Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG; ordnungsgemäße Anzeige des Erwerbsvorgangs gem. §§ 18 Abs. 3, 19 Abs. 3, 16 Abs. 5 GrEStG
letzte Aktualisierung: 13.10.2021
FG München, Urt. v. 20.1.2021 – 4 K 270/20
GrEStG §§ 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5, 18 Abs. 3, 19 Abs. 3
Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG; ordnungsgemäße Anzeige
des Erwerbsvorgangs gem.
1. Die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer
unterliegenden Vorgänge ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen
und Fähigkeiten des Anzeigepflichtigen. Daher ist die Anzeigepflicht der Beteiligten nicht
davon abhängig, ob und inwieweit diese die Grunderwerbsteuerpflichtigkeit eines Rechtsvorgangs
erkannt haben bzw. wussten, dass insoweit eine Anzeigepflicht bestand. Es kommt nicht darauf an,
dass der Steuerpflichtige darauf vertraut hat, dass der beurkundende Notar seiner Anzeigepflicht
rechtzeitig nachkommen wird, und der Steuerpflichtige auch nicht die Absicht hatte, den
Erwerbsvorgang zu verschleiern.
2. Bei der Ermessensentscheidung über eine rückwirkende Fristverlängerung ist maßgeblich der
Zweck der Frist zu berücksichtigen. Der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, die Beteiligten durch die
angeordneten nachteiligen Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht zur ordnungsgemäßen –
insbesondere auch fristgerechten – Anzeigeerstattung anzuhalten, steht einer Verpflichtung der
Finanzbehörde zur rückwirkenden Fristverlängerung für die erstmalige Erstattung der Anzeige
entgegen.
(Leitsätze der DNotI-Redaktion)
Entscheidungsgründe
I.
Streitig ist, ob eine die Grunderwerbsteuer auslösende Anteilsübertragung ordnungsgemäß i.S.d. § 16 Abs. 5
des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) angezeigt wurde.
An der O GmbH waren die Klägerin mit 90,1% und die M AG mit 9,9% beteiligt. Die O GmbH ist
Eigentümerin eines Wohn- und Geschäftshauses in X-Stadt.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22. Dezember 2016 verkaufte die M AG ihren Anteil von 9,9% an der
O GmbH an die Klägerin zum Kaufpreis von 2.475 €. Die Klägerin wurde bei Vertragsschluss durch ihren
damaligen Geschäftsführer Herrn A vertreten, der alleinvertretungsberechtigt war. Die M AG, deren
Vertretungsregelung vorsah, dass die Gesellschaft nur durch zwei Vorstandsmitglieder vertreten werden
konnte, wurde bei Vertragsschluss durch Herrn B vertreten. Dieser handelte zum einen als Vorstand der M
AG. Zum anderen handelte er, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung die mit ihrem Zugang beim
Notar wirksam sein sollte, für seinen Mitvorstand Herrn C. Herr C genehmigte den Vertrag am 23. Dezember
2016. Die Genehmigung des Vertrages durch Herrn C ging dem beurkundenden Notar am 30. Dezember
2016 zu.
Am 30. Dezember 2016 übersandte der beurkundende Notar eine Kopie des Vertrages an das Finanzamt
X-Stadt Abteilung Körperschaften. Die vom beurkundenden Notar dem beklagten Finanzamt (FA) übersandte
Veräußerungsanzeige samt Kopie des Vertrages vom 22. Dezember 2016 ging am 12. Januar 2017 beim FA
ein.
Mit Bescheid vom 2. Mai 2018 setzte das FA gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer i.H.v. 197.792 € fest.
Den Grundbesitzwert schätzte das FA i.H.v. 5.651.200 €, der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12. Juni 2018 trat die Klägerin 9,9% ihrer Anteile an der O GmbH an
die M AG zum Kaufpreis von 2.475 € ab.
Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 beantragte die Klägerin die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids
vom 2. Mai 2018 gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei am 30. Dezember
2016 an das Finanzamt X-Stadt übersandt worden. Die zuständige Sachbearbeiterin des beurkundenden
Notars habe die Anzeige an die Grunderwerbsteuerstelle des FA nicht mehr am 30. Dezember 2016
fertiggestellt. Da sie ab dem folgenden Arbeitstag, dem 2. Januar 2017 bis einschließlich 10. Januar 2017
krankgeschrieben gewesen sei, sei die Anzeige erst nach ihrer Rückkehr versandt worden.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2018 lehnte das FA den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16
GrEStG ab. Der Aufhebung stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen, die Geschäftsanteilsabtretung sei nicht
fristgerecht angezeigt worden. Der Vertrag vom 22. Dezember 2016 sei erst am 12. Januar 2017 und damit
nicht fristgerecht i.S.d. § 16 Abs. 5 GrEStG beim FA eingegangen.
