BGH 23. September 2014
II ZB 4/14
BGB §§ 29, 709 Abs. 1, 710

Bestellung eines Notgeschäftsführers für GbR nicht nötig

DNotI
Deutsches Notarinstitut
letzte Aktualisierung: 11.11.2014
BGH, 23.9.2014 - II ZB 4/14

BGB §§ 29, 709 Abs. 1, 710
Bestellung eines Notgeschäftsführers für GbR nicht nötig
Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich kein Notgeschäftsführer zu bestellen.

Gründe:

I.
Am 27. Dezember 1995 haben F. M. , dessen Ehefrau A.
M. sowie deren vier Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 4, zur Bewirtschaftung
dreier Hausgrundstücke in F. die M.
GbR gegründet. F. M. und seine
Ehefrau waren jeweils mit 2%, die Kinder jeweils mit 24% beteiligt. Der Gesellschaftsvertrag
lautet auszugsweise:
„§ 6 Geschäftsführung und Vertretung
1. Zur Geschäftsführung und Vertretung ist ausschließlich der Gesellschafter
F. M. berufen. Soweit dieser verhindert
sein sollte, wird dieser, sofern er nicht einen Dritten mit
schriftlicher Vollmacht zu seinem Vertreter bestimmt, was diesem
vorbehalten sein soll, von seiner Ehefrau, der Erschienenen zu 2. in
seiner Geschäftsführerstellung vertreten. Eine Vertretung durch andere
Familienangehörige, mit Ausnahme der Erschienenen zu 2., ist
nicht möglich. …
§ 9 Tod eines Gesellschafters
9.1. Durch den Tod eines Gesellschafters wird die Gesellschaft nicht
aufgelöst. Sie wird mit den oder dem Erben des verstorbenen Gesellschafters
fortgesetzt, soweit es sich um Verwandte gerader Linie
oder Adoptivkinder handelt und die verbleibenden Gesellschafter
nicht mit 3/4-Mehrheit beschließen, dass diese abzufinden sind. …“
F. M. hatte zu seinen Lebzeiten die laufenden Geschäfte der
GbR auf die Beteiligte zu 1 übertragen und diese u.a. bevollmächtigt, in seinem
Namen Mietverträge abzuschließen und aufzuheben sowie den Inhalt der Mietverträge
nach eigenem Ermessen zu gestalten; weiterhin hatte er sie mit einer
Konto- und Depotvollmacht ausgestattet, die insbesondere auch das auf den
Namen von F. M. eingerichtete Unterkonto 21 bei der D. Bank
umfasste, auf das die Mieter der verwalteten Hausgrundstücke seit Jahrzehnten
die Miete gezahlt hatten.
Am 2. September 2008 ist F. M. verstorben. In der Folge kam
es zu Unstimmigkeiten über die Frage, auf welches Konto die Mieter der Wohnungen
ihre Mieten zahlen sollen, wer verfügungsberechtigt über die aufgelaufenen
Mieten ist und wer zur Vertretung der Gesellschaft berufen ist, sowie zu
einer Vielzahl von Gerichtsprozessen zwischen den Beteiligten. Der Beteiligte
zu 4 erstritt ein rechtskräftiges Teilurteil des Landgerichts Frankfurt vom
30. Januar 2010, in dem die Beteiligten zu 1 bis 3 und A. M. verurteilt wurden,
einen Antrag auf Eröffnung eines Girokontos auf den Namen der GbR als
Kontoinhaberin bei gemeinschaftlicher Verfügungsberechtigung aller Gesellschafter
der GbR zu stellen, und die Mieter der Wohnungen der GbR anzuweisen,
die Mieten nur noch auf das neu zu eröffnende Girokonto zu leisten. Die
Gesellschafter konnten keine von allen getragene Einigung über diese Punkte
erzielen, so dass eine Vielzahl von Mietern dazu übergegangen ist, die Mieten
bei dem Amtsgericht zu hinterlegen oder an die Beteiligte zu 1 bar zu zahlen.
Mit Beschluss vom 8. Oktober 2012 wurde der Beteiligte zu 4 aus der
Gesellschaft ausgeschlossen. Über seine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit
dieses Beschlusses ist bisher nicht entschieden.
Am 28. August 2013 hat die Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht Frankfurt
am Main beantragt, der Gesellschaft einen Notgeschäftsführer analog § 29
BGB zu bestellen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Dagegen
