Zur Auslegung eines notariellen Testaments bzgl. Anwachsung oder Ersatzerbschaft
letzte Aktualisierung: 24.8.2021
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.1.2021 – 3 Wx 132/20
BGB §§ 133, 242, 2069, 2094 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3
Zur Auslegung eines notariellen Testaments bzgl. Anwachsung oder Ersatzerbschaft
Setzt die unverheiratete, kinderlose Erblasserin in einem notariellen Testament (1997) ihre Nichte
und ihren Neffen (Kinder ihrer Halbschwester) zu gleichen Teilen als Miterben ein (§ 1), trifft
Grabpflegeanordnungen (§ 2) und erklärt, weiter habe sie nichts zu bestimmen (§ 3), so ergibt die
Auslegung mangels Anwendbarkeit der Zweifelsregel des § 2069 BGB sowie entsprechender
Anhaltspunkte nicht, dass die Erblasserin ihren Neffen „als Ersten seines Stammes“ und demnach
bei seinem „Ausfall“ dessen Kinder als Ersatzerben berufen wollte, sondern eine erstrebte
Alleinerbenstellung der Nichte infolge Anwachsung (
Gründe
I.
Die Erblasserin war unverheiratet und ohne Abkömmlinge. Sie hatte eine ältere
Halbschwester, die zwei Kinder hatte: die Beteiligte zu 1. sowie einen 2011 verstorbenen
Sohn Erwin, die Beteiligte zu 2. ist eine von dessen zwei Töchtern.
Am 1. Juli 1997 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament. In ihm setzte sie zu §
1 ihre Nichte: die Beteiligte zu 1. und ihren Neffen Erwin zu gleichen Teilen als Miterben
ein; nachdem in § 2 einzig Grabpflegeanordnungen getroffen worden waren, hieß es unter
§ 3, weiter habe die Erblasserin nichts zu bestimmen.
Die Beteiligte zu 1. betrachtet sich nach dem Vorversterben des Neffen Erwin als
Alleinerbin nach der Erblasserin und hat einen unter dem 31. Juli 2019 beurkundeten
dahingehenden Erbscheinsantrag gestellt, die Beteiligte zu 2. meint, für den Neffen seien
nunmehr dessen Abkömmlinge zu Miterben berufen, und tritt dem Antrag entgegen.
Durch die angefochtene Entscheidung hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag der
Beteiligten zu 1. für gerechtfertigt erachtet. Gegen diesen Beschluss wendet sich die
Beteiligte zu 2. mit ihrem am 25. Juni 2020 bei Gericht eingegangen Rechtmittel.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte und der
Testamentsakte 16 IV 346/97 AG Wesel Bezug genommen.
II.
Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 2. ist infolge der mit weiterem Beschluss des
Nachlassgerichts vom 9. Juli 2020 erklärten Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung
angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. FamFG. Es ist als befristete Beschwerde statthaft
und insgesamt zulässig, §§ 58 Abs. 1 i.V.m. 352e Abs. 1 Satz 2, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63
Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG. In der Sache erweist es sich jedoch
auch unter Berücksichtigung des Rechtsmittelvorbringens als unbegründet; zu Recht
möchte das Nachlassgericht dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. entsprechen, weil
sie Alleinerbin nach der Erblasserin geworden ist.
Die Ausgangspunkte sind zwischen den Beteiligten als solche nicht umstritten: Dem
besagten Antrag wäre – nur – dann der Erfolg zu versagen, wenn die Beteiligte zu 2. und
deren Schwester als Großnichten nach dem Vorversterben ihres Vaters, des Neffen der
Erblasserin, statt seiner zu Miterbinnen berufen wären, also die Erblasserin die
Anwachsung nach § 2094 Abs. 3 BGB ausgeschlossen hätte. Da hierbei die Zweifelsregel
des § 2069 BGB weder unmittelbar noch entsprechend eingreift, weil es sich bei den im
Testament bedachten Erben nicht um Abkömmlinge der Erblasserin handelte, kommt es
darauf an, ob sich nach allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ein Wille der
Erblasserin zum „Nachrücken“ der Kinder des Neffen feststellen lässt. Das wiederum hängt
nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen davon ab, ob der Neffe von der
Erblasserin um seiner Person willen oder als Erster seines Stammes berufen wurde; falls
sich letzteres ergäbe, erwüchse aus dem sogenannten Andeutungserfordernis keine
zusätzliche Auslegungshürde, denn in diesem Fall könnte man in der Benennung des
Erben selbst die notwendige Andeutung sehen. Indes kann sich, ungeachtet der von der
Beteiligten zu 2. unterbreiteten Ermittlungsangebote, auch der Senat nicht davon
überzeugen, die Erblasserin habe ihren Neffen Erwin als Ersten seines Stammes berufen
wollen.
