Geltendmachung des gemeindlichen Vorkaufsrechts; Zustandekommen eines Kaufvertrags zwischen Verkäufer und Vorkaufsberechtigtem; privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt; Rechtsschutzmöglichkeiten
letzte Aktualisierung: 13.1.2025
OLG Hamm, Beschl. v. 1.10.2024 – 22 U 83/24
BauGB §§ 24, 28;
Geltendmachung des gemeindlichen Vorkaufsrechts; Zustandekommen eines Kaufvertrags
zwischen Verkäufer und Vorkaufsberechtigtem; privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt;
Rechtsschutzmöglichkeiten
1. Der Bescheid der Gemeinde über die Ausübung des Vorkaufsrechts gem.
einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar. Dieser führt dazu, dass unmittelbar ein neuer
Kaufvertrag zwischen der ausübenden Gemeinde und dem Verkäufer begründet wird (im Anschluss
an BGH, Urteil vom 5. Mai 1988 – III ZR 105/87 –, juris).
2. Macht der Verkäufer geltend, dass ein Vorkaufsrecht der Gemeinde nicht bestehe, weil in
Abweichung vom Inhalt der notariellen Urkunde eine gemischte Schenkung vereinbart worden sei,
muss er den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts anfechten. Denn in einem
gerichtlichen Verfahren, das Ansprüche aus dem aufgrund der Ausübung des Vorkaufsrechts
entstandenen Kaufvertrag zwischen Gemeinde und Verkäufer zum Gegenstand hat, gehen von dem
Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts Bindungswirkungen aus; es unterliegt danach nicht
mehr der Prüfungskompetenz des Zivilgerichts, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts einen (reinen)
Kaufvertrag gem.
der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts gem.
einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in
Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Übereignung des nachfolgend bezeichneten
Grundstücks auf der Grundlage eines von ihr ausgeübten gemeindlichen Vorkaufsrechts.
Das Grundstück Gemarkung D., Flur N01, Flurstück N02, W.-straße 2a in D. stand und
steht im Eigentum des Beklagten. Es liegt im Bereich des Bebauungsplans der Klägerin
mit der Nr. N03 vom 27.08.1991.
Mit Beschluss vom 02.04.2020 hat der Rat der Klägerin den Beginn der vorbereitenden
Untersuchungen zur Prüfung der Sanierungsbedürftigkeit im Bereich der S.-straße in D.
Süd gemäß
den Bereich der S.-straße in D. Süd eine Vorkaufssatzung im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1
Nr. 2 BauGB erlassen, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu sichern. Hiervon
ist auch der Kreuzungsbereich S.-straße/W.-straße erfasst.
Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Bereich der Vorkaufssatzung.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 06.12.2022 (UR-Nr. N04 der Notarin G.) verkaufte
der Beklagte an seinen Cousin, den Zeugen R., das streitgegenständliche Grundstück. Der
von dem Zeugen R. für das Grundstück zu zahlende Kaufpreis betrug 40.000.00 €. Der
Vertrag wurde zunächst von der Ehefrau des Beklagten, Frau Q., abgeschlossen. Der
Beklagte genehmigte das Geschäft am 09.12.2022.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den notariellen Vertrag (Bl. 14 ff. erstinstanzliche
Akte, nachfolgend: d.A.) Bezug genommen.
Mit an den Beklagten gerichteten und förmlich zugestellten und mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 06.03.2023 erklärte die Klägerin die
Ausübung des Vorkaufsrechts bezüglich des streitgegenständlichen Grundstücks (Bl. 30 ff.
d.A.). Rechtsmittel gegen den Bescheid legte der Beklagte nicht ein.
Der Beklagte lehnte mit E-Mail vom 15.08.2023 (Bl. 38 d.A.) das vorgerichtliche Begehren
der Klägerin auf Übereignung des streitgegenständlichen Grundstücks ab.
Unter Berufung auf das ausgeübte Vorkaufsrecht hat die Klägerin die Übereignung des
Grundstücks Zug-um-Zug gegen Zahlung von 40.000 € und die Feststellung des
Annahmeverzugs beantragt.
Der Beklagte hat Klageabweisung mit der Behauptung beantragt, es sei eine gemischte
Schenkung vereinbart worden, weshalb – so hat er gemeint – das Vorkaufsrecht der
Klägerin nicht bestehe. Der Bescheid der Klägerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts
sei gem.
Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme der Klage vollumfänglich
mit der Begründung stattgegeben, zur Überzeugung der Kammer sei ein Kaufvertrag ohne
Schenkungsanteil vereinbart worden.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, der erstinstanzlich gestellten
Anträge und der rechtlichen Ausführungen wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 121 ff.
d.A.) verwiesen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Mit der Berufung begehrt der Beklagte die Abweisung der Klage. Er ist der Auffassung,
dass das Landgericht das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Verletzung materiellen
Rechts unzutreffend gewürdigt habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Berufungsbegründung vom 23.09.2024 Bezug genommen (Bl. 84 ff. zweitinstanzliche
Akte, nachfolgend: GA).