haben die Beteiligte zu 1 und - wegen der fehlenden Anordnung einer Kostenerstattung
- die Beteiligten zu 2 bis 4 Beschwerde eingelegt. Während des Beschwerdeverfahrens
verstarb A. M. . Das Oberlandesgericht hat die Beschwerden
zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1 ihren Antrag auf Bestellung eines
Notgeschäftsführers weiter.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht (OLG Frankfurt, ZIP 2014, 875) hat ausgeführt,
eine analoge Anwendung von § 29 BGB auf Personengesellschaften sei, von
bestimmten Ausnahmen abgesehen, nicht möglich. Die Bestellung eines Dritten
zum organschaftlichen Vertreter der Personengesellschaft entspreche nicht deren
Leitbild, nach der die Vertretung nur einem Gesellschafter als geborenem
Gesellschaftsorgan zustehen könne. Jedenfalls für den hier vorliegenden Fall
einer begrenzten Familiengesellschaft bürgerlichen Rechts sei eine Abweichung
von diesem Grundsatz zu verneinen. Dem stehe auch § 6 Abs. 1 des
Gesellschaftsvertrags nicht entgegen, weil die dort ermöglichte Geschäftsführung
einer Person, die nicht Gesellschafter sei, keine organschaftliche Stellung
verschaffe und nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Regelung
nach dem Tod von F. und A. M. noch Fortbestand haben solle. Im
Übrigen sei nicht ersichtlich, dass den von der Beteiligten zu 1 befürchteten Gefahren
nicht weit überwiegend durch die von den Beteiligten zu 2 bis 4 vorgeschlagene
Einsetzung einer professionellen Hausverwaltung begegnet werden
könne.
2. Der Beschluss hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren
stand.
a) Die Erstbeschwerde war zulässig. Die Beteiligte zu 1 ist beschwerdebefugt.
Nach § 59 Abs. 1 und 2 FamFG steht die Beschwerde einem Antragsteller
zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beteiligte
zu 1 hat den Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers gestellt und
ist durch die Ablehnung in ihren Rechten verletzt.
Der Antrag auf Bestellung eines Notvorstands eines Vereins nach § 29
BGB kann von einem Vereinsmitglied als Beteiligtem gestellt werden. Ein Vereinsmitglied,
das einen solchen Antrag gestellt hat, ist gegen die Ablehnung der
Bestellung eines Notvorstands beschwerdeberechtigt, weil es in eigenen Rechten
beeinträchtigt wird (vgl. OLG Schleswig, FGPrax 2013, 127, 128). Das einzelne
Mitglied hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Handlungsfähigkeit
des Vereins und ist, sofern die Satzung nichts Abweichendes regelt, zur Mitwirkung
bei der Bestellung des Vorstands berufen.
Wenn wie hier eine entsprechende Anwendung der Notvorstandsbestellung
auf einen anderen Verband in Frage steht, gilt Entsprechendes. Die Beteiligte
zu 1 hat als Gesellschafterin ein Interesse an der Handlungsfähigkeit der
Gesellschaft und ist zur Mitwirkung an der Geschäftsführung bzw. an der Übertragung
der Geschäftsführung berufen, §§ 710, 709 Abs. 1 BGB.
b) Zu Recht hat das Oberlandesgericht die Bestellung eines Notgeschäftsführers
für die Gesellschaft entsprechend § 29 BGB abgelehnt. Für eine
Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist grundsätzlich kein Notgeschäftsführer zu
bestellen, jedenfalls wenn sie keine Publikumsgesellschaft ist (Erman/
Westermann, BGB, 14. Aufl., § 29 Rn. 4; Staudinger/Weick, BGB, Bearbeitung
2005, § 29 Rn. 5; MünchKommBGB/Reuter, 6. Aufl., § 29 Rn. 4; BeckOK
BGB/Schöpflin Stand: 01.02.2014, § 29 Rn. 2; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl.,
§ 29 Rn. 3; Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 29 Rn. 1; Otto in jurisPKBGB,
6. Aufl., § 29 Rn. 2; Andreas Bergmann in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 709
Rn. 10; vgl. zur KG BGH, Urteil vom 9. Dezember 1968 - II ZR 33/67, BGHZ 51,