Mit Schreiben vom 1. August 2018 legte die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des
Grunderwerbsteuerbescheides vom 28. Juni 2018 Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 19. September 2018 stellte die Klägerin den Antrag, die Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3
GrEStG gem. § 109 Abs. 1 Satz 1 AO rückwirkend bis zum 13. Januar 2017 zu verlängern. Auch sei
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO zu gewähren.
Am 29. April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet und die
Eigenverwaltung angeordnet. Mit Schreiben vom 13. November 2019 teilte die Klägerin mit, dass sie mit
Zustimmung des Sachwalters das durch das Insolvenzverfahren unterbrochene Einspruchsverfahren gem. §
85 der Insolvenzordnung (InsO), § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) analog,
der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufnähme und bat um den Erlass einer Einspruchsentscheidung.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2020 wies das FA den Einspruch gegen die Ablehnung des
Antrags auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides vom 28. Juni 2018 als unbegründet zurück.
Nachdem das Finanzamt X-Stadt mit Bescheid vom 11. Mai 2020 über die gesonderte Feststellung des
Grundbesitzwertes auf den 22. Dezember 2016 den Grundbesitzwert für das Grundstück der O GmbH i.H.v.
17.271.500 € festgestellt hatte, setzte das FA mit gem.
2020 die Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin auf 604.502 € herauf und hob den Vorbehalt der
Nachprüfung gem. § 164 AO auf.
Zur Begründung der fristgerecht eingereichten Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: § 16
Abs. 5 GrEStG stehe der Aufhebung des Steuerbescheides im Streitfall nicht entgegen. Der Erwerbsvorgang
sei fristgerecht angezeigt worden. Zwar habe die Zweiwochenfrist für den Notar gem. § 18 Abs. 3 GrEStG
bereits am 5. Januar 2017 geendet. Gehe man aber mit dem Bundesfinanzhof (BFH) davon aus, dass es
ausreiche, wenn entweder der Notar oder der Steuerpflichtige seiner Anzeigepflicht nachkomme, so genüge
es, dass dies innerhalb der länger laufenden Frist erfolge. Im Streitfall habe die Anzeigefrist für die Klägerin
mit Zugang der Genehmigung des Vorstandes C beim Notar am 30. Dezember 2016 zu laufen begonnen
und sei daher beim Eingang der Anzeige des Notars beim FA am 12. Januar 2017 noch nicht abgelaufen
gewesen. Die Frist der Klägerin gem. § 19 Abs. 3 GrEStG habe erst mit Ablauf des 12. Januar 2017 geendet.
Darüber hinaus sei der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Auch sei die Frist zur
Erstattung der Anzeige im Streitfall gem. § 109 Abs. 1 Satz 2 AO rückwirkend zu verlängern.
Die Klägerin beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 2. Mai 2018, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 7. Juli 2020,
sowie in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Januar 2020 aufzuheben, hilfsweise die Revision
zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Ansicht, der Aufhebung des Steuerbescheides stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Die
Klägerin habe den Erwerbsvorgang nicht, der Notar nicht rechtzeitig angezeigt. Dass der verspäteten
Anzeige des Notars eine Erkrankung seiner Mitarbeiterin zugrunde gelegen habe, habe keine Auswirkungen
auf die Anzeigefrist.
