OLG München 25. September 2023
33 Wx 38/23e
BGB §§ 133, 2065, 2084

Testamentsauslegung; ergebnislose Auslegung bei unbestimmtem Wortlaut; Bestimmung desjenigen zum Erben, der den Erblasser „bis zu seinem Tod pflegt und betreut“

letzte Aktualisierung: 23.4.2024
OLG München, Beschl. v. 25.9.2023 – 33 Wx 38/23e

BGB §§ 133, 2065, 2084
Testamentsauslegung; ergebnislose Auslegung bei unbestimmtem Wortlaut; Bestimmung
desjenigen zum Erben, der den Erblasser „bis zu seinem Tod pflegt und betreut“

1. Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, das der Erblasser mehr als 10 Jahre vor
seinem Tod errichtet hat und das als Erben denjenigen bestimmt, der den Erblasser „bis zu meinem
Tod pflegt und betreut“ und gleichzeitig eine Person nennt, die dies gegenwärtig tut.
2. Ein Testament ist nichtig, wenn der Wortlaut der Verfügung so unbestimmt ist, dass die
Auslegung ergebnislos bleiben muss (Anschluss an BayObLG, Beschluss vom 23.05.2001, 1 Z BR
10/01).
3. Auf einen „Mindestbedeutungsgehalt“ der vom Erblasser verwendeten Begriffe kann nur dann
abgestellt werden, wenn feststeht, dass Erblasser diese in eben jenem Sinne verwendet hat.

Gründe

I.
Die kinderlose und verwitwete Erblasserin ist am ...2021 in M. verstorben. Ihr Ehemann ist im Jahre 1983
vorverstorben. Mit diesem hatte sie am ...1965 einen notariellen Erbvertrag errichtet, der gegenseitige
Erbeinsetzungen für den ersten Erbfall vorsah und hinsichtlich der Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall dem
überlebenden Ehegatten das Recht zur vollständigen Abänderung einräumte.

Die Erblasserin errichtete am 01.04.2011 ein handschriftliches Testament folgenden Inhalts:
„Mein letzter Wille!
Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen!
Zurzeit ist es: Frau ... [= Beteiligte zu 1], wohnhaft … Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.
Unterschrift"

Das Nachlassgericht erließ am 06.12.2022 einen Beschluss, in dem es die Erteilung eines Erbscheins
zugunsten der Beteiligten zu 1 ankündigte und die sofortige Wirksamkeit aussetze. Der dagegen seitens der
Beschwerdeführerin eingelegten Beschwerde vom 11.01.2023 half das Nachlassgericht mit Beschluss vom
31.01.2023 nicht ab und legte die Akten dem Senat vor.

Mit richterlicher Verfügung vom 05.04.2023 hat der Senat die Akten des bezüglich der Erblasserin geführten
Betreuungsverfahrens beigezogen. Soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung, ergaben sich
daraus folgende Erkenntnisse:

Mit Beschluss vom 11.02.2014 wurde auf Wunsch der Erblasserin nicht nur die Beteiligte zu 1, sondern auch
Frau D. P. als Betreuerin für die Erblasserin bestellt. Die Erblasserin hatte im Rahmen ihrer persönlichen
Anhörung zuvor erklärt, sie würde beide Damen mögen, sie seien sehr patent und anständig. Durch
Beschluss des Amtsgerichts München – Betreuungsgericht – vom 13.07.2017 wurde eine weitere Betreuerin
bestellt, die Betreuerin D. P. wurde auf eigenen Wunsch entlassen.

II.
Die Beschwerde ist zulässig und auch im Ergebnis erfolgreich.

Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, dass keine Zweifel an der Urheberschaft der Erblasserin
hinsichtlich des Testaments vom 01.04.2011 bestehen. Allerdings kann die Beteiligte zu 1 aus dem
Testament keine Rechte herleiten, denn dieses Testament enthält keine Erbeinsetzung zu ihren Gunsten.
Zwar wird die Beteiligte zu 1 in diesem Testament namentlich genannt, eine Erbeinsetzung ist damit aber
nicht verbunden, denn die Erblasserin hat als Erbin gerade keine bestimmte Person eingesetzt (sogleich
unter 1.). Vielmehr hat sie lediglich Voraussetzungen festgelegt, die ein Erbe erfüllen muss und festgehalten,
dass die Beteiligten zu 1 diese Voraussetzungen derzeit erfüllt. Welche Voraussetzungen genau das sind,
lässt sich jedoch nicht feststellen, so dass sich auch nicht feststellen lässt, welche Person diese
Voraussetzungen erfüllt (sogleich unter 2.).

