Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer – Einbeziehung des Kaufpreisanteils für noch zu erbringende Erschließungskosten
letzte Aktualisierung: 24.3.2021
FG Hessen, Urt. v. 24.8.2020 – 5 K 1373/19
GrEStG §§ 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 S. 1
Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer – Einbeziehung des Kaufpreisanteils für
noch zu erbringende Erschließungskosten
Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich
erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrages nur das erschlossene Grundstück sein; der
zur Abgeltung der Erschließung neben dem eigentlichen Grundstückskaufpreis gesondert
ausgewiesene Betrag gehört in diesem Fall zur Gegenleistung. Ist das Grundstück hingegen im
Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages noch nicht erschlossen, verpflichtet sich
jedoch der Veräußerer, das Grundstück dem Erwerber in erschlossenem Zustand zu verschaffen,
so ist das Grundstück in diesem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs i. S. v. § 1 Abs. 1
Nr. 1 GrEStG. Der auf die Erschließung entfallende Teil des Kaufpreises ist dann Entgelt für den
Grundstückserwerb (Rn. 16).
Entscheidungsgründe
Die Klage war unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht auch den auf die Erschließungskosten
entfallenden Kaufpreisanteil in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen.
1.
Nach § 1 Abs.1 Nr.1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - unterliegt ein Kaufvertrag,
der – wie hier – den Anspruch auf Übereignung eines inländischen Grundstücks begründet,
der Grunderwerbsteuer. Die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ist gemäß § 8
Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung. Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG als Gegenleistung u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen
sonstigen Leistungen. Danach gehören alle Leistungen des Erwerbers zur grunderwerbsteuerrechtlichen
Gegenleistung (Bemessungsgrundlage), die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen
gewährt, um das Grundstück zu erwerben (vgl. BFH-Urteile vom 8. März 2017
II R 38/14, BStBl II 2017, 1005, vom 9. Dezember 2009 II R 33/08, BFH/NV 2010, 838).
a.)
Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs, nach dem sich gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1
Nr. 1 GrEStG die als Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer anzusetzende Gegenleistung
richtet, wird zunächst durch das den Steuertatbestand des
zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft bestimmt. Ergibt sich jedoch aus weiteren Vereinbarungen,
die mit diesem Rechtsgeschäft in einem rechtlichen oder zumindest objektiv
sachlichen Zusammenhang stehen, dass der Erwerber das beim Abschluss des Kaufvertrags
unbebaute Grundstück in bebautem Zustand erhält, bezieht sich der grunderwerbsteuerrechtliche
Erwerbsvorgang auf diesen einheitlichen Erwerbsgegenstand (ständige Rechtsprechung,
vgl. BFH-Urteile vom 8. März 2017 II R 38/14, a.a.O.; vom 3. März 2015 II R 9/14,
BStBl II 2015, 660, und vom 6. Juli 2016 II R 5/15, BStBl II 2016, 895; jeweils m.w.N.).
b.)
Für Erschließungskosten gilt jedoch die Besonderheit, dass die von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze zum grunderwerbsteuerrechtlich einheitlichen Erwerbsgegenstand bei
Erwerb eines Grundstücks im zukünftig bebauten Zustand wegen des sich aus der öffentlichrechtlichen
Erschließungslast der Gemeinde (vgl.
Charakters der Grundstückserschließung nicht anwendbar sind (BFH-Urteil in
BStBl II 2002, 93). Dies gilt auch dann, wenn die Erschließung von einem privaten Erschließungsträger
vorgenommen wird; auch in diesem Fall bleibt die Erschließung eine öffentliche
Aufgabe und stellt keine mit der zivilrechtlichen Übereignungspflicht objektiv zusammenhängende
Leistung an einen bestimmten Grundstückserwerber dar (BFH-Urteil vom 21. März
2007 II R 67/05. a.a.O.). Die rechtliche Wirkung der Vereinbarung des Erschließungsträgers
mit den Grundstückserwerbern über die Höhe ihrer Kostenbeteiligung erschöpft sich in der
Regelung der Kostenbeteiligung und macht die – ihrem Rechtscharakter nach öffentlichrechtliche
– Erschließung nicht zu einer Leistung an den Zahlungsverpflichteten.
c.)
Für den Umfang der Gegenleistung ist entscheidend, in welchem tatsächlichen Zustand das
Grundstück zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht wurde (vgl. BFH-Urteil vom 21.
März 2007 II R 67/05, BStBl II 2007, 614, m.w.N.). Ob Erschließungskosten als Gegenleistung
zu erfassen sind, ist danach zu beurteilen, ob das Grundstück unerschlossen oder erschlossen
bzw. mit der Verpflichtung des Veräußerers, es erschlossen zu verschaffen, Gegenstand
des Erwerbsvorgangs ist (vgl. BFH, ebenda, m.w.N.). Ein Grundstück ist tatsächlich erschlossen,
wenn bereits die Erschließungsanlagen i.S. d. BauGB, z.B. Straßen, Verkehrs- und
Grünanlagen (vgl. § 127 Abs.2 BauGB) vorhanden sind (vgl. BFH, ebenda).
Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich
erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrages nur das erschlossene Grundstück
sein; der zur Abgeltung der Erschließung neben dem eigentlichen Grundstückskaufpreis
gesondert ausgewiesene Betrag gehört in diesem Fall zur Gegenleistung. Ist das
Grundstück hingegen im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages noch
nicht erschlossen, verpflichtet sich jedoch der Veräußerer, das Grundstück dem Erwerber in
erschlossenem Zustand zu verschaffen, so ist das Grundstück in diesem Zustand Gegenstand
des Erwerbsvorgangs i.S. von
Teil des Kaufpreises ist dann Entgelt für den Grundstückserwerb (BFH-Urteile vom 21. März
2007 II R 67/05, a.a.O.; vom 9. Mai 1979 II R 56/74, BStBl II 1979, 577, und in BFHE 194,
452, BStBl II 2002, 93). Ob das erschlossene Grundstück Gegenstand der Übereignungsverpflichtung
ist, ist jeweils im Wege der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln
(BFH, Urteil vom 21. März 2007 II R 67/05, a.a.O.).
d.)
Für den Streitfall ergab sich, dass sich die Veräußerin (Gemeinde) verpflichtet hatte, der Klägerin
das bei Vertragsschluss noch nicht voll erschlossene Grundstück im
(erst-)erschlossenen Zustand zu verschaffen (zivilrechtliche Übereignungsverpflichtung).
aa.)
Die Regelung in § 8 Abs.1 des Vertrages stellt sich nicht als reine Abgeltungsvereinbarung
hinsichtlich der dort genannten Ersterschließungskosten oder eine bloße Verpflichtung zur
Übernahme der Erschließungsbeiträge im Wege einer Ablösevereinbarung dar. Aus der Formulierung
in § 8 Abs.1 Satz 2 des Vertrages, wonach diese (Kosten) vom Käufer nicht mehr
zusätzlich zu erbringen sind, ergibt sich zwar, dass die Kosten der dort genannten Erschließungsmaßnahmen
nicht mehr durch Beitragsbescheid einzufordern sind. Allerdings war im
Streitfall dem Grundstückskaufvertrag zu entnehmen, dass das Grundstück in erschlossenem
Zustand zum Gegenstand der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung nach § 433 Abs.1
Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB - gemacht wurde. Dies ergibt sich insbesondere
daraus, dass unter § 5 Abs.1 des Vertrages ein einheitlicher Kaufpreis ausgewiesen wurde,
der hernach in Abs.2 nur aufgegliedert wird. Eine neben der Grundstücksübereignung eigenständige
Erschließungsverpflichtung der Gemeinde wurde nicht vereinbart. Hinsichtlich
des Erschließungskostenanteils erfolgt auch keine eigenständige Fälligkeitsbestimmung. Hinzukommt,
dass nach § 7 des Vertrages die Besitzübergabe u.a. erst bei einer gesonderten
Freigabeerklärung nach erfolgter Ersterschließung erfolgt. Insbesondere ergab sich aus § 4
Abs.4 des Vertrages, wonach der Vollzug der Auflassung von der Zahlung des gesamten
Kaufpreises (einschließlich Erschließungskostenanteils) abhing, dass die Grundstückseigenschaft
der (Erst-)Erschließung des Grundstücks als eine der kaufvertraglichen Hauptleistungspflichten
des Veräußerers gestaltet wurde, so dass nach dem Vertrag ein „Grundstück
im erschlossenen Zustand“ zum Gegenstand der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung
gemacht wurde. Dem entspricht auch, dass es keiner Einräumung eines besonderen
Rücktrittsrechts für den Fall bedurfte, dass die (Erst-)Erschließung nicht durchgeführt
werden sollte. Daher handelte es sich bei dem Anteil des Kaufpreises, der auf die Entschließungskosten
entfallen sollte, ebenfalls um einen Teil der Gegenleistung für den Erhalt des
Grundstücks selbst.
bb.)
Dem steht auch nicht entgegen, dass vor dem Abschluss des Grundstückskaufvertrages –
selbst wenn die Erschließungsmaßnahmen (anders als im Streitfall) bereits abgeschlossen
wären – noch keine sachliche Erschließungsbeitragspflicht entstanden war, denn eine solche
konnte für die Gemeinde als eigener Schuldner nicht entstehen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Januar
1985 II R 6/83, BStBl II 1985, 373; Loose in Boruttau, GrEStG, 19. Aufl., 2019, § 9,
Rdnr. 300) – (im Übrigen waren die Erschließungsmaßnahmen hier noch nicht abgeschlossen,
so dass auch deswegen (noch) keine sachliche Beitragspflicht bestand, § 133 Abs.2
BauGB). Denn insoweit lag im Streitfall auch keine bloße Verpflichtung der Klägerin zur Tragung
der (zukünftigen) Erschließungskosten vor, mit der sie – ungeachtet des Erschließungszustands
– lediglich eine vertragliche Verpflichtung eingegangen wären, die sie kraft Gesetzes
ohnehin als spätere Grundstückeigentümerin selbst treffen würde (für diesen Fall läge
keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks vor, vgl. BFH-Urteil vom 15. März 2001
II R 39/99, BStBl II 2002, 93).