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 15.07.2024 verkündeten Urteils des Landgerichts Bochum (Az.
I-5 O 467/23) die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ihren Berufungsantrag hat die Klägerin bislang nicht begründet.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist offensichtlich unbegründet. Die angefochtene
Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
rechtfertigen die nach
Beklagten günstigere Entscheidung,
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage als begründet erachtet.
1.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Übereignung des streitgegenständlichen Grundstücks
zu. Der Beklagte ist – wie vom Landgericht ausgeurteilt – gem.
verpflichtet, die Auflassung und die Bewilligung zur Eintragung ins Grundbuch zur erklären.
Zwischen den Parteien ist ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche Grundstück
aufgrund der wirksamen Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts gem. §§ 24 Abs. 1
S. 1 Nr. 3, 25 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB in Verbindung mit den erlassenen Satzungen vom
02.04.2020 zustande gekommen. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht in
Übereinstimmung mit der Auffassung des Landgerichts fest, dass der Beklagte einen
Kaufvertrag (ohne einen schenkungsrechtlichen Anteil) über das streitgegenständliche
Grundstück zum Kaufpreis von 40.000 € abgeschlossen hat. Hiervon ist aufgrund des
bestandskräftigen und nicht gem.
die Ausübung des Vorkaufsrechts vom 06.03.2023 auszugehen.
a)
Der Bescheid der Klägerin vom 06.03.2023 über die Ausübung des Vorkaufsrechts führt
dazu, dass ein Kaufvertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu den
Bedingungen des notariellen Kaufvertrages vom 06.12.2022 entstanden ist.
Die Klägerin hat auf der Grundlage der Vorkaufsrechtssatzung vom 02.04.2020 und dem
Beschluss des Rates der Klägerin vom 02.04.2020 zur Prüfung der
Sanierungsbedürftigkeit das Vorkaufsrecht ausgeübt. Die §§ 24 Abs. 1 Nr. 3, 25 Abs. 1
Nr. 2 BauGB sind hierfür die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß
privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar (BVerwG, Beschluss vom 30. November
2009 – 4B 52/09 –, Rn. 5 juris). Der bestandskräftige Verwaltungsakt führt dazu, dass
unmittelbar ein neuer Kaufvertrag zwischen der ausübenden Gemeinde und dem
Verkäufer begründet wird, mit dem Inhalt, wie er zwischen dem Verpflichteten und dem
Käufer besteht (BGH, Urteil vom 05. Mai.1988 – III ZR 105/87 –, Rn. 13 juris; Ernst/
Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Stock, 154. EL April 2024,
beck-online).
Der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts ist bestandskräftig geworden.
Denn der Beklagte hat trotz Rechtsbehelfsbelehrung keine Rechtsbehelfe gegen den
Verwaltungsakt eingelegt.
b)
Der bestandskräftige Verwaltungsakt umfasst rechtlich bindend die Feststellung, dass über
das streitgegenständliche Grundstück ein Kaufvertrag (ohne schenkungsrechtliche Anteile)
abgeschlossen worden ist.
Die Ausübung des Vorkaufsrechts nach dem BauGB (
anderem voraus, dass im Sinne
anderem verwiesen wird, ein das Vorkaufsrecht auslösender wirksamer Kaufvertrag
geschlossen wurde.
Dementsprechend hat die Gemeinde bei der Prüfung, ob ein Bescheid über die Ausübung
des Vorkaufsrechts erlassen werden darf, die privatrechtliche Vorfrage des Bestehens
eines Kaufvertrages einzubeziehen (Schrödter, Baugesetzbuch,
Daher gehört es unter anderem zur gerichtlichen Überprüfung eines Bescheides
gemäß
gemischten Schenkungsvertrages der Ausübung des Vorkaufsrechts entgegensteht (vgl.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Januar 2013 – 4 LA 173/12 –, Rn. 5 - 6, juris;
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20. Juni 2003 – 3 UE 371/03 –,
Rn. 25, juris).
c)
Aus dem vorbeschriebenen Umfang der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass des
privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes folgt die entsprechende Bindungswirkung für
das hier gegenständliche zivilgerichtliche Verfahren. Im allgemeinen zivilgerichtlichen
Verfahren wird dementsprechend nur über die inhaltlichen Rechtsfolgen der
vorausgesetzten wirksamen Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts befunden (vgl.
z.B. BGH, Urteil vom 14. Juli 1995 – V ZR 31/94 -, beck-online).
d)
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Bescheid vom 06.03.2023 nicht gem. § 44
Abs. 1 VwVfG NRW unwirksam, weshalb der Senat aufgrund der von ihm ausgehenden
Bindungswirkung von dem Bestehen eines Kaufvertrages auszugehen hat.
