Erforderlichkeit der Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts
letzte Aktualisierung: 15.2.2024
OVG Niedersachsen, Beschl. v. 25.10.2023 – 4 LA 142/22
BGB §§ 1098 Abs. 2, 883 Abs. 2;
Erforderlichkeit der Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts
1. Die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts im Sinne des
vor, wenn der Erwerb des Grundstücks durch die öffentliche Hand vorteilhafte Auswirkungen auf
die in § 1 Abs. 1 BNatSchG bezeichneten und in den Folgeabsätzen konkretisierten Ziele des
Schutzes der biologischen Vielfalt, der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder
der Vielfalt, Eigenart oder Schönheit von Natur und Landschaft einschließlich ihres
Erholungswertes hat.
2. Die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts setzt nicht voraus, dass hiermit die
naturschutzfachlichen Ziele optimal und umfassend verwirklicht werden können. Die Ausübung des
Vorkaufsrechts ist vielmehr schon dann aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege
erforderlich, wenn die Ziele des Naturschutzes durch die öffentliche Hand besser oder zuverlässiger
als durch Privatpersonen verwirklicht werden können.
3. Eigentumsübertragungen auf einen Dritten nach Entstehung des gesetzlichen naturschutzrechtlichen
Vorkaufsrechts sind gemäß § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB insoweit unwirksam, als sie den
Anspruch des Vorkaufsberechtigten vereiteln oder beeinträchtigen würden.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen
Erfolg.
Der von dem Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der
Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem erstinstanzlichen Urteil die Klage des Klägers gegen den
Bescheid des Beklagten vom 11. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
6. August 2019 abgewiesen. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte sein Vorkaufsrecht
zugunsten des Landes Niedersachsen für das Flurstück 75/1 der Flur 5 der Gemarkung
Westervesede ausgeübt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass
der Bescheid des Beklagten rechtmäßig sei. Für das Flurstück bestehe ein Vorkaufsrecht des
Beklagten, da es in dem Naturschutzgebiet „Veerseniederung“ liege. Der Beklagte habe sein
Vorkaufsrecht fristgerecht ausgeübt und die Ausübung des Vorkaufsrechts sei aus Gründen des
Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der Erholungsvorsorge erforderlich im
Sinne des
Vorkaufsrechts neben den Interessen des Naturschutzes auch die berechtigten Belange des
vorkaufsverpflichteten Eigentümers sowie des Erwerbers auch ohne Rechtsfehler berücksichtigt.
Der Einwand des Klägers, der Beigeladene zu 1. könne dem Beklagten kein Eigentum an dem
streitgegenständlichen Flurstück verschaffen, weil der Kläger als Eigentümer in das Grundbuch
eingetragen sei, verfange nicht.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen nicht. Die
Begründung des Verwaltungsgerichts für die von ihm getroffene Entscheidung ist zutreffend.
Der Senat macht sich insoweit die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung
(Urteilsabdruck, S. 9 ff.) zu eigen.
Das Zulassungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Entscheidung. Entgegen dem
Zulassungsvorbringen des Klägers bestehen insbesondere keine Zweifel an dem Vorliegen der
Voraussetzungen nach
darf, wenn dies aus Gründen des Naturschutzes und der Landschaftspflege einschließlich der
Erholungsvorsorge erforderlich ist.
Die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts im Sinne des
liegt - anders als bei einer Enteignung, die nur zulässig ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie
erfordert und der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise nicht erreichbar ist - bereits
dann vor, wenn der Erwerb des Grundstücks durch die öffentliche Hand vorteilhafte
Auswirkungen auf die in § 1 Abs. 1 BNatSchG bezeichneten und in den Folgeabsätzen
konkretisierten Ziele des Schutzes der biologischen Vielfalt, der Leistungs- und
Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes oder der Vielfalt, Eigenart oder Schönheit von Natur
und Landschaft einschließlich ihres Erholungswertes hat (vgl. VGH München, Urt. v. 1.10.2019
- 14 BV 17.419 -, juris Rn. 35; VG Karlsruhe, Urt. v. 11.7.2023 - 6 K 1258/21 -, juris Rn. 51;
VG Lüneburg, Urt. v. 10.5.2012 - 2 A 340/11 -, juris Rn. 28; VG Hamburg, Urt. v. 26.10.2018 -
7 K 8334/16 -, juris Rn. 61; Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Juni 2023,
§ 66 BNatSchG, Rn. 20; Fischer-Hüftle in Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 3. Aufl.,
§ 66 Rn. 39). Bei den unter Schutz gestellten Flächen im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 2
BNatSchG werden die verfolgten Schutzziele zudem durch die Schutzzweckbestimmung in der
jeweiligen Schutzerklärung konkretisiert (Gellermann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht,
Stand: Juni 2023, § 66 BNatSchG, Rn. 19; Sauthoff in Schlacke, BNatSchG, 2. Aufl., § 66
Rn. 22). Die Erforderlichkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts setzt nicht voraus, dass hiermit
die naturschutzfachlichen Ziele optimal und umfassend verwirklicht werden können. Die
Ausübung des Vorkaufsrechts ist vielmehr schon dann aus Gründen des Naturschutzes und der
Landschaftspflege erforderlich, wenn die Ziele des Naturschutzes durch die öffentliche Hand
besser oder zuverlässiger als durch Privatpersonen verwirklicht werden können (vgl.