1. Die Beteiligte zu 1 wurde durch ihre namentliche Benennung im Testament vom 01.04.2011 nicht als Erbin
eingesetzt. Die Namensnennung der Beteiligten zu 1 erfolgte in diesem Zusammenhang nur beispielhaft; als
Rechtsnachfolgerin sollte sie jedenfalls nur dann bestimmt sein, wenn sie die von der Erblasserin genannten
Voraussetzungen bzw. Bedingungen erfüllt. Das ergibt sich im Wege der Testamentsauslegung.

a) Bei der Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf die Ermittlung des wirklichen Willens des
Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGH, Urteil vom 16.07.1997, IV ZR
356/96, ZEV 1997, 376; MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Czubayko,
Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 9; Krätzschel in: Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Aufl.
2022 § 9 Rn. 10; NK-Erbrecht/Fleindl/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2084 Rn. 3).

Für die Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist oder nicht, kommt es wesentlich darauf an, wer
nach dem Willen des Erblassers den Nachlass zu regeln und die Nachlassschulden zu tilgen hat, sowie
darauf, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass erwerben soll (BayObLG, Beschluss vom
09.12.1985, BReg. 1 Z 90/85, FamRZ 1986, 835).

Grundsätzlich ist bei nicht eindeutigem und daher auslegungsbedürftigem Testamentswortlaut gemäß §§
133, 2084 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Vielmehr ist der Wortsinn der vom
Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und
ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergab, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH, Urteil
vom 08.12.1982, IVa ZR 94/81, NJW 1983, 672; BGH, Urteil vom 07.10.1992, IV ZR 160/91, NJW 1993,
256).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 nicht
feststellen. Bereits die Verwendung des Wortes „derzeit“ spricht dagegen, dass die Erblasserin mit der
namentlichen Nennung der Beteiligten zu 1 ihren Rechtsnachfolger in wirtschaftlicher Hinsicht endgültig
benennen wollte. Insbesondere im Zusammenspiel mit dem oberen Teil des Testaments, in dem die
Erblasserin die Zuwendung für denjenigen anordnet, der sie „pflegt und betreut“, ergibt sich, dass die
Beteiligte zu 1 lediglich beispielhaft erwähnt wurde und nicht endgültig als Erbin benannt werden sollte.

2. Die Erblasserin hat in ihrem Testament vom 01.04.2011 keinen Rechtsnachfolger benannt. Nach den von
ihr aufgestellten Kriterien lässt sich ein solcher auch nicht hinreichend sicher ermitteln.

a) Der Erblasser darf die Bestimmung der Person, die eine Zuwendung im Sinne einer Erbeinsetzung auf
Grund letztwilliger Verfügung erhalten soll, nicht einem anderen überlassen. Dies bedeutet, dass der
Erblasser im Hinblick auf die Individualisierung eines Bedachten seinen Willen nicht in der Weise
unvollständig äußern darf, dass es einem Dritten überlassen bleibt, nach Belieben oder Ermessen den
Erblasserwillen in wesentlichen Teilen zu ergänzen (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.1954, IV ZR 152/54, NJW
1955, 100). Nur die Bezeichnung, nicht die Bestimmung darf einem Dritten übertragen werden. Dann
müssen aber die Hinweise im Testament, die gegebenenfalls zuvor nach allgemeinen Grundsätzen
auszulegen sind (MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 2065 Rn. 34; Horn/Kroiß, NJW 2013, 2978 f), so
genau sein, dass eine jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person den Bedachten bezeichnen
kann, ohne dass deren Ermessen auch nur mitbestimmend ist (BayObLG, Beschluss vom 27.11.1990, BReg.
1a Z 76/88, FamRZ 1991, 610; OLG München, 31 Wx 55/13, ZEV 2013, 617).

