Form- und fristgerechte Anfechtung einer Erbausschlagung
letzte Aktualisierung: 4.5.2022
OLG Bamberg, Beschl. v. 21.3.2022 – 2 W 35/21
BGB §§ 1945, 1955, 1960;
Form- und fristgerechte Anfechtung einer Erbausschlagung
1. Die formgerechte Anfechtungserklärung bezüglich einer vorausgegangenen Erbausschlagung
erfordert bei Abgabe der Erklärung in öffentlich beglaubigter Form den Eingang der
Originalurkunde beim Nachlassgericht.
2. Die Übermittlung der als Papierurkunde erstellten notariell beglaubigten Anfechtungserklärung in
Gestalt einer pdf-Datei über das besondere elektronische Anwaltspostfach an das Nachlassgericht
reicht zur Wahrung der erforderlichen Form für eine wirksame Anfechtung der Erbausschlagung
nicht aus.
3. Einem Nachlassgläubiger steht gem.
Erbscheins nur dann zu, wenn er einen titulierten Anspruch gegen den Nachlass hat.
Gründe
I.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag eines Gläubigers auf Anordnung einer
Nachlasspflegschaft, welcher vom Nachlassgericht zurückgewiesen worden ist.
Am …2019 ist der Erblasser A ohne Hinterlassung von Abkömmlingen verstorben. Seine Eltern waren
bereits vorverstorben. Die Beteiligten X und Y sind seine Geschwister. Diese hatten die Erbschaft mit
Erklärungen vom 30.09.2019 und 01.10.2019 zunächst ausgeschlagen. Ebenso haben die Töchter der X die
Erbschaft ausgeschlagen sowie die Abkömmlinge eines weiteren, vorverstorbenen Bruders des Erblassers.
Mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 25.10.2019 wurde für die unbekannten Erben Nachlasspflegschaft
zur Abwicklung des Mietverhältnisses des Erblassers und zur eventuellen Sicherung des Nachlasses
angeordnet. Zum Nachlasspfleger war … bestellt worden.
Mit Verfügung vom 10.08.2020 wurde den Beteiligten X und Y unter Übersendung einer Kopie des
Nachlassverzeichnisses mitgeteilt, dass ein die Beerdigungskosten übersteigender Nachlass vorhanden sein
dürfte, die Erben daher von Amts wegen zu ermitteln seien und die Beteiligten um Mithilfe bei deren
Ermittlung gebeten werden. Das Nachlassverzeichnis enthielt die Eintragung, dass der Erblasser am
Todestag über Bankguthaben in Höhe von 17.982,00 € verfügt habe.
Daraufhin ging am 29.09.2020 beim Amtsgericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach die
Vertretungsanzeige von Rechtsanwältin … für die Beteiligten X und Y ein mit der Mitteilung, die Beteiligten
hätten am heutigen Tage ihre Erbausschlagungserklärungen angefochten, ihre notariell beglaubigte
Anfechtungserklärung würde anliegend übermittelt und im Original auf dem Postweg nachgereicht. Der
Eingang des Originals der Erklärung erfolgte am 01.10.2020. Auf den Inhalt der notariell beglaubigten
Anfechtungserklärung der beiden Beteiligten wird Bezug genommen (Bl. 74 ff / 78 ff d. A.).
Am 24.03.2021 hob das Nachlassgericht die mit Beschluss vom 25.10.2019 angeordnete
Nachlasspflegschaft auf, da der Wirkungskreis erledigt und die Erben ermittelt seien. Mit Verfügung vom
gleichen Tag stellte es fest, dass X und Y als Miterben zu je 1/2 in Betracht kämen. Die Verfügung wurde u.