Mit Schreiben des FA vom 6. März 2020 und mit Schreiben der Klägerin vom 23. Dezember 2020 haben die
Beteiligten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird nach
Grunderwerbsteuerakte des FA, sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Die Klage ist unbegründet.
a) Der Erwerbsvorgang unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer.
aa) Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein Rechtsgeschäft, das den
Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft
begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95% der Anteile der
Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden, soweit eine Besteuerung nach § 1
Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt.
bb) Im Streitfall wurde der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG somit am 30. Dezember 2016, mit
Zugang der Genehmigung des Vertrags vom 22. Dezember 2016 durch Herrn C beim beurkundenden Notar
verwirklicht. Die Klägerin, die vor Abschluss des Vertrages zu 90,1% an der O GmbH beteiligt war, hat
dadurch einen Anspruch auf Übertragung der restlichen 9,9% der Anteile an der O GmbH erlangt.
b) Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Steuerfestsetzung nicht gem. § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG
aufzuheben war.
aa) Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird nach § 16 Abs. 2
Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang
die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von
zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Diese
Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus nicht nur den Rückerwerb des Eigentums an einem veräußerten
Grundstück, sondern auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG. Wird ein Erwerbsvorgang i.S. des § 1
Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG zwar innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig
gemacht, war er aber nicht ordnungsgemäß angezeigt (
GrEStG den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung aus. Gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG haben
Notare dem zuständigen FA schriftlich Anzeige zu erstatten über Vorgänge, die die Übertragung von Anteilen
an einer Kapitalgesellschaft betreffen, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein im Geltungsbereich dieses
Gesetzes liegendes Grundstück gehört. Die Anzeigen sind gem. § 18 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei
Wochen nach der Beurkundung zu erstatten und zwar auch dann, wenn die Wirksamkeit des
Rechtsvorgangs - wie im Streitfallvom Eintritt einer Genehmigung abhängig ist. Die Anzeigepflicht ist hier
mithin von der Entstehung der Steuerschuld unabhängig. Für den Steuerschuldner kodifiziert § 19 Abs. 1
Satz 1 Nr. 4 GrEStG für die Fälle des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG eine Anzeigepflicht gegenüber der für die
Besteuerung zuständigen Finanzbehörde. Die Anzeigepflichten sind gem. § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von
zwei Wochen nach Kenntnisnahme vom anzeigepflichtigen Vorgang zu erfüllen. In den Fällen des § 19 Abs.
1 Satz 1 GrEStG besteht die Anzeigepflicht der Beteiligten auch dann, wenn der Erwerbsvorgang im
Einzelfall nach
Letzteres geschehen ist (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 69/94, BStBl II 1997, 85). Ein
Steuerpflichtiger, der dieser Pflicht nicht nachkommt, kann sich nicht dadurch entlasten, dass der Notar die
Erfüllung seiner Anzeigepflicht zugesagt und man übereinstimmend eine nochmalige Anzeige durch den
Steuerpflichtigen selbst für entbehrlich gehalten hat (BFH-Urteil vom 4.März 1999 II R 79/97, BFH/NV 1999,
1301). Die etwaige Unkenntnis eines Beteiligten über seine Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG schließt die
Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG nicht aus. Für die Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist unerheblich,
aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt
wurde. Denn die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer
unterliegenden Vorgänge ist objektiver Natur und besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und
Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten. Daher ist die Anzeigepflicht der Beteiligten nicht davon
abhängig, ob und inwieweit diese die Grunderwerbsteuerpflichtigkeit eines Rechtsvorgangs erkannt haben
bzw. wussten, dass insoweit eine Anzeigepflicht bestand (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04,
BStBl II 2005, 492). § 16 Abs. 5 GrEStG dient der Sicherung der Anzeigepflichten aus
und wirkt dem Anreiz entgegen, durch Nichtanzeige einer Besteuerung der in dieser Vorschrift genannten
Erwerbsvorgänge zu entgehen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492; BFHUrteil
vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Insbesondere soll die Vorschrift den Beteiligten die
Möglichkeit nehmen, einen dieser Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu
können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird (BFH-Beschluss vom 2. März 2011 II
R 64/08, BFH/NV 2011, 1008; BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Soweit eine
Anzeigepflicht sowohl nach
5 GrEStG schon dann genügt, wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht
ordnungsgemäß nachkommt (BFH-Urteil vom 18. April 2012 II R 51/11, BStBl II 2013, 830; BFH-Urteil vom 3.
März 2015 II R 30/13, BStBl II 2015, 777). Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist eine Anzeige i.S.
des § 16 Abs. 5 GrEStG ordnungsgemäß, wenn der Vorgang innerhalb der in § 18 Abs. 3 und § 19 Abs. 3
GrEStG vorgesehenen Anzeigefristen dem Finanzamt in einer Weise bekannt wird, dass es die
Verwirklichung eines Tatbestands nach
grundsätzlich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts übermittelt werden. Es genügt
aber auch, wenn sich eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle adressierte Anzeige nach
ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle richtet. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine
solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung
-insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre
grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte - an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFHUrteil
vom 23. Mai 2012 II R 56/10, BFH/NV 2012, 1579).
bb) Im Streitfall hat das FA den Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Steuerfestsetzung gem. § 16 Abs. 2
Nr. 1 GrEStG zu Recht abgelehnt.
