BGH 24. Januar 2020
V ZR 155/18
BGB § 917

Kein gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund Duldung durch den Nachbarn

letzte Aktualisierung: 30.04.2020
BGH, Urt. v. 24.1.2020 – V ZR 155/18

BGB § 917
Kein gewohnheitsrechtliches Wegerecht aufgrund Duldung durch den Nachbarn

1a. Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen
einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen
entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen
Grundstücksnachbarn.
1b. In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein
Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb des Grundbuchs nur aufgrund
schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 BGB
entstehen.
2. Die i. S. v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB ordnungsmäßige Benutzung eines Gewerbegrundstücks kann
es nach den Umständen des Einzelfalls erfordern, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil
Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie gegebenenfalls auch abgestellt werden, so dass eine Zufahrt
erforderlich ist; dies setzt aber in der Regel voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten
Verhältnissen eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt.

Entscheidungsgründe:

I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts haben die Kläger gegen die Beklagte
jeweils einen Unterlassungsanspruch in entsprechender Anwendung von
§§ 1027, 1004 BGB. Unter dem Gesichtspunkt eines zumindest zu ihren Gunsten
bestehenden Gewohnheitsrechts seien sie zur Nutzung des Zuwegs zum
rückwärtigen Bereich ihrer Grundstücke zum Erreichen der dort gelegenen Garagen,
zum Transport von Mülltonnen sowie zur Ausübung eines Gewerbebetriebes
auf einem der Grundstücke berechtigt. Unter der Voraussetzung einer
lang andauernden tatsächlichen Übung und der Überzeugung der beteiligten
Verkehrskreise, durch die Einhaltung dieser Übung bestehendes Recht zu befolgen,
sei Gewohnheitsrecht auch im privaten und öffentlichen Wegerecht zur
Begründung von historisch entstandenen Überwegungsrechten anzuerkennen.
Soweit Gewohnheitsrecht nur als Rechtsquelle allgemeiner Art verstanden und
deshalb als Rechtsgrund einer Verpflichtung zwischen Privatpersonen nicht
anerkannt werde, sei dem nicht zu folgen.

Vorliegend bestehe eine langjährige tatsächliche Übung der jeweiligen
Eigentümer oder berechtigten Nutzer der in Rede stehenden Grundstücke dahingehend,
dass die straßenabgewandte Seite der - heute - klägerischen
Grundstücke über eine Zufahrt auf Grundstücken erreicht werden könne, die
- heute - im Eigentum der Beklagten stünden. Dies ergebe sich sowohl aus einem
Lageplan der Grundstücke aus dem Jahr 1940 als auch aus einem Schreiben
aus dem Jahre 1969 des damaligen Eigentümers der Grundstücke der Beklagten
an den damaligen Eigentümer des Grundstücks der Klägerin zu 1, in
dem das Bestehen eines „nicht dinglich gesicherten Wegerechts für die Bewohner
der Häuser“ der Kläger vorausgesetzt werde. Anhaltspunkte dafür, dass die
jeweiligen Grundstückseigentümer oder Nutzer oder die heutigen Parteien nicht
von einer rechtlichen Verpflichtung bzw. Berechtigung hinsichtlich eines Wegerechts
ausgegangen seien, bestünden nicht. Ein das Gewohnheitsrecht ablösendes
Leihvertragsverhältnis sei nicht feststellbar.

II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht verkennt
den Begriff des Gewohnheitsrechts und die Voraussetzungen für dessen
Entstehen.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus,
dass die Möglichkeit des Entstehens von Gewohnheitsrecht in der Rechtsprechung
allgemein anerkannt ist und dass unter bestimmten Voraussetzungen
auch Wegerechte gewohnheitsrechtlich entstehen können (vgl. Senat, Urteil
vom 21. November 2008 - V ZR 35/08, NJW-RR 2009, 311 zum Inwiekenrecht
in Ostfriesland).

