OLG München 31. Januar 2012
3 U 3525/11
BGB §§ 260, 2314

Voraussetzungen eines Anspruchs des Pflichtteilsberechtigten auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch Erben

DNotIDeutsches Notarinstitut
Dokumentnummer: 3u3525_11
letzte Aktualisierung: 01.02.2012
OLG München, 1.2.2012 - 3 U 3525/11
BGB §§ 260, 2314
Voraussetzungen eines Anspruchs des Pflichtteilsberechtigten auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch Erben
Der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben auf Abgabe einer eidesstattlichen
Versicherung wurde gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit § 260 Abs. 2 BGB als
gerechtfertigt angesehen. Der Erbe hat den Gesamtumfang des Nachlasses nur sukzessive auf
Nachfrage offenbart; diese Unvollständigkeit hätte bei gehöriger Sorgfalt vermieden werden
können (Leitsatz der DNotI-Redaktion)


Tatbestand
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin, vom Beklagten eine eidesstattliche Versicherung hinsichtlich seiner Angaben zum Bestand des Nachlasses und der darin
enthaltenen Auskünfte über lebzeitige Zuwendungen und Vorempfänge sowie der Güterstände,
in denen die Erblasserin, die gemeinsame Mutter der Parteien, lebte, zu erhalten.
Die Klägerin macht gegen den durch Testament vom 9.6.2003 von der Erblasserin zum Alleinerben eingesetzten Beklagten Pflichtteilsansprüche geltend. Mit der am 19.11.2009 beim Landgericht Traunstein eingegangenen Stufenklage hatte sie erstens Auskunft über den Bestand des
Nachlasses, zweitens Wertermittlung, drittens Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und
viertens Zahlung des Pflichtteils nach Maßgabe der Auskunftserteilung und Wertermittlung
beantragt. Mit klägerischem Schriftsatz vom 22.7.2010 war die Klage - mit entsprechender
Zustimmung des Beklagten - hinsichtlich Ziffer 1. und 2. für erledigt erklärt worden. Mit
klägerischem Schriftsatz vom 19.8.2010 war Ziffer 4. des Antrags der Klageschrift vom
18.11.2009 nunmehr beziffert worden.
In der am 29.7.2011 durchgeführten mündlichen Verhandlung hatte die Klägerin den Antrag aus
Ziffer 3. der Klage vom 18.11.2009 (eidesstattliche Versicherung) gestellt.
Das Landgericht Traunstein hat mit am 19.8.2011 verkündeten Teilurteil die Klage auf Abgabe
einer eidesstattlichen Versicherung abgewiesen. Auf das Urteil (Bl. 98/104 d. A.) wird insoweit
Bezug genommen. Des Weiteren wird auf die im erstinstanziellen Verfahren gewechselten
Schriftsätze sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 9.7.2010 (Bl. 37/39 d. A.)
und vom 29.7.2011 (Bl. 96/97 d. A.) verwiesen.
Mit ihrer Berufung gegen das Teilurteil verfolgt die Klägerin ihr Ziel auf Abgabe der Versicherung an Eides statt gegen den Beklagten weiter. Sie wendet sich gegen die Auffassung des Erstgerichts, dass die Klägerin Ansprüche insoweit nicht mehr geltend machen könne und die Klage
insoweit nicht mehr zulässig sei, da sie durch den Schriftsatz vom 19.8.2010 zur Zahlungsklage
übergegangen sei und damit Ansprüche auf der zweiten Stufe der Stufenklage (eidesstattliche
Versicherung) nicht mehr weiter verfolgt werden konnten. Einverständlich für erledigt erklärt sei
ausdrücklich nur die erste Stufe (Auskunft) gemäß den Klageanträgen zu I. und II.. Die rechtshängige zweite Stufe der Klage (eidesstattliche Versicherung) sei hingegen weder für erledigt
erklärt noch zurückgenommen worden, noch habe das Gericht darüber entschieden. Die Klägerin
habe den Anspruch auf Verurteilung des Beklagten zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
während des gesamten Rechtsstreits niemals aufgegeben. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem
Schriftsatz vom 19.8.2010, mit welchem ausdrücklich zum Ausdruck gebracht worden sei, dass
die Berechnung zur Bezifferung der Forderung "vorbehaltlich etwaiger Änderungen durch neue
Erkenntnisse" erfolge. Auch die Beweisaufnahme in Form der Ermittlung des wahren Werts der
Immobilie stehe dem weiter verfolgten Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
hinsichtlich des Nachlasses nicht entgegen. Ergänzend wird auf die Ausführungen in der
Berufungsbegründung vom 25.10.2011 (Bl. 111/120 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1.
das Teilurteil des Landgerichts Traunstein vom 19.8.2011 aufzuheben,
2.
den Beklagten zu verurteilen, an Eides statt zu versichern, dass er den Bestand des
Nachlasses und die darin enthaltenen Auskünfte über lebzeitige Zuwendungen und
Vorempfänge sowie die Güterstände, in dem die Erblasserin gelebt hat, wie mit
