VG Würzburg 22. Juli 2021
W 5 K 20.928
BauGB § 25

Vorkaufssatzung; räumliche Ausdehnung

letzte Aktualisierung: 18.1.2023
VG Würzburg, Urt. v. 22.7.2021 – W 5 K 20.928

BauGB § 25
Vorkaufssatzung; räumliche Ausdehnung

1. Der räumliche Geltungsbereich einer Vorkaufssatzung i. S. d. § 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB soll
grundsätzlich nicht über den Bereich hinausgehen, auf den sich die in Aussicht genommene
Maßnahme erstreckt. Das Vorkaufsrecht ist kein Mittel allgemeiner Bodenbevorratung, sondern
ermöglicht nur eine an städtebaulichen Interessen orientierte Bodenvorratspolitik.
2. Bei einem Vorkaufsrecht in städtebaulichen Maßnahmegebieten nach § 25 Abs. 1 S. 1
Nr. 2 BauGB ist das Wohl der Allgemeinheit jedenfalls zu bejahen, wenn das Grundstück für eine
Nutzung für öffentliche Zwecke schon konkret benötigt wird. Eine reine allgemeine
Bodenbevorratung oder privatwirtschaftliches Gewinnstreben rechtfertigen die Ausübung des
Vorkaufsrechts dagegen nicht.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis der Klägerin als Verkäuferin gegeben. Diese
ergibt sich bereits aus der Adressatentheorie.

2. Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Marktes R. vom 19. Juni 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2020 beruht auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB und §§ 2 und 3
der Satzung des Marktes R. über ein besonderes Vorkaufsrecht (i.V.m. dem Lageplan zu § 2 dieser Satzung
nach § 25 BauGB) vom 26. Februar 2020, die am 26. März 2020 in Kraft getreten ist.

Es bestehen schon rechtliche Bedenken, ob vorliegend der Beklagte aufgrund der Ermächtigungsgrundlage
des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB eine wirksame Vorkaufsrechtssatzung erlassen hat (s.u. 2.1.). Offen ist
auch, ob sämtliche Ausübungsvoraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB
vorliegen (s.u. 2.2.); jedenfalls erfolgte die Ausübung des Vorkaufsrechts ermessensfehlerhaft (s.u. 2.3.).

2.1. Fraglich ist, ob vorliegend von dem Beklagten aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 25 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BauGB eine wirksame Vorkaufsrechtssatzung erlassen wurde.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche
Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung
Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Das besondere
Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB besteht nicht kraft Gesetzes, sondern wird von der Gemeinde durch
(besondere) Satzung begründet. Die Vorkaufsrechtssatzung muss wirksam, d.h. formell ordnungsgemäß
zustande gekommen und materiell rechtmäßig sein. Fehlt es hieran, ist das besondere Vorkaufsrecht nicht
wirksam begründet (Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 14).

2.1.1. Formell-rechtliche Bedenken gegen die vom Markt R. am 26. Februar 2020 beschlossene und am 16.
März 2020 in Kraft getretene Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB bestehen nicht,
zumal solche von Klägerseite auch nicht gerügt wurden und insoweit lediglich auf die Inzidenzprüfung des
Verwaltungsgerichts hingewiesen wurde. Die Beschlussfassung erfolgte in öffentlicher Sitzung, eine
Genehmigungspflicht besteht nicht, die Bekanntmachung erfolgte gemäß den Anforderungen des § 25 Abs.
1 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 BauGB. Es bedarf insbesondere keiner Begründung, da § 9 Abs. 8 BauGB keine
Anwendung findet. Es genügt, wenn die Gemeinde über ausreichende Unterlagen verfügt, aus denen sich
der Erlass der Satzung rechtfertigt. Einer öffentlichen Auslegung bedarf es nicht (vgl. zu den Anforderungen
in formell-rechtlicher Hinsicht Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 16 ff.).

2.1.2. Allerdings hegt die Kammer rechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der Vorkaufssatzung in materiellrechtlicher
Hinsicht, und zwar wegen der räumlichen Ausdehnung ihres Geltungsbereichs. Dies ergibt sich
aus folgenden Erwägungen:

Die Gemeinde kann nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr
ein Vorkaufsrecht zusteht. Diese Option zum vorsorgenden Grunderwerb gilt ausweislich des Wortlauts der
Norm (aber nur) für Flächen in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht (sog.
Maßnahmegebiete). Gebiete sind räumliche Bereiche der Gemeinde, wobei aus der pluralen Formulierung
„Gebiete“ folgt, dass die Satzung regelmäßig nicht das gesamte Gemeindegebiet erfassen kann. Die
satzungsmäßige Bezeichnung von „Flächen“ innerhalb der Gebiete ist vielmehr beschränkt auf denjenigen
räumlichen Bereich der Gemeinde, innerhalb dessen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht
(Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 47). Bei der räumlichen Abgrenzung
hat sie sich von dem Sicherungszweck der Satzung leiten zu lassen. Der räumliche Geltungsbereich der
Vorkaufssatzung soll grundsätzlich nicht über den Bereich hinausgehen, auf den sich die in Aussicht
genommene Maßnahme erstreckt. Dabei ist der Gemeinde zuzugestehen, die Abgrenzung unter
Praktikabilitätsaspekten vorzunehmen. Allzu strenge Anforderungen sind hier nicht zu stellen. Im Ergebnis
kommt es darauf an, dass die Abgrenzung der Satzung im Lichte der zu sichernden Maßnahme als
vernünftig und sachgerecht angesehen werden kann (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger,
BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 20 unter Verweis auf BayVGH, U.v. 17.9.2018 - 15 N 17.698 - BeckRS
2018, 24546 Rn. 21; HessVGH, U.v. 26.1.2017 - 4 A 2586/16 - NVwZ-RR 2017, 704 Rn. 56: „Der Zweck des
§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB verlangt damit eine ausgewogene Relation zwischen der beabsichtigten
städtebaulichen Maßnahme und dem Umfang der Flächen, für die das Satzungsvorkaufsrecht vorgesehen
ist“). Eine Begrenzung in räumlicher Hinsicht folgt auch aus dem Tatbestandsmerkmal „zur Sicherung einer
geordneten städtebaulichen Entwicklung“: Das Vorkaufsrecht ist kein Mittel allgemeiner Bodenbevorratung,
sondern ermöglicht nur eine an städtebaulichen Interessen orientierte Bodenvorratspolitik (BayVGH, U.v.
17.9.2018 - 15 N 17.698 - BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 15.2.2000 - 4 B 10.00 - NVwZ 2000,
1044; B.v. 8.9.2009 - 4 BN 38.09 - BeckRS 2009, 39254 Rn. 4). Die Gemeinde darf sich des
Sicherungsmittels des § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB nur dann bedienen, wenn hierfür ein wirkliches
Bedürfnis besteht. Ein Erwerb der von der Vorkaufssatzung betroffenen Grundstücke muss nicht nur für die
Verwirklichung eines übergeordneten städtebaulichen Ziels, sondern konkret zur Verwirklichung der von dem
Beklagten beabsichtigten städtebaulichen Maßnahme etwas beitragen (BayVGH, U.v. 17.9.2018 - 15 N
17.698 - BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; NdsOVG, U.v. 9.6.2015 - 1 KN 69/14 - NVwZ-RR 2015, 870).
Insbesondere auch hinsichtlich ihres räumlichen Umgriffs muss die Vorkaufssatzung zur Erreichung des mit
ihr verfolgten Sicherungszwecks erforderlich sein. In eine auf § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB gestützte
Vorkaufssatzung dürfen mithin nur Flächen einbezogen werden, deren Erwerb der Verwirklichung der
beabsichtigten städtebaulichen Maßnahmen dienlich ist (BayVGH, U.v. 17.9.2018 - 15 N 17.698 - BeckRS
2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 24.2.2010 - 1 ZB 08.3231 - BeckRS 2010, 50198 Rn. 34; B.v. 15.2.2000 -
4 B 10.00 - NVwZ 2000, 1044; vgl. auch Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL
Mai 2021, § 25 Rn. 22). Der Geltungsbereich der Vorkaufsrechtssatzung muss sich daher grundsätzlich auf
den Bereich konzentrieren, auf den sich die in Aussicht genommene Maßnahme erstreckt (BayVGH, U.v.
17.9.2018 - 15 N 17.698 - BeckRS 2018, 24546 Rn. 21; BVerwG, B.v. 24.2.2010 - 1 ZB 08.3231 - BeckRS
2010, 50198 Rn. 34; OVG Rh.-Pf., B.v. 4.3.2003 - 8 A 10154/03 - BeckRS 2003, 18279 Rn. 4, 5).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe bestehen hier rechtliche Bedenken in Bezug auf den
räumlichen Geltungsbereich der vom Markt R. am 26. Februar 2020 beschlossenen und am 16. März 2020 in
Kraft getretenen Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht.