2. Rechtsfehlerhaft ist aber seine Annahme, ein gewohnheitsrechtliches
Wegerecht könne auch im Verhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn
durch eine jahrelange Übung in der Annahme einer entsprechenden rechtlichen
Berechtigung bzw. Verpflichtung entstehen. Zwar wird in der Rechtsprechung
vereinzelt die Ansicht vertreten, dass die lang andauernde Nutzung eines über
ein Privatgrundstück führenden Weges als Zuweg zwischen der öffentlichen
Straße und einem Hinterliegergrundstück zur Bildung eines örtlich geltenden
Gewohnheitsrechts führen könne, das objektives Recht darstelle und an das die
Anwohner gebunden seien (vgl. OLGR Schleswig 2006, 894, 895; OLG Stuttgart,
Urteil vom 30. September 2014 - 12 U 81/14, juris Rn. 50). Diese Ansicht
ist aber unzutreffend.

a) Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine
dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten
als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (BVerfGE 22, 114, 121; 28, 21,
28 f.; 34, 293, 303; 122, 248, 269; Senat, Urteil vom 16. Februar 2001
- V ZR 422/99, NJW-RR 2001, 1208, 1209; Urteil vom 21. November 2008
- V ZR 35/08, NJW-RR 2009, 311 Rn. 12; Urteil vom 18. November 2016
- V ZR 266/14, BGHZ 213, 30 Rn. 23; BGH, Urteil vom 19. März 2013
- VI ZR 56/12, BGHZ 197, 1 Rn. 29; Beschluss vom 4. April 2017 - II ZB 10/16,
WM 2017, 1011 Rn. 24; VGH Mannheim, VBlBW 2019, 207 Rn. 55). Als ungeschriebenes
Recht enthält es eine generell-abstrakte Regelung; diese muss
über den Einzelfall hinausweisen.

Zwar muss Gewohnheitsrecht kein „Jedermann-Recht“ sein. In dem Unterfall
der sog. Observanz, bei der es sich um ein örtlich begrenztes Gewohnheitsrecht
handelt (vgl. RGZ 102, 9, 12; OLG Frankfurt, RdL 2019, 98 Rn. 29),
kann dieses auch im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und
Pächtern zueinander entstehen (Senat, Urteil vom 21. November 2008
- V ZR 35/08, aaO Rn. 13 mwN), etwa nur für eine Gemeinde oder die Mitglieder
einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft (Palandt/Grüneberg, BGB,
79. Aufl., Einleitung Rn. 22). Voraussetzung ist aber auch in diesem Fall, dass
die ungeschriebene Rechtsnorm, die die Beteiligten als verbindlich anerkennen,
alle Rechtsverhältnisse einer bestimmten Art beherrscht (Senat, Urteil vom
21. November 2008 - V ZR 35/08, aaO Rn. 13; Dehner, Nachbarrecht, Stand
August 2019, A § 4 IV). Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige
Rechtsquelle allgemeiner Art (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1987, 137, 138 unter
2.; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., Einleitung Rn. 22) nur zwischen einer
Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen
entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis
zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1987,
137, 138 unter 2.; ZfIR 2017, 786, 788; OLG Naumburg, Urteil vom
14. November 2018 - 12 U 59/18, juris Rn. 37 f.; Dehner, Nachbarrecht, Stand
August 2019, A § 4 IV; Horst, Rechtshandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl., Rn. 418).
In einem konkreten Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn
kann ein Wegerecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch außerhalb
des Grundbuchs nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht
unter den Voraussetzungen des § 917 BGB entstehen, nicht aber durch
eine - sei es auch jahrzehntelange - Übung unter Grundstücksnachbarn, die in
der Annahme erfolgt, hierzu schuldrechtlich oder nach § 917 BGB berechtigt
bzw. verpflichtet zu sein.

b) Der von dem Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegte
weite Begriff des Gewohnheitsrechts führte im Ergebnis zum Erwerb einer
nicht im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit. Das sieht das Bürgerliche
Gesetzbuch nicht vor.

