Testament: Nachweis der formgerechten Errichtung; Widerruf; Anfechtung
letzte Aktualisierung: 28.12.2022
OLG Hamm, Beschl. v. 8.12.2021 – 10 W 27/20
BGB §§ 2078 Abs. 2, 2247, 2267
Testament: Nachweis der formgerechten Errichtung; Widerruf; Anfechtung
1. Daraus, dass ein vorgelegtes Testament nicht den Anforderungen der
weil die Unterschriften fehlen, folgt nicht zwingend, dass das Testament ungültig ist, wenn eine
ehemals formgerechte Testamentserrichtung zuverlässig nachgewiesen werden kann. Auch wenn an
den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind, kann im Einzelfall schon das äußere
Erscheinungsbild dafür sprechen, dass ursprünglich ein wirksames Testament vorgelegen hat, bei
dem die Unterschriften offensichtlich nachträglich abgeschnitten worden sind.
2. Die Feststellungslast für den Widerruf eines Testaments trifft im Erbscheinsverfahren denjenigen,
der sich auf die Ungültigkeit des Testaments zur Begründung seines Erbrechts beruft. Das gilt auch
für den gemeinsamen Widerruf eines Ehegattentestaments.
3. An den Nachweis eines zur Anfechtung des Testaments gem.
Motivirrtums sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Vortrag, der Erblasser, der seine Ehefrau
als Alleinerbin eingesetzt hatte, sei bei Testamentserrichtung davon ausgegangen, dass seine Ehefrau
nicht bei intakter Ehe aus der Ehewohnung ausziehen werde, reicht nicht aus, wenn sich nicht
feststellen lässt, dass die Vorstellung des Erblassers in Bezug auf die eheliche Treue der Ehefrau das
bestimmende Motiv für die Erbeinsetzung gewesen ist. Daran können Zweifel bestehen, wenn der
Erblasser selbst während der Ehezeit außereheliche Beziehungen mit anderen Frauen gehabt hat.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin ist die Witwe des am 00.00.1959 geborenen und am 00.00.2016
verstorbenen Erblassers. Die Antragsgegner sind dessen Brüder. Die Beteiligte zu 4) ist
eine Nichte der Antragstellerin.
Die Antragstellerin ging Anfang 2016 eine außereheliche Beziehung ein, trennte sich im
Spätsommer 2016 von dem Erblasser und zog aus der gemeinsamen Ehewohnung aus.
Ein Scheidungsverfahren wurde von keinem der Eheleute eingeleitet. Am 19.12.2016 ließ
der Erblasser ein notarielles Testament beurkunden, in dem er die Beteiligte zu 4), bei der
es sich um die Tochter der Schwester der Antragstellerin, Frau X A, handelt, zu ½ und die
beiden Beteiligten zu 2) und 3) zu je ¼ zu Miterben einsetzte. In der Vorbemerkung des
notariellen Testaments heißt es:
„In der freien Verfügung über mein Vermögen bin ich in keiner Weise beschränkt, weder
durch einen Erbvertrag noch durch ein gemeinschaftliches Testament. Vorsorglich
widerrufe ich alle etwa vorhandenen früheren Verfügungen von Todes wegen.“
Eine Woche nach Errichtung dieses Testaments beging der Erblasser Suizid. In einem von
ihm hinterlassenen Abschiedsbrief heißt es u.a.:
„Ich weiß auch nicht mehr, ob das mit dem Testament eine gute Idee war.“
Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.01.2017 machte die Antragstellerin zunächst
Pflichtteilsansprüche geltend. Zum Nachlass des Erblassers gehören unter anderem das
Elternhaus der Antragstellerin in B, das sie dem Erblasser im Jahr 2014 übertragen hatte,
sowie zwei weitere Immobilien, die ursprünglich aus der Familie der Antragstellerin
stammten.