a. der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten und den bekannten Nachlassgläubigern, insbesondere
dem Bezirk …, mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 03.09.2021 und 06.09.2021 beantragte der Bezirk … die Bestellung eines
Nachlasspflegers. Der Bezirk habe dem Erblasser bis zum 30.06.2018 Blindenhilfe gewährt. Es errechne
sich ein ersatzfähiger Sozialhilfeaufwand in Höhe von 6.806,61 €, welcher nach § 102 Abs. 2 S. 1 SGB XII
gegen die Erben geltend zu machen sei. Die ermittelten Erben X und Y verfolgten die Anfechtung der
Erbschaftsausschlagung offenbar nicht mehr weiter. Die Verfahrensbevollmächtigte von X und Y habe dem
Bezirk mit Schreiben vom 23.04.2021 erklärt, dass deren Erbenstellung nicht gesichert sei. Ob die
Anfechtung der Erbschaftsausschlagung überhaupt wirksam sei, sei nur in einem aufwändigen
Erbscheinsverfahren zu klären. Mit Schreiben vom 30.11.2021 und 01.12.2021 führte der Bezirk seinen
Antrag weiter aus und erklärte insbesondere, dass der Kostenersatzanspruch drei Jahre nach dem Tod des
Erblassers erlösche, mithin Ende August 2022.
Mit Beschluss vom 09.12.2021 wies die Rechtspflegerin den Antrag auf Bestellung eines Nachlasspflegers
zurück. Neben dem Antrag eines Nachlassgläubigers erfordere eine Nachlasspflegschaft nach
eine unsichere Erbrechtslage, die vorliegend nicht gegeben sei. Unbekannt seien die Erben, wenn nicht mit
zumindest hoher Wahrscheinlichkeit feststehe, wer Erbe geworden sei. Hinsichtlich der Beteiligten X und Y
lägen Ausschlagungserklärungen und die Anfechtung der Ausschlagungserklärungen vor. Die notariell
beglaubigte Anfechtungserklärung vom 29.09.2020 sei im Original zwar erst am 01.10.2020 bei Gericht
eingegangen. Die Einreichung über das besondere elektronische Anwaltspostfach am 29.09.2020 reiche
nicht aus. Ausgehend vom 18.08.2020 als Zeitpunkt der Kenntniserlangung über den geltend gemachten
Irrtum sei die sechswöchige Anfechtungsfrist am 30.09.2020 abgelaufen. Der Eingang der Originalerklärung
am 01.10.2020 sei daher nach Aktenlage verfristet. Eine abschließende Prüfung hinsichtlich der Wirksamkeit
der Anfechtungserklärungen erfolge jedoch nur im Erbscheinsverfahren. Einen Erbscheinsantrag könne auch
ein Gläubiger stellen.
Gegen den ihm am 15.12.2021 zugestellten Beschluss legte der Bezirk … mit Schreiben vom 20.12.2021,
beim Amtsgericht … eingegangen am selben Tag, Beschwerde ein mit den Anträgen, dass der Beschluss
des Amtsgerichts … vom 09.12.2021, Az.: VI 2008/19 aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen
werde, einen Nachlasspfleger zu bestellen. Zur Begründung verweist der Bezirk … auf seinen bereits
erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch gegen den Nachlass und leitet daraus ein
Rechtsschutzbedürfnis zur Beantragung einer Nachlasspflegschaft nach
Ungewissheit, ob die in Betracht kommenden Erben die Erbschaft angenommen hätte, da sie diese zunächst
ausgeschlagen und sodann die Ausschlagung angefochten hätten. Der Bezirk gehe davon aus, dass die
Anfechtungserklärung verfristet beim Nachlassgericht eingegangen sei, so dass die Erben weiterhin
unbekannt seien.
Mit Beschluss vom 23.12.2021 half das Nachlassgericht der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren
dem Oberlandesgericht Bamberg zur Entscheidung vor.
II.
1. Die nach
innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Beschlusses beim Amtsgericht eingelegt worden, § 63 Abs. 1
und 3 FamFG. Da es sich bei dem zugrunde liegenden Verfahrensgegenstand des Antrags eines
Nachlassgläubigers auf Anordnung einer Nachlasspflegschaft um eine vermögensrechtliche Angelegenheit
handelt, muss der Wert des Beschwerdegegenstandes einen Betrag von 600 € übersteigen (vgl. Feskorn in
Zöller, a. a. O.,
Dies ist in Anbetracht der vom Beschwerdeführer verfolgten Forderung der Fall.