aa) Allerdings können bzw. konnten in anderen Rechtsordnungen
Grunddienstbarkeiten auch außerhalb des Grundbuchs erworben werden.
(1) So ist etwa in Österreich der auch dort geltende Grundsatz, dass eine
dingliche Dienstbarkeit nur durch Eintragung in die öffentlichen Bücher erworben
werden kann (§ 481 Abs. 1 ABGB), mehrfach durchbrochen. Insbesondere
besteht nach § 480 ABGB die Möglichkeit, eine Dienstbarkeit kraft Ersitzung
(gesetzlich bezeichnet als „Verjährung“) zu erwerben (vgl. Spath in Schwimann/
Kodek, ABGB, 4. Aufl., § 481 Rn. 4 und § 480 Rn. 2 ff.), etwa indem ein Waldweg
durch bestimmte Personen (bzw. ihre Rechtsvorgänger) über mehr als
30 Jahre hinweg zu forstwirtschaftlichen Zwecken befahren worden ist, wenn
die Ausübung dieses Wegerechts für den Grundstückseigentümer (bzw. seine
Rechtsvorgänger) wegen der regelmäßig vorhandenen Fahrspuren erkennbar
war (vgl. OGH, Entscheidung vom 24. Oktober 2011 - 8 Ob 67/11b, abrufbar
unter www.ris.bka.gv.at).

(2) Auch nach Teil I Titel 22 § 13 des Preußischen Allgemeinen Landrechts
(ALR) konnte eine Grunddienstbarkeit (Grundgerechtigkeit) durch Ersitzung
(Verjährung) erworben werden, wenn das Recht durch eine wenigstens
30 Jahre lange (Teil I Titel 22 § 14 i.V.m. Teil I Titel 9 § 625 ALR) ununterbrochene
Ausübung in Anspruch genommen wurde (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember
2008 - V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 12; siehe für eine ausführlichere
Darstellung OLG Hamm, NJW-RR 1987, 137, 138 sowie Dehner, Nachbarrecht,
Stand August 2019, B § 36 II 3).

bb) Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches hat sich hingegen
mit § 873 Abs. 1 BGB bewusst für eine Anwendung des Eintragungsprinzips auf
die Grunddienstbarkeit entschieden, das Ausnahmen nur in den gesetzlich vorgesehenen
Fällen zulässt (siehe zur Fortgeltung altrechtlicher Grunddienstbarkeiten
allerdings Art. 184, 187 EGBGB). Hiermit wollte er gerade den Erwerb
von Grunddienstbarkeiten im Wege der Ersitzung ausschließen und der damit
verbundenen Gefahr vorbeugen, dass „durch fortgesetzten Mißbrauch einer
Gefälligkeit ein Recht erschlichen werde“ (Motive III, S. 165), und dass „verwickelte
und kostspielige Rechtsstreitigkeiten [entstehen] zwischen demjenigen,
welcher eine Dienstbarkeit in Anspruch nimmt, und dem Erwerber des Grundstücks,
der von derselben keine Kenntnis erhalten hat, bzw. zwischen dem Erwerber
und dem Veräußerer“ (Motive III, S. 165 f.). Die Eintragung des Rechts
stelle die Beziehungen der Beteiligten zueinander der Regel nach vollständig
klar (Motive III, S. 166). Diesem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers
widerspräche es, wenn Grunddienstbarkeiten zwischen Grundstücksnachbarn
ohne Eintragung in das Grundbuch allein durch eine langjährige Übung entstehen
könnten.

c) Nach diesen Maßstäben haben die Kläger nicht aufgrund Gewohnheitsrechts
ein Wegerecht an den Grundstücken der Beklagten erworben. Eine
allgemeine, über das Verhältnis der Parteien untereinander hinausgehende
Übung, die Grundstücke der Beklagten als Zufahrt zu anderen Grundstücken zu
nutzen, steht nicht in Rede. Die Kläger behaupten auch nicht, dass die Nutzung
des Zuwegs von der Überzeugung der Beteiligten getragen sei, hiermit eine
allgemeine, objektive und gesetzesgleiche Rechtsnorm zu befolgen, die über
das konkrete Rechtsverhältnis der Parteien untereinander hinaus Geltung beanspruchen
kann.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

