OLG München 12. Juni 2023
34 Wx 120/23 e
BGB § 1854; EGBGB Art. 229

Prüfung der Erforderlichkeit einer familiengerichtlichen Genehmigung durch das Grundbuchamt; Anwendung der §§ 1848 ff. BGB auf vor dem 1.1.2023 entstandene Rechtsverhältnisse

letzte Aktualisierung: 15.1.2024
OLG München, Beschl. v. 12.6.2023 – 34 Wx 120/23 e

BGB § 1854; EGBGB Art. 229
Prüfung der Erforderlichkeit einer familiengerichtlichen Genehmigung durch das
Grundbuchamt; Anwendung der §§ 1848 ff. BGB auf vor dem 1.1.2023 entstandene
Rechtsverhältnisse

1. Das Grundbuchamt ist zu einer umfassenden eigenständigen Prüfung der Genehmigungsbedürftigkeit
der verfahrensgegenständlichen Vereinbarung berechtigt. Ein Negativzeugnis des
Familiengerichts ist dabei nicht bindend.
2. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung. Mit Blick auf die
§§ 1848 ff. BGB n. F. ist der einschlägigen Übergangsvorschrift des Art. 229 § 54 EGBGB keine
Regelung zu entnehmen, die die Fortgeltung des BGB in seiner alten Fassung auf vor dem 1.1.2023
entstandene Rechtsverhältnisse anordnen würde.

(Leitsätze der DNotI-Redaktion)

Gründe

I.
Die Beteiligten zu 2 bis 4 begehren ihre Eintragung im Grundbuch als Bruchteilseigentümer von Grundbesitz.
Im Grundbuch ist der Beteiligte zu 1 als Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundstücks
eingetragen. Mit notariellem Vertrag vom 24.11.2022 überließ er dieses unentgeltlich seinen Enkelinnen, den
Beteiligten zu 2 bis 4, zu Miteigentum. In derselben Urkunde beantragten die Beteiligten zu 2 bis 4 ihre
Eintragung im Grundbuch. Die minderjährigen Beteiligten zu 3 und 4 wurden von ihrer Mutter vertreten.
Trotz Nachreichung eines entsprechenden Negativzeugnisses des Familiengerichts erklärte das
Grundbuchamt mit Zwischenverfügung vom 12.12.2022 neben anderen Beanstandungen unter Ziffer 7,
hinsichtlich der Eigentumsübertragung an die minderjährigen Beteiligten zu 3 und 4 könne dem Antrag nur
bei Vorlage einer familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1822 Nr. 10 BGB entsprochen werden, da
Erwerb zu Bruchteilen haftungstechnisch die Übernahme von fremden Verbindlichkeiten beinhalte.
Mit Schreiben vom 8.5.2023 legte der Urkundsnotar Beschwerde gegen die Zwischenverfügung ein. § 1854
Nr. 4 BGB – vormals § 1822 Nr. 10 BGB – werde bei der Übertragung von Miteigentumsanteilen für nicht
anwendbar erklärt, da, anders als bei der Wohnungseigentümergemeinschaft, keine gesamtschuldnerische
Haftung für die von anderen Bruchteilsberechtigten zu tragenden Lasten bestehe, so MüKoBGB/Kroll-
Ludwigs § 1822 Rn. 66.

Das Grundbuchamt hat mit Beschluss vom 23.5.2023 der Beschwerde nicht abgeholfen. Im vorliegenden
Fall komme ausschließlich § 1822 Nr. 10 BGB a.F. zur Anwendung, da der Schenkungsvertrag bereits 2022
abgeschlossen worden sei und es mangels Übergangsvorschriften nicht auf den Antragseingang oder den
Bearbeitungszeitpunkt beim Grundbuchamt, sondern auf den Zeitpunkt des Abschlusses des
Rechtsgeschäfts und somit auf das Beurkundungsdatum ankomme. Der Erwerb von Bruchteilseigentum an
einem Grundstück beinhalte haftungstechnisch die Übernahme fremder Verbindlichkeiten, da auch die
gesamtschuldnerische Haftung als Nebenfolge unter § 1822 Nr. 10 BGB a.F. falle; nach § 1854 Nr. 4 BGB
n.F. wäre die Sachlage anders zu bewerten. Zur Begründung werde u.a. auf eine Entscheidung des
Kammergerichts vom 20.9.2022 verwiesen.

II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1. Beschwerdegegenstand ist lediglich Ziffer 7 der Zwischenverfügung. Denn die Begründung des
Rechtsmittels beschränkt sich auf Ausführungen zur dort behandelten Frage der Genehmigungsbedürftigkeit
nach § 1822 Nr. 10 BGB a.F.

2. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 71 Abs. 1 GBO statthaft. Als Rechtsmittelführer sind,
da vom im Rahmen der Ermächtigung nach § 15 Abs. 2 GBO tätigen Notar hierzu keine weiteren
Erklärungen abgegeben wurden, die an der Errichtung der Urkunde Beteiligten anzusehen; denn diese
haben entweder in der zum Vollzug eingereichten Urkunde Anträge gestellt oder hätten solche stellen
können (BayObLGZ 1953, 183/185; Demharter GBO 33. Aufl. 2023 § 15 Rn. 20; Hügel/Reetz GBO 4. Aufl.
2020 § 15 Rn. 63).

3. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, da das vom Grundbuchamt in Ziffer 7 der
Zwischenverfügung angenommene Eintragungshindernis nicht besteht.

Zwar geht das Grundbuchamt zutreffend davon aus, dass es zu einer umfassenden eigenständigen Prüfung
der Genehmigungsbedürftigkeit der verfahrensgegenständlichen Vereinbarung berechtigt und verpflichtet
(Senat FGPrax 2019, 256/257) und dabei nicht durch das Negativzeugnis des Familiengerichts gebunden ist
(Demharter § 19 Rn. 71). Schon dass der Erwerb von Bruchteilseigentum an einem Grundstück
haftungstechnisch die Übernahme fremder Verbindlichkeiten i.S. von § 1822 Nr. 10 BGB a.F. beinhalte,
erscheint allerdings zweifelhaft (vgl. MüKoBGB/Kroll-Ludwigs 8. Aufl. 2020 § 1822 Rn. 66). Letztlich kann
diese Frage jedoch offenbleiben. Denn das Beschwerdegericht hat seiner Prüfung die Sach- und Rechtslage
zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrundezulegen (Hügel/Kramer § 77 Rn. 33). Danach bedarf die
Überlassungsvereinbarung zu ihrer Wirksamkeit hier jedoch nicht der familiengerichtlichen Genehmigung.
Unabhängig davon, ob eine solche gemäß § 1643 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1822 Nr. 10 BGB a.F. erforderlich
gewesen wäre, wurde jedenfalls die letztgenannte Vorschrift zum 1.1.2023 durch § 1854 Nr. 4 BGB n.F.
ersetzt. Nach dieser Bestimmung unterfällt der Genehmigungspflicht nur noch ein Rechtsgeschäft, das auf
Übernahme einer fremden Verbindlichkeit gerichtet ist. Hiervon nicht erfasst ist folglich ein Rechtsgeschäft,
bei dem sich – wie das Grundbuchamt insofern zutreffend ausführt – eine Haftung für Verbindlichkeiten
lediglich als dessen gesetzliche Nebenfolge darstellt (BeckOK BGB/Kadelbach 66. Ed. 1.5.2023 § 1854 Rn.
7; Grüneberg/Götz BGB 82. Aufl. 2023 § 1854 Rn. 5); allenfalls dies kommt jedoch beim hier vorliegenden
bloßen Erwerb von Bruchteilseigentum an einem Grundstück in Betracht. Dass die
verfahrensgegenständliche Vereinbarung noch im Jahr 2022, mithin vor Ablösung des § 1822 Nr. 10 BGB
a.F. durch § 1854 Nr. 4 BGB n.F. geschlossen wurde, steht der Genehmigungsfreiheit nicht entgegen.
Während etwa Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB die Fortgeltung des BGB in seiner a.F. für vor dem 1.1.2002
entstandene Schuldverhältnisse anordnete, fehlt eine entsprechende Regelung in der vorliegend
einschlägigen Übergangsvorschrift des Art. 229 § 54 EGBGB. Bei Annahme einer
Genehmigungsbedürftigkeit unter der Geltung des § 1822 Nr. 10 BGB a.F. würde es sich auch keineswegs
um einen mit der Beurkundung im Jahr 2022 bereits abgeschlossenen Vorgang handeln, auf den aus diesem
Grunde das alte Recht anzuwenden wäre. Denn dann wäre die Vereinbarung gemäß § 1643 Abs. 2 i.V.m. §
1829 Abs. 1 BGB a.F. schwebend unwirksam gewesen und der Vorgang hätte erst mit der Erteilung oder
Verweigerung der Genehmigung seinen Abschluss gefunden, wozu es aber vor Eintritt der neuen Rechtslage
nicht mehr kam. Richtet sich die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit nunmehr also nach § 1643 Abs. 1
i.V.m. § 1854 Nr. 4 BGB n.F., so bedarf es der vom Grundbuchamt geforderten familiengerichtlichen
Genehmigung richtigerweise nicht.

4. Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war nicht veranlasst, weil die
diesbezügliche Haftung der Beteiligten aus § 22 Abs. 1 GNotKG aufgrund des Erfolgs des Rechtsmittels
gemäß § 25 Abs. 1 GNotKG erloschen ist. Deshalb bedurfte es auch keiner Festsetzung des
Geschäftswerts.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

12.06.2023

Aktenzeichen:

34 Wx 120/23 e

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Grundbuchrecht
Kostenrecht
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)

Normen in Titel:

BGB § 1854; EGBGB Art. 229