Ist Gegenstand eines Kaufvertrages (der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung) ein erschlossenes
Grundstück, gehören die im Kaufvertrag ausgewiesenen Kosten für die Erschließung
grundsätzlich auch dann zur Gegenleistung, wenn ein Erwerber ein erschlossenes
Grundstück von einer Gemeinde kauft, der Kaufpreis Kosten für die Erschließung enthält und
insofern eine öffentlich-rechtliche Beitragspflicht erst dann entsteht, wenn das Grundstück
nicht mehr im Eigentum der Gemeinde steht (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 2009 II R
20/08, BStBl II 2010, 495). Dies gilt nach Auffassung des erkennenden Senats auch im
Streitfall eines noch unerschlossenen Grundstücks, da nach dem maßgeblichen Inhalt der
Übereignungsverpflichtung (s.o.) ein erschlossenes Grundstück erworben wurde (auch wenn
es bei Vertragsschluss tatsächlich noch nicht – vollständig – erschlossen war). Insbesondere
erachtet es der Senat bei einer Vertragsgestaltung wie im Streitfall nicht für geboten, im
Hinblick auf ein gesetzliches Verbot zivilrechtlicher Vereinbarungen einer öffentlich-rechtlich
erschließungspflichtigen Gemeinde (Erschließungslast
über künftige Erschließungskosten die getroffenen vertraglichen Regelungen
hinsichtlich des Gegenstandes des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs dahingehend zu
modifizieren, dass lediglich eine statthafte öffentlich-rechtliche Ablösungsvereinbarung nach
§ 133 Abs.3 Satz 5 BauGB hinsichtlich der künftigen Erschließungskosten mit der Folge vorliege,
dass darin lediglich eine Übernahme der den Erwerber ohnehin als Folge der Erschließung
treffenden und keine Gegenleistung für den Grundstückserwerb darstellenden Beitragsschuld
zu sehen wäre. Auch soweit wegen eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot eine
Nichtigkeit des die tatbestandsverwirklichende Übereignungsverpflichtung begründenden
Kaufvertrages nach § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB – in Betracht käme, ergäbe
sich eine Besteuerung nach § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG. Denn nach § 40 der Abgabenordnung
-AO- ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines
Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot verstößt.
Lassen die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis eines Grundstücksgeschäfts, das
gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, eintreten und bestehen, tritt die Besteuerung nach
haben die Beteiligten des Kaufvertrages sein wirtschaftliches Ergebnis eintreten lassen.
cc.)
Dass sich im Ergebnis eine unterschiedliche grunderwerbsteuerliche Behandlung für die Veräußerung
nach dem Vertragsgegenstand erschlossener Grundstücke durch eine Gemeinde
danach ergibt, ob die Gemeinde (hoheitlich) Erschließungsbeiträge erhebt (Übernahme der
Beitragspflicht durch den Käufer ist keine Gegenleistung für den Grundstückserwerb; offengelassen
in BFH, ebenda) oder sie die Kosten (aus zivilrechtlicher Eigentümerstellung) vertraglich
(über den Kaufpreis) abwälzt, ist durch die unterschiedliche rechtliche Gestaltung
gerechtfertigt (vgl. Loose in Boruttau, GrEStG, § 9, Rdnr.301; a.A. Pahlke, GrEStG, 6. Aufl.,
2018, § 8, Rdnr. 27).
Das Finanzamt hat insoweit den Betrag für die Erschließungskosten von … EUR zu Recht in
die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage mit einbezogen.
2.
Soweit der angewendete Steuersatz von 6 v.H. von dem in § 11 Abs.1 GrEStG genannten
abweicht, beruht dies auf dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Festsetzung des
Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer (GVBl Hessen 2014, 179) i.V.m. Art. 105 Abs.2a
Satz 2 des Grundgesetzes - GG -, wonach die Länder die Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes
für die Grunderwerbsteuer haben.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-.
4.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs.2 Nr.1
FGO zuzulassen.
Entscheidung, Urteil
Gericht:FG Hessen
Erscheinungsdatum:24.08.2020
Aktenzeichen:5 K 1373/19
Rechtsgebiete:
Grunderwerbsteuer
Öffentliches Baurecht
GrEStG §§ 1 Nr. 1, 9 Abs. 1 S. 1