a) Eine Duldungspflicht der Beklagten ergibt sich nicht aus einem zwischen
den Parteien bestehenden schuldrechtlichen Verhältnis. Als solches käme
allenfalls ein Leihvertrag nach § 598 BGB in Betracht, dessen Zustandekommen
das Berufungsgericht indes nicht festzustellen vermochte. Im Übrigen
könnte ein solcher Leihvertrag, wenn er denn auf die Kläger und die Beklagten
übergegangen wäre, jederzeit gekündigt werden (vgl. Senat, Urteil vom
16. Mai 2014 - V ZR 181/13, NJW-RR 2014, 1043 Rn. 21; MüKoBGB/Brückner,
8. Aufl., § 917 Rn. 60); er wäre daher durch die von der Beklagten im Jahre
2016 erklärte Kündigung beendet worden.

b) Ein Nutzungsrecht lässt sich auch nicht aus dem nachbarlichem Gemeinschaftsverhältnis
ableiten. Dieses wird durch die Regelung des Notwegrechts
in § 917 BGB spezialgesetzlich ausgestaltet; die Norm enthält im Hinblick
auf die nicht durch dingliche Rechte oder schuldrechtliche Verträge begründeten
Wegerechte eine abschließende Regelung. Sind ihre tatbestandlichen
Voraussetzungen nicht erfüllt, können sie nicht mit Hilfe des nachbarlichen
Gemeinschaftsverhältnisses umgangen oder erweitert werden (vgl. Senat, Urteil
vom 15. November 2013 - V ZR 24/13, NJW 2014, 311 Rn. 26; Urteil vom
22. Januar 2016 - V ZR 116/15, ZMR 2016, 382 Rn. 14).

III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden,
weil noch weitere Feststellungen zu treffen sind. Mangels Entscheidungsreife
ist die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat weist für die weitere Sachbehandlung auf Folgendes
hin:

1. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob den Klägern gemäß
§ 917 Abs. 1 BGB ein Notwegrecht zusteht.

a) Diese Vorschrift gestattet die Inanspruchnahme benachbarten, im
fremden Eigentum stehenden Grund und Bodens als Notweg dann, wenn dem
betreffenden Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige
Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Der Notweganspruch setzt also
eine durch das Fehlen einer Verbindung nach außen hervorgerufene Notlage
des Grundstücks voraus. Hinsichtlich dieser Notlage sind strenge Anforderungen
zu stellen; sie besteht nicht, wenn eine andere Verbindungsmöglichkeit
vorhanden ist, die ebenfalls ordnungsmäßige Grundstücksbenutzung gewährleistet
(Senat, Urteil vom 15. April 1964 - V ZR 134/62, NJW 1964, 1321, 1322).
Welche Art der Benutzung eines Grundstücks i.S.v. § 917 Abs. 1 BGB ordnungsmäßig
ist, bestimmt sich nicht nach den persönlichen Bedürfnissen des
Eigentümers des verbindungslosen Grundstücks, sondern danach, was nach
objektiven Gesichtspunkten diesem Grundstück angemessen ist und den wirtschaftlichen
Verhältnissen entspricht (vgl. Senat, Urteil vom 15. April 1964
- V ZR 134/62, aaO; Urteil vom 26. Mai 1978 - V ZR 72/77, WM 1978, 1293,
1294; Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 117/08, NJW-RR 2010, 445 Rn. 15). Zu
berücksichtigen sind dabei die Benutzungsart und Größe des Grundstücks, seine
Umgebung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls (Senat, Urteil vom
15. April 1964 - V ZR 134/62, aaO; Urteil vom 28. Mai 1976 - V ZR 195/74, WM
1976, 1061, 1063; Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 117/08, aaO).