Dagegen spricht bereits, dass, hätte die Erblasserin einen Stamm berufen wollen, dies
derjenige ihrer Halbschwester gewesen wäre; denn dieser war sie, dem eigenen
Vorbringen der Beteiligten zu 2. zufolge, wegen ihr (der Erblasserin) gewährter finanzieller
Hilfen zu Dank verpflichtet, wohingegen zu ihren übrigen Geschwistern kein Kontakt
bestand. Gerade bei einer Vorstellung der Testierenden von einer Berufung dem Stamme
nach wäre eine Benennung der Schwester auch problemlos möglich gewesen: Mochte
wegen des Unterschieds im Lebensalter auch der Fall wahrscheinlich sein, dass die
„Erstberufene“ vorverstürbe, träte dann eben das ein, was von der Testierenden
beabsichtigt gewesen wäre, nämlich ein Nachrücken ihrer Abkömmlinge, zunächst der
ersten Generation, der Nichte und Neffe angehörten, sodann der folgenden Generation,
darunter die Beteiligte zu 2. und ihre Schwester. Mit anderen Worten deutet die Wahl von
Nichte und Neffe als benannten Miterben einerseits an der Stelle der Benennung der
Halbschwester der Erblasserin, andererseits als einzigen Abkömmlingen im Stamme der
Halbschwester, bei Lichte betrachtet, gerade dagegen, Nichte und Neffe seien ihrerseits
als erste ihres eigenen (!) Stammes berufen worden, und für eine Individualberufung, mag
sie auch auf den Wunsch der Schwester erfolgt sein. Zumindest bezüglich der Beteiligten
zu 1. wird diese Sicht dadurch bestätigt, dass die Erblasserin ihr nach den insoweit
unwidersprochen gebliebenen Darlegungen der Beteiligten zu 1. 2001 eine Bankvollmacht
erteilte. Es kann auch nicht etwa die Rede davon sein, die Erblasserin habe bei diesem
Verständnis eine der beiden berufenen Personen gegenüber der anderen bevorzugt;
dieser Gedanke ist nur nachvollziehbar, wenn man die unzutreffende Auffassung verträte,
in einer Anwachsung liege eine Benachteiligung des weggefallenen Miterben. Ob man
anders zu entscheiden hätte, wenn die Erblasserin zur Beteiligten zu 2. und deren
Schwester eine von persönlicher Nähe getragene Vertrauensbeziehung gehabt hätte, kann
auf sich beruhen; denn hierfür geben die eigenen Schilderungen jener Beteiligten nichts
her, die lediglich – zunehmend seltenere – Kontakte innerhalb einer Fernbeziehung durch
mehrtägige Besuche beschreiben.
Mit alledem steht § 3 des Testaments in Übereinstimmung. Aus ihm ergibt sich, dass die
Erblasserin bei einem „Ausfall“ eines Miterben die Anwachsung beim anderen nach § 2094
Abs. 1 Satz 1 BGB entweder wünschte oder dieser Rechtsfolge mit Gleichgültigkeit
gegenüberstand, jedenfalls keinen Ersatzerben berufen wollte. Aus der schriftlichen
Bekundung des seinerzeit beurkundenden Notars folgt überdies zumindest, dass die
allgemeine Annahme, bei einem notariellen Testament werde der Testator vom Notar über
die Rechtsfolgen der von ihm formulierten Bestimmungen ebenso belehrt werden wie über
etwa verbleibende Regelungslücken, auch im vorliegenden Fall gerechtfertigt ist. Im
Ergebnis läuft der Standpunkt der Beteiligten zu 2. faktisch darauf hinaus, dass der Notar,
nachdem er die Erblasserin gefragt hatte, was denn sein solle, wenn einer der beiden
(berufenen Erben) vor ihr sterbe, und die Erblasserin antwortete, dann sollten dessen
Kinder „an der Reihe“ sein, erklärt hätte, dann müsse man nichts weiter in das Testament
schreiben, denn das ergebe sich bereits deutlich aus dem bisher Verfügten; dieser
Geschehensablauf erscheint kaum vorstellbar.
