LG Frankfurt 17. Dezember 2020
2-13 S 108/20
WEG §§ 23 Abs. 4 S. 2, 48 Abs. 5

Anspruch auf Teilnahme an einer Eigentümerversammlung während der Corona-Pandemie

letzte Aktualisierung: 16.12.2021
LG Frankfurt, Urt. v. 17.12.2020 – 2-13 S 108/20

WEG §§ 23 Abs. 4 S. 2, 48 Abs. 5
Anspruch auf Teilnahme an einer Eigentümerversammlung während der Corona-Pandemie

1. Ein Anspruch der Eigentümer auf persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen besteht
auch während der Corona-Pandemie. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn der Verwalter in der
Einladung Vertretungsmöglichkeiten bewirbt und sich bei der Größe des angemieteten Saals an der
zu erwartenden Teilnehmerzahl orientiert.
2. Auch bei Beschlüssen, deren Vollzug nur schwer wieder rückgängig zu machen sind (hier
Fassadenanstrich), kommt dem Vollzugsinteresse grundsätzlich Vorrang vor dem
Aussetzungsinteresse zu. Allerdings sind mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz
die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen.

Gründe

I.
Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren begehrt die Klägerin die Aussetzung eines
im Hauptsacheverfahren angefochtenen Beschlusses, mit welchem ein Fassadenanstrich
beschlossen wurde und stützt sich darauf, dass die Farben, die bei dem Anstrich zum Einsatz
kommen sollen, gesundheitsschädlich seien, was sie durch eine Internetrecherche ermittelt
habe. Der Verwalter hat angekündigt, den Beschluss ab September 2020 umzusetzen.
Zu der Versammlung lud die Hausverwaltung die 11 Eigentümer mit folgendem Text ein:

„Aufgrund der Größe der Sitzungsräume muss die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei
dieser Versammlung beschränkt werden (10 Personen inkl. Verwalter). Erteilen Sie deshalb
möglichst dem Verwaltungsbeirat oder der Verwaltung die Vollmacht für die Teilnahme an
der Versammlung. […] Der Verwalter behält sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen,
sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung
am Versammlungstag dazu getroffen werden kann.“

Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben, da der Beschluss nichtig sei, denn aus der
Einladung ergebe sich, dass zwei Eigentümer nicht persönlich teilnehmen konnten, dies sei
auch in der Corona-Pandemie ein nicht hinnehmbarer Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte
der Eigentümer.

Hiergegen richtet sich die Berufung der beklagten Eigentümer.

II.
Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verfahren ist nach dem bisherigen Verfahrensrecht – gegen die übrigen Eigentümer
(Kammer NZM 2018, 290) – weiter zu führen (§ 48 Abs. 5 WEG), materiell ist der gefasste
Beschluss im Grundsatz nach dem bei Beschlussfassung geltenden Recht zu beurteilen (dazu
Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 223), wobei bezüglich der
sich hier stellenden Fragen eine Rechtsänderung ohnehin nicht eingetreten ist.
Der streitgegenständliche Beschluss ist zunächst nicht nichtig. Dabei kann dahinstehen, in
welchen Fällen des Eingriffs in Mitwirkungsrechte der Eigentümer eine Nichtigkeit eines Beschlusses
anzunehmen ist und wann lediglich von einer Anfechtbarkeit auszugehen ist (vgl.
dazu jüngst BGH NZM 2020, 563 Rn. 18 für den Fall der Nichtladung eines werdenden Wohnungseigentümers;
vertiefend Staudinger/Häublein § 23 WEG Rn. 252 ff.), denn die Einladung
ist nicht zu beanstanden.

Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass auch in Zeiten der Corona-
Pandemie ein Anspruch der Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen
besteht und es unzulässig ist, Versammlungen dahingehend zu beschränken,
dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer
Vollmachten zu erteilen haben oder gar von Vorneherein lediglich zu sog. Vertreterversammlungen
geladen wird, bei denen sich die Eigentümer nur (üblicherweise vom Verwalter)
vertreten lassen können. Denn die Eigentümer haben nicht nur das Recht, ihren Willen durch
das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen
auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von ihnen gewünschten Willensbildung zu
beeinflussen (Schmidt/Zschieschack, COVID-19, 2. Aufl., § 4 Rn. 25; AG Lemgo ZWE 2020,
480 mit Anm. Greiner). Demzufolge sieht der BGH in der Teilnahme an einer Versammlung
auch eines der elementaren Kernrechte der Eigentümer (BGH NZM 2020, 653 Rn. 18).
In dieses Recht ist ein Eingriff durch die Einladung hier jedoch nicht erfolgt. Anders als das
Amtsgericht meint, enthält die Einladung keine „Ausladung“ einzelner Eigentümer (anders bei
AG Lemgo ZWE 2020, 480, wo ausdrücklich darauf verwiesen wurde, nicht zu erscheinen), in
der hier maßgeblichen Einladung ist lediglich darauf verwiesen worden, dass ein Versammlungssaal
für 10 Personen angemietet wurde, zugleich ist auf die Erteilung von Vollmachten
hingewiesen worden. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Aufgabe des Verwal-
ters ist es, zu einer Versammlung einzuladen, dabei hat er über den Ort und die Zeit der Versammlung
nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Gerade in den Zeiten der Corona-
Pandemie, in welchen der Verwalter bei der Auswahl des Versammlungsortes die Abstandsgebote
und Hygiene-Vorschriften einzuhalten hat, ist es ein sachgerechtes Ermessenskriterium,
sich bei der Auswahl des Versammlungsortes an der zu erwartenden Teilnehmerzahl zu orientieren
und dabei Vertretungsmöglichkeiten aktiv zu bewerben (zu den Einzelheiten …,
COVID-19, 2. Aufl., § 4 Rn. 11, 47 ff.; ebenso Först NZM 2020, 493 (496); Greiner ZWE
2020, 480). Alleine darin liegt eine Beeinträchtigung des Teilnahmerechtes der Eigentümer
nicht. Bei der Auswahl in welcher Größe ein Versammlungsort angemietet wird, darf sich der
Verwalter natürlich von der zu erwartenden Teilnehmerzahl leiten lassen und muss (wie sonst
allerdings auch) nicht, jedenfalls wenn dies nicht zu erwarten ist, einen Saal anmieten, der in
jedem Falle sämtliche Eigentümer fasst (zutreffend Greiner ZWE 2020, 480; offengelassen
AG Dortmund ZMR 2020, 790).

Ein – wohl allerdings auch nur zur Anfechtbarkeit führender – Verstoß gegen die Teilnahmerechte
könnte bei dieser Vorgehensweise darin liegen, dass Teilnehmern der Zugang zum
Saal verweigert wird, wenn die Kapazität erschöpft ist. Dies wird vorliegend jedoch nicht geltend
gemacht. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts war die Klägerin
aus anderen Gründen nicht anwesend. Es war bei der streitgegenständlichen Einladung
mit einer derartigen Zurückweisung auch nicht zu rechnen. Der Verwalter hat sich lediglich
vorbehalten, die Versammlung nicht durchzuführen, wenn die Höchstzahl der für den angemieteten
Raum zulässigen Teilnehmerzahl überschritten ist. Auch diese Ankündigung ist nicht
zu beanstanden, denn wenn eine Versammlung nicht durchgeführt werden kann, kommt dem
Verwalter als Einladenden auch die Aufgabe zu, die Versammlung abzusagen (BGH NJW-RR
2011, 1519 Rn. 9; vgl. auch LG Meiningen NZM 2020, 992). Die aufgrund öffentlichrechtlicher
Beschränkungen fehlende Möglichkeit zur Versammlungsdurchführung ist dabei
ein Grund die Versammlung abzusagen, wobei sich in diesem Fall hierauf das Absageermessen
des Verwalters reduziert.

Demzufolge kommt es auf die Prüfung an, ob im vorliegenden Fall gemäß § 940 ZPO zur Abwendung
wesentlicher Nachteile eine Beschlussaussetzung nötig ist.