Senatsbeschl. v. 14.1.2013 - 4 LA 173/12 -, juris Rn. 10; ferner Blum in
Blum/Agena/Brüggeskemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: April 2023, § 40
Rn. 71; Fischer-Hüftle in Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 3. Aufl., § 66 Rn. 36; Reiff in
Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl, § 66 Rn. 41).
Gemessen hieran ist - wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt - die Ausübung des
Vorkaufsrechts durch den Beklagten für das streitgegenständliche Grundstück erforderlich.
Dieses Grundstück liegt im Geltungsbereich der Verordnung über das Naturschutzgebiet
„Veerseniederung“ in der Gemeinde A-Stadt und der Samtgemeinde Bothel im Landkreis
Rotenburg (Wümme) vom 10. Juli 2014. Nach § 2 Abs. 3 der Verordnung bezweckt die
Erklärung zum Naturschutzgebiet insbesondere u.a. die Umwandlung von Acker in Grünland
oder Wald (Nr. 6) und die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Waldkomplexe der
Niederungen und Geestbereiche mit Erlen-Eschenwäldern und Erlenbruchwäldern sowie
bodensauren Eichenmischwäldern mit einem hohen Alt- und Totholzanteil (Nr. 7). Die
Ausübung des Vorkaufsrechts für das streitgegenständliche Grundstück ist erfolgt, um die
derzeitige Nutzung als Acker aufzuheben und auf der Fläche Wald mit standortheimischen
Laubgehölzen zu schaffen; zudem ist eine Anhebung des Grundwasserstandes beabsichtigt und
die Fläche soll als Puffer zu benachbarten Flächen, die intensiv als Acker genutzt werden,
dienen; mit der Umwandlung dieser Fläche werden die bereits vorhandenen Landesflächen
arrondiert mit der Folge, dass die Steuerung des Wasserhaushalts und die Entwicklung der
Niederungsfläche ermöglicht wird (vgl. die in den Urteilsgründen (S. 13) wiedergegebene
fachliche Stellungnahme des NLWKN vom 19. März 2019). Die mit der Ausübung des
Vorkaufsrechts beabsichtigte Umwandlung der bislang als Acker genutzten Fläche ist daher
ersichtlich zur Erreichung der Ziele der Verordnung über das Naturschutzgebiet
„Veerseniederung“ erforderlich.
Soweit der Kläger hiergegen einwendet, durch § 4 Abs. 6 Nr. 1 a) der Verordnung sei die
ordnungsgemäße landwirtschaftliche Nutzung auf dem streitgegenständlichen Flurstück unter
Beachtung weiterer Vorgaben, insbesondere zum Ausbringen von Dünger und der Anwendung
von Pflanzenschutzmitteln gemäß § 4 Abs. 6 Nr. 1 d) der Verordnung, von den Verboten der
Verordnung freigestellt mit der Folge, dass es nach dem Willen des Verordnungsgebers zur
Erreichung der mit der Unterschutzstellung verfolgten Ziele ausreichend sei, wenn das
Grundstück nach den Vorgaben der Verordnung als Acker bewirtschaftet werde, verkennt er
den Sinn und Zweck der in der Verordnung geregelten Freistellung. Freistellungsregelungen
dienen dazu, überschießende Verbotstatbestände zu vermeiden und die Verhältnismäßigkeit der
Schutzbestimmungen sicherzustellen (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 27.6.2023 - 2 K 138/19 -,
juris Rn. 288). Aus der Freistellung bestimmter Handlungen nach Maßgabe konkreter
Bewirtschaftungsvorgaben geht daher nicht zwingend hervor, dass die von den Verboten der
Schutzgebietsverordnung freigestellten Tätigkeiten der Erreichung der mit der
Unterschutzstellung erfolgten Ziele dienen. Es liegt hier auf der Hand, dass die weitere Nutzung
der Fläche als Acker auch unter Einhaltung der vorgesehenen Bewirtschaftungsvorgaben nichts
zu dem mit der Unterschutzstellung verfolgten Ziel der Umwandlung von Acker- in
Waldflächen und der Entwicklung naturnaher Waldkomplexe beiträgt. Demzufolge ist es auch
ersichtlich unerheblich, dass - wie der Kläger vorbringt - kein Anlass zu der Annahme bestehe,
dass die im Rahmen der Verordnung vorgesehene Nutzung als Ackerfläche besser und
zuverlässiger durch die öffentliche Hand ausgeübt werden könne. Gerade dieser Fall zeigt
vielmehr, dass die zur Erreichung der Naturschutzziele gebotene Umwandlung von
Ackerflächen ohne Ausübung des Vorkaufsrechts auf der in Rede stehenden Fläche nicht
erreicht wird, wenn diese in privater Hand bleibt.