Hinreichend konkret von dem Beklagten in Betracht gezogene, durch eine Vorkaufssatzung sicherbare
städtebauliche Maßnahmen bestanden im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 26. Februar 2020 wohl
allenfalls hinsichtlich der räumlichen Teile des Geltungsbereichs der streitgegenständlichen Satzung, die
auch von der (später erlassenen) Satzung des Beklagten über die förmliche Festlegung eines
Sanierungsgebiets „Ortskern R.“ (Sanierungssatzung Ortskern R.) vom 9. April 2020, in Kraft getreten am 17.
April 2020, umfasst sind, nicht aber für die darüber hinausgehenden Teile. In diesem Zusammenhang muss
festgestellt werden, dass die Sanierungssatzung Ortskern R. sich bereits über mehr als die Hälfte des
Ortsgebietes von R. erstreckt und der Geltungsbereich der Vorkaufssatzung nochmals deutlich darüber
hinaus geht (vor allem im nordöstlichen Bereich) und ca. ¾ des bebauten Bereiches des Ortes umfasst.
Darüber hinaus erstreckt sich der Geltungsbereich der Vorkaufssatzung - anders als der der
Sanierungssatzung - nun auch auf große unbebaute Bereiche jenseits des westlichen Ortsrandes, zwischen
der Umgehungsstraße (Staatsstraße St 2449) und dem Main und damit auf Außenbereichsgrundstücke. Es
sind weder der Vorkaufssatzung selbst Anhaltspunkte dafür zu entnehmen oder sonst wie vorgetragen, dass
der Beklagte auf diesen - über den Geltungsbereich der Sanierungssatzung hinausgehenden - Flächen
irgendwelche städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht. Zu den von der Gemeinde ins Auge gefassten
städtebaulichen Maßnahmen, die zum Erlass einer Vorkaufsrechtssatzung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BauGB berechtigen, gehören ohne Weiteres die förmlichen Instrumente des Städtebaurechts, mithin neben
den Bauleitplänen der Erlass oder die Änderung einer Erhaltungssatzung, einer Sanierungssatzung,
Maßnahmen des Stadtumbaus, Entwicklungsmaßnahmen oder Maßnahmen der Sozialen Stadt (vgl.
Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 47). Dass derartige Maßnahmen hier
für die über den Geltungsbereich der Sanierungssatzung hinausgehenden Flächen der Vorkaufssatzung
vorgesehen sind, ist nicht ersichtlich. Aus welchen städtebaulichen Gründen diese Bereiche in die Satzung
aufgenommen wurden, konnte nicht geklärt werden. Auf Frage des Gerichts hat die Beklagtenseite insoweit
in der mündlichen Verhandlung lediglich erklärt, dass die Vorkaufsrechtssatzung deshalb erlassen worden
sei, weil sie einen größeren Geltungsbereich aufweise als die Sanierungssatzung.

Nach allem ist fraglich, ob die Vorkaufssatzung des Beklagten von der Ermächtigungsnorm des § 25 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BauGB gedeckt und damit wirksam ist. Letztlich muss diese Frage nicht abschließend
entschieden werden, da sich die Klage aus anderen Gründen als begründet erweist (s.u. 2.3.).
2.2. Die Kammer hat darüber hinaus rechtliche Bedenken am Vorliegen der Ausübungsvoraussetzungen des
§ 25 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB.

2.2.1. Zwar erfolgte die Ausübung des Vorkaufsrechts fristgerecht. Der Bescheid vom 19. Juni 2020 wurde
der Klägerin (Verkäuferin) zugestellt am 23. Juni 2020, mithin innerhalb der Frist des § 28 Abs. 2 Satz 1
BauGB von zwei Monaten nach Übermittlung des vollständigen Kaufvertrages durch den Notar am 24. April
2020.

2.2.2. Auch der gesetzlichen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 BauGB, wonach der Verwendungszweck des
Grundstücks anzugeben ist, soweit dies bereits zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts möglich ist,
wurde vorliegend Genüge getan. Im Falle eines Vorkaufsrechts nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB sind
keine hohen Anforderungen zu stellen, da die konkrete künftige Nutzung des Grundstücks angesichts des
frühen Planungsstandes in der Regel noch nicht bekannt und damit dann deren Angabe auch noch nicht
möglich ist (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 35;
Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, § 25 Rn. 76 f.). Diesem Erfordernis genügt der
streitgegenständliche Bescheid. Er hat den Verwendungszweck - die Schaffung von 24 Wohnungen für
ambulant betreute Senioren - dem Planungsstadium entsprechend hinreichend konkret angegeben.