Aufgrund der vollständigen Aufhebung und Rückabwicklung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs sind zwar
die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG im Streitfall erfüllt. Der Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1
GrEStG steht aber § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Weder die Klägerin, noch der beurkundende Notar haben
den Erwerbsvorgang der Grunderwerbsteuerstelle des FA ordnungsgemäß angezeigt.
(1) Die Klägerin selbst hat den Erwerbsvorgang entgegen ihrer Pflicht aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. §
13 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuerstelle des FA nicht angezeigt. Darauf, dass die Klägerin keine
Kenntnis von der Erkrankung der Notariatsangestellten sowie der darauf beruhenden verspäteten Anzeige
des Notars hatte und ferner darauf vertraut hatte, dass der beurkundende Notar seiner Anzeigepflicht
rechtzeitig nachkommen würde, kommt es in diesem Zusammenhang ebenso wenig an, wie darauf, dass die
Klägerin nicht die Absicht hatte, den Erwerbsvorgang zu verschleiern. Denn für die Anwendung des § 16
Abs. 5 GrEStG ist es unerheblich, aus welchen Gründen ein von dieser Vorschrift erfasster Erwerbsvorgang
nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
Die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Beteiligten zur Anzeige der der GrESt unterliegenden Vorgänge
besteht unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten, auf ein
Verschulden kommt es nicht an. Der Anzeigepflicht hatte die Klägerin unabhängig davon zu genügen, dass
den beurkundenden Notar gemäß
dieser gesetzlichen Anzeigepflicht nicht zum Gegenstand einer Vereinbarung mit dem Notar gemacht
werden. Die Klägerin kann sich im Streitfall deshalb auch nicht dadurch entlasten, dass der Notar die
Erfüllung seiner Anzeigepflicht zugesagt hat. Schließlich scheidet bei Versäumung der Anzeigefrist
regelmäßig eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) aus. Es kann offenbleiben, ob bei
Versäumung der Frist zur Anzeige nach § 19 Abs. 3 GrEStG wegen ihrer Ausgestaltung als
Steuererklärungsfrist überhaupt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO in Betracht
kommt (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Jedenfalls scheitert im Streitfall
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an einem Verschulden der Klägerin, da sich diese nicht
vergewissert hat, dass der Notar seiner Pflicht gem. § 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG innerhalb der
Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG nachgekommen ist.
(2) Die fehlende Anzeige der Klägerin wurde auch nicht durch eine ordnungsgemäße, d.h. den gesetzlichen
Anforderungen entsprechende Anzeige des Notars (§ 18 Abs. 2 Satz 2 GrEStG) ersetzt. Die Anzeige des
Notars ist dem FA erst am 12. Januar 2017 und damit außerhalb der mit Vertragsschluss am 22. Dezember
2016 beginnenden und am 5. Januar 2017 endenden Zweiwochenfrist des § 18 Abs. 3 GrEStG zugegangen.
Die vom Notar unter Bezugnahme auf die Anzeigepflicht gemäß § 54 EStDV ausdrücklich an das Finanzamt
München gerichtete Anzeige genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, denn die Anzeige war nach
ihrem Inhalt nicht eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle gerichtet (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 2015 II R
30/13, BStBl II 2015, 777).
Dass im Zeitpunkt des Eingangs der Anzeige des Notars beim FA die Frist für die Anzeigenerstattung der
Klägerin gem. § 19 Abs. 3 GrEStG noch nicht abgelaufen war -diese endete erst mit Ablauf des 12. Januar
2017-, ändert daran nichts.