Soweit der Wille des Testierenden durch Auslegung festgestellt werden kann, liegt kein Fall der unzulässigen
Bestimmung der Person des Bedachten durch einen Dritten vor. Die Testamentsauslegung ist, auch wenn sie
wertende Elemente enthält, nicht die in § 2065 BGB gemeinte unzulässige Willensentscheidung; das Gericht
ist insoweit nie Dritter (OLG Köln, 2 Wx 536/16, FGPrax 2017, 41). § 2065 BGB greift indes dann ein, wenn
der Wortlaut der letztwilligen Verfügung so unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleiben muss
(BayObLG, Beschluss v. 23.05.2001, 1 Z BR 10/01, FamRZ 2002, 200 m. w. N.; Staudinger/Otte, BGB,
Neubearbeitung 2019, § 2065 Rn. 19b).

b) So liegt der Fall hier. Auch im Wege der Testamentsauslegung lässt sich nicht feststellen, welche Kriterien
nach dem allein maßgeblichen Erblasserwillen erfüllt sein müssen, damit der Erbe benannt werden kann.

aa) Schon in zeitlicher Hinsicht lässt sich nicht feststellen, was die Erblasserin mit der Formulierung „bis zu
meinem Tod“ zum Ausdruck bringen wollte.

(1) Fraglich ist bereits, ob die Erblasserin sich bei der Errichtung des Testaments von der Vorstellung leiten
ließ, dass die Person, die sie „pflegt und betreut“ dies ab Errichtung des Testaments zu tun hat. Da die
Erblasserin die Beteiligte zu 1 insoweit erwähnt, als sie sie als die Person bezeichnet, die „derzeit“ pflegt und
betreut, ließe sich die Formulierung in diese Richtung auslegen.

(2) Denkbar ist aber auch, dass (auch) ein späteres Übernehmen von Pflege und Betreuung ausreichend
sein sollte. Dafür ließe sich immerhin anführen, dass ein Interesse an Pflege und Betreuung häufig erst dann
entsteht, wenn der Betreffende tatsächlich pflege- und betreuungsbedürftig wird. Bei einer Auslegung in
diese Richtung bliebe aber offen, welcher Zeitpunkt maßgeblich sein sollte: Denkbar wäre, auf ein
subjektives Element bei der Erblasserin abzustellen, nämlich wenn sie selbst das Bedürfnis nach „Pflege und
Betreuung“ verspürt. Es wäre aber ebenso vorstellbar, dass sich die Erblasserin bei der Errichtung der
Verfügung vorstellte, dass ein objektives Kriterium maßgeblich sein sollte, beispielsweise die Anordnung
einer gesetzlichen Betreuung, jedenfalls soweit es um die Betreuung geht.

(3) Ebenso offen und im Wege der Auslegung nicht sicher feststellbar ist, ob die Person, die „pflegt und
betreut“, dies ununterbrochen (unabhängig vom jeweiligen Beginn) tun muss. Die Verwendung des Wortes
„bis“ ließe einen derartigen Schluss ebenso zu wie die (lebensnähere) Annahme, dass Unterbrechungen von
gewisser Dauer (welcher?) unschädlich sein sollten. Da die Erblasserin aber die „Person“ zudem im Singular
bezeichnet hat, wirft dies die Frage auf, ob letztlich von mehreren Personen nur die zum Zuge kommen soll,
die sich in zeitlicher Hinsicht am stärksten engagiert hat oder ob jeder, der einen (zeitlichen) Anteil an „Pflege
und Betreuung“ hatte, (Mit-)Erbe werden soll.

(4) Letztlich lässt sich auch nicht klären, ob das zeitliche Element von „Pflege und Betreuung“ nach der
Vorstellung der Erblasserin tatsächlich bis „in“ den Tod im Sinne einer Sterbebegleitung erfolgen muss.

bb) Darüber hinaus lässt sich aber auch nicht mit hinreichender Sicherheit im Wege der
Testamentsauslegung ermitteln, was die Erblasserin inhaltlich unter „pflegt und betreut“ verstanden hat. Auch
insoweit greifen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (s. o.).

(1) Das Testament lässt zunächst offen, ob die Erblasserin die Wörter „pflegen und betreuen“ synonym oder
kumulativ gebraucht hat. Beides ist denkbar, ohne dass nach dem Wortlaut der Verfügung die eine oder
andere Variante wahrscheinlicher erscheint.

