Entgeltliche Nutzungsüberlassung beim Grundstückskaufvertrag
letzte Aktualisierung: 04.06.2020
BFH, Urt. v. 5.12.2019 – II R 37/18
GrEStG §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1;
Entgeltliche Nutzungsüberlassung beim Grundstückskaufvertrag
Verpflichtet sich der Käufer beim Kauf eines Grundstücks, dieses dem Verkäufer ohne
angemessenes Entgelt zur Nutzung zu überlassen, liegt darin eine Gegenleistung für das
Grundstück.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung
--FGO--). Das FG hat § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verletzt, indem es die dem Verkäufer vorbehaltenen
Nutzungen nicht in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einbezogen hat.
1. Gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG bemisst sich die Grunderwerbsteuer grundsätzlich nach dem Wert der Gegenleistung.
a) Was zur Gegenleistung gehört, bestimmt § 9 GrEStG, der eine Legaldefinition des Begriffs enthält und --zusammen
mit § 8 Abs. 1 GrEStG-- darauf abzielt, die Gegenleistung so umfassend wie möglich zu erfassen (Begründung zum
GrEStG 1940, RStBl 1940, 387, 405; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 02.03.2011 - II R 23/10,
BFHE 232, 358, BStBl II 2011, 932, Rz 17, und vom 02.03.2011 - II R 64/08, BFH/NV 2011, 1009, Rz 21). Dem
Grunderwerbsteuergesetz liegt ein eigenständiger, über das bürgerlich-rechtliche Verständnis hinausgehender
Gegenleistungsbegriff zugrunde (vgl. BFH-Urteile vom 16.02.1977 - II R 89/74, BFHE 122, 338, BStBl II 1977, 671,
unter 2., und vom 08.09.2010 - II R 28/09, BFHE 231, 244, BStBl II 2011, 227, Rz 14).
b) Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG gilt als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer
übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen. Nutzungen sind gemäß
§ 100 BGB u.a. die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. Sie gebühren nach § 446
Satz 2 BGB von der Übergabe der Sache an dem Käufer. Wird die Norm vertraglich abbedungen, belässt der
Grundstückskäufer also die Nutzungen dem Verkäufer über diesen Zeitpunkt hinaus, liegt darin ein geldwerter Vorteil,
den der Käufer für den Erwerb der Sache hingibt. Dies rechtfertigt die Einbeziehung der dem Verkäufer vorbehaltenen
Nutzungen in die Gegenleistung (vgl. Begründung zum GrEStG 1940, RStBl 1940, 387, 406; FG Baden-Württemberg,
Urteil vom 13.11.1981 - IX 153/81, IX 154/81, EFG 1982, 428; Loose in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 19. Aufl.,
§ 9 Rz 231; Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 9 Rz 104; Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz,
Kommentar, 11. Aufl., § 9 Rz 28; Konrad in Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, § 9 Rz 154; Jochum in
Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 9 GrEStG Rz 64; im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 06.12.1989 - II R 95/86,
BFHE 159, 255, BStBl II 1990, 186, unter 1.c).
c) Wenn jedoch der Grundstücksverkäufer die vorbehaltenen Nutzungen angemessen vergütet, liegt in der
Nutzungsüberlassung keine Gegenleistung für das Grundstück i.S. von § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG (ähnlich
BFH-Urteil vom 06.12.2017 - II R 55/15, BFHE 261, 58, BStBl II 2018, 406, Rz 13).
d) Für die Bestimmung der Gegenleistung ist nicht maßgebend, was die Vertragschließenden als Gegenleistung für
das Grundstück bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sie sich tatsächlich verpflichtet haben (BFH-Urteil in
BFHE 231, 244, BStBl II 2011, 227, Rz 14). Ob sich der Verkäufer Nutzungen ohne angemessenes Entgelt
vorbehalten hat, ist durch Auslegung des Kaufvertrags zu ermitteln. Die Auslegung von Verträgen und
Willenserklärungen gehört zum Bereich der tatsächlichen Feststellungen und bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2
FGO, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze
verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist. Das Revisionsgericht prüft, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln sowie
die Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtet und die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände
erforscht und rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Dagegen ist die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern
Gewollten am Maßstab der jeweils einschlägigen Normen für das Revisionsgericht nicht nach § 118 Abs. 2 FGO
bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsanwendung (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom
30.01.2019 - II R 26/17, BFHE 264, 47, Rz 31).
2. Nach diesen Maßstäben tragen die Feststellungen des FG nicht den Schluss, dass die dem Verkäufer
vorbehaltenen Nutzungen nicht in die Bemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 1 GrEStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
einzubeziehen seien.
a) Gemäß § 4 des Kaufvertrags hat die Klägerin als Käuferin des Grundstücks keinen Kaufpreis zu entrichten;
stattdessen hat der Verkäufer eine Zuzahlung in Höhe von 100.000 EUR zu leisten. Hieraus ergibt sich der von der
Vorinstanz angenommene Kaufpreis von ./. 100.000 EUR.
b) Daneben hat die Klägerin aber in § 2 des Kaufvertrags dem Verkäufer das Recht eingeräumt, seine bisherige
Nutzung der Gebäude 2 und 5 für 30 Jahre unentgeltlich fortzusetzen. Sie hat Nutzungen des Grundstücks, die mit
dessen Übergabe ihr als Käuferin zustünden, dem Verkäufer überlassen, ohne von diesem eine Vergütung zu
erhalten. "Unentgeltlich" bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin vom Verkäufer kein gesondertes
Entgelt für die Überlassung der Gebäude fordert. Der Wert der Nutzungen stellt vielmehr eine
--grunderwerbsteuerrechtliche-- Gegenleistung der Klägerin für den Erhalt des Grundstücks dar. Soweit die Klägerin
einwendet, das Nutzungsrecht des Verkäufers sei in den Leistungsaustausch einbezogen worden, bestätigt sie in der
Sache gerade diese Beurteilung.
Sollte das FG angenommen haben, das Nutzungsrecht sei wertlos, bestehen dafür keine Anhaltspunkte. Nach den im
Urteil getroffenen Feststellungen gehören die dem Verkäufer überlassenen Gebäude gerade nicht zu denen, die sich
zum Zeitpunkt des Erwerbs in schlechtem Zustand befanden.
c) Bemessungsgrundlage i.S. von § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist demgemäß der Wert der Nutzungen
abzüglich der Zuzahlung des Verkäufers in Höhe von 100.000 EUR.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang Feststellungen zum Umfang der dem Verkäufer
vorbehaltenen Nutzungen zu treffen und das Nutzungsrecht zu bewerten haben.
4. Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BFH
Erscheinungsdatum:05.12.2019
Aktenzeichen:II R 37/18
Rechtsgebiete:Grunderwerbsteuer
Normen in Titel:GrEStG §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 118 Abs. 2