2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und
Anordnung der beantragten Nachlasspflegschaft, da die Voraussetzungen nach
vorliegen und der Beschwerdeführer, der nicht über einen titulierten Anspruch verfügt, keinen
Erbscheinsantrag stellen kann.
Nach
bestellen, wenn die Bestellung zur gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den
Nachlass richtet, von dem Berechtigten beantragt wird.
a) Grundvoraussetzung für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft auch auf Antrag eines
Nachlassgläubigers ist aufgrund der Verweisung von
hinsichtlich des Erben, sei es vor Annahme der Erbschaft (
Erbe gänzlich unbekannt ist oder Ungewissheit über die Annahme der Erbschaft durch den Erben besteht (§
1960 Abs. 1 S. 2 BGB).
Steht mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, wer Erbe geworden ist, kommt die Anordnung einer
Nachlasspflegschaft nicht in Betracht (vgl. Siegmann/Höger in BeckOK BGB, 61. Ed. 01.02.2022, § 1960
BGB Rn 4; OLG Frankfurt am Main, 26.09.2019, 21 W 65/19,
Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Beteiligten X und Y Erben geworden sind, besteht jedoch
bereits nach den Ausführungen des Nachlassgerichts im angegriffenen Beschluss vom 09.12.2021 nicht.
Denn das Nachlassgericht geht zutreffend davon aus, dass die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung
der Beteiligten X und Y hinsichtlich ihrer zuvor erfolgten Ausschlagung der Erbschaft im Original beim
zuständigen Nachlassgericht eingehen muss und zwar innerhalb der sechswöchigen Anfechtungsfrist ab
Kenntnis vom Anfechtungsgrund, welche vorliegend mit dem Eingang der Originalerklärung am 01.10.2020
nicht gewahrt worden ist, §§ 1954 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 2. Alt, S. 2, 1955, 1945 Abs. 1 2. Alt., 129 Abs. 1 S. 1
BGB.
Ausgehend von der Mitteilung der Beteiligten X und Y in ihrer Anfechtungserklärung vom 29.09.2020 haben
diese die formlos übersandte Verfügung des Nachlassgerichts vom 10.08.2020, mit welcher ihnen u. a. die
Existenz eines Bankguthabens des Erblassers in Höhe von über 17.000,00 € im Zeitpunkt seines Todes
mitgeteilt worden ist, am 18.08.2020 erhalten. Die Beteiligten machen in ihrer Anfechtungserklärung im
Wesentlichen geltend, sie seien davon ausgegangen, dass der Erblasser nicht über ein Bankkonto verfügt
hätte, weshalb sie die Erbausschlagung nunmehr anfechten. Die Anfechtungsfrist von sechs Wochen beginnt
mit Kenntniserlangung vom Anfechtungsgrund, § 1954 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt. BGB, mithin vorliegend am
19.08.2020, 0 Uhr (
BGB), da dieser Tag seiner Bezeichnung nach dem Wochentag entspricht, in welchen die Kenntniserlangung
als maßgebliches Ereignis nach
Beteiligten X und Y am Dienstag, den 18.08.2020, erfolgt.
Folglich hätte die notariell beglaubigte Anfechtungserklärung als amtsempfangsbedürftige Willenserklärung
(vgl. J. Schmidt in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1945 Rn 1) im Original am 29.09.2020 beim Amtsgericht …
als zuständigem Nachlassgericht (
01.10.2020 erfolgt. Die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach als Datei am
29.09.2020 reichte nicht aus (vgl. Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022,
auch das Nachlassgericht zutreffend ausgegangen ist.
