LG Dessau-Roßlau 22. Juli 2022
4 O 344/21
BGB §§ 286 Abs. 4, 2314 Abs. 1

Überschreiten der Frist zur Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses

letzte Aktualisierung: 6.11.2023
LG Dessau-Roßlau, Teilurt. v. 22.7.2022 – 4 O 344/21

BGB §§ 286 Abs. 4, 2314 Abs. 1
Überschreitung der Frist zur Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses

Ist ein Beklagter zu notarieller Auskunft verpflichtet und überschreitet der Notar die Frist zur
entsprechenden Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses von vier Monaten lediglich unter
Verweis auf den allgemeinen Geschäftsanfall ohne die Angabe von triftigen Gründen oder ohne den
Beklagten an ein anderes Notariat zu verweisen, so fällt die Verzögerung nicht im Sinne des § 286
Abs. 4 BGB in den Risikobereich des Beklagten.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Auskunftsstufe auch begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des
Nachlasses des am #.#.2020 verstorbenen P. Sch. durch Vorlage eines notariellen
Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 BGB.

1. Der Auskunftsanspruch gemäß § 2314 BGB dient der Vorbereitung des Zahlungsanspruches
und bezweckt die Offenlegung der Berechnungsfaktoren, damit der Pflichtteilsanspruch
beziffert werden kann. Der Auskunftsanspruch steht jedem Pflichtteilsberechtigten zu, der nicht
Erbe geworden ist und der sich so zur Durchsetzung seiner Rechte notwendige Kenntnisse über
den Bestand und den Wert des Nachlasses verschaffen muss. Der Auskunftsanspruch ist auf die
Weitergabe von Wissen gerichtet, das der Verpflichtete hat oder sich verschaffen muss. Die
Klägerin ist Adoptivtochter des Erblassers. Der Erblasser hat den Beklagten mit letztwilliger
Verfügung, datiert auf den #.#.2014, als Alleinerben benannt. Mithin hat die Klägerin lediglich
einen Anspruch auf Zahlung eines Pflichtteils. Gemäß § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein
Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge
ausgeschlossen wurde, von den Erben den Pflichtteil verlangen. Abkömmlinge des Erblassers
sind gemäß § 1924 Abs. 1.Satz 1 BGB gesetzliche Erben des Erblassers. Auch eine Adoption -
wie im vorliegenden Falle – begründet eine gesetzliche Erbenstellung erster Ordnung. § 2314
BGB gewährt den Auskunftsanspruch in verschiedenen Stufen. Ein notarielles Verzeichnis kann
der Berechtigte auch nach Erstellung eines privatschriftlichen Verzeichnisses noch verlangen. Er
muss sich mit der Erstellung des privatschriftlichen Verzeichnisses nicht begnügen.

2. Der der Klägerin zustehende notarielle Auskunftsanspruch ist bislang von dem Beklagten
nicht im Sinne des § 362 Abs.1 BGB erfüllt worden.

Eine Bewirkung der geschuldeten Leistung durch den Beklagten kann nicht festgestellt werden.
a) Die Klägerin hat den Beklagten erstmalig mit Schriftsatz vom 02.12.2020 zur Vorlage eines
notariellen Verzeichnisses unter Fristsetzung bis zum 30.12.2020 aufgefordert. Im Rahmen des
Schriftsatzes vom 15.07.2022 hat der Beklagte den Entwurf eines notariellen
Nachlassverzeichnisses vom 12.07.2022 vorgelegt. Wegen des Entwurfscharakters kommt eine
Erfüllung der Auskunftspflicht im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Somit ist
festzustellen, dass die Vorlage einer abschließenden notariellen Auskunft derzeit nicht vorliegt.
In der Praxis wird davon ausgegangen, dass auch bei komplexen Nachlässen für jeden Erben
und unabhängig von dessen Vertrautheit mit den erblasserseitigen Vermögensverhältnissen für
die privatschriftliche Vorlage des Nachlassbestandes eine Höchstfrist von einem Monat
anzunehmen ist. Bei notariellen Verzeichnissen gilt in der Regel eine Frist von höchstens vier
Monaten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.02.2020, Az. 7 W 92/19). Allerdings ist zu
bedenken, dass ein Schuldner dann nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines
Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat, § 286 Abs.4 BGB. Er ist für die
Verzögerung der Leistung dann verantwortlich, wenn sie auf Gründen beruht, die in seinen
Risikobereich fallen. Im vorliegenden Falle fällt die verzögerte Erstellung des notariellen
Nachlassverzeichnisses nicht in den Risikobereich des Beklagten. Die Rechtfertigung für den
Anspruch auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses ist die Überlegung, dass das durch einen
Notar erstellte Verzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten die Gewährung höherer Richtigkeit
begründet, weil der Notar um vollständige und wahrheitsgemäße Angaben bemüht sein wird
und sein Verzeichnis Klarheit und Übersichtlichkeit erwarten lässt (Grüneberg, BGB, § 2314
Rn. 6 unter Hinweis auf BGH NJW 61, 602). Basierend auf dieser durch besondere Seriosität,
Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit gekennzeichneten Position des Notars durfte sich der
Beklagte darauf verlassen, dass der Notar die in der Praxis mit maximal vier Monaten
angenommene Höchstfrist für die Fertigstellung des Verzeichnisses einhalten oder für den Fall,
dass dies aus geschäftlichen Gründen nicht möglich sein würde, den Beklagten an ein anderes
Notariat weiter verweisen würde. Im Ergebnis kann daher die ausweislich der vorliegenden
Korrespondenz im Geschäftsbereich des Notariats begründete, verzögerte Fertigstellung des
Verzeichnisses nicht dem Risikobereich des Beklagten zugeordnet werden.

