OLG Hamm 22. April 2022
15 W 76/22
GBO § 22; BGB § 1913

Verfahren auf Löschung des Nacherbenvermerks wegen Grundbuchunrichtigkeit

letzte Aktualisierung: 22.7.2022
OLG Hamm, Beschl. v. 22.4.2022 – 15 W 76/22

GBO § 22; BGB § 1913
Verfahren auf Löschung des Nacherbenvermerks wegen Grundbuchunrichtigkeit; Ermittlung der Nacherben

1. Die Ermittlung der am Verfahren auf Löschung des Nacherbenvermerks wegen
Grundbuchunrichtigkeit (§ 22 GBO) zu beteiligenden Nacherben darf das Grundbuchamt nicht
den Beteiligten aufgeben. Vielmehr hat das Grundbuchamt die am Verfahren materiell Beteiligten
von Amts wegen zu ermitteln.

2. Auch die Einrichtung einer Pflegschaft für unbekannte Beteiligte (§ 1913 BGB) ist von Amts
wegen bei dem zuständigen Gericht anzuregen. Erst wenn die Einrichtung einer solchen
Pflegschaft abgelehnt worden ist, kann den Beteiligten im Wege der Zwischenverfügung die
Möglichkeit gegeben werden, für eine solche Pflegerbestellung zu sorgen.

I.

Der Beteiligte, der aktueller Eigentümer des in Rede stehenden Grundbesitzes ist, hat mit
Antrag vom 19. Oktober 2021 die Löschung des in Abt. II unter der lfd. Nr. 6 eingetragenen
Nacherbenvermerks beantragt. Der Nacherbenvermerk hat folgenden Wortlaut:

Die „(…)“ J W in E ist befreite Vorerbin. Nacherben des F W sind beim Tode der Vorerbin
deren eheliche Abkömmlinge. Für den Fall, dass die Vorerbin kinderlos verstirbt, sind
Nacherben
a) I S in X,
b) H T in E.

Aufgrund des Testaments vom 4. Februar 1953, 7 IV 112/53 Amtsgericht Dormund
eingetragen am 26. Januar 1962.

Der Beteiligte hat seinen Löschungsantrag wie folgt begründet: Durch die Veräußerung im
Jahre 1963 durch die Mitvollerbin D W und die befreite (Mit-) Vorerbin J W an die Eheleute
G und K L sei der Grundbesitz endgültig aus dem der Nacherbschaft unterliegenden
Nachlass ausgeschieden. Die Veräußerung sei in vollem Umfang entgeltlich gewesen.
Mithin sei das Grundbuch hinsichtlich des Nacherbenvermerks unrichtig geworden (§ 22
GBO).

Das Grundbuchamt hat den Löschungsantrag zurückgewiesen, weil den Nacherben, also
insbesondere den ehelichen Abkömmlinge der befreiten Vorerbin J W , vor der Löschung
des Nacherbenvermerks rechtliches Gehör zu gewähren sei, diese aber nicht hätten
ermittelt werden können. Ferner sei kein Zustellungsvertreter oder Pfleger für die
unbekannten Nacherben bestellt worden.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit seiner Beschwerde vom 4. März 2022 unter
Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen.

II.

Die nach §§ 71 ff. GBO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt unter
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückverweisung des Verfahrens an das
Grundbuchamt.

Der ablehnende Beschluss kann jedenfalls mit der dort gegebenen Begründung keinen
Bestand haben. Da das FGG-RG die Eigenständigkeit der Vorschriften der §§ 71 ff. GBO
betreffend die Beschwerde in Grundbuchsachen nicht berührt hat, gelten die
Beschränkungen des § 69 Abs. 1 FamFG hier nicht (vgl. nur Senat, Beschluss vom
14.12.2010, 15 W 490/10, FGPrax 2011, 127; Budde, in: Bauer/Schaub, GBO, 4. Auflage,
§ 77 Rn.22). Im Einzelnen:

1.

Allerdings geht das Grundbuchamt im Ansatz zutreffend davon aus, dass der
Nacherbenvermerk u.a. dann gelöscht werden kann, falls die Unrichtigkeit des
Grundbuchs (§ 22 GBO) in der Form des § 29 GBO nachgewiesen ist. Das kann der Fall
sein, wenn das in Rede stehende Grundstück endgültig aus dem der Nacherbschaft
unterliegenden Nachlass ausgeschieden ist. Letzteres trifft zu, wenn die Verfügung des
Vorerben auch ohne Zustimmung der Nacherben voll wirksam war, weil der befreite
Vorerbe in vollem Umfang entgeltlich verfügt hat (vgl. dazu nur OLG Düsseldorf, Beschluss
vom 19.03.2012, 3 Wx 299/11, FamRZ 2012, 1762).