Nachlassverzeichnis vom 5.10.2009 sowie in den Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten E. vom 28.1.2010 und 28.6.2010 angegeben, nach bestem Wissen so vollständig angegeben hat, wie er dazu in der Lage war.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die erstinstanzielle Entscheidung. Der Antrag auf eidesstattliche Versicherung sei durch den bezifferten Antrag auf Zahlung prozessual überholt worden. Darüber
hinaus habe die Klägerseite offensichtlich auch stillschweigend (wie durchaus regelmäßig
üblich) auf den Antrag in Ziffer 3. verzichtet. Andernfalls wäre sie nicht auf den erfolgten
Zahlungsantrag übergegangen und hätte nicht zudem ausdrücklich mitgeteilt, es verbleibe beim
Sachverständigengutachten, und hätte auch nicht den Vorschuss bei Gericht einbezahlt. Auf die
Berufungserwiderung vom 23.11.2011 (Bl. 124/126 d. A.) wird im Übrigen Bezug genommen.
Der Senat hat am 18.1.2012 mündlich verhandelt (Protokoll Bl. 130/131 d. A.).
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung ist begründet, so dass das Teilurteil vom 19.8.2011 aufzuheben und der
Klage auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in Form des mit klägerischem Schriftsatz
vom 26.8.2011, Ziffer II., gestellten Antrags stattzugeben war.
1. Die Auffassung des Erstgerichts, die Klage auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung sei
nicht mehr zulässig, trifft nicht zu. Es nimmt an, die Klägerin habe nach Erledigterklärung der
Anträge aus Ziffer 1. und 2. der Stufenklage (erste Stufe) nicht den ursprünglichen Antrag aus
Ziffer 3. (zweite Stufe) ihrer Klage weiter verfolgt, sondern sei durch Schriftsatz ihrer damaligen
Prozessbevollmächtigten vom 19.8.2010 zur Zahlungsklage (dritte Stufe) übergegangen, so dass
für eine Weiterverfolgung des Anspruchs auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung kein
Raum sei. Zur Begründung seiner Auffassung bezieht sich das Erstgericht auf die Entscheidung
des Bundesgerichtshofs vom 15.11.2000 (NJW 2001, 833).
Die Ausgangslage des vom BGH entschiedenen Falls rechtfertigt keine entsprechende Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt. In dem dem BGH vorliegenden Fall hatte die Klägerin,
die Pflichtteilsansprüche gegen die Beklagte erhob, auf der ersten Stufe Auskunft, auf der
zweiten Stufe Antrag auf Wertermittlung durch Sachverständigengutachten und auf der dritten
Stufe Zahlung gefordert. Nachdem die dortige Klägerin im Rahmen der ersten Stufe Auskünfte
über ein Verkehrswertgutachten aus einem Zwangsversteigerungsverfahren über das betreffende
Grundstück erhalten hatte, benötigte sie weitergehende Auskünfte gemäß der zweiten Stufe der
Klage nicht mehr und war sofort zur Bezifferung der Leistungsklage imstande, woraufhin
Schlussurteil erging. Das OLG Köln hatte auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche
Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, weil es einen wesentlichen Verfahrensfehler unter anderem darin gesehen hatte, dass das Urteil nicht erkennen lasse,
wie der für die zweite Stufe angekündigte Antrag auf Wertermittlung behandelt worden sei. Der
BGH hatte das Berufungsurteil aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin den Antrag auf
Wertermittlung (zweite Stufe) nicht notwendigerweise zur Verhandlung und Entscheidung
stellen musste, sondern direkt zum Leistungsbegehren habe übergehen können, nachdem sie im
Rahmen der ersten Stufe (Auskunft) ein Verkehrswertgutachten erhalten hatte und dadurch den
Pflichtteilsanspruch beziffern konnte. Damit hatte sie das ursprünglich nur mittelbar verfolgte
Klageziel auf derselben tatsächlichen und rechtlichen Grundlage nunmehr unmittelbar angestrebt, was nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässig war; der BGH sah für eine (teilweise) Klagerücknahme oder Erledigterklärung, da die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren in qualifizierter
Gestalt weiter verfolgte, keinen Raum.
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin ihren Leistungsantrag - nach Erledigung der Stufe 1 nicht als definitiv verstanden; dies ergibt sich daraus, dass schon im Schriftsatz vom 19.8.2010
darauf verwiesen wird, dass sich der Wert des Vermögens vorbehaltlich etwaiger Änderungen
durch neue Erkenntnisse ändern könnte. Zudem wurde der Leistungsantrag in keiner mündlichen
Verhandlung gestellt, sondern lediglich angekündigt. Der Beweisbeschluss gemäß § 358 a ZPO
vom 25.10.2010 zur Feststellung des Verkehrswerts des von der Erblasserin an den Beklagten
überlassenen Anwesens erging tatsächlich außerhalb der mündlichen Verhandlung, nachdem der
Verkündungstermin vom 10.9.2010 aufgehoben worden war, erlegte der Klägerin die Einzahlung
eines Auslagenvorschusses auf, den diese - in der ursprünglich geforderten Höhe - letztlich einzahlte. Dass hierin aber keine Abstandnahme von der zweiten Stufe der Stufenklage zu sehen ist,