b) Dennoch hätte für den Beklagten die Möglichkeit bestanden, den Anspruch der Klägerin
durch Abgabe eines prozessualen Anerkenntnisses gemäß § 93 ZPO und einer darin liegenden
Bestätigung des Auskunftsanspruches der Klägerin im Sinne der Feststellung einer bestehenden
Verpflichtung gemäß § 781 BGB Genüge zu tun und somit das ihm Mögliche zur Erfüllung des
Anspruches der Klägerin beizutragen. Dass eine Auskunftspflicht des Beklagten durch Vorlage
eines notariellen Verzeichnisses dem Grunde nach gemäß § 2314 BGB besteht, ist zwischen den
Parteien nicht streitig.

Der Fälligkeit des Auskunftsverlangens der Klägerin kann der Beklagte auch nicht einen eigenen
Auskunftsanspruch hinsichtlich möglicher Schenkungen vor dem Tod des Erblassers im Sinne
eines Leistungsverweigerungsrechtes entgegensetzen. Ein Auskunftsanspruch des Beklagten
gemäß § 2314 BGB ist bereits deshalb nicht gegeben, weil dieser explizit auf den Nichterben
zugeschnitten ist, sodass auch eine Rechtsanalogie nicht in Betracht kommt. (Vergleiche OLG
München, Urteil vom 21.03.2013, 14 U 3585/12). Für den Erben kommt ein
Auskunftsanspruch wegen unentgeltlicher Zuwendungen an den Pflichtteilberechtigten allenfalls
auf der Grundlage des § 242 BGB in Betracht. Ein derartiger Anspruch setzt nach allgemeiner
Ansicht voraus, dass es eine zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung gibt, sodass der
Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umstand seines Rechtes im
Unklaren ist und der Verpflichtete die erforderliche Auskunft unschwer geben kann
(Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 260 Rn. 4). Demnach ist der Beklagte grundsätzlich
berechtigt, zur Klärung pflichtteilsrelevanter Zuwendungen an die Klägerin von dieser Auskunft
zu verlangen. Ungeachtet des Umstandes, ob die Klägerin zwischenzeitlich diese ihr obliegende
Auskunftspflicht abschließend –zu unterscheiden von: inhaltlich richtig - erteilt hat, ist davon
auszugehen, dass eine entsprechende Auskunft erst bei Geltendmachung des Pflichtteils, nicht
aber bereits bei Geltendmachung des Auskunftsanspruches geschuldet ist. Selbst eine fehlende
Auskunft würde kein Zurückbehaltungsrecht des Erben begründen (Grüneberg, BGB 81.A.,
§ 2314 Rn. 5) .

Demnach ist der Beklagte unabhängig von Umfang und Richtigkeit bereits von der Klägerin
erteilter Auskünfte betreffend pflichtteilsrelevanter Schenkungen zur Vorlage eines notariellen
Nachlassverzeichnisses verpflichtet. Da der Beklagte ein entsprechend vorbehaltloses
Anerkenntnis betreffend den von der Klägerin geltend gemachten Auskunftsanspruch nicht
erklären wollte, war er im Rahmen der Auskunftsstufe entsprechend zu verurteilen.

II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

LG Dessau-Roßlau

Erscheinungsdatum:

22.07.2022

Aktenzeichen:

4 O 344/21

Rechtsgebiete:

Bürgschaft u.a. Personalsicherheiten
Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

BGB §§ 286 Abs. 4, 2314 Abs. 1