Weiterhin geht das Grundbuchamt zutreffend davon aus, dass vor der Löschung des
Nacherbenvermerks wegen Unrichtigkeit (§ 22 GBO) auch die hierdurch betroffenen
Nacherben zu hören sind (vgl. Senat, Beschluss vom 19.01.1995, 15 W 303/94, FGPrax
1995, 14; Senat, Rpfleger 1984, 312; OLG Düsseldorf a.a.O.). Die Ermittlung der am
Verfahren zu beteiligenden Nacherben darf das Grundbuchamt indessen nicht den
Beteiligten aufgeben. Vielmehr hat es von Amts wegen die am Verfahren materiell
Beteiligten zu ermitteln (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Dieser Verpflichtung ist das
Grundbuchamt aber bisher nicht - in vollem Umfang - nachgekommen.

Das Grundbuchamt hat zwar die alten Grundakten angefordert. Auch hat es - vergeblich -
versucht zu ermitteln, ob die befreite (Mit-) Vorerbin J W noch im Melderegister
eingetragen ist und dort ihre aktuelle Anschrift verzeichnet ist. Ferner hat das
Grundbuchamt - vergeblich - versucht aufzuklären, ob Nachlassvorgänge betreffend die
Vorerbin J W vorhanden sind; die Anfrage an das Nachlassgericht ist negativ beschieden
worden. Das Grundbuchamt hat zudem die Nachlassakten betreffend den Erblasser F W
angefordert.

Damit hat das Grundbuchamt aber noch nicht alle Aufklärungsmöglichkeiten ausgeschöpft.

Es hat ausweislich der Grundakten nicht den Eingang der angeforderten Nachlassakten
betreffend F W abgewartet; nach F W existiert jedenfalls nach dem Wortlaut des
Nacherbenvermerks die Nachlassakte (d. h. Testamentsakte) 7 IV 112/53 AG Dortmund.
Regelmäßig befinden sich in den Testamentsakten die Anschriften der gesetzlichen und
eingesetzten (Nach-) Erben. Hiernach ist nicht ausgeschlossen, dass sich nach
Einsichtnahme in die o.g. Nachlassakte weitere Ermittlungsansätze ergeben, aufgrund
derer letztlich die Nacherben und deren aktuelle Anschriften ermittelt werden können. Das
Grundbuchamt hat es auch unterlassen, beim zuständigen Standesamt die Personaldaten
der Frau J W (Geburtseintrag, ggf. vorhandener Eintrag ins Eheregister und dort ggf.
verzeichnete eheliche Kinder) zu ermitteln. Angesichts des Wohnorts der Frau J W dürften
Erkenntnisse beim Standesamt Dortmund vorhanden sein.

Denkbar ist zudem, dass sich durch Nachfragen bei den Erben der im Jahre 2008
verstorbenen Ersatznacherbin J S und bei dem Ersatznacherben H T oder dessen Erben
weitere Erkenntnisse/Ermittlungsansätze ergeben.

Sollten die Nacherben nicht ermittelt werden können, ist eine Pflegschaft für unbekannte
Beteiligte (§ 1913 BGB) bei dem zuständigen Gericht anzuregen, und zwar von Amts
wegen. Erst wenn das Gericht die Einrichtung einer solchen Pflegschaft abgelehnt hat,
kann dem Beteiligten im Wege der Zwischenverfügung die Möglichkeit gegeben werden,
selbst für eine solche Pflegerbestellung zu sorgen (vgl. dazu nur OLG Stuttgart, Beschluss
vom 25.03.2019, 8 W 142/18, zitiert nach Juris; aA.: OLG Frankfurt, Beschluss vom
13.09.2018, 20 W 197/18, FGPrax 2018, 279 – freilich zu dem Fall, dass sämtliche
Nacherben erst mit Eintritt des Nacherbfalls feststehen).

Die Ermittlung der am Grundbuchverfahren materiell Beteiligten hat, wie bereits gesagt,
von Amts wegen zu erfolgen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.). Diese von Amts wegen
vorzunehmenden Ermittlung wird das Grundbuchamt nunmehr nachzuholen haben.

Aufgrund des Erfolgs der Beschwerde ist eine Entscheidung zu den Kosten, zum
Geschäftswert und zur Zulassung der Rechtsbeschwerde entbehrlich.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Hamm

Erscheinungsdatum:

22.04.2022

Aktenzeichen:

15 W 76/22

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Grundbuchrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

GBO § 22; BGB § 1913