Aus dem in der vormaligen Ehewohnung befindlichen Tresor entnahm die Antragstellerin
Anfang Januar ein handschriftlich verfasstes Schriftstück, in dem es heißt:
„Testament von C und D Y! Im Falle meines Todes, setze ich D Y meinen Mann, C Y zu
meinem alleinigen Erben ein. Im Falle meines Todes, setze ich C Y meine Frau, D Y zu
meinem alleinigen Erben ein.“
Im unteren Bereich des Schriftstückes ist ein Teil abgeschnitten. Dort ist noch der
Anfangsbuchstabe „Buchstabe01“ einer Unterschrift sichtbar. Das Datum in der Kopfzeile
ist unkenntlich gemacht worden. Quer über den Text ist eine diagonale Linie gezogen mit
dem Bemerken „Ungültig“.
Die Antragstellerin hat unter dem 18.01.2017 auf der Grundlage dieses von ihr
aufgefundenen Schriftstückes die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als
Alleinerbin ausweist. Dazu hat sie vorgetragen, bei dem Schriftstück handele es sich um
das gemeinsam mit dem Erblasser errichtete Testament. Der Erblasser habe auf dieses
Testament ohne ihre Beteiligung den Vermerk „ungültig“ gesetzt und eigenmächtig die
Unterschriften abgeschnitten. Damit sei sie nicht einverstanden gewesen. Sie sei aus der
Ehewohnung ausgezogen, weil der Erblasser unter psychischen Problemen gelitten habe
und im Verlauf des Jahres 2016 immer gewaltbereiter geworden sei. Der Auszug sei mit
dem Erblasser abgesprochen gewesen. Von einer Ehescheidung sei nicht die Rede
gewesen. Sie sei auch nicht aus einer intakten Ehe ausgebrochen.
Die Antragsgegner sind dem entgegengetreten und haben beantragt, den
Erbscheinsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen. Sie haben vorgetragen, es könne
sein, dass sich der Erblasser zusammen mit der Antragstellerin dazu entschlossen habe,
das Testament zu widerrufen bzw. aufzuheben. Die Tatsache, dass es nicht vernichtet
worden sei, spreche dafür, dass es von beiden Eheleuten widerrufen worden sei. Die
Antragsgegner haben mit Nichtwissen bestritten, dass das Schriftstück jemals von den
Eheleuten unterzeichnet gewesen sei. Möglicherweise sei es zu keiner Zeit wirksam
errichtet worden. Mit Schriftsatz vom 06.03.2017 haben sie vorsorglich die Anfechtung der
Erbeinsetzung der Antragstellerin gem.
behauptet, der Erblasser habe die Antragstellerin wegen ihres außerehelichen
Verhältnisses zu einem Herrn E Ende August 2016 aufgefordert, die gemeinsame
Wohnung zu verlassen. Daraufhin sei sie mit Herrn E zusammengezogen. Der Erblasser
sei bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments davon ausgegangen, dass die
Antragstellerin nicht die Ursache für eine Zerrüttung der Ehe setzen würde. Herr E habe
den Erblasser durch Anrufe und Schreiben terrorisiert. Wegen weiterer Einzelheiten wird
auf das undatierte Schreiben des Herrn E an den Erblasser, Bl. 66 der Akte, verwiesen.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Tatsachen, die zur Erteilung
des beantragten Erbscheins erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Zur Begründung hat
es ausgeführt, der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins sei begründet, denn das
Testament, auf das die Antragstellerin sich stütze, sei formwirksam errichtet worden. Auch
wenn die vorgelegte Urkunde kein formgültiges Testament sei, müsse davon ausgegangen
werden, dass ein solches ursprünglich vorhanden gewesen sei. Nach dem Sachvortrag
der Antragstellerin sei das Testament gemeinsam geschrieben und unterschrieben
worden. Anschließend sei es in einem Tresor verwahrt worden. Dies stehe fest, denn es
habe keinen Sinn gemacht, das Schriftstück aufzubewahren, wenn es keine Gültigkeit
mehr gehabt haben sollte. Das gelte auch für die Veränderungen durch Durchstreichungen
und das Abschneiden der Unterschriften. Im Übrigen seien Ansätze der Unterschrift der
Antragstellerin erkennbar. Dieses Testament sei nicht nachträglich durch Widerruf oder
Anfechtung beseitigt worden. Es handele sich um ein gemeinschaftliches Testament, so
dass der Erblasser an seine Erklärungen gebunden sei und diese nicht einseitig habe
beseitigen können. Ein Anfechtungsrecht scheide aus, da ein Motivirrtum des Erblassers
nicht festgestellt werden könne. Dazu reiche der Vortrag, der Erblasser sei
selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Antragstellerin nicht die Ursache für eine
Zerrüttung der Ehe geben würde, nicht aus. Es seien die lange Ehedauer und die kurze
Trennungszeit zu berücksichtigen. Auch sei zu beachten, dass der Erblasser durch
Selbsttötung aus dem Leben geschieden sei. Es sei nicht vorgetragen worden, dass der
Erblasser geäußert habe, das Testament widerrufen zu wollen und sich daran nicht mehr
gebunden zu fühlen. Im Übrigen sei eine restriktive Auslegung der Anfechtungsvorschriften
geboten. Problematisch sei schließlich auch die Einhaltung der Anfechtungsfrist. Dazu
könne nicht ohne weiteres auf das Datum des Auszuges der Antragstellerin aus der
ehelichen Wohnung abgestellt werden. Entscheidend sei vielmehr, wann der Erblasser die
Überzeugung gehabt habe, dass es zu einem ehelichen Zusammenleben nicht mehr
kommen würde. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung
Bezug genommen.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3), die ihr
erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen. Zur Begründung verweisen sie auf den
bisherigen Vortrag und tragen ergänzend vor, es sei unklar, ob das
verfahrensgegenständliche Testament wirksam errichtet worden sei. Insoweit treffe die
Antragstellerin die Feststellungslast. Rechtsfehlerhaft sei das Amtsgericht davon
ausgegangen, dass das Testament vom Erblasser und der Antragstellerin unterzeichnet
worden sei. Es lasse sich dem von der Antragstellerin eingereichten Schriftstück nicht
entnehmen, ob es jemals wirksam vom Erblasser unterzeichnet worden sei. Die vom
Nachlassgericht angehörte Frau F A habe erklärt, das Testament nie gesehen zu haben.
Die Behauptung der Antragstellerin, das Testament sei einmal unterzeichnet gewesen,
genüge nicht. Selbst wenn ein wirksames Testament einmal vorgelegen habe, sei dieses
widerrufen worden. Das Vorbringen der Antragstellerin, der Erblasser habe die
Veränderungen an dem Schriftstück ohne ihre Zustimmung vorgenommen, sei
unglaubhaft. Sie sei selbst von der Unwirksamkeit des Testaments ausgegangen, denn sie
habe nach dem Tod des Erblassers Pflichtteilsansprüche geltend gemacht. Erst später
habe sie vorgetragen, das gemeinschaftliche Testament gefunden zu haben, obwohl sie
unbeschränkten Zugang zur Wohnung des Erblassers und zu dem Testament gehabt
habe. Sie habe das Testament bereits in ihrem Besitz gehabt, als ihr der Zugang im Januar
2017 verwehrt worden sei. Im Übrigen sei das Testament wirksam angefochten worden.
Der Suizid des Erblassers belege, dass er mit dem Verhalten der Antragstellerin nicht
gerechnet habe. Auch sei die Anfechtungsfrist gewahrt, weil die Anfechtung innerhalb
eines Jahres nach dem Tod des Erblassers erfolgt sei.
Demgegenüber verteidigt die Antragstellerin den angefochtenen Beschluss und trägt
ergänzend vor, das Testament lasse erkennen, dass ursprünglich ein Datum vorhanden
gewesen und später undeutlich gemacht worden sei. Zwar fehlten die Unterschriften, aus
dem Testament sei aber ersichtlich, dass diese ursprünglich vorhanden gewesen seien.
Der Zusatz „ungültig“ stamme allein vom Erblasser. Das deute darauf hin, dass er es auch
ursprünglich unterschrieben gehabt habe. Die Erwähnung eines Testaments in seinem
Abschiedsbrief spreche dafür, dass die Veränderungen vom Erblasser stammten, der
diese bereut habe. Dies werde bestärkt durch die vorgelegten eidesstattlichen
Versicherungen, aus denen sich die Existenz des Testaments ergebe. Die Antragstellerin
habe sich im Übrigen die Anfechtung des Einzeltestaments des Erblassers ausdrücklich
vorbehalten. Das Testament habe sie auch nicht sofort finden können, da es ihr erst am
15.01.2017 gelungen sei, den Tresor zu öffnen. Sie sei sogar davon ausgegangen, dass
der Erblasser das Testament vernichtet gehabt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 12.02.2020 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen
und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat die Beteiligten persönlich gem. § 34 FamFG angehört und Beweis erhoben
durch Vernehmung der Zeugin X A. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der
Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26.10.2021 nebst
Berichterstattervermerk Bezug genommen.