Die Berufung ist schließlich nicht wegen der von dem Kläger ebenfalls geltend gemachten
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (
Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger bereits keine konkrete Frage bezeichnet, die
sich im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich stellen würde und im Interesse der
Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden
Klärung durch das Berufungsgericht bedarf, wie es die Darlegung der grundsätzlichen
Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO aber erfordert. Die von
ihm aufgeworfenen Fragen „Was ist mit dem verzinsten Kaufpreis, den der Antragsteller bereits
gezahlt hat?“, Was ist mit der erklärten Auflassung und was mit der möglicherweise zu
erklärenden?“ sowie „Wie soll der Antragsteller (und der Verkäufer...) zum Notar gezwungen
werden?“ haben keinen Bezug zu den hier für die Rechtmäßigkeit der Ausübung des
Verkaufsrechts maßgeblichen Punkten.
Im Übrigen liegt auch ein rechtlicher Klärungsbedarf insoweit nicht vor. Entgegen dem
Vorbringen des Klägers ist es nicht „völlig offen, wie die Berichtigung des Grundbuchs
herbeigeführt werden soll“, weil er nunmehr als Eigentümer im Grundbuch eingetragen sei.
Aus den §§ 463 bis 469, 471, 1098 Absatz 2 und §§ 1099 bis 1102 BGB, die gemäß § 66 Abs. 3
Satz 4 BNatSchG Anwendung finden, ergeben sich ohne Weiteres die maßgeblichen
Rechtsfolgen aus der hier durch Bescheid des Beklagten vom 11. April 2019 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 6. August 2019 erfolgten Ausübung des Vorkaufsrechts. Es ist
nach der Rechtslage auch offensichtlich, dass es einem Eigentumserwerb der öffentlichen Hand
nicht entgegensteht, dass der Kläger das Eigentum an dem streitgegenständlichen Grundstück
von dem Beigeladenen zu 1. erworben und in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen
worden ist. Gemäß
Vorkaufsrecht gegenüber Dritten, d.h. auch gegenüber demjenigen, der - wie der Kläger - das
Grundstück vom Vorkaufsverpflichteten erworben hat, die Wirkung einer Vormerkung zur
Sicherung des durch die Ausübung des Rechts entstehenden Anspruchs auf Übertragung des
Eigentums. Bereits durch den Verweis auf § 1098 Abs. 2 BGB hat das Vorkaufsrecht damit die
Wirkung einer Vormerkung, so dass auch
nach § 66 BNatSchG Anwendung findet, ohne dass es eines ausdrücklichen Verweises auch auf
diese Vorschrift in
Nach § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB ist eine Verfügung, die nach der Eintragung der Vormerkung
über das Grundstück oder das Recht getroffen wird, insoweit unwirksam, als sie den Anspruch
vereiteln oder beeinträchtigen würde. Da das gesetzliche naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht
gemäß
die Anwendung des § 1098 Abs. 2 BGB auf dieses Recht, dass anstelle des Zeitpunkts der
Eintragung der Zeitpunkt seiner Entstehung tritt (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1972 - V ZR 173/69 -,
juris Rn. 14 zu der dinglichen Wirkung eines besonderen Vorkaufsrechts nach früherer
Rechtslage gemäß §§ 24, 25 BBauG). Eigentumsübertragungen auf einen Dritten nach
Entstehung des gesetzlichen naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts sind daher gemäß § 883
Abs. 2 Satz 1 BGB insoweit unwirksam, als sie den Anspruch des Vorkaufsberechtigten
vereiteln oder beeinträchtigen würden. Der vorkaufsberechtigte Träger der öffentlichen Hand
kann daher vom Vorkaufsverpflichteten, der ihm gegenüber wegen § 883 Abs. 2 Satz 1 BGB
noch Eigentümer ist, die Auflassung verlangen. Die Eintragung des Trägers der öffentlichen
Hand als Eigentümer erfordert nach
Dritten. Nach
Eintragung des Landes zustimmt. Die Rechte des Dritten, insbesondere hinsichtlich des von
ihm bereits gezahlten Kaufpreises, ergeben sich aus
Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 3. Aufl, § 66 Rn. 51 f.; Fischer-Hüftle in Schumacher/Fischer-
Hüftle, BNatSchG, 3. Aufl., § 66 Rn. 51; Sauthoff in Schlacke, BNatSchG, 2. Aufl., § 66 Rn. 50;
Blum in Blum/Agena/Brüggeskemke, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Stand: April 2023,
§ 40 Rn. 96 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2. sind erstattungsfähig, weil er - anders als der
Beigeladene zu 1. - das Zulassungsverfahren mit eigenem Sachvortrag gefördert hat.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OVG Niedersachsen
Erscheinungsdatum:25.10.2023
Aktenzeichen:4 LA 142/22
Rechtsgebiete:
Grundbuchrecht
Dingliches Vorkaufsrecht
Vormerkung
Sonstiges Öffentliches Recht
BGB §§ 1098 Abs. 2, 883 Abs. 2; BNatSchG § 66