198, 200). Für die entsprechende Anwendung der Regelung des § 29 BGB fehlen
die rechtlichen Voraussetzungen. Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz
eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachver-
halt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber
geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber
wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen
Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift,
zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.,
vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2010 - IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101
Rn. 32; Urteil vom 12. Januar 2010 - XI ZR 37/09, ZIP 2010, 319 Rn. 32 mwN).
aa) Es fehlt bereits eine planwidrige Regelungslücke. Der Notvorstand
überbrückt bei der juristischen Person eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit
beim Fehlen eines ordentlich bestellten Vorstands. Der Wegfall der Geschäftsführungsbefugnis
bei einem geschäftsführenden Gesellschafter oder
sein Wegfall machen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts dagegen auch beim
Fehlen von Vorkehrungen im Gesellschaftsvertrag nicht handlungsunfähig, weil
dafür Regelungen im Gesetz vorhanden oder von der Rechtsprechung entwickelt
worden sind.
Der Wegfall des (einzigen) geschäftsführungsberechtigten Gesellschafters
durch Tod führt zur Gesamtgeschäftsführungsbefugnis der verbliebenen
Gesellschafter (§ 709 Abs. 1 BGB). Bei Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis
oder Amtsniederlegung gilt Entsprechendes; ggf. bleibt es bei der Geschäftsführungsbefugnis
der übrigen geschäftsführungsbefugten Gesellschafter
(vgl. MünchKommBGB/Schäfer, 6. Aufl., § 712 Rn. 20 mwN). Dass sich die
verbleibenden Gesellschafter blockieren können, ist in der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis
als dem gesetzlichen Regelfall bei der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts angelegt und begründet daher keine Regelungslücke.
Soweit etwa im Hinblick auf den Ausschluss des geschäftsführungs- und
vertretungsbefugten Gesellschafters rechtliche Unsicherheiten bestehen, kann
die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis durch eine einstweilige Verfügung
vorläufig geregelt werden. Wenn ein dringender Handlungsbedarf wegen
einer Gefahr für die Gesellschaft oder ihr Vermögen besteht, die keinen Aufschub
bis zu einer Entscheidung der Gesellschafter duldet, bedarf es ebenfalls
keines Notgeschäftsführers. Jeder Gesellschafter hat entsprechend § 744
Abs. 2 BGB die Befugnis zu den Maßnahmen, die zur Erhaltung eines zum Gesellschaftsvermögen
gehörenden Gegenstandes oder der Gesellschaft selbst
notwendig sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1955 - IV ZR 185/54, BGHZ 17,
181, 183).
bb) Auch die von der Beteiligten zu 1 behauptete zeitweilige Geschäftsunfähigkeit
des Beteiligten zu 3 führt nicht zu einer ungeregelten Situation. Der
Gefahr der Mitwirkung eines Mitgesellschafters, die sich nachträglich als unwirksam
herausstellt, kann durch die Bestellung eines Betreuers für den geschäftsunfähigen
Gesellschafter und einen Einwilligungsvorbehalt (§ 1903
BGB) begegnet werden (vgl. Palandt/Götz, BGB, 73. Aufl., § 1903 Rn. 10
mwN). Wenn in gerichtlichen Verfahren wegen der Eilbedürftigkeit ein Zuwarten
mit Nachteilen verbunden wäre, kann vor der Betreuerbestellung ein Prozesspfleger
nach § 57 ZPO bestellt werden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

23.09.2014

Aktenzeichen:

II ZB 4/14

Rechtsgebiete:

Verein
Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)

Erschienen in:

ZNotP 2014, 395-397

Normen in Titel:

BGB §§ 29, 709 Abs. 1, 710