Ob dies der Fall ist, ist im Falle der wie hier begehrten Außervollzugsetzung von Beschlüssen
einer Eigentümerversammlung durch eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider
Seiten zu beurteilen. Ausgangspunkt ist dabei die Wertung des Gesetzgebers, dass auch fehlerhafte
Beschlüsse einer Eigentümerversammlung bis zu ihrer Ungültigkeitserklärung durch
ein Gericht grundsätzlich wirksam und vollziehbar sind, § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG. Die Anfechtungsklage
hat also gerade keine aufschiebende Wirkung (BayObLGZ 1972, 246). Daher ist
der Verwalter deshalb regelmäßig gehalten, auch angefochtene Beschlüsse zu vollziehen. Das
Gesetz misst dem Vollziehungsinteresse der Gemeinschaft somit grundsätzlich ein größeres
Gewicht bei als dem Aussetzungsinteresse der Miteigentümer, die den Beschluss anfechten.
Die Vollziehung des Beschlusses für die Zeit des schwebenden Anfechtungsverfahrens kann
angesichts dieser Wertung des Gesetzgebers nur dann per einstweiliger Verfügung ausgesetzt
werden, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass im konkreten Einzelfall ausnahmsweise
die Interessen der anfechtenden Miteigentümer überwiegen, etwa weil ihnen ein weiteres Zuwarten
wegen drohender irreversibler Schäden nicht mehr zugemutet werden kann oder weil
bei unstreitiger Sachlage und gefestigter Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit des Beschlusses
derart offenkundig ist, dass es hierfür nicht erst der umfassenden Prüfung durch ein
Hauptsacheverfahren bedarf (LG München ZWE 2008, 490). Bei der Abwägung sind insoweit
auch grundrechtliche Erwägungen anzustellen, so dass eine Aussetzung erforderlich ist, wenn
andererseits verfassungsrechtlich geschützte Rechte der Eigentümer (Art. 14 GG) beeinträchtigt
sind, etwa weil eine Rückgängigmachung nicht oder kaum möglich ist (grdl. Bär-
mann/Roth WEG § 46 Rn. 159; Bärmann/Pick/Dötsch WEG § 46 Rn. 154 ff. mwN).
Gemessen an diesen Maßstäben kommt dem Aussetzungsinteresse kein derart hohes Gewicht
zu. Zutreffend ist, dass der Fassadenanstrich nur mit erheblichem Aufwand rückabzuwickeln
ist. Dies trifft aber auf nahezu alle Erhaltungsmaßnahmen bzw. baulichen Maßnahmen
zu. Diese Frage war Gegenstand der Reformüberlegungen zum WEG, bereits die Bund-
Länder-Arbeitsgruppe hat insoweit keine Veranlassung für Änderungen gesehen (Bund-
Länder-Arbeitsgruppe ZWE 2019, 429 (457)). Demzufolge genügt alleine die Tatsache, dass
Gegenstand des Beschlusses eine Maßnahme ist, bei der in der Praxis eine Rückabwicklung
ausgeschlossen ist, nicht, um das Aussetzungsinteresse per se höher als das Vollzugsinteresse
zu gewichten. Allerdings mag insoweit unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen
Eigentumsschutzes, der auch dem Miteigentum als echtem Eigentum zukommt, die Erfolgsaussichten
in der Hauptsache besondere Bedeutung zukommen (noch strenger wohl Bärmann/
Roth WEG § 46 Rn. 159). Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage sind vorliegend allerdings
nicht in einem solchen Maße erkennbar, dass sie eine Aussetzung des Beschlusses
rechtfertigen.

Nach dem maßgeblichen Kenntnisstand der Eigentümerversammlung (dazu Kammer WuM
2020, 382) ist nichts dafür vorgetragen, dass die Eigentümer eine Entscheidung bezüglich
des Fassadenanstrichs getroffen haben, der nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.
Bei der Farbe handelt es sich, auch dies wird von der Klägerin nicht anders geltend gemacht,
um eine zugelassene Fassadenfarbe mit algenhemmender Wirkung. Dass diese nicht für Innenräume
geeignet ist, begründet eine Anfechtbarkeit nicht, denn um Innenräume geht es
nicht. Soweit die Klägerin aus dem Internet Hinweise auf eine Gesundheitsschädlichkeit und
Giftigkeit behauptet, genügt dies nicht. Solange die Farbe für die Anwendung zugelassen ist,
bewegt sich die Entscheidung der Eigentümer grundsätzlich im Rahmen ihres Ermessens. Etwas
anderes mag gelten, wenn aufgrund spezieller Gefahren durch die Örtlichkeit oder ggf.
auch der Bewohner eine Sondersituation vorliegt, dann muss dies aber den Eigentümern zum
maßgeblichen Zeitpunkt der Versammlung bekannt sein. Dazu ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.
Die Bedenken der Klägerin gegen die Farbe führen jedenfalls nicht dazu, dass bei
der im einstweiligen Verfügungsverfahren anzulegenden Abwägung es hinreichend wahrscheinlich
erscheint, dass der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Es ist
jedenfalls nicht Aufgabe des Gerichts im Verfahren der Beschlussanfechtungsklage nun – etwa
durch Sachverständigengutachten – den Einwendungen gegen die beschlossene Farbe
nachzugehen. Dies wäre, wenn dieser Aspekt – wie hier wohl nicht – bei der Entscheidungsfindung
zu berücksichtigen gewesen wäre, Aufgabe der Eigentümer vor der Beschlussfassung
im Rahmen der Ermittlung der erforderlichen Tatsachen gewesen.Nach alledem war auf die Berufung die angefochtene Entscheidung abzuändern, die einstweilige
Verfügung aufzuheben und der Antrag zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 6, 711, 713 ZPO.Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49a GKG und folgt der amtsgerichtlichen Festsetzung.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Frankfurt

Erscheinungsdatum:

17.12.2020

Aktenzeichen:

2-13 S 108/20

Rechtsgebiete:

WEG
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

WEG §§ 23 Abs. 4 S. 2, 48 Abs. 5