Handelt es sich bei dem Grundstück nach objektiven Kriterien um ein
Gewerbegrundstück, so kann dessen ordnungsmäßige Benutzung es nach den
Umständen des Einzelfalls erfordern, dass auf dem verbindungslosen Grundstücksteil
Kraftfahrzeuge be- und entladen sowie ggf. auch abgestellt werden,
so dass eine Zufahrt notwendig ist (vgl. Senat, Urteil vom 16. April 1958 - V ZR
170/56, MDR 1958, 592; Urteil vom 11. November 1959 - V ZR 98/58, BGHZ
31, 159, 161; Urteil vom 21. Dezember 1965 - V ZR 35/63, WM 1966, 346 ff.;
siehe auch MüKoBGB/Brückner, 8. Aufl., § 917 Rn. 27; Staudinger/Roth, BGB
[2016], § 917 Rn. 28; Palandt/Herrler, BGB, 79. Aufl., § 917 Rn. 6). Dies setzt
aber in der Regel voraus, dass das Grundstück nach seinen konkreten Verhältnissen
eine gewerbliche Nutzung größeren Umfangs erlaubt, namentlich eine
solche, bei der Waren eingelagert werden (müssen), die aufgrund ihrer Art, ihrer
Größe oder ihres Gewichts nicht auf dem mit dem öffentlichen Weg verbundenen
Grundstücksteil gelagert oder über diesen hinweg auf den verbindungslosen
Grundstücksteil verbracht werden können.

Die ordnungsmäßige Benutzung des Grundstücks kann das Notwegrecht
zudem nur begründen, wenn sie tatsächlich in einem Umfang erfolgt, der die
Zufahrt erforderlich macht. Bleibt die konkret ausgeübte Nutzung dahinter zurück,
entsteht das Notwegrecht nicht schon dadurch, dass objektiv nach den
Gegebenheiten des Grundstücks eine umfänglichere Nutzung möglich wäre.
Ebenso wenig begründet eine konkret ausgeübte Nutzung, die über das hinaus
geht, was nach Art, Größe und wirtschaftlichen Verhältnissen des Grundstücks
angemessen ist, eine Notlage, die die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks
für die Zufahrt zu dem verbindungslosen Grundstücksteil rechtfertigen
könnte.

b) Das Berufungsgericht hat bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - keine
Feststellungen dazu getroffen, wie die klägerischen Grundstücke genutzt werden
und ob diese Nutzung sich bei objektiver Betrachtung nach den genannten
Kriterien als ordnungsmäßig i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt. Dies wird
nunmehr nachzuholen sein.

aa) Sollten die Grundstücke der Klägerin allein zu Wohnzwecken genutzt
werden, wird ein Notwegrecht allerdings ausscheiden.

(1) (a) Die Nutzung der im hinteren Bereich der Grundstücke der Kläger
befindlichen Garagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen stellt sich nicht als
ordnungsmäßige Benutzung im Sinne von § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, weil
die Garagen baurechtlich nicht genehmigt und mangels Erschließung auch
nicht genehmigungsfähig sind. Die für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens
notwendige Erschließung ist nämlich nur dann i.S.v. § 30 Abs. 2 BauGB „gesi-
chert“, wenn für die Zuwegung eine Baulast oder eine Grunddienstbarkeit besteht;
ein Notweg nach § 917 BGB genügt nicht (vgl. Senat, Urteil vom
23. Januar 2015 - V ZR 318/13, NJW-RR 2015, 852 Rn. 21 mwN). Ist eine Bebauung
nach öffentlichem Recht mangels Erschließung unzulässig, kann die
bauliche Nutzung nicht gleichwohl eine ordnungsmäßige Benutzung im Sinne
des § 917 Abs. 1 BGB deshalb sein, weil sie praktischen Bedürfnissen entspricht;
was nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts unzulässig ist, kann
nicht von der Privatrechtsordnung als „ordnungsmäßig“ gebilligt werden
(BVerwGE 50, 282 = NJW 1976, 1987, 1989).