2.2.3. Allerdings ist fraglich, ob vorliegend die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 und §
24 Abs. 3 Satz 1 BauGB durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Der Begriff des Wohls der Allgemeinheit ist ähnlich wie im Bereich des verfassungsrechtlichen
Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 2 und 3 GG) und den speziellen Enteignungsvorschriften (§ 87 Abs. 1
BauGB) nicht mit dem Begriff des öffentlichen Interesses gleichzusetzen. Erst ein qualifiziertes, sachlich
objektiv öffentliches Interesse als Ergebnis einer Abwägung der im Einzelfall miteinander in Widerstreit
stehenden privaten und öffentlichen Interessen kann mit dem Wohl der Allgemeinheit identifiziert werden
(vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 - 2 B 13.2570 - BeckRS 2014, 47685 Rn. 16; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg
/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 63). An die Ausübung des Vorkaufsrechts werden jedoch
gegenüber einer Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit diese erfordert, qualitativ
geringere Anforderungen gestellt. Es genügt, wenn der Erwerb des Grundstücks im Rahmen der
tatbestandlichen Voraussetzungen zu den vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen,
eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecken erfolgt und dabei überwiegende Vorteile für die
Allgemeinheit angestrebt werden (vgl. BayVGH, U.v. 6.2.2014 - 2 B 13.2570 - BeckRS 2014, 47685 Rn. 16;
U.v. 9.3.2000 - 2 B 96.467 - BeckRS 2000, 24709; BVerwG, B.v. 15.2.1990 - 4 B 245/89 - NJW 1990, 2703;
Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 64).

In den Fällen des Vorkaufsrechts in städtebaulichen Maßnahmegebieten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
BauGB ist das Wohl der Allgemeinheit jedenfalls zu bejahen, wenn das Grundstück für eine Nutzung für
öffentliche Zwecke schon konkret benötigt wird (vgl. VGH BW, U.v. 24.9.2019 - 5 S 1733/17 - juris Rn. 72;
Grziwotz in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, § 25 Rn. 14; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg
/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 3). Eine reine allgemeine Bodenbevorratung oder
privatwirtschaftliches Gewinnstreben rechtfertigen die Ausübung des Vorkaufsrechts dagegen nicht (vgl.
VGH BW, U.v. 24.9.2019 - 5 S 1733/17 - juris Rn. 72; U.v. 30.3.2009 - 8 S 31/08 - juris Rn. 61; Stock in
Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 25 Rn. 31). Auch müssen sich die mit
der Ausübung verfolgten Ziele im Rahmen der mit der Satzung verfolgten Ziele halten (vgl. OVG NW, U.v.
15.3.2016 - 10 A 1066/14 - juris Rn. 48).

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe ist fraglich, ob hier das Wohl der Allgemeinheit die
Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt. Im Einzelnen:

Die Ausübung des Vorkaufsrechts dient zwar - ausweislich der Begründung des streitgegenständlichen
Bescheids vom 19. Juni 2020 - dazu, auf den von der Satzung betroffenen Flächen die Durchführung
städtebaulicher Maßnahmen zu ermöglichen. Die Satzung diene - so ihre Begründung - zur Sicherung einer
geordneten städtebaulichen Entwicklung. Der Markt R. möchte im Geltungsbereich der Satzung u.a. eine
geordnete Nachverdichtung und präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Leerstand im Ortsbereich
sicherstellen, städtebaulichen Missstand beheben, den Ortskern sanieren, gestalten und die
Denkmalqualitäten erhalten, die Wohnqualität verbessern und die Daseinsvorsorge und Soziales erhalten
und weiterentwickeln. Hierzu gehöre nach § 1 Abs. 2 Ziff. 4 Spiegelstrich 3 der Vorkaufsrechtssatzung auch
ausdrücklich die Aufgabe, Angebote für Senioren zu schaffen. Auf dem Grundstück sollten insgesamt 24
Wohneinheiten für ambulant betreute Senioren (Wohnen, Betreuen, Pflege) geschaffen werden. Das
Kommunalunternehmen (des Landkreises Würzburg) fungiere in diesem Konzept als Scharnier der
Dienstleister zu den Bewohnern, wobei vorausgesetzt werde, dass die Gebäude im Eigentum der Gemeinde
stünden (vgl. S. 2 Abs. 3 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids). Der Beklagte verfolgt damit wohl im
Schwerpunkt einen vom Gesetzgeber gebilligten städtebaulichen Zweck, welcher die Ausübung des
Vorkaufsrechts rechtfertigt.