Die Akten 11 IV 22/17 Amtsgericht – Nachlassgericht – Arnsberg waren beigezogen und
Gegenstand der Erörterung.
II.
1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) ist gem. §§ 352 e, 58 ff. FamFG
zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.
2. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, denn die Antragstellerin
kann ihr Erbrecht auf das gemeinschaftliche Testament der Eheleute Y stützen, durch das
sie zur Alleinerbin des Erblassers bestimmt worden ist. Davon ist der Senat nach
Anhörung der Beteiligten und der Vernehmung der Zeugin A überzeugt.
a) Dem Amtsgericht ist darin zuzustimmen, dass ursprünglich ein vom Erblasser
und der Antragstellerin wirksam errichtetes gemeinschaftliches Testament i.S.d. § 2267
BGB vorgelegen haben muss.
aa) Dass das am 20.01.2017 vom Nachlassgericht eröffnete handschriftliche
Testament nicht den Anforderungen, die an ein wirksames Testament zu stellen sind,
genügt, bedarf keiner näheren Erklärung. Nach § 2247 Abs. 1 BGB muss das
eigenhändige Testament unterschrieben sein. Beim gemeinschaftlichen eigenhändigen
Testament müssen beide Ehegatten unterzeichnen,
fehlt es, da die Urkunde in der Gestalt, in der sie aufgefunden worden ist, keine
Unterschriften der testierenden Eheleute trägt.
bb) Daraus folgt indessen nicht zwingend, dass das vorliegende Testament
ungültig ist. Vielmehr können Form und Inhalt eines Testaments mit allen zulässigen
Beweismitteln festgestellt werden. Damit das Testament als wirksam behandelt werden
kann, muss sowohl die formgerechte Errichtung als auch grundsätzlich der Gesamtinhalt
zuverlässig nachgewiesen werden. Dies kann z.B. durch Ablichtungen, Durchschriften,
Abschriften, Zeugen und Sachverständige geschehen. An den Nachweis sind allerdings
wegen der für die Errichtung des Testaments geltenden Formvorschriften und der
ausschlaggebenden Bedeutung für die Entscheidung strenge Anforderungen zu stellen
(Palandt-Weidlich, BGB, § 2255 Rn. 9). Diese sind nach Auffassung des Senats hier
jedoch erfüllt. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Erblasser und die
Antragstellerin ursprünglich ein wirksames gemeinschaftliches Testament gem. §§ 2247,
2267 BGB errichtet hatten.
(1) Das von der Antragstellerin vorgelegte Schriftstück spricht schon nach seinem
äußeren Erscheinungsbild dafür, dass ursprünglich ein wirksames Testament vorhanden
gewesen ist, das nachträglich verändert worden ist. Über dem Text war zunächst ein
Datum erkennbar, das unkenntlich gemacht worden ist. Zudem ist der gesamte
vorhandene Text diagonal durchgestrichen und mit dem Vermerk „ungültig“ versehen
worden. An der unteren rechten Ecke, wo die beiden Unterschriften der Eheleute Y
gestanden haben müssen, ist das Papier offensichtlich nachträglich abgeschnitten worden,
denn noch sichtbar ist ein „Buchstabe01“, der Anfangsbuchstabe des Vornamens „D“ der
Antragstellerin. Diese Veränderungen wären nicht erforderlich gewesen, wenn es sich bei
dem vorliegenden Schriftstück nur um einen Testamentsentwurf gehandelt hätte. Ein
solcher Entwurf hätte nicht nachträglich „ungültig“ gemacht werden müssen.
