OLG Schleswig 07. Juni 2022
2 Wx 31/22
GBO § 135; ZPO § 724

Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan: Selbständige Prüfung von vollstreckungsrechtlichen und grundbuchrechtlichen Voraussetzungen

letzte Aktualisierung: 3.8.2022
OLG Schleswig, Beschl. v. 7.6.2022 – 2 Wx 31/22

GBO § 135; ZPO § 724
Grundbuchamt als Vollstreckungsorgan: Selbständige Prüfung von
vollstreckungsrechtlichen und grundbuchrechtlichen Voraussetzungen

1. Wird das Grundbuchamt bei der Eintragung als Vollstreckungsorgan tätig, hat es sowohl die
vollstreckungsrechtlichen als auch die grundbuchrechtlichen Voraussetzungen selbständig zu prüfen.
2. Das Vorliegen der allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung)
bestimmt sich nach der ZPO und ist durch Vorlage der Vollstreckungsunterlagen nachzuweisen.
Gemäß § 724 ZPO wird die Zwangsvollstreckung aufgrund einer mit Vollstreckungsklausel
versehenen Ausfertigung des Urteils (vollstreckbare Ausfertigung) durchgeführt. Die vollstreckbare
Ausfertigung eines Urteils ist stets Papierurkunde.
3. Auf Grundlage einer elektronisch durch den Notar beglaubigten Abschrift einer vollstreckbaren
Ausfertigung ist eine Zwangsvollstreckung nicht möglich. Daran ändert auch die Bestimmung des
§ 135 GBO zum elektronischen Rechtsverkehr nichts. Sie gilt nur für die grundbuchrechtlichen
Voraussetzungen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin hat mit beglaubigtem Antrag vom 29. November 2021 – UR-Nr. … des
Notars E. in Y - die Löschung der im Grundbuch von Y Blatt a... in Abt. III Nr. … und im
Grundbuch von Y Blatt b... in Abt. III Nr. … für P. eingetragenen Grundschulden in Höhe
von 850.000 € und 150.000 € beantragt. Der beglaubigende Notar hat dazu auf
elektronischem Wege eine von ihm elektronisch beglaubigte Abschrift einer vollstreckbaren
Ausfertigung eines Versäumnisbeschlusses des Amtsgerichts X vom 12. April 2021
eingereicht, durch den der Grundschuldgläubiger verpflichtet worden ist, der Antragstellerin
die Löschungsbewilligungen für die vorbezeichneten Grundschulden „in öffentlich
beglaubigter Form (§ 29 GBO) zu überlassen“. Ferner hat er die Grundschuldbriefe im
Original nachgesendet.

Nach vorausgegangener Zwischenverfügung vom 15. Dezember 2021 hat das
Grundbuchamt den Antrag durch Beschluss vom 18. März 2022, auf den Bezug genommen
wird, zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie macht geltend, ihr
geschiedener Ehemann P. habe vor einer Scheidungsfolgenauseinandersetzung im
Alleingang seine damaligen Miteigentumsanteile an den betroffenen Grundstücken mit den
gegenständlichen Grundschulden belastet. Da ihm durch den eingescannten Beschluss die
Überlassung der Löschungsbewilligungen in öffentlich beglaubigter Form aufgegeben
worden sei, greife die gesetzliche Fiktion des § 894 ZPO. Die Auslegung des Titels ergebe,
dass er zur Erteilung der Löschungsbewilligung, also zur Abgabe einer Willenserklärung
verurteilt worden sei. Alle Notare seien gehalten, Urkunden als elektronische Dokumente
einzureichen.

Das Grundbuchamt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24. Mai 2022 nicht abgeholfen.

II.
Die gemäß § 71 Abs. 1 GBO zulässige Beschwerde ist aus den zutreffenden Gründen des
angefochtenen Beschlusses unbegründet.

1. Mit Recht ist das Grundbuchamt davon ausgegangen, dass der vorgelegte
Versäumnisbeschluss des Amtsgerichts X vom 12. April 2021 nicht die Vorlage der
Löschungsbewilligungen des Gläubigers in öffentlich beglaubigter Form zu den betroffenen
Rechten ersetzt.

Wie das Grundbuchamt zutreffend ausgeführt hat, kommt hier eine Vollstreckung gemäß
§ 894 ZPO nicht in Betracht. Ist der Schuldner zur Abgabe einer Willenserklärung
verurteilt, so gilt danach die Erklärung als abgegeben, sobald das Urteil Rechtskraft erlangt
hat.

Der Grundschuldgläubiger´ ist in dem Versäumnisbeschluss nicht verpflichtet worden, die
Löschung der vorbezeichneten Grundschulden „zu bewilligen“, was die Verpflichtung zur
Abgabe einer Willenserklärung wäre. Er ist vielmehr verpflichtet worden, der Antragstellerin
„die Löschungsbewilligungen in öffentlich beglaubigter Form (§ 29 GBO) zu überlassen“,
mit anderen Worten zur Hergabe der Löschungsbewilligungen in einer bestimmten Form
verurteilt worden. Das ist die Verpflichtung zur Vornahme einer nicht vertretbaren
Handlung, die nur nach § 888 ZPO vollstreckt werden kann.