Allerdings lässt sich - worauf die Klägerseite zutreffender Weise hinweist - dem Abschlussbericht des
integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) des Marktes R. vom 27. April 2020 entnehmen,
dass auf dem Grundstück Fl.Nr. …7/4 - also dem streitgegenständlichen Grundstück - auf der der … Straße
zugewandten Seite eine Wohnbebauung („Neubau von Wohngebäuden“) vorgesehen ist (vgl. ISEK, S. 70).
Nur auf den südlich hieran angrenzenden Grundstücken - nicht aber auf dem streitgegenständlichen
Grundstück - ist im Rahmenplan eine Fläche für „Erhalt, Entwicklung von Einrichtungen der soz. Infrastruktur
und Daseinsvorsorge“ dargestellt. Ob allerdings der Klägerin beizupflichten ist, wenn sie vorträgt, dass von
dem Beklagten die Sanierungsziele dadurch bereits soweit konkretisiert worden seien, dass sich Aussagen
dazu treffen ließen, welche Nutzungsziele für die streitgegenständlichen Grundstücke bestünden oder nicht
bestünden, und dass sich die Ausübung des Vorkaufsrechts anhand der Vorkaufssatzung an den Zielen des
ISEK messen lassen müsste, erscheint offen. Zwar können auch informelle städtebauliche Planungen wie
die Ergebnisse eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts nicht nur ein bei der Bauleitplanung nach § 1
Abs. 6 Nr. 11 BauGB abwägungserheblicher Belang sein, sondern auch eine städtebauliche Maßnahme i.S.v.
§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai
2021, § 25 Rn. 17 m.w.N.; s.a. BayVGH, B.v. 24.2.2010 - 1 ZB 08.3231 - BeckRS 2010, 50198 Rn. 29).
Allerdings ist fraglich, ob hier der Beklagte mit dem im ISEK niedergelegten Rahmenplan eine
„parzellenscharfe“ Festlegung getroffen hat, wie die Klägerseite wohl meint, mit der Folge, dass
ausschließlich auf dem sich südlich an das streitgegenständliche Grundstück anschließenden Grundstück
eine Zuweisung für ein seniorengerechtes Wohnen getroffen werden sollte. Hiergegen spricht schon der
Charakter des ISEK als informelle Planung und die Aussage im Abschlussbericht des ISEK in der
Maßnahmenbeschreibung, wonach zu „prüfen“ sei, ob das Gelände des ehemaligen EDEKA-Marktes am
südlichen Ortsausgang für eine derartige Nutzung in Frage komme (vgl. ISEK, S. 80).

Letztlich kann dies auch offenbleiben, da sich die Klage aus anderen Gründen als begründet erweist (s.u.
2.3.).

2.3. Denn die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Beklagten ist ermessensfehlerhaft erfolgt. Der
streitgegenständliche Bescheid des Beklagten leidet an einem Ermessensdefizit, da der Beklagte
wesentliche Belange nicht in seine Ermessensentscheidung eingestellt hat und dieser Mangel auch nicht
durch das Nachschieben von Gründen geheilt worden ist. Im Einzelnen:

2.3.1. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts liegt im Ermessen der Gemeinde. Sie kann
bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ihr Recht ausüben, sie ist aber dazu nicht verpflichtet (Stock
in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 24 Rn. 66).

Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtwidrig ist, weil die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Ein Ermessensfehler liegt zunächst
dann vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall oder
-nichtgebrauch), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (sog.
Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre
Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden
Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) und schließlich wenn von dem durch die
Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein
Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27.
Aufl. 2021, § 114 Rn. 14 ff.). Insoweit unterwirft § 114 Satz 1 VwGO die behördliche Ermessensausübung
auch der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte.

Der nach Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich garantierte gerichtliche Rechtsschutz setzt dabei voraus,
dass die Behörde offenbart, von welchen Gesichtspunkten sie sich bei der Ausübung des Ermessens hat
leiten lassen. Diesem Zweck dient auch die Pflicht zur Begründung von Verwaltungsakten (vgl. Art. 39 Abs. 1
BayVwVfG; BayVGH, U.v. 13.10.2009 - 14 B 07.1760; BVerwG, U.v. 5.9.2006 - 1 C 20/05 - NVwZ 2007, 470;
Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 23). Ob die Ermessensausübung im Einzelfall
pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG
erforderlichen Begründung des Bescheids ermitteln (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 14 ff.).
Eine bezüglich der Ermessensausübung fehlende oder unzureichende Begründung indiziert einen
Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch, sofern sich nicht aus den Umständen anderes ergibt. Die von Art. 39
Abs. 1 BayVwVfG verlangten Ermessensbegründungen haben verfahrensrechtlichen Charakter, geben also
für die materielle Frage, ob Ermessen überhaupt oder missbräuchlich ausgeübt und seine Grenzen
eingehalten worden sind, nur Anhaltspunkte, denen andere Belege, z.B. aus Aktenvermerken, gleich stehen
(Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 39 Rn. 29 m.w.N.). Fehlt in einer gegebenen
Begründung ein wesentlicher Gesichtspunkt, so spricht dies für die Annahme, dass dieser Punkt auch
tatsächlich übersehen wurde (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 23). Das Fehlen einer
Ermessensbegründung ist ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall (Stelkens in
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 39 Rn. 29 m.w.N.).