(2) Dass das Schriftstück (nachträglich) allein von der Antragstellerin errichtet
worden ist, um den Anschein eines ehemals gültigen gemeinschaftlichen Testaments zu
erwecken, kann nach Meinung des Senats ausgeschlossen werden. Denn schon das
Schriftbild deutet darauf hin, dass der Text zwar überwiegend von der Antragstellerin
niedergeschrieben worden ist, die Erbeinsetzung der Antragstellerin (2. Absatz) jedoch
eindeutig ein anderes Schriftbild aufweist. Dies lässt darauf schließen, dass dieser Passus
vom Erblasser stammt. Das hat die Antragstellerin auch im Anhörungstermin glaubhaft
bestätigt. Auch hat die Antragstellerin nachvollziehbar erklärt, dass sie und der Erblasser
vor 30 Jahren damit begonnen hätten, Testamente zu errichten, die sie immer wieder ihren
wechselnden Lebenssituationen angepasst hätten. Dabei hätten sie stets das überholte
Testament vernichtet. Schließlich ist die Existenz eines gemeinschaftlichen Testaments der
Eheleute Y nicht nur in den beiden von der Antragstellerin vorgelegten eidesstattlichen
Versicherungen bestätigt worden, sondern auch von Zeugin X A, die bekundet hat, von
einem gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und der Antragstellerin gewusst zu
haben.
(3) Es ist auch nicht davon auszugehen, dass das von der Antragstellerin
vorgelegte gemeinschaftliche Testament durch ein späteres, inhaltlich abweichendes
Testament der Eheleute Y ersetzt worden ist. Ohne konkrete Anhaltspunkte, die die
Existenz eines weiteren Testaments begründen, braucht der Senat der bloßen Vermutung
der Beteiligten zu 2) und 3), es sei ein neues Testament gemacht worden, nicht
nachzugehen. Die Amtsaufklärungspflicht gem.
Gericht lediglich theoretische Möglichkeiten verfolgt (Feskorn in: Zöller,
Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022,
Antragstellerin, persönlich gem. § 34 FamFG angehört, erklärt hat, dass kein weiteres
Testament existiere. Gegen die Annahme der Beteiligten zu 2) und 3) spricht aber vor
allem, dass es bis zur Vornahme der Veränderungen keinen Anlass für die Errichtung
eines Testaments mit der Anordnung einer von dem vorgelegten Testament abweichenden
Erbfolge gab. Denn es entsprach zumindest bis dahin dem gemeinsamen Willen des
Erblassers und der Antragstellerin sich wechselseitig als Alleinerben einzusetzen.
b) Das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und der Antragstellerin ist
auch nicht wirksam widerrufen worden.
aa) Es steht zunächst außer Frage, dass ein wirksamer einseitiger Widerruf durch
den Erblasser nicht in Frage kommt. Bei der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute
handelt es sich um wechselbezügliche Verfügungen i.S.d.
Zweifel aus § 2270 Abs. 2 BGB. Nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt der Widerruf einer
wechselbezüglichen Verfügung nach den Vorschriften des § 2296 BGB, d.h. durch
Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten, die der notariellen Beurkundung bedarf.
Durch bloße Veränderungen, § 2255 BGB, oder durch ein Widerrufstestament, § 2258
BGB, konnte der Erblasser allein die gemeinschaftliche letztwillige Verfügung nicht
widerrufen.
bb) Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass das Testament von beiden
Ehegatten in Widerrufsabsicht ungültig gemacht worden ist. Dies geht zu Lasten der
Beteiligten zu 2) und 3), denn die Feststellungslast trifft im Erbscheinsverfahren
denjenigen, der sich auf die Ungültigkeit des Testaments zur Begründung seines Erbrechts
beruft (Palandt-Weidlich, BGB, § 2255 Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 31. Oktober
2019 – 31 Wx 398/17 –, juris). Das notarielle Testament vom 19.12.2016, in dem der
Erblasser sie neben der Beteiligten zu 4) zu Miterben zu je ¼ eingesetzt hat, hätte nur im
Falle eines wirksamen Widerrufs des gemeinschaftlichen Testaments Gültigkeit. Mithin
müsste das Gericht positiv davon überzeugt sein, dass das Testament in Widerrufsabsicht
durch die Ehegatten unwirksam gemacht worden ist. Für diesen Beweis genügt zwar
grundsätzlich, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des
Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von
Gewissheit (BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 – IX ZR 238/91 –,
Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 16. April
2013 – VI ZR 44/12 –
2022,
grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH, Urteil vom 12.