Unter Berücksichtigung der Normzwecke des § 16 Abs. 5 GrEStG -zum einen die Anzeigepflichten aus §§
18, 19 GrEStG zu sichern, zum anderen dem Anreiz entgegenzuwirken, durch Nichtanzeige der Besteuerung
eines Erwerbsvorgangs zu entgehenhätte nach Ansicht des Senats nur eine, innerhalb der zweiwöchigen
Frist des § 18 Abs. 3 GrEStG vom Notar erstattete Anzeige, die fehlende Anzeige der Klägerin ersetzt. Im
Falle der Verlängerung der Anzeigenerstattungsfrist für Notare, die anders als die Frist nach § 19 Abs. 3
GrEStG vom Entstehen der Steuerschuld unabhängig ist, bis zum Ablauf der Anzeigenerstattungsfrist des
Steuerpflichtigen, droht nach Ansicht des Gerichts die Gefahr missbräuchlicher Gestaltungen. Gerade in
Fällen wie dem Streitfall, in dem die Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG von einer
Genehmigung des Steuerpflichtigen abhängt, wird das FA nur dann frühzeitig in die Lage versetzt, die
Verwirklichung eines Tatbestandes nach
Notar verpflichtet ist, den Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Wochen nach Beurkundung -und damit
unabhängig vom Zeitpunkt der Steuerentstehunganzuzeigen. Würde man das Ende der Frist für die
Anzeigenerstattung durch den Notar auf den Zeitpunkt des Endes der Frist für die Anzeigenerstattung durch
den Steuerpflichtigen verlängern, so wäre -gerade in Fällen, in denen die Verwirklichung des
Erwerbstatbestandes von einer Genehmigung durch den Steuerpflichtigen abhängtdas Fristende für die
Anzeigenerstattung durch den Notar in das Belieben des Steuerpflichtigen gestellt. Darüber hinaus hätte es
einer unterschiedlichen gesetzlichen Regelung für den Beginn der Fristen des § 18 Abs. 3 GrEStG und des §
19 Abs. 3 GrEStG nicht bedurft, wenn die Anzeige des Notars gem. § 18 Abs. 3 GrEStG auch dann als
ordnungsgemäß erachtet würde, wenn er sie innerhalb der noch laufenden Anzeigefrist des Steuerpflichtigen
gem. § 19 Abs. 3 GrEStG erstattet.
cc) Eine rückwirkende Fristverlängerung (in analoger Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 AO) zur
erstmaligen Erstattung der Anzeige nach § 19 GrEStG kommt nach Ablauf der Anzeigefrist nicht in Betracht
(BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492). Bei der Ermessensentscheidung über
eine rückwirkende Fristverlängerung ist maßgeblich der Zweck der Frist zu berücksichtigen (Tipke/Kruse,
Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 109 AO Tz. 4). Der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG, die
Beteiligten durch die hier angeordneten nachteiligen Folgen einer Verletzung der Anzeigepflicht zur
ordnungsgemäßen - insbesondere auch fristgerechten - Anzeigeerstattung anzuhalten, steht einer
Verpflichtung der Finanzbehörde zur rückwirkenden Fristverlängerung für die erstmalige Erstattung der
Anzeige entgegen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II 2005, 492).
dd) Von einer Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist im Streitfall auch nicht aus Gründen des
Vertrauensschutzes unter Berücksichtigung der im BFH-Beschluss vom 20. Januar 2005 II B 52/04, BStBl II
2005, 492 (unter II.3.) enthaltenen Grundsätze abzusehen. Denn die fehlende Ordnungsmäßigkeit der
Anzeige des Notars beruht vorliegend nicht etwa darauf, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße
Anzeige i.S. des § 16 Abs. 5 GrEStG nicht geklärt waren, sondern auf einer schlichten Versäumung der
gesetzlichen Frist für einen nach dem klaren Gesetzeswortlaut unzweifelhaft anzeigepflichtigen Vorgang.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO liegen vor. Es ist
höchstrichterlich bisher nicht geklärt, ob § 16 Abs. 5 GrEStG der Anwendung des § 16 GrEStG auch dann
entgegensteht, wenn das FA durch den beurkundenden Notar zwar nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 3
GrEStG, aber vor Ablauf der Frist des § 19 Abs. 3 GrEStG Kenntnis von dem anzeigepflichtigen Vorgang
erhält.
4. Die Entscheidung ergeht im Einvernehmen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2
FGO).
Entscheidung, Urteil
Gericht:FG München
Erscheinungsdatum:20.01.2021
Aktenzeichen:4 K 270/20
Rechtsgebiete:Grunderwerbsteuer
Normen in Titel:GrEStG §§ 16 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5, 18 Abs. 3, 19 Abs. 3