2.3.2. Im vorliegenden Fall liegt zwar kein Ermessensausfall oder -nichtgebrauch vor, - also der Fall, dass die
Behörde verkennt, dass sie ein Ermessen hat -auch wenn die Ermessenserwägungen des Beklagten im
streitgegenständlichen Bescheid sehr kurz ausgefallen sind. Dass die Ausübung des Vorkaufsrechts eine
Ermessensentscheidung darstellt, kommt letztlich knapp, aber dennoch deutlich im streitgegenständlichen
Bescheid zum Ausdruck („Die Gemeinde hat auch das ihr zustehende Ermessen ausgeübt“, S. 3 des
Bescheids vom 19.6.2020).

Der streitgegenständliche Bescheid leidet jedoch an einem Ermessensdefizit, weil der Beklagte wesentliche
Belange der Klägerin (und der Käuferin) nicht in seine Entscheidung eingestellt hat. Im Einzelnen:
Die Behörde muss als Voraussetzung ihrer Entscheidung bzw. ihres Handelns alle dafür vom Zweck der
Ermächtigung her relevanten Tatsachen umfassend ermitteln und bei der Entscheidung alle Ergebnisse
dieser Ermittlungen und alle sonst einschlägigen wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigen. Übersieht sie
einen wesentlichen Gesichtspunkt, so sind ihre Ermessenserwägungen unvollständig und rechtswidrig. Nach
dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm muss die Behörde berücksichtigen die öffentlichen Belange, die
im Zweck des ermächtigenden Gesetzes liegen, sowie die betroffenen privaten Belange. Aus diesem
Umkreis muss die Behörde jedenfalls die wesentlichen Umstände berücksichtigen. Um ihr Ermessen
sachgerecht ausüben zu können, muss die Behörde den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht vollständig und
zutreffend ermittelt haben (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 24 f. m.w.N.).
Diesen rechtlichen Maßstäben wird die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht gerecht. Denn der
Markt R. hat sich im streitgegenständlichen Bescheid nicht mit den wesentlichen Belangen der Klägerin als
Verkäuferin und auch nicht mit den wesentlichen Belangen der Käuferin auseinandergesetzt bzw. diese sind
in die Abwägungsentscheidung überhaupt nicht eingeflossen. Es spricht nichts dafür, dass der Beklagte
insoweit überhaupt erkannt hat, dass das wesentliche Interesse der Klägerin am Abschluss des
Notarvertrags vom 6. April 2020, also der gewählten Vertragsgestaltung eines Kaufvertrags verbunden mit
einem Bauträgervertrag, darin besteht - wie jene in der mündlichen Verhandlung erläutert hat -,auf ihrem
bisherigen Grundstück in R. eine selbstgenutzte Wohnung zu beziehen. Die Klägerin hat hierzu -
unwidersprochen und für die Kammer nachvollziehbar - ausgeführt, dass das streitgegenständliche
Grundstück sich in langjährigem Familienbesitz befinde und das Grundstücksgeschäft in Abstimmung mit
ihrer 82-jährigen Mutter erfolgt sei. Tragender Grund für die gewählte Vertragsgestaltung eines Kaufvertrags
mit einem Bauträgervertrag sei die Möglichkeit gewesen, wieder nach R. zurück zu kehren und die größere
der beiden Wohnungen selbst zu bewohnen und eventuell die kleinere Wohnung durch die Mutter bewohnen
zu lassen. Dieser private Belang am Erwerb von zwei Wohnungen wurde auch bereits in der Klageschrift
vom 10. Oktober 2020 angesprochen, wenn dort gerügt wird, dass der Vorkaufsbescheid sich nicht mit den
Inhalten des notariellen Kaufvertrags, und hier dem Verkauf von zwei Wohneinheiten an die Klägerin
auseinandersetze, und weiter ausgeführt wird, dass diese „ersichtlich das bislang unbebaute Grundstück nur
verkaufen (wollte), damit die Käuferin als erfahrene Bauträgerin eine Wohnanlage errichtet, in der
anschließend Frau … … wiederum zwei Wohnungen übereignet werden“ (vgl. Klageschrift vom 10.10.2020,
S. 10). Der Klägerbevollmächtigte hat hierzu im Schriftsatz vom 16. Februar 2021 ausgeführt, dass die
Unterstellung des Beklagten, „die Drittkäuferin verfolge mit dem Vertrag nur Vermögensinteressen (…),
unzutreffend“ sei und es „den Organvertretern des Beklagten bekannt sein (sollte), dass die Drittkäuferin
persönliche und familiäre Bindungen an R.“ habe und es deshalb für sie „auch wesentliches Motiv (sei), hier
eine Wohnung zum Selbstbezug zu erwerben“ (S. 4 des Schriftsatzes). Dem ist die Klägerseite nicht
entgegengetreten und es besteht nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung für die Kammer kein
Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln.