Januar 1994 – XII ZR 155/92 –
das Testament in Widerrufsabsicht von beiden Ehegatten durch die beschriebenen
Veränderungen ungültig gemacht worden ist, vermag sich der Senat jedoch nicht zu
bilden.
Wenn sich die Antragstellerin und der Erblasser dazu hätten entschließen wollen, das
gemeinschaftliche Testament zu widerrufen, hätte es nahe gelegen, das Testament einfach
zu vernichten, anstatt Veränderungen an der Urkunde vorzunehmen und das unwirksam
gemachte Testament weiter aufzubewahren. Die Antragstellerin hat dies – wie oben
dargelegt – auch bestätigt und erklärt, dass frühere Testamente stets „zerknüllt und im
Ofen verbrannt“ worden seien, wenn sie und der Erblasser ein neues Testament verfasst
hätten.
Auch der Umstand, dass die Antragstellerin aus der gemeinsamen Ehewohnung
ausgezogen war und sich von dem Erblasser getrennt hatte, spricht nicht zwingend für
einen gemeinsamen Widerruf des Testaments. Es ist zwar denkbar, dass die Eheleute
angesichts der Trennungssituation nicht länger an der wechselseitigen Erbeinsetzung
festhalten wollten und jeder von ihnen selbständig testieren wollte. Auch könnte die von
der Antragstellerin geschilderte zunehmende Gewalttätigkeit des Erblassers ihr gegenüber
für sie Motiv dafür gewesen sein, die wechselseitige Erbeinsetzung gemeinsam zu
widerrufen und anderweitig zu testieren. Daraus kann indessen nicht der sichere Schluss
auf einen gemeinsamen Widerruf des Testaments durch beide Ehegatten gezogen
werden. Denn die Eheleute Y lebten noch nicht sehr lange getrennt. Die Antragstellerin
war erst im Dezember in eine kleinere Wohnung gezogen. Sie hatte auch noch nicht alle
Kontakte zum Erblasser abgebrochen und, wie sie im Senatstermin erklärte, bis kurz vor
Weihnachten 2016 noch Näharbeiten für ihn verrichtet. Dass die Antragstellerin und der
Erblasser in dieser noch ungeklärten Situation das gemeinsame Testament widerrufen
haben, erscheint jedenfalls nicht naheliegend.
Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragstellerin kein wirkliches
Interesse daran gehabt hat, das gemeinsame Testament zu widerrufen, denn damit wäre
auch ihre Erbeinsetzung durch den Erblasser entfallen. Zum Nachlass des Erblassers
gehörte aber ihr Elternhaus, so dass die Antragstellerin im Falle eines Widerrufs damit
rechnen musste, dass der Erblasser über seinen Nachlass zugunsten anderer Personen
verfügen würde mit der Folge, dass ihr Elternhaus in fremde Hände geraten würde.
Der Umstand, dass der Erblasser mit dem notariellen Testament vom 19.12.2016
anderweitig testiert und in der Vorbemerkung zu diesem Testament ausdrücklich erklärt
hat, er sei in der freien Verfügung über sein Vermögen in keiner Weise beschränkt, weder
durch einen Erbvertrag noch durch ein gemeinschaftliches Testament, lässt ebenfalls nicht
den sicheren Schluss darauf zu, dass das gemeinschaftliche Testament zuvor wirksam
widerrufen worden war. Dass dem Erblasser bewusst gewesen ist, dass ein wirksamer
Widerruf des gemeinschaftlichen Testaments einseitig durch ihn allein nicht möglich
gewesen ist, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Der Erblasser mag zwar –
worauf die Beteiligten zu 2) und 3) abgestellt haben – gewusst haben, was ein
gemeinschaftliches Testament ist und wie dieses errichtet wird und diese Kenntnisse auch
gerne an Dritte weitergegeben haben. Dass er aber auch die rechtlichen Voraussetzungen
für einen wirksamen Widerruf kannte, kann daraus nicht unbedingt geschlossen werden.