(2) Hinzu kommt, dass gänzlich offenbleibt, an welche Art von „pflegen und betreuen“ die Erblasserin
gedacht hat. Bereits in der Vergangenheit hat die Rechtsprechung auf Auslegungsprobleme in diesem
Zusammenhang hingewiesen, so ob mit dem Begriff „kümmern“ die körperliche Pflege gemeint war, die Hilfe
bei der anfallenden Hausarbeit, eine seelische Stütze (vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 27.11.1990,
BReg. 1a Z 76/88, FamRZ 1991, 610 f), die Erledigung finanzieller Angelegenheiten oder nur allgemein ein
Schenken von Aufmerksamkeit. Dasselbe gilt für die Begriffe „begleitet und [ge]pflegt“ (OLG Köln, 2 Wx
536/16, FGPrax 2017, 41), die ebenfalls im Wege der Auslegung nicht so zweifelsfrei ausgelegt werden
können, dass die Ermittlung des Erben nicht doch auf eine Stellvertretung im Willen hinausliefe.
(3) Denkbar ist im vorliegenden Falle, dass die Erblasserin gerade nicht die professionelle Betreuung
gemeint hat, denn sie lebte nach den Angaben der Beteiligten zu 1 im Zeitpunkt der Errichtung bereits in
einem Pflegeheim und benannte gleichwohl die Beteiligte zu 1, die aber nicht für professionelle Pflege und
Betreuung zur Verfügung stand. Andererseits bleibt offen, ob und inwieweit die Erblasserin den Begriff
statisch oder dynamisch verstanden hat. „Schuldete“ derjenige, der „pflegt und betreut“ dasselbe Maß an
Pflege und Betreuung, das im Errichtungszeitpunkt am 01.04.2011 maßgeblich war, auch wenn in der
Zukunft mehr oder weniger Pflege und Betreuung erforderlich würden oder bedurfte es einer Anpassung der
Anstrengungen, wenn die Erblasserin diesbezüglich bedürftiger würde.

(4) Soweit in der Literatur eingewendet wird, dass die meisten Begriffe der Alltagssprache zwar unscharfe
Ränder hätten, aber auch einen Kern, hinsichtlich dessen sich feststellen ließe, wer unter diesen
„Kernbegriff“ fällt (Staudinger/Otte, Neubearbeitung 2019, BGB § 2065 Rn. 19b), überzeugt diese Kritik nicht.
Es mag zutreffen, dass sich die Bedeutung von Wörtern in Kern- und Randbereiche differenzieren lässt. Die
Testamentsauslegung darf aber gerade nicht beim Wortlaut stehenbleiben, maßgeblich ist allein der wahre
Erblasserwille und wenn nicht feststellbar ist, ob der Erblasser einen Begriff in der einen oder anderen
Hinsicht verstanden hat, wäre es mit den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen unvereinbar, den
Erblasserwillen im Sinne eines „Mindestwillens“ auszulegen.

Da sich aufgrund der vorgenannten Erwägungen im Rahmen der Auslegung nicht feststellen lässt, in
welchem zeitlichen Rahmen „Pflege und Betreuung“ zu erbringen waren und was darunter zu verstehen ist,
lässt sich auch in einem zweiten Schritt nicht feststellen, auf welche Person diese Kriterien zutreffen.