Im Übrigen lassen sich dem zwischen der Klägerin und der Käuferin geschlossenen Notarvertrag vom 6.
April 2020, der dem Beklagten mit Schreiben des Notars … … … vom 22. April 2020 am 24. April 2020
vorgelegt wurde, diese wesentlichen Belange der Klägerin ohne Weiteres entnehmen. Die Klägerin hat
mithin in der vorliegenden Konstellation nicht nur ein maßgebliches Interesse am Erhalt des Kaufpreises. Sie
hat vielmehr - und dies macht die Besonderheit dieses Falles aus - ein gewichtiges Interesse daran, dass ihr
von ihrer Vertragspartnerin zwei genau bezeichnete Wohneinheiten in der zu schaffenden Wohnanlage auf
dem streitgegenständlichen Grundstück verschafft werden sollen, von denen sie eine auch künftig selbst
bewohnen will. Dies wird durch das Rücktrittsrecht in Ziffer 3 des Abschnitts C des Kaufvertrags deutlich
unterstrichen, wonach die Klägerin zum Rücktritt berechtigt ist, wenn die Käuferin ihrer Verpflichtung zur
Stellung des Bauantrags nicht fristgerecht nachgekommen sein sollte. Dieser für die Klägerin wesentliche
Belang am Erwerb der selbstgenutzten Wohnung wurde genauso wenig in die Entscheidung eingestellt wie
der Belang der Käuferin an der Durchführung des Projekts und den bereits getätigten Aufwendungen
hinsichtlich der Planung bis zur Einreichung eines Bauantrags.

Dem streitgegenständlichen Bescheid lässt sich in Bezug auf die durchgeführte Ermessensentscheidung
nicht das Geringste dafür entnehmen, dass dieser wesentliche Belang vom Beklagten gesehen wurde.
Belange der Verkäuferin werden überhaupt nicht erwähnt. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn
ausschließlich auf den Standard-Fall eines Grundstücksverkaufs abgestellt und pauschal ausgeführt wird,
dass „das private Interesse des Käufers, das Grundstück zu erwerben, (…) demgegenüber im Regelfall
zurücktreten“ muss. Es ist zwar richtig, dass im Regelfall das private Erwerbsinteresse des Käufers
zurücktreten muss, gleichwohl wird aber eine explizite Abwägung der Interessen von Käufer und Verkäufer
mit dem öffentlichen Interesse verlangt (vgl. Kronisch in Brügelmann, Baugesetzbuch, 118. EL April 2021, §
24 Rn. 195 m.w.N.). Wenn sich dann die Würdigung der privaten Interessen der Käuferin darin erschöpft,
dass „Gründe, die zugunsten der Käuferin gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts streiten und über das
allgemeine Interesse an der Aufrechterhaltung des ursprünglich geschlossenen Kaufvertrags hinausgehen,
(…) weder der Gemeinde bekannt, noch in sonstiger Weise ersichtlich oder vorgetragen“ (sind), dann liegt
dies schlicht daran, dass der Beklagte entgegen Art. 28 BayVwVfG seiner Pflicht zur Anhörung vor Erlass
des Verwaltungsakts nicht entsprochen hat und die dem Notarvertrag zu entnehmenden besonderen
Interessen der Käuferin wie auch der Verkäuferin von dem Beklagten nicht aufgenommen wurden.
Auch aus dem Beschlussbuchauszug zur Sitzung des Gemeinderats vom 16. Juni 2020 ergibt sich nicht der
geringste Anhaltspunkt, dass das maßgebliche Organ der Gemeinde in irgendeiner Weise Belange der
Klägerin und auch der Käuferin gesehen und diese in ihre Ermessensentscheidung eingestellt hätte. Auch
lässt sich der Behördenakte im Übrigen nichts dafür entnehmen, dass der Beklagte das Interesse der
Klägerin an einer selbstgenutzten Wohnung auf ihrem bisherigen Grundstück gesehen und in seine
Entscheidung einbezogen hätte.

Nach allem ist die Ermessensentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts unter Berücksichtigung
des § 114 Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ergangen.

2.3.3. Vorliegend kann auch nicht von einer nachträglichen Heilung der Ausübung des Vorkaufsrechts, die
wegen defizitärer Ermessenserwägungen fehlerhaft ist, durch zusätzliche Ermessenserwägungen im
Rahmen des gerichtlichen Verfahrens ausgegangen werden.