Wenn er gewusst hätte, dass seine Widerrufserklärung der notariellen Beurkundung
bedurfte,
Errichtung des notariellen Testaments den Notar mit der Beurkundung der
Widerrufserklärung zu beauftragen.
Auch aus dem Inhalt des Abschiedsbriefes des Erblassers kann nicht geschlossen
werden, dass er und die Antragstellerin das gemeinschaftliche Testament wirksam
widerrufen hatten. Seine Formulierung, er wisse nicht, ob „das mit dem Testament eine
gute Idee war,“ lässt offen, auf welches Testament sich seine Zweifel beziehen. Es kann
zwar sein, dass er damit zum Ausdruck bringen wollte, den gemeinsamen Widerruf des
Testaments zu bedauern. Genauso ist aber auch denkbar, dass er die Errichtung des
notariellen Testaments, das er für wirksam gehalten hat, bereute, weil er darin seine
Ehefrau enterbt hatte.
Der Senat verkennt schließlich nicht, dass die Antragstellerin wenige Tage nach Eröffnung
des notariellen Einzeltestaments des Erblassers vom 19.12.2016 mit anwaltlichem
Schreiben vom 09.01.2017 Pflichtteilsansprüche gegenüber den in diesem Testament
aufgeführten Erben, den Beteiligten zu 2) – 4), geltend gemacht hat. In diesem Schriftsatz
werden zwar Zweifel an der Wirksamkeit des notariellen Testaments erwähnt, diese jedoch
nicht mit der Existenz des handschriftlichen Ehegattentestaments begründet, sondern mit
dem Inhalt des Abschiedsbriefs. Daraus kann indessen nicht ohne weiteres gefolgert
werden, dass die Antragstellerin davon ausging, den Erblasser deshalb nicht beerbt zu
haben, weil das gemeinschaftliche Testament einverständlich widerrufen worden war, so
dass der Erblasser wirksam neu hatte testieren können. Die Antragstellerin hat für den
Senat glaubhaft angegeben, dass sie ihren Pflichtteil verlangt habe, weil sie das
gemeinschaftliche Testament nicht in ihrem Besitz gehabt habe. Wenn die Antragstellerin –
was nicht auszuschließen ist – deshalb davon ausgegangen ist, sie werde ihr alleiniges
Erbrecht nicht nachweisen können, erscheint es nachvollziehbar, dass sie sich zunächst
darauf beschränkt hat, den Pflichtteil geltend zu machen.
c) Die Antragsgegner haben das gemeinschaftliche Testament, auf das die
Antragstellerin ihre Alleinerbschaft stützt, nicht wirksam angefochten. Dass ein nach §
2078 Abs. 2 BGB die Anfechtung rechtfertigender Motivirrtum des Erblassers vorgelegen
hat, lässt sich nicht feststellen. Das geht zu Lasten der Beteiligten zu 2) und 3), denn die
objektive Beweislast (sog. Feststellungslast) für den Anfechtungsgrund trifft im
Erbscheinsverfahren denjenigen, der aus den Wirkungen der Anfechtung Rechtsfolgen für
sich herleiten will, also den Anfechtenden (L. Lehrmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann
/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl.,
Palandt-Weidlich, BGB, § 2078 Rn. 11).
Gemäß
der Erblasser zu der Verfügung durch eine irrige Annahme eines Umstandes bestimmt
worden ist (Motivirrtum). Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Testamentserrichtung. An
den Nachweis eines Motivirrtums müssen aber sehr strenge Anforderungen gestellt
werden (Palandt, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Februar 1997 – 20 W 96/95 –,
juris). Auf das Vorbringen der Antragsgegner, der Erblasser sei bei Testamentserrichtung
davon ausgegangen, die Antragstellerin werde nicht die Ursache für eine Zerrüttung der
Ehe setzen, indem sie bei intakter Ehe aus der Ehewohnung auszieht, lässt sich die
Anfechtung der Erbeinsetzung der Antragstellerin durch den Erblasser jedenfalls nicht
stützen. Deshalb muss auch nicht näher aufgeklärt werden, ob diese Behauptung der
Beteiligten zu 2) und 3) zutrifft.