c) Weitere Ermittlungsansätze zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens sind nicht vorhanden.
aa) Soweit die Beteiligte zu 1 im Rahmen der Beurkundung des notariellen Erbscheinsantrages vom ...2021
insoweit ausführte, dass „die Erblasserin ihre testamentarische Beschreibung „pflegt und betreut“ … als ein
auf sie schauen, für sie da sein, sich um sie kümmern“ verstanden hatte, ist diese Äußerung zwar im
Rahmen der Auslegung heranzuziehen, verhilft aber schon aufgrund der vorgenannten Erwägungen nicht zu
einem eindeutigen Auslegungsergebnis, da sie sich zu dem zeitlichen Umfang von Pflege und Betreuung
nicht verhält. Soweit die Beteiligte zu 1 im Rahmen ihres notariellen Erbscheinsantrages zudem erklärte, es
sei der Erblasserin im Errichtungszeitpunkt um persönliche Zuwendung gegangen, die die Beteiligte zu 1
erbracht habe, lässt sich dies schon mit dem Wortlaut der Verfügung nur schwer vereinbaren, der von „pflegt
und betreut“ spricht. Hätte die Erblasserin unter „pflegen und betreuen“ lediglich persönliche Zuwendung
verstanden, hätte es nahegelegen, dies entsprechend zu formulieren. Dass die Beteiligte zu 1 nach eigenen
Angaben „nahezu täglich“ bei der Erblasserin war, hilft insoweit auch nicht weiter. Da schon nicht geklärt
werden kann, was die Erblasserin in zeitlicher Hinsicht unter „bis zum Tode“ verstanden hat (s. o.), kann
auch nicht festgestellt werden, ob „nahezu tägliche“ Besuche darunter zu subsumieren bzw. ausreichend
wären.

bb) Aus den Angaben der Vereinsbetreuerin vom 28.06.2022 lassen sich ebenfalls keine belastbaren
Erkenntnisse gewinnen. Es ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Vereinsbetreuerin erst im Jahre 2017
bestellt wurde und über den Zeitraum ab Errichtung des Testaments schon keine Angaben machen kann.
Soweit das Nachlassgericht in diesem Zusammenhang in der angefochtenen Entscheidung (Beschluss vom
06.12.2022) darauf abstellt, regelmäßige Besuche der Beteiligten zu 1 ließen sich aus der Stellungnahme
der Vereinsbetreuerin belegen, verkennt es, dass die Vereinsbetreuerin für die Zeit zwischen der Errichtung
des Testaments und ihrer Bestellung keine Angaben machen kann. Zur Frage, welche Vorstellungen die
Erblasserin von „Pflege und Betreuung“ im Errichtungszeitpunkt angesichts der Möglichkeit, dass der Bedarf
an „Pflege und Betreuung“ im Laufe der Zeit zunimmt, hatte, kann die Vereinsbetreuerin schon deswegen
keine Angaben machen, weil sie die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte.

cc) Eine weitere Sachaufklärung ist nicht möglich, weitere Ermittlungsansätze sind nicht ersichtlich,
insbesondere nachdem sich die Beteiligte zu 1 im Rahmen ihres Erbscheinsantrages umfassend geäußert
hat. Weitere Personen, die mit der Erblasserin im oder um den Errichtungszeitpunkt Kontakt hatten, sind
nicht bekannt geworden. Hinsichtlich der Äußerungen der Erblasserin gegenüber Dritten ist zudem zu
berücksichtigen, dass bei der Erblasserin mit Gutachten vom 22.11.2013 eine psychische Störung (Delir bei
leichtgradiger Demenz) festgestellt wurde, so dass entsprechende Äußerungen nur bedingt geeignet wären,
Rückschlüsse auf den Willen der Erblasserin im Errichtungszeitpunkt zu ziehen.

dd) Der Senat kann deswegen in der Sache sogleich selbst entscheiden.
Zwar hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde Aufklärungsdefizite gerügt, denen das Erstgericht im
Abhilfeverfahren nicht nachgegangen ist, was grundsätzlich ebenso zur Aufhebung der
Nichtabhilfeentscheidung führen könnte wie die Nichtbeiziehung der Betreuungsakten, zu der sich das
Nachlassgericht angesichts des Wortlauts der Verfügung („pflegt und betreut“) und des Umstandes, dass die
Erblasserin zum Zeitpunkt ihres Todes unter Betreuung stand, gedrängt hätte sehen müssen. Da aber in der
Sache keine andere Entscheidung ergehen kann, konnte der Senat von der Aufhebung der
Nichtabhilfeentscheidung und Rückgabe der Akten an das Nachlassgericht absehen.
Demzufolge ist die Beschwerde erfolgreich. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und der
Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurückzuweisen.

III.
Eine Kostenentscheidung ist bei der erfolgreichen Beschwerde nicht veranlasst. Für die Anordnung der
Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten sieht der Senat keine Veranlassung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

25.09.2023

Aktenzeichen:

33 Wx 38/23e

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge

Normen in Titel:

BGB §§ 133, 2065, 2084