(b) Nichts anderes gilt, soweit die Kläger ihre Kraftfahrzeuge anderweit
auf den verbindungslosen Grundstücksteilen abstellen möchten. Liegt ein
Grundstück - wie hier - mit seiner Vorderseite an einem öffentlichen Weg, ist die
Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen, die für die ordnungsmäßige Benutzung eines
Wohngrundstücks in der Regel notwendig ist (vgl. Senat, Urteil vom
12. Dezember 2008 - V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 24), gewährleistet.
Zwar schließt dieser Umstand allein ein Notwegrecht nicht von vornherein aus
(vgl. Senat, Urteil vom 18. Oktober 2013 - V ZR 278/12, NJW-RR 2014, 398
Rn. 10 f. mwN; Urteil vom 22. Januar 2016 - V ZR 116/15, ZMR 2016, 382
Rn. 7). Eine Zufahrt über das Nachbargrundstück, um das Fahrzeug aus Gründen
der Bequemlichkeit oder Zweckmäßigkeit auf dem eigenen Wohngrundstück
abstellen zu können, ist dem Eigentümer aus dem Notwegrecht nach
§ 917 BGB aber nicht zuzubilligen (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil
vom 9. November 1979 - V ZR 85/78, BGHZ 75, 315, 318 f.; Urteil vom
12. Dezember 2008 - V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 19; Urteil vom
18. Oktober 2013 - V ZR 278/12, NJW-RR 2014, 398 Rn. 12; Urteil vom
15. November 2013 - V ZR 24/13, NJW 2014, 311 Rn. 23).

(2) Nachteile, die für die Kläger damit verbunden sind, dass sie die in den
hinteren Bereichen ihrer Grundstücke abgestellten Mülltonnen zu den jeweiligen
Abfuhrzeiten durch ihre Wohnhäuser hindurch an die öffentliche Straße verbringen
müssen, könnten ein Notwegrecht ebenso wenig rechtfertigen. Dies gilt
auch für die etwaige Notwendigkeit, sich angesichts zu schmaler Hausflure
bzw. anderer Räumlichkeiten kleinere Mülltonnen zu beschaffen, um den
Transport durch das Haus hindurch zu ermöglichen.

bb) Sollten die klägerischen Grundstücke hingegen gewerblich genutzt
werden, kommt ein Notwegrecht grundsätzlich in Betracht.

(1) Allerdings deuten die von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen
Lagepläne und Lichtbilder darauf hin, dass die Grundstücke ihrer Art und
Größe nach allenfalls eine Nutzung für kleinere Gewerbebetriebe, nicht aber für
größere Produktions-, Lager- oder Handelsbetriebe erlauben. Sollte dies zutreffen,
dürfte ein Notwegrecht im Hinblick darauf ausscheiden, dass die Grundstücke
an einem öffentlichen Weg gelegen sind, die für kleinere Gewerbebetriebe
erforderlichen Waren also dort angeliefert und - soweit erforderlich - durch die
Geschäfts- bzw. Ladenräume auf den hinteren Grundstücksteil verbracht werden
können. Eine konkrete Nutzung, die über ein Kleingewerbe und die typischerweise
damit verbundene Nutzung hinausginge, könnte in diesem Fall das
Notwegrecht nicht begründen.

(2) Im Übrigen gilt auch insoweit, dass die nach objektivem Maßstab
notwendige und der ordnungsmäßigen Grundstücksnutzung entsprechende
Einlagerung von Waren in Gebäuden auf den verbindungslosen Grundstücksteilen
nur zu einem Notwegrecht nach § 917 BGB führen kann, wenn die entsprechenden
Gebäude baurechtlich genehmigt bzw. zumindest genehmigungsfähig
sind.

2. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht zudem Gelegenheit,
sich mit der im Revisionsverfahren von den Klägern vertretenen Auffassung
auseinanderzusetzen, der Rechtsvorgänger der Beklagten habe ein den jewei-
ligen Eigentümern ihrer Grundstücke von der Voreigentümerin eingeräumtes
Wegerecht kaufvertraglich im Sinne eines Vertrages zugunsten Dritter (§ 328
BGB) übernommen; hieran sei auch die Beklagte gebunden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

24.01.2020

Aktenzeichen:

V ZR 155/18

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Öffentliches Baurecht
Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Miete
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Erschienen in:

NJW 2020, 1360-1364

Normen in Titel:

BGB § 917