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass das Verhalten der Antragstellerin in Bezug auf
die eheliche Gemeinschaft für den Erblasser das bestimmende Motiv bei deren Einsetzung
als Alleinerbin gewesen ist. Richtig ist zwar, dass zum Motivirrtum auch die
fehlgeschlagene Erwartung zukünftiger Entwicklungen, etwa die Erwartung des
Ausbleibens tiefgreifender Unstimmigkeiten mit dem Bedachten zählt, wobei auch
unbewusste Vorstellungen und solche, die auf als selbstverständlich angenommen
Voraussetzungen beruhen, ausreichen können (OLG München, Urteil vom 20.06.1989 - 25
U 3632/88,
des Erblassers in Bezug auf die eheliche Treue der Ehefrau einen zur Anfechtung
berechtigenden Motivirrtum begründen. Jedoch sind solche (auch „unbewussten“)
Erwartungen und vor allem ihre Ursächlichkeit für die Verfügung eines Erblassers nicht
allgemein und in jedem Falle oder auch nur im Normalfall anzunehmen. Es müssen
vielmehr besondere Umstände des Einzelfalles eine solche Annahme rechtfertigen (L.
Lehrmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2078
BGB (Stand: 03.04.2020). Rn. 108). Es muss sich um einen Irrtum über besonders
schwerwiegende Umstände handeln, die den Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht
hätten, anders zu testieren (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2078 Rn. 45). Der
Irrtum muss ursächlich, d.h. bestimmend oder zumindest derart mitbestimmend gewesen
sein, dass der Erblasser sie ohne die irrige Vorstellung nicht getroffen hätte (OLG
München, Beschluss vom 27. Juli 2007 – 31 Wx 51/07 –, juris). Lassen sich die Motive des
Erblassers bzw. ihr Gewicht im Einzelnen nicht mehr aufklären, so ist die Anfechtbarkeit zu
verneinen (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2078 Rn. 48).
Nach Auffassung des Senats bestehen erhebliche Zweifel daran, dass für den Erblasser
bestimmendes Motiv für die Einsetzung der Antragstellerin als Alleinerbin deren eheliche
Treue gewesen ist. Dagegen spricht bereits der Umstand, dass der Erblasser selbst
während der Ehezeit immer wieder außereheliche Affären mit anderen Frauen gehabt hat.
Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Antragstellerin im Anhörungstermin erklärt hat,
dass sie diesen Umstand selbst als „nicht so dramatisch“ empfunden habe. Gleichwohl ist
es nicht nachvollziehbar, dass die Eheleute sich zwar wechselbezüglich als Alleinerben
bestimmt haben, allein der Erblasser aber seine letztwillige Verfügung davon abhängig
gemacht haben soll, dass seine Ehefrau ihm treu sein würde, wenn er selbst nicht zu
ehelicher Treue bereit gewesen ist. Angesichts dessen, dass das gesamte
Immobilienvermögen des Erblassers ursprünglich aus der Familie der Antragstellerin
stammte, ist auch nicht auszuschließen, dass weniger die eheliche Treue der
Antragstellerin für deren Erbeinsetzung durch den Erblasser maßgeblich gewesen ist, als
vielmehr die Absicht, im Erbfall das Vermögen wieder der Antragstellerin zukommen zu
lassen. Schließlich lässt auch der Inhalt des Abschiedsbriefes die Vermutung zu, dass es
dem Erblasser bei der Erbeinsetzung der Antragstellerin nicht entscheidend darum
gegangen ist, dass diese nicht die Zerrüttung der Ehe herbeiführt. Denn mit dem Satz „Ich
weiß auch nicht mehr, ob das mit dem Testament eine gute Idee war“ hat der Erblasser
eindeutig Zweifel an der Richtigkeit der von ihm getroffenen Entscheidung, die
Antragstellerin zu enterben, zum Ausdruck gebracht.
Ob auch die Anfechtungsfrist gem. § 2082 BGB gewahrt ist, bedurfte demnach keiner
Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus
Zulassung der Rechtsbeschwerde gem.
Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des
Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:08.12.2021
Aktenzeichen:10 W 27/20
Rechtsgebiete:
Erbvertrag
Gemeinschaftliches Testament
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Testamentsform
BGB §§ 2078 Abs. 2, 2247, 2267