Ein Verwaltungsakt ist gem.
wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger
Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Offenkundigkeit
bedeutet, dass die schwere Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts für einen
unvoreingenommenen, mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten,
verständigen Beobachter ohne Weiteres ersichtlich sein, sich geradezu aufdrängen muss
(OVG Münster Beschl. vom 21. Februar 2020 – 8 A 3269/18- mwN,
Rn. 7, beck-online).
aa)
Der gegenständliche Bescheid vom 06.03.2023 leidet nicht an einem besonders
schwerwiegenden Fehler.
Die Klägerin konnte und durfte nach Maßgabe der ihr vorgelegten notariellen Urkunde vom
06.12.2022 davon ausgehen, dass ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche
Grundstück abgeschlossen wurde. Hierfür sprechen sowohl die Bezeichnung
(„Kaufvertrag“) des beurkundeten Rechtsgeschäfts als auch der Inhalt der Urkunde. Denn
diese enthielt bezüglich der dort getroffenen rechtsrelevanten Regelungen allein die
Elemente eines Kaufvertrages. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der
Vertragsurkunde (vgl. hierzu etwa BGH, Urt. v. 6.3.2020 – V ZR 2/19-; Beschluss vom
31.10.2002 – V ZR 100/02 -, jeweils juris) streitet dafür, dass neben den niedergelegten
kaufvertraglichen Bestimmungen keine weitere Vereinbarung zwischen den Parteien
dahingehend getroffen wurde, dass ergänzend hinsichtlich eines den vereinbarten
Kaufpreis übersteigenden objektiven Verkehrswertes des Grundstücks eine unentgeltliche
Zuwendung gem.
Die von dem Beklagten behauptete Divergenz zwischen Kaufpreis und Verkehrswert des
Grundstücks sowie der im Notarvertrag enthaltene Hinweis der beurkundenden Notarin,
dass eine Schenkungssteuerpflicht bestehen könne (Bl. 26 d.A.), begründet jedenfalls
nicht einen besonders schweren Fehler im oben genannten Sinne. Denn wie das
Landgericht zutreffend im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, bedeutet vor dem
Hintergrund der für eine Schenkung erforderlichen Einigung über die Unentgeltlichkeit der
Zuwendung eine Abweichung zwischen objektivem Verkehrswert und Kaufpreis nicht
zwangsläufig, dass eine Schenkung im Rechtssinne vorliegt.
Es geht nach alledem zu Lasten des Beklagten, dass er im Verwaltungsverfahren keine
Gründe vorgetragen hat, die zu einer von der Urkunde abweichenden Einschätzung der
Rechtsnatur des Vertrages hätte führen können, und er auch keinen Rechtsbehelf gegen
den Bescheid vom 06.03.2023 eingelegt hat.
Im Übrigen merkt der Senat an, dass der vom Beklagten behauptete Verkehrswert des
Grundstücks nicht dem objektiven Verkehrswert des Grundstücks entsprechen dürfte
(
der einschlägigen Bodenrichtwertzone laut der Datenerhebung des Gutachterausschusses
für die Ermittlung von Grundstückwerten (
dass nach den eigenen Angaben des Beklagten das aufstehende Gebäude keinen
jedenfalls relevanten Wert zum Wertermittlungsstichtag (Datum des Kaufvertrages)
aufwies, weshalb er allein auf den Grundstückswert abstellt. Der von ihm vorgetragene
Zustand des aufstehenden Gebäudes hat zur Folge, dass § 8 Abs. 3 Nr. 3 ImmowertV
relevant wird, wonach bauliche Anlagen, die nicht mehr wirtschaftlich nutzbar sind und zur
alsbaldigen Freilegung anstehen, zu einer Verminderung des Wertes des Grundstücks
führen, weil der Wirtschaftsverkehr die zur Beseitigung des Gebäudes entstehenden
Kosten vom Wert des Grundstücks absetzt.
bb)
Der nach Auffassung des Beklagten gegebene Fehler ist zudem nicht im Sinne des § 44
Abs. 1 VwVfG offensichtlich.
Denn in Anbetracht der unter oben aa) angeführten Entscheidungsgrundlage in der Form
der notariellen Kaufvertragsurkunde und der aus seinem Inhalt folgenden
Rechtswirkungen musste es sich einem verständigen Beobachter nicht aufdrängen, dass
die Einschätzung der Klägerin bezüglich des Vorliegens eines Kaufvertrages
schwerwiegend fehlerhaft war.
2.
Da der Beklagte sich trotz des angebotenen Betrages von 40.000 € weigerte, das
streitgegenständliche Grundstück zu übereignen, hat das Landgericht nach Maßgabe der
III.
Auf die Kostenprivilegierung im Falle der Berufungsrücknahme wird hingewiesen (GK, KV
1222).
Nach diesem Hinweis ist die Berufung zurückgenommen worden.
Entscheidung, Urteil
Gericht:OLG Hamm
Erscheinungsdatum:01.10.2024
Aktenzeichen:22 U 83/24
Rechtsgebiete:
Allgemeines Schuldrecht
Kaufvertrag
Vorkaufsrecht schuldrechtlich, Wiederkauf
Öffentliches Baurecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundstücksübergabe, Überlassungsvertrag
BauGB §§ 24, 28; BGB § 463