ergibt sich daraus, dass mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.3.2011 eine Entscheidung
des Gerichts über Ziffer 3. der Klage (eidesstattliche Versicherung zur Richtigkeit und Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses) erbeten und darauf hingewiesen wurde, dass die Bezifferung
des Pflichtteilsanspruchs erst nach eidesstattlicher Versicherung der Auskunft möglich sei. Entsprechend war mit Schriftsatz vom 18.5.2011 die Anberaumung eines Termins zur mündlichen
Verhandlung bezüglich der zweiten Stufe der Stufenklage (eidesstattliche Versicherung gemäß
Klageantrag Ziffer 3) erbeten und ein konkreter Antrag angekündigt worden, der dann auch ausweislich des Protokolls vom 29.7.2011 gestellt wurde. Im Gegensatz zu dem vom BGH entschiedenen Fall ist mithin der Leistungsantrag der dritten Stufe der Stufenklage nicht zur Verhandlung gestellt worden.
In der Tat ist hier nicht ersichtlich, wieso die Klägerin durch die vorläufige Bezifferung des
Leistungsantrags mit Schriftsatz vom 19.8.2010 sich prozessual der Möglichkeit begeben haben
sollte, den Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung weiterzuverfolgen. Insoweit ist
noch auf Folgendes hinzuweisen: Beziffert der Kläger den Leistungsanspruch zulässigerweise wenn auch grundlos - von vornherein im Sinne eines Mindestbetrages, so liegt der Sache nach
dennoch eine Stufenklage vor, falls der Kläger eine stufenweise Erledigung anstrebt; an die vorläufige Bezifferung ist der Kläger nicht gebunden, jedenfalls bis zur Verhandlung über den
Leistungsantrag (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 254, Rn. 3). Indem innerhalb der
Stufenklage die stufenweise erhobenen Ansprüche auf Rechnungslegung, auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und auf Leistung Teile eines einheitlichen Verfahrens und hierbei die
zwei erstgenannten Ansprüche lediglich Hilfsmittel zur konkreten Bezeichnung des Leistungsanspruchs sind, ist der auf Antrag des Klägers stets mögliche Wechsel von der Auskunfts- zur
Leistungsstufe keine Klageänderung nach § 263 ZPO, sondern eine stets zulässige Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO, desgleichen das Übergehen einer ursprünglich angekündigten
zweiten Stufe; die Wechselerklärung kann zwar als Prozesshandlung nicht widerrufen werden,
aber die Rückkehr des Klägers in die erste Stufe ist wiederum nach § 264 Nr. 2 ZPO zuzulassen
(vgl. Zöller, a. a. O., Rn. 4). Berücksichtigt man zudem, dass der Leistungsantrag nicht in mündlicher Verhandlung gestellt, sondern nur angekündigt worden war, hätte vorliegend im Sinne der
vorzitierten Kommentierung auf jeden Fall von einer zulässigen Klageänderung hin zum
Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ausgegangen werden müssen.
Nach alledem war der geltend gemachte Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
weder prozessual überholt noch fehlte ihm das Rechtsschutzbedürfnis.
2. Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist gemäß § 2314 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 260 Abs. 2 BGB gerechtfertigt. Die
Abgabe der eidesstattlichen Versicherung kann bereits verlangt werden, wenn Anhaltspunkte zum Beispiel lückenhafte, zögerliche Auskunftserteilung - bestehen, dass Verzeichnisse nicht
mit der notwendigen Sorgfalt erstellt wurden (vgl. Frieser/Lindner, Fachanwaltskommentar
Erbrecht, 2. Aufl. 2008, § 2314, Rn. 23). So verhält es sich vorliegend. Der Beklagte hat über
Umfang und Wert des Nachlasses mit Schreiben vom 5.6.2009 (Anlage K4) Auskunft erteilt. In
dem weiteren Schreiben vom 5.10.2009 (Anlage K7) erweiterte der Beklagte seine Angaben um
5.000,-- Euro für erfolgte Barschenkungen und um diverses Hausinventar im Gesamtwert von
800,-- Euro. Mit weiterem Schreiben vom 21.10.2009, dies auf erneutes Anwaltsschreiben hin,
erwähnte der Beklagte ein Gerüst sowie eine "Versicherung des V.". Tatsächlich handelt sich um
zwei Versicherungen; die Leistungen aus zumindest der mit Versicherungsnummer ...62-07
bezeichneten waren dem Beklagten bereits im Januar 2009 zugeflossen (vgl. Anlagen zum
Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 28.1.2010, Bl. 19/22 d. A.).
Aufgrund dieses nur sukzessive auf Nachfrage erfolgten Offenbarens des Gesamtumfangs des
Nachlasses, wobei die Unvollständigkeit bei gehöriger Sorgfalt hätte vermieden wer den können
(vgl. Palandt/Grüneberg, 70. Aufl. 2011, § 259, Rn. 13), ist der Anspruch auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO): Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

31.01.2012

Aktenzeichen:

3 U 3525/11

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht
Pflichtteil

Erschienen in:

ZEV 2013, 86
Zerb 2012, 135-137

Normen in Titel:

BGB §§ 260, 2314