Zwar wird erst im Erbscheinsverfahren die Wirksamkeit der Erklärung geprüft (vgl. Weidlich a. a. O., § 1945
BGB Rn 7). Jedoch ergibt sich der verspätete Eingang der Anfechtungserklärung bereits nach Aktenlage
ohne aufwändige Ermittlungen, so dass gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Beteiligten
X und Y mit hoher Wahrscheinlichkeit als Erben feststehen.
Damit kann dahinstehen, ob der von den Beteiligten X und Y mit ihrer einheitlich gefertigten und
unterschriebenen Erklärung geltend gemachte Irrtum über die Existenz eines Bankkontos des Erblassers
überhaupt einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 1. Alt, Abs. 2 BGB
darstellt, oder ob es sich nicht vielmehr um einen unbeachtlichen Motivirrtum über die Werthaltigkeit des
Nachlasses handelt (vgl. Weidlich a. a. O.,
Damit besteht weiterhin Ungewissheit über die Erbfolge im Sinne der
b) Auch die weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft auf Antrag eines
Gläubigers liegen vor:
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen Nachlassgläubiger, da er dem Erblasser Sozialleistungen
gewährt hatte und nunmehr einen sozialrechtlichen Kostenersatzanspruch nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII
gegen die Erben geltend machen will. Es handelt sich dabei um eine Nachlassverbindlichkeit nach §§ 1967
Abs. 2 2. Alt. BGB, 102 Abs. 2 SGB XII.
Der Beschwerdeführer hat die Anordnung einer Nachlasspflegschaft zur Geltendmachung seines
Ersatzanspruchs gegen die Erben mit Schreiben vom 06.09.2021 beantragt. Im Schreiben vom 03.09.2021
wurde dargelegt, dass vor Erlass eines Leistungsbescheides der Nachlasspfleger als Vertreter der
unbekannten Erben anzuhören sei.
Damit besteht ein Rechtsschutzbedürfnis zur Beantragung einer Nachlasspflegschaft, da entgegen dem
Wortlaut des
Nachlass beabsichtigt sein muss, sondern ausreichend ist, dass der Antragsteller seine Forderung gegen
den Nachlass notfalls gerichtlich durchsetzen will, falls der Anspruch nicht außergerichtlich durchzusetzen
ist. Ein solches Rechtsschutzbedürfnis nach
des
c) Der Beschwerdeführer kann auch nicht auf die Stellung eines Erbscheinsantrags und damit auf die
Klärung der Erbfolge im Rahmen des Erbscheinsverfahrens verwiesen werden. Denn nach
das Recht, einen Erbschein zu beantragen, nur dem Gläubiger einer titulierten Nachlassverbindlichkeit zu,
wie sich aus der systematischen Stellung der Norm im Rahmen der Vorschriften über die
Zwangsvollstreckung ergibt (vgl. auch Geimer in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 792 Rn 1).
Somit ist der angefochtene Beschluss auf die Beschwerde des Bezirks … wie aus der Beschlussformel
ersichtlich abzuändern. Da im vorliegenden Verfahren bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine
Nachlasspflegschaft zur Sicherung des Nachlasses angeordnet war, kann der damals ausgewählte
Nachlasspfleger, …, erneut herangezogen werden, zumal er mit der Sache bereits vertraut ist.
III.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf
Beschwerde erfolgreich ist, ist es angemessen, von der Kostenerhebung in der Beschwerdeinstanz
abzusehen und keine Kostenerstattung hinsichtlich der außergerichtlichen Auslagen anzuordnen.
Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus
entsprechend dem im Beschwerdeverfahren verfolgten Interesse des Nachlassgläubigers, seinen
Erstattungsanspruch in Höhe von 6.806,81 € gegen den Nachlass mittels der Nachlasspflegschaft
durchzusetzen. Maßgeblich ist daher der Wert des geltend gemachten Anspruchs.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Bamberg
Erscheinungsdatum:21.03.2022
Aktenzeichen:2 W 35/21
Rechtsgebiete:
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
BGB §§ 1945, 1955, 1960; ZPO § 792