Zwar ist auch der Tenor in einem Vollstreckungstitel der Auslegung fähig, die bei unklaren
Formulierungen gegebenenfalls unter Zuhilfenahme des Tatbestandes und der
Entscheidungsgründe erfolgen kann. Außerhalb des Titel liegende Umstände können wegen
der Formalisierung des Zwangsvollstreckungsverfahrens dagegen nicht berücksichtigt
werden. Insbesondere ist es für das Vollstreckungsverfahren unerheblich, welche sachlichrechtlichen
Ansprüche dem Gläubiger zustehen. Es ist nicht Aufgabe des
Vollstreckungsorgans im Vollstreckungsverfahren das materielle Recht zur Grundlage seiner
Maßnahmen zu machen und einem Gläubiger ohne entsprechenden Schuldtitel einen
Zugriff in Vermögen Dritter zu gestatten (BGH WM 2010, 358,359). Allerdings kann das
Prozessgericht, das als zuständiges Vollstreckungsorgan über eine
Zwangsvollstreckungsmaßnahme aus einem Titel entscheidet, den es selbst erlassen hat,
sein Wissen aus dem Erkenntnisverfahren bei der Auslegung des Titels mit heranziehen und
damit auch Umstände berücksichtigen, die außerhalb des Titels liegen (vgl. BGH, Beschluss
vom 23. Oktober 2003 a.a.O.). Eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die Fälle, in denen
das Vollstreckungsorgan einen nicht von ihm selbst erlassenen Titel vollstreckt, kommt
nicht in Betracht (BGH, a. a. O.).

Danach kommt hier eine Vollstreckung nach § 894 ZPO nicht in Betracht. Nach dem
Wortlaut ist der Schuldner, wie bereits ausgeführt, nicht zur Abgabe einer Willenserklärung,
sondern zur „Überlassung“ der Löschungsbewilligung „in öffentlich beglaubigter Form“
verurteilt worden. Eine Auslegung gegen den Wortlaut ist anhand des Titels nicht möglich,
weil es sich um eine Versäumnisentscheidung handelt, die ohne Tatbestand und
Entscheidungsgründe ergangen ist.

2. Die Beschwerde hätte aber auch auf der Grundlage der Auslegung des Notars keinen
Erfolg, weil weder die allgemeinen noch die besonderen
Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen für die Fiktion einer Willenserklärung gemäß § 894
ZPO nachgewiesen sind.

a) Wird das Grundbuchamt bei der Eintragung als Vollstreckungsorgan tätig, hat es sowohl
die vollstreckungsrechtlichen als auch die grundbuchrechtlichen Voraussetzungen
selbständig zu prüfen (BGH NJW 2001, 3627; ständige Senatsrechtsprechung, z. B.
Senatsbeschlüsse vom 13.12.2021 – 2 Wx 62/21 -; 19.07.2021 – 2 Wx 41/21 -;
Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl., Rn. 2168).

Das Vorliegen der allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel,
Zustellung) bestimmt sich nach der ZPO und ist durch Vorlage der
Vollstreckungsunterlagen nachzuweisen (Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., vor
§ 704 Rn. 24; Schöner/Stöber, a. a. O., Rn. 2165, 2169 ff.; Keller, Handbuch
Zwangsvollstreckungsrecht, 1. Aufl., Rn. 168). Gemäß § 724 ZPO wird die
Zwangsvollstreckung aufgrund einer mit Vollstreckungsklausel versehenen Ausfertigung des
Urteils (vollstreckbare Ausfertigung) durchgeführt. Die vollstreckbare Ausfertigung eines
Urteils ist stets Papierurkunde (§ 317 Abs. 2 ZPO; BGH DNotZ 2017, 463, 466; BGH
NJOZ 2008, 4803 f.; Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl., § 725 Rn. 2; Wolfsteiner, MüKo, ZPO,
6. Aufl., § 725 Rn. 2; Stadler in Musielak/Voit, a. a. O., § 130b Rn. 2).

Der Notar hat lediglich eine von ihm elektronisch beglaubigte Abschrift einer
vollstreckbaren Ausfertigung vorgelegt. Aufgrund einer Abschrift des Vollstreckungstitels
ist eine Zwangsvollstreckung nicht möglich.

Daran ändert auch die Bestimmung des § 135 GBO zum elektronischen Rechtsverkehr
nichts. Sie gilt nur für die grundbuchrechtlichen Voraussetzungen.

Darauf, dass die vollstreckbare Ausfertigung des Titels im Original nachzuweisen sind, hatte
das Grundbuchamt bereits mit Zwischenverfügung vom 15. Dezember 2021 hingewiesen
und hierauf auch im angefochtenen Beschluss abgestellt, ohne dass der Notar die
Ausfertigung im Beschwerdeverfahren vorgelegt hat.

b) Die Fiktion einer Willenserklärung nach § 894 ZPO tritt erst mit Rechtskraft des Urteils
ein. Wie das Grundbuchamt zutreffend ausgeführt hat, weist der vorgelegte
Vollstreckungstitel keinen Rechtskraftvermerk aus. Dass seit der Zustellung des Beschlusses
am 15. April 2021 bis zur Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung zwei Wochen
vergangen sind, ist nicht geeignet zu belegen, dass gegen den Beschluss kein Einspruch
eingelegt worden ist. Der Nachweis der Rechtskraft eines anfechtbaren
Versäumnisbeschlusses kann nur durch ein Rechtskraftzeugnis nach § 706 ZPO erfolgen.

3. Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 53 GNotKG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Schleswig

Erscheinungsdatum:

07.06.2022

Aktenzeichen:

2 Wx 31/22

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Normen in Titel:

GBO § 135; ZPO § 724