Bei einer solchen, in sich stimmigen urkundlichen Entfaltung eines Erblasserwillens bedarf
es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, schon der
Darlegung qualifizierter mündlicher Äußerungen eines Erblassers, um gleichwohl eine
anderweitige Auslegung des Urkundeninhalts noch in Betracht zu ziehen. Insbesondere ist
der nur mündlich bekundete angeblich abweichende Erblasserwille präzise zu beschreiben
und sind konkrete Umstände namhaft zu machen, aufgrund deren der Erblasser sich
gehalten sehen musste, sich subjektiv wahrheitsgemäß zu äußern – und nicht etwa, wie
nach der Erfahrung des Senats in Erbschaftsangelegenheiten zahlreich vorkommend, „um
Ruhe zu haben“, „um sich Ärger zu ersparen“, aus Gleichgültigkeit oder gar zur gezielten
Täuschung gegenüber Dritten Unzutreffendes mitzuteilen (so macht etwa die Beteiligte zu
2. selbst geltend, die Beteiligte zu 1. habe sie durch mündliche Erklärungen gezielt
hintergangen). Daran fehlt es hier hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten zu 2.
eindeutig: Wovon „alle Beteiligten in der Familie“ ausgingen, ist ebenso belanglos wie die
Rechtslage im österreichischen Erbrecht, erst recht, was die Halbschwester der
Erblasserin als Großmutter ihrer Enkelin, der Beteiligten zu 2., gesagt haben mag. Ein
Gespräch, in dem die Erblasserin von ihrer Halbschwester eine Finanzierung zu erlangen
hoffte, erfüllt die vorstehend dargestellten Voraussetzungen jedenfalls nicht. Bei dieser
Lage bedarf es einer Einvernahme der als Zeugen Benannten nicht.
Der Tod des bedachten Neffen und das Unterbleiben einer Testamentsänderung durch die
Erblasserin in der Folgezeit sind als Indiz hier – wie regelmäßig – gleichfalls nicht
tragfähig, weil sie für sich genommen sowohl den Rückschluss erlauben, die Erblasserin
habe die Großnichten bedacht sehen wollen und alles für in diesem Sinne geregelt
gehalten, als auch denjenigen, sie habe geglaubt, nun falle alles an die andere Miterbin,
als auch denjenigen, ihr sei gleichgültig gewesen, wie sich der Erbgang in seiner einen
Hälfte nun entwickele. Eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten kann erst
getroffen werden, wenn sich die ursprüngliche Willensrichtung der Erblasserin anderweitig
feststellen lässt, und dann ist das besagte Indiz praktisch überflüssig.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf
Nach dieser Vorschrift soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg gebliebenen
Rechtsmittels demjenigen Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen
Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1
FamFG liegen nicht vor, da die entscheidungstragenden Erwägungen des Senats, von
anerkannten Grundsätzen ausgehend, allein auf den gegebenen Einzelfall bezogen sind.
Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1, 40 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 GNotKG in Verbindung mit der ständigen Rechtsprechung des
Senats, nach der es auf das im Rechtsmittelbegehren zum Ausdruck kommende
wirtschaftliche Interesse des Beschwerdeführers ankommt. Dieses geht vorliegend dahin,
die Beteiligte zu 1. statt zu 100 % nur zu 50 % am Nachlass beteiligt zu sehen, mithin auf
die Hälfte des Nachlassreinwertes, den der Senat mit der Gebührenstufe von 80.000 bis
95.000 € bemessen hat.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Düsseldorf
Erscheinungsdatum:12.01.2021
Aktenzeichen:3 Wx 132/20
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Allgemeines Schuldrecht
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
BGB §§ 133, 242, 2069, 2094 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 3