Zwar kann gemäß § 114 Satz 2 VwGO die Verwaltungsbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des
Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen. Diese Vorschrift regelt
lediglich die prozessuale Seite des Nachschiebens von Gründen und betrifft die Geltendmachung und
Berücksichtigung ergänzender Ermessenserwägungen im Prozess (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl.
2019, § 114 Rn. 86). Durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen im Anwendungsbereich des §
114 Satz 2 VwGO darf - wie das Bundesverwaltungsgericht mehrfach betont hat (vgl. U.v. 13.12.2011 - 1 C
14/10 - NVwZ 2012, 698 Rn. 18 m.w.N.) - der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt
werden. Daraus folgt, dass bei der Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen
Verfahren strenge Anforderungen an Form und Handhabung zu stellen sind. Die Behörde muss klar und
eindeutig zu erkennen geben, mit welcher „neuen“ Begründung die behördliche Entscheidung letztlich
aufrechterhalten bleibt, da nur dann der Betroffene wirksam seine Rechte verfolgen und die Gerichte die
Rechtmäßigkeit der Verfügung überprüfen können. Dafür genügt es nicht, dass die Behörde bei einer
nachträglichen Änderung der Sachlage im gerichtlichen Verfahren neue Ermessenserwägungen geltend
macht. Sie muss zugleich deutlich machen, welche ihrer ursprünglichen bzw. bereits früher
nachgeschobenen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten bleiben und welche durch die neuen Erwägungen
gegenstandslos werden. Auch muss sie im gerichtlichen Verfahren erkennbar trennen zwischen neuen
Begründungselementen, die den Inhalt ihrer Entscheidung betreffen, und Ausführungen, mit denen sie
lediglich als Prozesspartei ihre Entscheidung verteidigt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit
muss die Nachholung von Ermessenserwägungen grundsätzlich schriftlich erfolgen. Ergänzungen in der
mündlichen Verhandlung sollten vom Gericht als solche protokolliert werden. Da etwaige Zweifel und
Unklarheiten über Inhalt und Umfang nachträglicher Ergänzungen zu Lasten der Behörde gehen, erscheint
es sinnvoll, wenn sie bei nachträglichen Ergänzungen die nunmehr maßgebliche Begründung
zusammenhängend darstellt (BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14/10 - NVwZ 2012, 698 Rn. 18; vgl.
Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 114 Rn. 50).

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Maßstäbe kann hier nicht von einer Heilung durch ein
Nachschieben von Ermessenserwägungen gesprochen werden. Von dem Beklagten selbst wurden während
des gerichtlichen Verfahrens keinerlei zusätzliche Ermessensgründe vorgebracht. Durch die
Beklagtenbevollmächtigten wurde im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 4. Januar 2021 insoweit lediglich
erklärt, dass „es dem Beklagten unbenommen möglich (sei), nach der Vorschrift des § 114 S. 2 VwGO
weitere Ermessenserwägungen auch noch im Verwaltungsprozess nachzuschieben“. Insoweit wurde auf die
Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen verwiesen. Mithin verweist die Beklagtenseite aber lediglich auf
die Möglichkeit einer Heilung. Die bloße Berufung auf Heilungsvorschriften genügt aber nicht, um klar und
eindeutig zu erkennen zu geben, mit welcher Begründung die behördliche Entscheidung letztlich
aufrechterhalten bleiben soll (vgl. BayVGH, U.v. 22.1.2016 - 9 ZB 15.2027 - NVwZ-RR 2016, 491 Rn. 14).
Nachdem der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 20. Januar 2021 auf das Interesse der Klägerin an
den beiden Wohneinheiten hingewiesen hatte, haben die Beklagtenbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 8.
Februar 2021 (erneut) erklärt, dass ein Nachschieben von Ermessenserwägungen „gleichwohl noch möglich“
sei und „das Interesse der Käuferin (richtig: Verkäuferin) an dem Erhalt des Kaufpreises, bzw. dem Erhalt des
Wertes des Grundstücks“ berücksichtigt worden sei. Wenn dann weiter ausgeführt wird, dass „abgesehen
davon, dass der Bauträgervertrag nicht Gegenstand des Vorkaufsrechtes sein kann“, auch das Interesse der
Klägerin hieraus nicht das öffentliche Interesse überwiege und das „Interesse der Klägerin an diesen
Wohnungen, die wohl der Vermietung bzw. Vermögensanlage dienen sollen“, das öffentliche Interesse nicht
überwiege, wird zum einen deutlich, dass der Beklagte nach wie vor das Interesse der Klägerin an einer
selbstgenutzten Wohnung auf ihrem (früheren) Grundstück immer noch nicht gesehen hat, sondern nun von
einer reinen Vermögensanlage ausgeht. Zum anderen wird auch hier nicht klar und eindeutig zu erkennen
gegeben, mit welcher „neuen“ Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleibt und
ob es sich hier um Verteidigungsvorbringen oder ein neues Begründungselement handelt; von einer
zusammenhängenden Darstellung der nunmehr maßgeblichen Begründung kann erst recht nicht gesprochen
werden.

3. Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711
ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

VG Würzburg

Erscheinungsdatum:

22.07.2021

Aktenzeichen:

W 5 K 20.928

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BauGB § 25