensiert. Hat die Baubehörde
nämlich eine Ausnahme oder Befreiung von den Abstandsvorschriften erteilt, fehlt es bereits
an einer Eigentumsverletzung und die Verschuldensfrage stellt sich nicht mehr (vgl.
BayObLG, a. a. O.).
Eine Überschreitung der zugestandenen Baubreite von 12,30 Metern wurde auch nicht schon
anhand der geänderten Genehmigungsplanung vom 16.06.1998 offenbar, da darin von eben
dieser Breite ausgegangen wird. Dass sich der Kläger etwaiges Architektenverschulden unter
Repräsentanzgesichtspunkten analog
O.), ist im Streitfall ohne Belang, da die Kläger selbst von der Richtigkeit dieser Planung
ausgehen und die Breitenüberschreitung in der Bauausführung begründet sehen.
Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass sich die Kläger mit einer Baubreite von 12,30
Metern einverstanden erklärt haben, obwohl sie die Abstandsflächen mit der von ihnen
bestellten Grunddienstbarkeit nur auf einer Breite von 8,30 Metern übernommen haben.
Wenn die Kläger ohnehin eine durch die Bebauung ihres Grundstücks bedingte Verletzung
des Bauwichs um 4 Meter billigten, konnte der Beklagte zumindest ohne grobe Verletzung
seiner Sorgfaltspflichten erwarten, dass dieser Aspekt für sie nicht von ausschlaggebender,
wenn nicht sogar untergeordneter Bedeutung war. Diese Sichtweise wird zudem durch das
weitere Verhalten der Kläger bestätigt. Denn noch in ihrem Schreiben vom 13.12.1999
mahnten sie lediglich die Erfüllung einiger Verpflichtungen aus der zugunsten ihres
Grundstücks bestellten Grunddienstbarkeit an.
der Abstandsfläche nicht sofort widersprochen haben. Sofortig im Sinne des § 912 Abs. 1
BGB ist nur der Widerspruch, der nach objektiv erkennbarer Bauwichverletzung so
rechtzeitig erhoben wird, dass die Beseitigung des in die Abstandsfläche fallenden Bauwerks
ohne erhebliche Zerstörung möglich ist (vgl.
darin zur Durchführung von Verputzungsarbeiten und zur Anbringung von Schneegittern
aufforderten, muss der Neubau zu diesem Zeitpunkt nämlich für sie erkennbar im
wesentlichen schon errichtet gewesen sein.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach den §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür in
Voraussetzungen nicht vorliegen.
Der Streitwert wird gemäß den
hiervon je 4.000,00 € für die Klageanträge zu 1. und 2. und 2.000,00 € für den Klageantrag zu
3.. Hierfür ist nämlich nur das durch die Bewilligung der Grunddienstbarkeit vom 07.05.1998
beschränkte Interesse der Kläger an der Beseitigung bzw. dem Rückbau des Neubaus
maßgeblich. Auf das Interesse des Beklagten an dem Bestand des Neubaus kommt es nicht
an.
...
...
...
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Brandenburg
Erscheinungsdatum:25.08.2004
Aktenzeichen:4 U 26/04
Rechtsgebiete:Sachenrecht allgemein
Normen in Titel:BGB §§ 912, 1004; BodgBauO § 6